Zwölf Türen zum Glück (eBook)
394 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-1170-0 (ISBN)
Reinhard Wagener arbeitete nach einem Studium der Philosophie und einigen Jahren der Tätigkeit als Heilpraktiker 25 Jahre als Psychotherapeut in einer psychosomatischen Reha-Klinik. Seine Arbeit ist geprägt von den Methoden der humanistischen und der systemischen Psychotherapien, gleichzeitig verwurzelt in der Welt christlicher Werte, mit denen er aufwuchs, und der spirituellen Weltsicht des Buddhismus. Keiner traditionellen Schule zugehörig betrachtete er eine zeitgemäße Meditationspraxis neben der Psychotherapie immer als einen zentralen Baustein sowohl der eigenen Entwicklung als auch der Arbeit mit Menschen.
BEDÜRFTIGKEIT
Bedürftigkeit hat einen schlechten Ruf. Häufig verbinden wir damit Ärmlichkeit, den Empfang von Sozialleistungen, Schwäche, Abhängigkeit und weitere negative Eigenschaften, mit denen wir nach Möglichkeit nichts zu tun haben wollen. Die Vorstellung einmal selber bedürftig werden zu können, löst Angst aus. Wir wollen uns das am besten gar nicht vorstellen. Wir verbinden Bedürftigkeit mit der Hilflosigkeit von Alter, Krankheit und Sterben und versuchen dies aus unserem Alltag herauszuhalten. In den Nachrichten werden wir mit Hunger, Epidemien und Krieg konfrontiert und schauen mitleidig oder vielleicht sogar mit Mitgefühl aus der Ferne zu. Meist versuchen wir, distanziert zu bleiben und schnell wieder zu vergessen. Wir hoffen, dass das alles mit uns nichts zu tun hat. Vielleicht versuchen wir sogar, das Gefühl der Hilflosigkeit über das Spenden an wohltätige Organisationen abzuwehren. So hat es ja den Anschein, als würden wir etwas tun können, anstatt uns unsere Hilflosigkeit eingestehen und sie aushalten zu müssen.
Das hört sich alles so negativ an, wird mancher einwerfen wollen. Und natürlich soll hier nicht grundsätzlich etwas dagegen gesagt werden, etwas von den eigenen finanziellen Mitteln für andere einzusetzen. Aber es ist etwas anderes, sich vielleicht sogar vor Ort, dort wo das Leiden tatsächlich geschieht, mit der eigenen Ohnmacht und der Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten zu konfrontieren. Denn dann besteht die Gefahr, dass es uns das Herz bricht, dass wir unsere gewohnten Selbstschutzmechanismen nicht mehr aufrecht erhalten können und in Kontakt kommen mit unserem eigenen Elend und der eigenen Bedürftigkeit. In diesem Moment können wir nicht mehr distanziert bleiben, ist die Bedürftigkeit nicht mehr dort draußen, sondern in unserer eigenen Innenwelt spürbar. Wir beginnen wahrzunehmen, dass der Hunger der anderen auch unser eigener Hunger ist. Wir befinden uns plötzlich auf der gleichen Ebene, wie alle anderen Menschen. Wir sehen unsere grundlegende Verletzlichkeit und gestehen uns ein, dass wir darin mit der gesamten Menschheit verbunden sind. Den Schmerz und die Bedürftigkeit der anderen zu spüren und sie schließlich als die eigenen zu erkennen ist unerlässlich, wenn wir uns in unserer Menschlichkeit und auch als Menschheit weiterentwickeln wollen.
Meist lieben wir mehr die aufsteigenden als die absteigenden Bewegungen. Mehr ist besser als weniger. Wir zollen dem Weg aufs Siegertreppchen Beifall. Den Zweitplatzierten bemitleiden wir bereits. Wer erinnert sich noch an den Namen des zweiten Mannes auf dem Mond oder gar an den, der die Apollokapsel weiter um den Mond steuerte? Wir sprechen über Karrieren bewundernd, manchmal neidisch, manchmal mit Verachtung. Wir schauen nach oben. Wer hätte nicht gerne mehr Geld, stünde nicht gerne weiter oben auf der sozialen Leiter. Der Erfolgreiche scheint sein Leben im Griff zu haben, erscheint nicht als bedürftig oder verletzlich, nicht angreifbar. Aber zeigt sich nicht schon in unserem Blick nach oben die Bedürftigkeit, die wir im Blick nach unten auf Armut und Elend bei uns selber nicht wahr haben wollen? Ist nicht der Erfolgreiche am Ende auch getrieben durch seine mehr oder weniger bewusste Bedürftigkeit? Nur würde er es nicht so nennen und hätte vielleicht auch nicht die Zeit, die Wurzeln seines Antriebs zu erforschen.
Dass ein Leben für den Erfolg richtig ist, versteht sich ja von selbst, ist offensichtlich und bedarf gar nicht der Selbstreflektion. Der Buchmarkt ist voll von Büchern, die das Wort Erfolg bereits im Titel führen und uns sichere Wege dorthin verkaufen wollen. Wer will schon etwas lesen über einen zuverlässigen Weg in die Armut. Das wäre ja geradezu absurd. Die Armut ist jedoch auch die eigene innere Armut, das Eingeständnis, dass dort drinnen etwas Wichtiges fehlt. Doch dieses Fehlen wollen wir ungern wahrnehmen, da es schmerzt, ohne dass wir ein schnell helfendes Medikament dagegen hätten. Natürlich hilft die eine oder andere Droge, wenn der Schmerz in stillen Nachtstunden und Grübeleien dann trotzdem auftaucht. Das Glas Wein, das Internet oder das Shoppen helfen uns hinreichend schnell, das Gehirn wieder etwas zu benebeln und die aufbrechenden Gefühle wieder zu dämpfen.
Solange uns das Bedürfnis nach Erfolg oder einfach ein diffuses Gefühl von „mehr“ antreibt, haben wir keine Chance, bei uns selber anzukommen und herauszufinden, was wir tatsächlich brauchen. Ein Gutteil unserer Bedürfnisse entsteht ja ganz offensichtlich noch nicht einmal aus der Selbstwahrnehmung, sondern aus der gesellschaftlichen Vermittlung durch Eltern, Verwandte, Lehrer und soziale Vorbilder. Wir haben gelernt, was unsere Bedürfnisse sein dürfen und sein sollen und verinnerlichten dies in einem Alter, in dem wir uns noch keine eigene Meinung bilden konnten. Von dem vielleicht sogar liebevoll und sorgend vorgegebenen Weg abzuweichen hatte Konsequenzen. Und außerdem waren die Großen ja die Großen, die vermutlich Recht hatten, denen man vertrauen konnte und musste.
Dass wir als grundlegend bedürftige Wesen zur Welt gekommen sind, können wir uns leicht vor Augen führen. Zu akzeptieren, dass wir das auch bleiben werden, ist schon weitaus schwerer. Dennoch ist es ganz offensichtlich. Als Menschen sind wir offene Systeme, das heißt, wir können nicht aus uns selber heraus existieren. Wir werden sehen, dass uns gerade diese für das Leben notwendige systemische Offenheit notwendigerweise verletzlich macht. Die Offenheit zieht nach sich, dass nichts so bleibt wie es ist, denn Input und Output verändern das System.
Die Folge der Veränderung nennt man gewöhnlich Entwicklung oder Wachstum. Morgen sind wir nicht mehr die Gleichen wie heute. Unser Gehirn wird komplexer, wir entwickeln mehr Vielfalt in unserem Denken. Unsere Gefühle werden differenzierter und wir antworten mit ihnen auf die Umstände unseres Lebens. Ohne Offenheit und Unbeständigkeit ist also Leben schlechterdings nicht vorstellbar. Dennoch verschließen wir uns erstaunlicherweise immer wieder und lehnen die Unbeständigkeit des Lebens ab. Wir werden noch sehen warum, und auch warum es unserer Entwicklung mehr dient, mit Offenheit, Verletzlichkeit und Unbeständigkeit einverstanden zu sein.
Wir bedürfen von der Empfängnis an des Austausches mit unserer Umwelt. Wir brauchen Nahrung, um uns entwickeln zu können und schließlich geboren zu werden. Ebenso müssen wir die Abfallprodukte unseres Stoffwechsels wieder ausscheiden. Wir brauchen also offene Grenzen, wo etwas hinein- aber auch wieder heraus kann. Aber wir brauchen auch stabile Grenzen, um uns als individuelle Wesen überhaupt erleben zu können. Mit der Grenze zwischen Innen und Außen werden wir uns noch weiter beschäftigen müssen, da sie zu den Bedingungen unseres Lebens gehört, aber offensichtlich auch einige Schwierigkeiten, die wir mit dem Leben haben, begründet.
Es ist die Grenze, die uns von der Welt trennt, uns zu Individuen macht, uns aber gleichzeitig mit ihr verbindet. Ohne Grenze könnten wir nicht entscheiden, was wir hineinlassen wollen, und was wir als schädlich zurückweisen. Schon Einzeller bewegen sich auf das zu, was sie brauchen, und ziehen sich von dem zurück, was ihre Integrität als individuelle Wesen bedroht. Die Grenze ist also notwendig, um sich überhaupt als individuelles Wesen verstehen zu können. Gleichzeitig führt sie zur Illusion des Getrenntseins von der Welt, anderen Menschen und dem Leben.
Wir können also nur sein im gleichzeitigen Stabilisieren und Öffnen unserer Grenze, was sich ziemlich paradox anhört. Früher oder später werden wir herausfinden, dass viele dieser scheinbar unauflösbaren Gegensätze unser Leben begleiten und wir lernen können, in der Spannung der gegensätzlichen Pole zu leben. Gerade diese Spannung kann das Leben fruchtbar machen und Entwicklung und Wachstum anregen.
Doch zunächst zurück zu Austausch und Durchlässigkeit. Der Fötus ist während der Schwangerschaft in einem regen Austausch mit der Mutter und beide beeinflussen sich gegenseitig. Es ist von Beginn an keine einseitige Angelegenheit, bei der die Mutter nur gibt und das werdende Kind nur nimmt. Es findet ganz offensichtlich nicht nur auf der Ebene des physiologischen Geschehens ein Austausch statt, sondern auch auf den Ebenen des Emotionalen und Geistigen. Ohne diesen Austausch kann das werdende Leben nicht am Leben bleiben. Wir sehen, dass der Austausch ein zentrales Prinzip des Lebens und eine dessen Grundbedingungen ist. Damit ist Abhängigkeit verbunden. Das Eine kann nicht ohne das Andere. Das Eine bedarf des Anderen, womit wir bei der Bedürftigkeit wären. Diese wird ja nicht von Beginn an als solche erlebt, da zunächst nichts fehlt, sofern die Schwangerschaft ohne Komplikationen verläuft. Die Erfüllung des Bedürfnisses geschieht von alleine, ehe sich ein Mangel bemerkbar macht. Kein Fragen oder Bitten ist notwendig. Die Nahrungsversorgung ist noch kontinuierlich. Es gibt keine schmerzhaften Wartezeiten, in denen sich ein Gefühl wie Hunger einstellen könnte.
Sobald nach der Geburt die Nabelschnur durchschnitten ist, ist es vorbei mit der Selbstverständlichkeit...
Erscheint lt. Verlag | 17.1.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Persönlichkeitsstörungen |
Schlagworte | Angst • Bedürfnisse • Erfüllung • Glück • Psychologie der Bedürfnisse |
ISBN-10 | 3-7568-1170-0 / 3756811700 |
ISBN-13 | 978-3-7568-1170-0 / 9783756811700 |
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