Unterwegs im Cyber-Camper (eBook)
470 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-073342-6 (ISBN)
Wie wäre es, wenn Software-Pionierin Ada Lovelace aus dem 19. Jahrhundert in der Jetztzeit landet und ihrem Freund Charles Babbage, einem Computer-Vorreiter aus England, Briefe schreibt? Darin erklärt sie alles, was man über das Thema Digitalisierung wissen muss - verständlich für jede und jeden. Es geht um Nullen und Einsen, um Verschlüsselung und virtuelle Realität, um Bitcoin und Blockchain, um Handys und Hypertext. Genau das macht Anna, die unter dem Pseudonym Ada L. einen Blog startet: über das, was die digitale Welt im Innersten zusammenhält. Die digitale Nomadin arbeitet in Thailand und Australien, im Elektrobus reist sie durch Europa. Auf ihrer Tour knüpft sie Kontakte, verliebt sich und kommt üblen Machenschaften auf die Spur. Dabei gerät sie selbst in Gefahr. Hilfe kommt von Freunden, von Fremden - und immer wieder von Hühnern.
Dieter Meiller, Magdalena Kayser-Meiller, Kastl.
1 Thailand
Neben mir gackert es laut. Evita stolziert auf den Hof, legt ruckartig den Kopf schief und lässt den Schnabel in eine Ritze zwischen den Steinplatten sausen, aus der ein bisschen Unkraut sprießt. Seit zwei Wochen haben wir hier im Coworking-Space Zuwachs bekommen: Weil die Henne immer wieder vom Nachbargrundstück aus zu uns herübergeflattert ist, hat sich mein Kollege Chuck ihrer angenommen. Offenbar hat er der Nachbarin das Huhn abgekauft, es vor ihrem Kochtopf gerettet – sie macht ein fantastisches grünes Curry mit Chicken – und hat das Tier auf den Namen Evita getauft. Er findet, „sie sieht im Profil aus wie Madonna in diesem Film, bloß ohne die blonden Haare – schau doch mal, der Gesichtsausdruck!“
Ich sehe nichts, was auf Madonna hinweist, lasse Chuck aber in seinem gefiederten Glück. Ohnehin hat er einen Hühner-Spleen, der nicht von schlechten Eltern ist. Schon kommt er gurrend auf Evita zu und legt ihr ein paar dünne Reisnudeln hin, die von seinem Frühstück übrig geblieben sind.
Wir teilen uns ein Büro in Bangkok, einen kleinen Raum mit drei Schreibtischen und einer Klimaanlage, die immer wieder schlappmacht, so dass wir eine abenteuerliche Serienschaltung an Ventilatoren aufgestellt haben. Den dritten Tisch hat Marcia gemietet, eine Amerikanerin, die den Hühner-Wahnsinn von Chicken-Chuck mit einem Achselzucken und vielen Vogel-Witzen recht cool nimmt.
Allerdings hat auch sie geschluckt, als er das erste Mal mit einer Kette auftauchte, an die er sich ein Paar Hühnerfüße gehängt hatte. „Er hat wohl von diesen Pilzen zuviel erwischt“, wisperte sie mir zu. Von denen hat er meiner Meinung nach schon öfter eine zu heftige Dosis abgekriegt. Als er einmal im Sonnenuntergang mit ruckendem Kopf und einem selbstgebastelten Häubchen aus Federn auf und ab stolziert ist, war ich kurz davor, ihn zum Arzt zu bringen.
Es sei seine Art, sich auf neue Aufgaben einzustimmen, hat er mir dann erklärt, als er merkte, dass Marcia und ich uns wirklich Sorgen um ihn machen. Das hat mich nur bedingt beruhigt. Allerdings hat er – die Haube immer noch auf dem Kopf – sich dann an seinen Rechner gesetzt und 17 Stunden durchprogrammiert. „Ins Pentagon habe ich es noch nicht geschafft“, mehr hat er nicht darüber rausgelassen, was er Neues angepickt, äh, angepackt hat.
Inzwischen gehören die baumelnden Klauen vor seinem Brustkorb zu seinem Anblick dazu – ich habe mir ein paarmal fasziniert die Struktur der Krallen angeschaut, wie schuppig-geschichtet sie sind. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie von Hühnern stammen, wäre ich nicht direkt draufgekommen. Dinosaurierhaft sehen sie aus. Nicht mal zum Schlafen nimmt er sie ab. Zumindest behauptet er das. Wie auch immer: Ab und zu ein frisches Ei von einer glücklichen Evita ist was wert. Wobei Chuck sie eifersüchtig hütet und nur selten eins rausrückt. Das kann ich allerdings angesichts der vielen kulinarischen Verlockungen hier verschmerzen.
Er ist ein spezieller Kerl, aber in seinem Metier genial. Genaueres weiß ich auch nach längerer Coworking-Nachbarschaft nicht, aber er verdient gut. Aus finanziellen Gründen müsste er sich das Büro gar nicht mit uns teilen, vermute ich. Aber ihm gefällt es, wenn jemand um ihn herum ist, wenn eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre herrscht. So hat er es genannt, als ich mich für den Tisch interessierte und ihn auch prompt bekam. In unserer Straße gibt es mehrere Büros, in denen Leute aus vielerlei Ländern arbeiten, die meisten davon sind wie Chuck im Computerbusiness. Sehr viele Leute in meinem Alter, Ende 20, auch einige Jüngere und einzelne, die schon ein Stück älter sind.
Chuck sagte mir, dass er in seinem Büro lieber Kollegen aus anderen Branchen neben sich sitzen hat, „sonst wird mir das ewige Fachsimpeln zu viel“. Außerdem glaube ich, dass er seine Jobs lieber ohne Profi-Nachbarschaft abwickelt.
Ums Fachsimpeln kommen wir aber trotzdem nicht drumrum, wenn wir in eins der Cafés um die Ecke gehen. Immer wieder machen wir wie eine eingeschworene Büro-Crew zusammen Pause. Dann landen wir regelmäßig mit einem Grüppchen an einem der Tische, es geht los mit immer seltsameren Nerd-Gesprächen, und wir haben schon ein paarmal spontan den Feierabend um einige Stunden vorgezogen und sind miteinander versumpft. Mit Lisa aus Schweden verstehe ich mich sehr gut, sie programmiert für eine große skandinavische Firma Steuerungen vor allem für Haushaltsroboter. Ian aus Melbourne ist bei einem australischen Stromnetzbetreiber, und Alan stammt aus dem Mittleren Westen der USA und ist Freelancer: Er arbeitet in Bangkok nebenher als DJ und setzt uns gern auf die Gästeliste seiner Partys.
Oft landen wir am frühen Nachmittag in einem Café, das Martina aus München mit ihrem Freund Aisun aus Thailand aufgemacht hat. Martina backt hervorragende Kuchen, und es tut schon ab und zu gut, sich mal in der eigenen Muttersprache austauschen zu können. „Ihr seid wie die aus Big Bang Theory“, sagt sie immer wieder: Bei uns kreisen die Gespräche oft ums Programmieren, um Datentransfer, um das Internet oder um Handynetze, Satelliten oder Sicherheit im Weltraum.
Das tut gut: Wir haben einen großen gemeinsamen Level, auf dem wir uns austauschen können. In Deutschland bin ich oft irgendwann gegen eine Wand aus Unwissen gelaufen, nicht unbedingt Desinteresse, aber so eine antrainierte Einstellung von „och, das ist mir zu hoch“. Ich finde, die Digitalisierung ist so eine mächtige Umwälzung – und die Kernpunkte davon kann jeder Mensch begreifen, wenn er es ordentlich vorgesetzt kriegt.
Wer etwas darüber wissen will, dem erkläre ich auch gern, was die digitale Welt im Innersten zusammenhält. So weit ich selbst den Durchblick habe. „Du bist eine Zeugin Zuses“, sagt meine Schwägerin Almut dann zu mir. Weil ich den innigen Wunsch habe, dieses Wissen an andere weiterzugeben – in Erinnerung an Konrad Zuse, den deutschen Computerbau-Pionier. Er hat einen Computer konstruiert und am Esstisch seiner Eltern zusammengebaut. Den Wissensdurst und die Entdeckerlust von ihm und anderen Pionieren aus aller Welt bewundere ich: was sie angetrieben hat, was heute noch in immer neue Weiten trägt.
Seit kurzem habe ich einen Blog dazu begonnen, auch wenn Bloggen ein bisschen altmodisch ist. Ich stehe auf Vintage, und ich mag das Bloggen: Es ist wie ein digitales Tagebuch zu einem Thema. Darin erkläre ich in einfachen Bausteinen, was ich rund um die Digitalisierung, um Computer, Handynetze und anderes wissenswert finde. Mit der Idee dazu trage ich mich schon seit über einem Jahr, aber hier in Bangkok habe ich losgelegt.
Davor haben wir uns im Café über den Film „Zurück in die Zukunft“ unterhalten, den wir alle mögen. Mich hat darin immer die Wendung fasziniert, dass die Hauptfigur Marty McFly aus der Zukunft einen Brief an den Zeitmaschinen-Erfinder Doc Brown schreibt. Darin hat er dem Erfinder eine entscheidende Information mitgeteilt.
Das hat mich auf eine Idee gebracht: Wie wäre es, wenn Ada Lovelace, eine zu Unrecht wenig bekannte Digital-Pionierin aus dem 19. Jahrhundert, in der Jetztzeit gelandet wäre: Sie könnte das, was sie erlebt und sieht, ihrem Pionierskollegen und Zeitgenossen Charles Babbage schreiben. Ich habe mich vor allem in meinem Studium mit der Geschichte des Computers befasst und dabei bin ich auf Charles Babbage gestoßen, der in England lebte und eine damals bahnbrechende Rechenmaschine, seine Analytical Engine, konstruierte. Leider konnte er sie nie bauen. In Erinnerung blieb er mir vor allem, weil seine Leistung durch die Erläuterungen von Ada Lovelace (was für ein Name – so würde ich auch gern heißen) Bedeutung gewonnen haben. Sie hat den ersten Algorithmus geschrieben, könnte man sagen. Die beiden sind also echte Vorreiter. Schon manchmal habe ich mir vorgestellt, ich würde aus Adas Augen aufs Heute blicken. Was würde sie sich denken, wenn sie sehen könnte, wohin ihre ersten Schritte geführt haben?
Mit den digitalen Errungenschaften ist es wie mit so vielen anderen: Sie haben ausgeprägte Pluspunkte. Und eine Kehrseite gehört auch dazu. Über diese Zweischneidigkeit denke ich oft nach – was vom digitalen Fortschritt würde ich mit Freuden hergeben, auf was möchte ich nicht mehr verzichten? „Die Antwort auf beides: Katzen-Videos“, schrieb mir Chuck dazu auf meine Frage auf Twitter. Und setzte gleich nach: „Obwohl das Huhn eindeutig die interessantere Spezies ist.“
Mein Ada-Blog spukt also schon eine Weile als Notiz in meiner Handy-App herum. Ein neues Projekt, denn ich habe schon eine Reihe davon gestartet: Mit AnnasJustice ging es los, dabei ging es um Ungerechtigkeiten. Da war ich noch Schülerin. Thema war vor allem Mobbing in sozialen Netzwerken. Eine meiner Mitschülerinnen bekam es mit 13 Jahren mit einem Typen zu tun, der ihr Gesicht in Porno-Fotos montiert hat. Er schickte die Bilder rum, dazu einen Haufen Lügengeschichten. Das machte mich so wütend, dass ich eine Plattform gründete, auf der sich Leute mit solchen Erlebnissen melden konnten, sich austauschen und um Rat fragen, alles anonym. Der Foto-Manipulierer hat richtig Ärger bekommen – immerhin das. Die Plattform gibt es noch, allerdings nicht unter meiner...
Erscheint lt. Verlag | 30.1.2023 |
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Reihe/Serie | De Gruyter Populärwissenschaftliche Reihe |
De Gruyter Populärwissenschaftliche Reihe | |
ISSN | ISSN |
Zusatzinfo | 20 b/w ill., 30 b/w tbl. |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte |
Mathematik / Informatik ► Informatik | |
Schlagworte | Computergeschichte • computer history • Digitalisierung • Digitalization • History of Communication • History of Informatics • Informatikgeschichte • Kommunikationsgeschichte |
ISBN-10 | 3-11-073342-0 / 3110733420 |
ISBN-13 | 978-3-11-073342-6 / 9783110733426 |
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