Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762

Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg
Buch | Hardcover
492 Seiten
2023
Olzog ein Imprint der Lau Verlag & Handel KG
978-3-95768-248-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762 - Jörg Ulrich Stange
38,00 inkl. MwSt
Ein ebenso interessanter wie nahezu unbekannter Abschnitt der preußischen und vor allem ostpreußischen Geschichte wird in diesem bemerkenswerten historischen Sachbuch von Jörg Ulrich Stange spannend und wissenschaftlich fundiert dargestellt: Das zuvor in einem derartigen Umfang noch nicht dokumentierte, über fünf Jahre währende ungewöhnliche Schicksal Ostpreußens unter russischer Besatzung im Siebenjährigen Krieg. Der Autor beschreibt wie Friedrich II. sich gegen seine erklärte Absicht Russland zum Feind machte und weder persönlich willens noch militärisch in der Lage war, seine östlichste Provinz gegen die Russen zu verteidigen. Eine Reihe von bisher als historisch verbürgt geltender Vorgänge werden in diesem Buch in schlüssiger Beweisführung anhand der Quellen ins Reich der Irrtümer verwiesen: Nahm Friedrich II. es seinen Untertanen in Ostpreußen tatsächlich übel, dass sie sich der Zarin "freiwillig" unterwarfen oder hatte der König andere Motive, den Menschen zwischen Weichsel und Memel zu grollen? War es tatsächlich die Absicht der Zarin Elisabeth, Ostpreußen dem Russischen Reich einzuverleiben? Was geben die Quellen dazu her? Folgte der neue russische Zar aus Holstein, Peter III., beim Abschluss des Friedensvertrages 1762 wirklich blind den Vorgaben Friedrichs II. und machte sich auf diese Weise zu seinem Vasallen, wie häufig behauptet wird? Daraus ergibt sich ein weiterer, vor allem von russischen Historikern verbreiteter Vorwurf gegen Peter III.: Hat der 186-Tage-Zar Ostpreußen ohne Gegenleistung an Friedrich zurückgegeben und die neue Machtstellung Russlands in Europa dadurch geschwächt? Die Faktenlage, wie sie hier ausführlich dargelegt wird, gibt auf diese Fragen quellenbasierte, schlüssige, aber sicherlich auch unerwartete Antworten.Aber das neue Buch über Ostpreußen birgt weitere Überraschungen: Der Autor schildert mit gründlicher Ausführlichkeit die fast unglaublichen Vorgänge einer Verschwörung im zaristischen Machtzentrum, die zum Scheitern des ersten Feldzuges der Russen 1757 geführt haben und die zum Teil bis heute nicht abschließend geklärt werden konnten. In einem weiteren Kapitel wird anhand der Quellen illustrativ und lebendig dargelegt wie sich das gesellschaftliche Leben der pietistischen Ostpreußen unter den Russen wandelte. Der Verfasser geht bei der Prüfung zahlreicher, wenig bekannter Tatsachen der Frage nach, ob der vereinzelt verwendete Begriff "goldene Russenjahre" im Zusammenhang mit der Besatzungspolitik gerechtfertigt scheint. Schließlich wird das Problem des 1762 bevorstehenden Krieges Dänemark gegen Russland multiperspektivisch untersucht, die Schlüsselstellung, die Ostpreußen dabei einnimmt, ausführlich beleuchtet und der gängigen monokausalen Erklärung zulasten Peters III. werden alternative Fakten gegenübergestellt. Nach langer Zeit endlich wieder eine Buchveröffentlichung, die wirklich etwas Neues über das untergegangene Ostpreußen zu bieten hat. Eine ergiebige Studie mit umfangreichem Quellenanhang, die weder in Bibliotheken noch in historischen Forschungseinrichtungen fehlen darf, an der sich aber vor allem die geschichtlich interessierte Leserschaft erfreuen wird.

Jörg Ulrich Stange wurde 1955 in Kiel mit ostpreußischen Wurzeln geboren. Er studierte Geschichte und Anglistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, absolvierte ein Studienjahr in Großbritannien und ist seit 1985 im Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein tätig. Seit 2012 kuratiert er die Ausstellung "Der Kieler Prinz auf dem Zarenthron" über den holsteinischen Herzog und russischen Kaiser Peter III.Jörg Ulrich Stange veröffentlichte eine Vielzahl von Beiträgen zur deutsch-russischen Geschichte, hielt Vorträge u. a. in Moskau und St. Petersburg. Er war als Gesprächspartner Gast in deutschen und russischen Rundfunk- und Fernsehsendungen. 2021 erschien sein Buch "Aufregung im Ostseeschloss", die tragische Kindheitsgeschichte des späteren russischen Zaren Peter III. Jörg Ulrich Stange veröffentlicht mit der Abhandlung "Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757-1762. Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg" erstmals eine umfassende Monografie über eines der Schlüsselereignisse der preußischen Geschichte, das in der Historiografie bisher kaum Beachtung gefunden hat.

Vorwort
Einleitung

Kapitel I. Preußen und Russland auf dem Weg in den Siebenjährigen Krieg
1. Wenn der Wunschpartner zum Feind wird
2. 1756: Umwälzung des europäischen Allianzsystems
3. Der Junge Hof: das Großfürstenpaar Peter und Katharina
Positionen des Großfürsten Peter
Orientierung der Großfürstin Katharina
4. Kriegsbeginn in Mitteleuropa im Sommer 1756

Kapitel II. Der Krieg 1757 in Ostpreußen
1. Verteidigungsmaßnahmen
2. Friedrich II. und seine „Königsprovinz“ Ostpreußen
3. Am Vorabend des ersten preußisch-russischen Krieges
4. Apraxins Feldzug 1757
5. Vormarsch der Russen in Ostpreußen
6. Schlacht bei Groß-Jägersdorf
7. Rückzug der Russen im Herbst 1757
Sieger flüchten vor den Besiegten
Landmiliz und Freischärler bei der Abwehr der Russen
Politische Gründe für den Rückzug der Russen
Der Gesundheitszustand Zarin Elisabeths
8. Die Untersuchungskommission

Kapitel III. Die erfolgreiche russische Okkupation Ostpreußens 1758
1. Erneuter russischer Einmarsch in Ostpreußen zur Jahreswende 1757/1758
2. Huldigungseid auf die Zarin
3. Die russisch-preußische Verwaltung
4. Kontributionen und Dienste
5. Handel und Finanzen
6. Not, Bedrängnisse und Zensur
7. Kultur und Gesellschaft
8. Königsberger Persönlichkeiten: „Das Ostfieber greift um sich!“
Immanuel Kant
Theodor Gottlieb von Hippel
Johann Gottfried Herder
Johann Gottlieb Willamow
9. Widerstand gegen die Besatzungsmacht
10. Russische Pläne für das Königreich Preußen

Kapitel IV. Thronwechsel in Russland: das Ende der Zarenherrschaft über Ostpreußen
1. Der neue Zar als Friedensstifter
2. Peter III. als Reformer
3. Die preußisch-russischen Verträge 1762
Der Friedensvertrag
Der Allianzvertrag
4. Ostpreußen als russisches Sprungbrett gegen Dänemark
5. Palastrevolte: Ostpreußen erneut zwischen den Fronten

Kapitel V. Zusammenfassung

Kapitel VI. Dokumente
1. Auszüge aus: Georg Friedrich Martens: Einleitung in das positive europäische Völkerrecht
2. »Gesang an den Cyrus« von Johann Gottfried Herder
3. Willimovs Dithyrambe »Peter Feodorowitz«
4. Manifest der russischen Zarin Elisabeth an die Bevölkerung im Königreich Preußen
5. Manifest der russischen Zarin Elisabeth insbesondere an die Bauern im Königreich Preußen
6. Kapitulationsurkunde der Festungsstadt Memel
7. Manifest der Zarin Elisabeth an die Bevölkerung des Königreichs Preußen zum Verlassen ihres Landes
8. Kapitulationsurkunde für Königsberg und das Königreich Preußen
9. Manifest Elisabeths an die Bewohner Ostpreußens Ende 1757
10. Eidesformel auf die Zarin Elisabeth
11. Manifest Elisabeths über den freien Handel in Ostpreußen
12. Manifest von Peter III. zu seiner Thronbesteigung
13. Eidesformel auf Zar Peter III.
14. Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Preußen und Russland
15. Friedensvertrag zwischen Preußen und Russland
16. Bekanntgabe des St. Petersburger Friedens in Berlin
17. Königlich Preußische Publikation zur Rückkehr Ostpreußens an Preußen
18. Peters III. Entlassungsbefehl Ostpreußens
19. Manifest der Zarin Katharina II. zur Thronbesteigung
20. Rücknahme des Entlassungsbefehls für Ostpreußen durch Zarin Katharina II.
21. Manifest der Zarin Katharina II. zum Tode Peters III.
22. Erklärung Katharinas II. an den preußischen Gesandten von der Goltz
23. Endgültige Rückgabe Ostpreußens an Friedrich II.
24. Erklärung der Regierung in Königsberg zur Wiederherstellung der Souveränität des Königs über Ostpreußen
25. Rede des deutschen Bundeskanzlers Schröder in Königsberg/Kaliningrad

Anhang
1. Die russischen Gouverneure Ostpreußens
2. Chronologie der Ereignisse 1756 – 1763
3. Anmerkungen
4. Literaturverzeichnis
a) Quellen
b) Darstellungen
5. Personenregister
6. Ortsregister
7. Bildnachweis

Vorwort Wozu eine weitere Abhandlung über einen scheinbar recht gut erforschten Abschnitt der europäischen Geschichte, wenn die Anzahl von Veröffentlichungen über das historische Ostpreußen, über den Preußenkönig Friedrich II. oder über den Siebenjährigen Krieg auf den ersten Blick umfassend ausfällt? Bei den anfänglichen Studien, die dieser Arbeit vorausgingen, war nicht absehbar, welchen Umfang die Recherchen annehmen und welche aufschlussreichen Ergebnisse am Ende daraus hervorgehen würden. Während der Ausarbeitung eines Vortrages über Zar Peter III. und die von ihm veranlasste Rückgabe der Provinz »Preußen« an Friedrich II. musste der Autor zwar feststellen, dass eine gewisse Zahl von Aufsätzen zu Einzelaspekten der Thematik »Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg« veröffentlicht wurde, auch eine überschaubare Reihe zeitgenössischer Quellen vorzufinden sind, aber keine abgeschlossene Abhandlung zu diesem Teil des Siebenjährigen Krieges existiert, der zugleich in vielerlei Hinsicht einen durchaus bemerkenswerten Abschnitt in der Geschichte des Königreiches Preußen darstellt. Die Besetzung Ostpreußens durch die Sowjetarmee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und die sich daran anschließende Leidenszeit der deutschen Bevölkerung in den Folgejahren ist bestens dokumentiert und aufgearbeitet worden. Hingegen finden sich heute so gut wie ­keine Darstellungen über die russische Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg. Eine zuverlässige Quelle ist in diesem Zusammenhang das Tagebuch des Königsberger Professors für Literatur, Johann Georg(e) Bock (1698 – 1762), der die Russenzeit Ostpreußens bis zum Jahresende 1760 dokumentiert hat. Darüber hinaus ergänzen die Schriften und Korrespondenzen des Preußenkönigs Friedrich II. (1712 – 1786) sowie die Veröffentlichungen des Großen Generalstabes über die Kriegsjahre 1756 bis 1763 als einschlägige Quellen die Materialbasis dieser Abhandlung. Der Flügeladjutant des Königs Henning Bernd von der Goltz (1718 – 1757), auch Generalintendant der ostpreußischen Armee unter Lehwaldt, nicht zu verwechseln mit Wilhelm Bernhard von der Goltz (1736 – 1795), hinterließ eine Reihe von faktenreichen Briefen über die preußische Mobilisierungskampagne zwischen Weichsel und Memel. Ernst von Frisch bearbeitete Anfang des 20. Jahrhunderts die Tagebücher und Berichte von drei österreichischen Militärbevollmächtigten, die im Stab der russischen Armee 1757 – 1758 eingesetzt wurden. Wenn diese Offiziere über die Truppen des Verbündeten auch keine streng objektiven Beurteilungen niederschrieben, so lassen sie es in ihren Aufzeichnungen doch nicht an Kritik an den Gegebenheiten in der russischen Armee mangeln. Insofern stellt Frischs Abhandlung eine wertvolle Quelle dar. Georg Friedrich von Martens stellte gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine beachtliche Sammlung an wichtigen Vertragstexten europä­ischer Mächte zusammen. Die darin enthaltenen, z. T. mehrsprachigen und vollständigen Vereinbarungen zwischen Brandenburg-Preußen und dem Russischen Reich dienten der vorliegenden Arbeit als unerlässliche fundierte Grundlage. Es existiert außerdem die stark nationalistisch gefärbte Darstellung Xaver von Hasenkamps aus der Mitte des 19. Jahrhunderts über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg mit einer Reihe widerlegter angeblicher Übergriffe der Russen auf die ostpreußische Bevölkerung. Dennoch bietet Hasenkamp eine umfangreiche und durchaus auch verifizierbare Datenfülle in seinem Werk. Der Autor, der seinerzeit noch Zugang zu den regionalen Archiven in Ostpreußen ­hatte, beklagte schon damals die unwiederbringliche Vernichtung etlicher Dokumente und Akten während der französischen Besatzungszeit unter Napoleon I. (1769 – 1821). Und auch Hasenkamp wünschte sich schon 1866, dass die Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg wissenschaftlich gründlicher aufgearbeitet werden möge, als es seine beachtliche Sammlung an Dokumenten und Chroniken zu leisten vermochte. Sein Werk sei »(…) lediglich als Vorarbeit für spätere Forschung« zu betrachten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ­wurde eine recht überschaubare Dissertation von Georg von Frantzius zu diesem Thema verfasst. Von russischer Seite ist der Bericht über den ersten Feldzug gegen Ostpreußen, niedergeschrieben vom Generalquartiermeister Hans Hein­rich von Weymarn (1718 – 1792), ein Baltendeutscher in kaiserlich-russischen Diensten, eine ausführliche und detailreiche Quelle. Die autobiografischen Aufzeichnungen Andrej Timofejewitsch Bolotows (1738 – 1833), der als Offizier sowohl an den beiden Feldzügen der Russen gegen Ostpreußen teilgenommen hat als auch in Königsberg die russische Besatzungsherrschaft als Kanzleischreiber direkt verfolgen konnte und später in St. Petersburg die Regierungszeit ­Peters III. als Augenzeuge erlebte, erwiesen sich ebenfalls als ergiebige Quelle für diese Arbeit. Es liegen außerdem die 1891 veröffentlichten Bände des Obersten im russischen Generalstab Masslowski über die Feldzüge der Oberbefehlshaber Stephan Fjodorowitsch Apraxin (1702 – 1758) und Wilhelm von Fermor (1702 – 1771) vor, die jedoch stark parteilich gefärbt und betont nationalrussisch orientiert verfasst sind. Sowohl an Hasenkamps als auch an Masslowskis Darstellungen ist zu kritisieren, dass zum Zeitpunkt des Siebenjährigen Krieges nationalstaatliche ­Kategorien noch kein Maßstab waren und deshalb diese Epoche nicht anhand politischer Normen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beurteilt werden sollte. Eine aktuelle Gesamtdarstellung zur russischen Diplomatie im Siebenjährigen Krieg, erstellt auf breiter Quellenbasis, liegt in M. Y. ­Anisimovs Studie vor. Der russische Historiker analysiert das preußisch-russische Verhältnis dieser Jahre und die ostpreußische Frage in den Verhandlungen der Alliierten anhand breit gefächerter Archivmaterialien. Eine moderne Gesamtgeschichte in deutscher Sprache über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg fehlt allerdings bisher. Diese Arbeit stellt daher den Versuch dar, aus dem vorhandenen deutschen, dem begrenzt zugänglichen russischen Quellenmaterial und auf der Grundlage bereits dargestellter Teilaspekte dieses Schauplatzes eine möglichst breite Übersicht des Themenkomplexes Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg zu bieten. Die vorliegende Darstellung erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Quellensammlung vorzuweisen oder eine vertiefende Archivforschungsarbeit zu liefern. Russische Dokumente blieben dem Autor, bis auf wenige Ausnahmen, aus sprachlichen und geografischen Gründen unzugänglich. Es ­musste, falls es geboten erschien, in Einzelfällen auf bereits ediertes Material zurückgegriffen werden. Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um die erste Monografie dieses Gegenstandes, die frei von borussophiler Siegerverklärung und antirussischer Voreingenommenheit die Vorgeschichte, den Verlauf und die Beendigung der russischen ­Okkupation von Preußens östlichster Provinz darstellt. Neben dem Problem der dürftigen Quellenlage ist allerdings eine den Forschungsgegenstand überlagernde interessante Frage zu stellen, warum es bisher keine umfassende Abhandlung der russischen Besatzungszeit in Ostpreußen 1757 – 1762 gegeben hat. Die Standardwerke über die Zeit Friedrichs des Großen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, oft getränkt mit dem Pathos der Heldenhaftigkeit und Übergröße dieses Königs, stellen alle Schlachten und Ereignisse des Siebenjährigen Krieges umfangreich dar; Ostpreußen wird dabei jedoch meist nur beiläufig oder überhaupt nicht genannt. Den jeweils zeitlich abgegrenzten schlesischen, böhmischen, märkischen Kriegsschauplätzen, selbst der Provinz Pommern widmeten die Historiker erheblich mehr Raum als dem fünf Jahre währenden Dauerschauplatz zwischen Weichsel und Memel. Das Übergehen Ostpreußens in Darstellungen über den Siebenjährigen Krieg wurde von den meisten Autoren, die sich mit dieser Provinz oder der Thematik dieses Krieges auseinandergesetzt haben, bis heute beibehalten. Schon Friedrich II. zeigte während des Krieges wenig Interesse für seine östlichste Provinz. War es ihm unangenehm, dass er die Provinz, die seinem Königreich 1701 den Namen gab, am Ende kampf‌los aufgeben musste? Es waren bezeichnenderweise die Russen selbst, die dem König die Provinz am Ende zurückgaben, die ihm, so scheint es, seit September 1757 kein Gramm Pulver mehr zu Verteidigung wert war. Über diese doppelte Unannehmlichkeit in der ansonsten so siegesgewohnten preußischen Militärgeschichte wurde offenbar der Mantel des Schweigens gedeckt. Über die Motive könnte man durchaus spekulieren und darüber zu einer plausibel erscheinenden Erklärung gelangen. Mieden es die vaterländisch gesinnten Historiker des 19. Jahrhunderts möglicherweise, die Zeit des Siebenjährigen Krieges in Ostpreußen, vor allem in Königsberg, ausführlich darzustellen, weil es eine nicht zu bestreitende schwere militärische Niederlage Friedrichs war, der doch als Sieger aus dem Gesamtkrieg hervorging, sodass man diesen dunklen Fleck in seiner Lebensleistung lieber überging? Oder vertrug sich die für die Königsberger doch nicht so schlechte Zeit unter den Russen nicht mit dem offiziellen, eher abfälligen Bild, das die Zeitungen und die Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über das Zarenreich glaubten verbreiten zu müssen? Die Historiografie des zurückliegenden 20. Jahrhunderts war schließlich weniger an der Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg interessiert als vielmehr an dem siegreichen Feldzug Hindenburgs zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Mit dem Untergang Ostpreußens am Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand jegliches Interesse am Thema der Zarenherrschaft über die Provinz im scheinbar weit zurückliegenden 18. Jahrhundert. Denn nach dem Zusammenbruch 1945 musste zunächst Trauerarbeit über die endgültig verloren gegangene Provinz Ostpreußen geleistet werden. Dies alles mögen die Gründe dafür sein, dass unser Thema von der deutschen Historiografie bisher – man ist fast gewillt zu sagen – ignoriert wurde. An der Entwicklung dieser Arbeit haben im Laufe der Entstehungszeit eine Reihe von engagierten Ratgebern mitgewirkt, für deren Unterstützung ich allen meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen möchte. Realisiert werden konnte die Publikation der vorliegenden Studie in erster Linie durch das aufgeschlossene und stets ­entgegenkommende Interesse der Verleger Willi J. Lau und Patrick Lau. Die jederzeit von Gefälligkeit und Verständnis geprägte Zusammenarbeit mit dem Lau-Verlag, vor allem das mit Sorgfalt vorgenommene Lektorat durch ­Leonie Zimmermann, gab mir die Gewissheit, das Buchprojekt in besten Händen zu wissen. Vorrangig ist ebenfalls Helmut Grieser zu nennen, der als Hochschullehrer meinen Blick auf die russische ­Geschichte lenkte und dem ich wertvolle Impulse zum Inhalt dieser Abhandlung zu verdanken habe. Ihm durfte ich als erstem das Manuskript anvertrauen, das er mit seiner unbestrittenen Sachkenntnis einer kritischen Prüfung unterzog. Reinhard Wenzel, der Vorsitzende des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen, unterbreitete mir eine nicht mehr zu beziffernde Anzahl an Quellenhinweisen und Literaturvorschlägen zur ostpreußischen Geschichte, wofür ich ihm zu vielfachem Dank verpflichtet bin. Hilfreichen Zugang zu russischen Publikationen ermöglichten mir Pavel D. Korsakov sowie Alexei N. Krouglov von der Russischen Universität für Humanwissenschaften in Moskau, denen ich ebenfalls meinen Dank entrichte. Alexander Fingrut gewährte mir Einblick in sein umfangreiches Privatarchiv mit Bildmaterial von den russischen Truppen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Uwe Carstens (†) verdanke ich entscheidende Impulse in der Entstehungsphase dieser Arbeit. Stellvertretend für gutinformierte Experten des Kieler Zarenvereins, die mir nützliche Hinweise gaben, sei Gisela Kordes gedankt. Auf dem Wege bis zur Veröffentlichung leisteten schließlich Marlies Rist sowie Marion Schneider ebenfalls wertvolle Unterstützung, wofür ich beiden herzlich danken möchte. Jörg Ulrich Stange März 2023 Einleitung Im Januar 1758 huldigte die Bevölkerung Ostpreußens der russischen Zarin Elisabeth (1709–1762). Der preußische Adler auf Amtsgebäuden und Siegeln wurde durch den russischen Doppeladler ersetzt, der russische General Wilhelm von Fermor, ein Baltendeutscher, ­wurde Generalgouverneur Ostpreußens mit Sitz auf dem Königsberger Schloss. Wie kam es zur fünf Jahre dauernden Besetzung Ostpreußens durch die Russen? Und welche Motive bewogen Russland, im Siebenjährigen Krieg an der Seite Österreichs und Frankreichs zum ersten Mal in der Geschichte gegen Preußen zu kämpfen? Warum scheiterte ein erster Feldzug der Russen in Ostpreußen? Kann bei der erneuten Besetzung Ostpreußens im Winter 1757/1758 von einer Eroberung gesprochen werden? Waren es tatsächlich »goldene Russenjahre« für Ostpreußens Bevölkerung, wie der Deutschlandfunk im Jahr 2005 anlässlich des 750-jährigen Jubiläums der Stadtgründung Königsbergs diese Jahre bezeichnete? Wenn später von einer Verbitterung Friedrichs II. gegenüber den Ostpreußen die Rede war, die sich dem russischen Zarenreich mehr oder weniger freiwillig unterwarfen, wie glaubhaft war ­diese Enttäuschung des preußischen Königs? Schließlich ist die Frage zu untersuchen, ob die Rückgabe Ostpreußens durch Zar Peter III. so unproblematisch, zügig und freiwillig vonstattenging, wie es die ­Geschichtsschreibung meist darstellt. Damit die Ereignisse um Ostpreußen in der Zeit des Siebenjährigen Krieges in einen allgemein verständlichen Kontext eingeordnet werden können, ist es unerlässlich, vorab die Ausgangspositionen der kriegführenden Mächte und die Handlungsmaximen der beteiligten Akteure ausführlich darzulegen, um schließlich im Hauptteil die russische Besetzung der östlichsten Provinz Preußens ausführlicher darstellen zu können.

VorwortWozu eine weitere Abhandlung über einen scheinbar recht gut erforschten Abschnitt der europäischen Geschichte, wenn die Anzahl von Veröffentlichungen über das historische Ostpreußen, über den Preußenkönig Friedrich II. oder über den Siebenjährigen Krieg auf den ersten Blick umfassend ausfällt?Bei den anfänglichen Studien, die dieser Arbeit vorausgingen, war nicht absehbar, welchen Umfang die Recherchen annehmen und welche aufschlussreichen Ergebnisse am Ende daraus hervorgehen würden. Während der Ausarbeitung eines Vortrages über Zar Peter III. und die von ihm veranlasste Rückgabe der Provinz »Preußen« an Friedrich II. musste der Autor zwar feststellen, dass eine gewisse Zahl von Aufsätzen zu Einzelaspekten der Thematik »Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg« veröffentlicht wurde, auch eine überschaubare Reihe zeitgenössischer Quellen vorzufinden sind, aber keine abgeschlossene Abhandlung zu diesem Teil des Siebenjährigen Krieges existiert, der zugleich in vielerlei Hinsicht einen durchaus bemerkenswerten Abschnitt in der Geschichte des Königreiches Preußen darstellt.Die Besetzung Ostpreußens durch die Sowjetarmee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und die sich daran anschließende Leidenszeit der deutschen Bevölkerung in den Folgejahren ist bestens dokumentiert und aufgearbeitet worden. Hingegen finden sich heute so gut wie keine Darstellungen über die russische Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg.Eine zuverlässige Quelle ist in diesem Zusammenhang das Tagebuch des Königsberger Professors für Literatur, Johann Georg(e) Bock (1698 - 1762), der die Russenzeit Ostpreußens bis zum Jahresende 1760 dokumentiert hat. Darüber hinaus ergänzen die Schriften und Korrespondenzen des Preußenkönigs Friedrich II. (1712 - 1786) sowie die Veröffentlichungen des Großen Generalstabes über die Kriegsjahre 1756 bis 1763 als einschlägige Quellen die Materialbasis dieser Abhandlung. Der Flügeladjutant des Königs Henning Bernd von der Goltz (1718 - 1757), auch Generalintendant der ostpreußischen Armee unter Lehwaldt, nicht zu verwechseln mit Wilhelm Bernhard von der Goltz (1736 - 1795), hinterließ eine Reihe von faktenreichen Briefen über die preußische Mobilisierungskampagne zwischen Weichsel und Memel.Ernst von Frisch bearbeitete Anfang des 20. Jahrhunderts die Tagebücher und Berichte von drei österreichischen Militärbevollmächtigten, die im Stab der russischen Armee 1757 - 1758 eingesetzt wurden. Wenn diese Offiziere über die Truppen des Verbündeten auch keine streng objektiven Beurteilungen niederschrieben, so lassen sie es in ihren Aufzeichnungen doch nicht an Kritik an den Gegebenheiten in der russischen Armee mangeln. Insofern stellt Frischs Abhandlung eine wertvolle Quelle dar. Georg Friedrich von Martens stellte gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine beachtliche Sammlung an wichtigen Vertragstexten europäischer Mächte zusammen. Die darin enthaltenen, z. T. mehrsprachigen und vollständigen Vereinbarungen zwischen Brandenburg-Preußen und dem Russischen Reich dienten der vorliegenden Arbeit als unerlässliche fundierte Grundlage.Es existiert außerdem die stark nationalistisch gefärbte Darstellung Xaver von Hasenkamps aus der Mitte des 19. Jahrhunderts über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg mit einer Reihe widerlegter angeblicher Übergriffe der Russen auf die ostpreußische Bevölkerung. Dennoch bietet Hasenkamp eine umfangreiche und durchaus auch verifizierbare Datenfülle in seinem Werk. Der Autor, der seinerzeit noch Zugang zu den regionalen Archiven in Ostpreußen hatte, beklagte schon damals die unwiederbringliche Vernichtung etlicher Dokumente und Akten während der französischen Besatzungszeit unter Napoleon I. (1769 - 1821). Und auch Hasenkamp wünschte sich schon 1866, dass die Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg wissenschaftlich gründlicher aufgearbeitet werden möge, als es seine beachtliche Sammlung an Dokumenten und Chroniken zu leisten vermochte. Sein Werk sei »(...) lediglich als Vorarbei

Erscheinungsdatum
Verlagsort Reinbek
Sprache deutsch
Maße 150 x 227 mm
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeine Geschichte
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Militärgeschichte
Schlagworte 1756-1763 • 1756 bis 1763 • Apraxis • Bestuschew • Deutsche Geschichte • Elisabeth I. • Friedrich der Große • Friedrich II. • Geschichte Preußens • Groß-Jägersdorf • Holstein-Gottorf • Johann von Lehwaldt • Katharina die Große • Katharina II. • Königsberg • Krieg • Krieg 1757 Ostpreußen • Memel • Ostpreußen • Ostpreußen 1757-1762 • Ostpreußen 1757–1762 • Peter III. • Preußen • preußische Geschichte • Russische Geschichte • Russland • Russland Kriege • Schlacht bei Groß-Jägersdorf • Siebenjährige Krieg • Siebenjähriger Krieg • Wilhelm von Fermor • Zarenherrschaft • Zarenreich • Zarin Elisabeth • Zar Peter III.
ISBN-10 3-95768-248-7 / 3957682487
ISBN-13 978-3-95768-248-2 / 9783957682482
Zustand Neuware
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