Psychoanalyse -  Wolfgang Mertens

Psychoanalyse (eBook)

Grundlagen, Behandlungstechnik und Anwendung
eBook Download: EPUB
2022 | 7. Auflage
304 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-037144-6 (ISBN)
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This introductory textbook is addressed to those wishing to gain a clear overview on chosen aspects of psychoanalysis and wanting to understand why this discipline remains important in viewing psychological, medical phenomena as well as phenomena from the field of the social and cultural studies. The following topics are presented in detail: psychoanalytical metapsychology, psychoanalytical developmental theories, general and special psychoanalytical theories on diseases, psychoanalytical techniques of treatment as well as implementation of psychoanalysis.

Prof. Dr. Wolfgang Mertens ist emeritierter Professor für Psychoanalyse und psychodynamische Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist heute als Psychoanalytiker und psychoanalytischer Psychotherapeut (DGPT), Dozent, Lehranalytiker und Supervisor der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München/DGPT tätig.

Prof. Dr. Wolfgang Mertens ist emeritierter Professor für Psychoanalyse und psychodynamische Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist heute als Psychoanalytiker und psychoanalytischer Psychotherapeut (DGPT), Dozent, Lehranalytiker und Supervisor der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München/DGPT tätig.

Vorwort zur 7. Auflage


Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches sind 40, seit dem Erscheinen der 6. Auflage 15 Jahre vergangen. Nicht nur 40 Jahre, sondern selbst 15 Jahre gelten in wissenschaftlichen Diskursen als eine sehr lange Zeit, in der viele, vor allem naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse in der Regel gründlich überholt sind. Nun lassen sich Teile von psychoanalytischen Theorien zwar durchaus empirisch beforschen, aber in ihrem grundlegenden Selbstverständnis ist die Psychoanalyse keine Naturwissenschaft im klassischen Sinn, sondern eine dialogische Suche nach den unbewussten Beweggründen des individuellen, aber auch kollektiven Handelns, wenngleich auch auf dem Hintergrund anthropologischer Gegebenheiten. Diese Suche kann zwar mit sich verändernden Begrifflichkeiten und Konzepten wie im vorliegenden Buch beschrieben werden, aber das Grundanliegen der Psychoanalyse, das Aufspüren nicht bewusster, nur blindlings agierter Handlungsabsichten, die Dekonstruktion und Neukonstruktion von Bedeutungen, entzieht sich der Auffassung eines permanenten und immer schnelleren Wandels. Allerdings gehen in dieses Verstehen selbstverständlich gesellschaftliche und historische Hintergründe mit ein, die sich auch über kürzere Zeiträume verändern können.

Es existieren somit in den verschiedenen Modellen, die von Psychoanalytikern in den zurückliegenden 15 bis 20 Jahren ausgearbeitet wurden, durchaus Weiterentwicklungen, die es als gerechtfertigt erscheinen lassen, einige Änderungen in dieser Auflage vorzunehmen.

Vor 15 Jahren spielten beispielsweise die Existenz einer Theorienpluralität, damit verbunden eine größere Offenheit für ein »learning from many psychoanalytic masters« sowie die Bereitschaft für eine noch stärkere interdisziplinäre Öffnung der Psychoanalyse gegenüber ihren Nachbarwissenschaften eine große Rolle. Letztere schien insbesondere angesichts der Verunsicherungen, welcher die Psychoanalyse von verschiedenen Seiten ausgesetzt war, angezeigt zu sein. Würde es zum Beispiel möglich sein, mit bildgebenden Verfahren Veränderungen im Gehirn von psychoanalytischen Patienten nachzuweisen, wäre dies ein empirisch handfester »Beweis« für die Wirksamkeit analytischer Psychotherapien? Mittlerweile ist der Hype um neuropsychologische Belege unbewusster Prozesse jedoch schon wieder im Abflauen begriffen, zu viele methodische und erkenntnistheoretische Schwierigkeiten haben sich aufgetan. Zudem erfordert eine interdisziplinäre Öffnung auch keine einfache Übernahme, sondern zunächst einmal eine fundierte Auseinandersetzung mit Befunden, zum Beispiel aus der Kleinkindforschung, der Bindungsforschung, der Gedächtnis- und Emotionsforschung, der Cognitive Science, den Neurowissenschaften, aber auch den Kultur- und Geisteswissenschaften. Denn die unterschiedlichen Methoden und Menschenbild-Annahmen dieser Forschungsbereiche müssen sorgfältig studiert werden, um zu klären, inwieweit die damit erzielten Ergebnisse für das genuin psychoanalytische Vorgehen überhaupt aussagekräftig sind.

Und schließlich war auch die psychodynamische Psychotherapieforschung ein vor allem berufspolitisch wichtiges und stark expandierendes Thema. Maßgeblich waren hierbei vor allem die Forschungsprojekte von Marianne Leuzinger-Bohleber und Cord Benecke.

In den letzten Jahren war für mich die erstaunlichste Theorie-Entwicklung jedoch die folgende: Das Thema der Psychosexualität und eine erneute Auseinandersetzung um ihren Stellenwert sind in die Psychoanalyse zurückgekehrt! Viele Jahre war von ihr so gut wie keine Rede mehr. Die Freud'sche Triebtheorie galt als hoffnungslos veraltet, wozu auch viele Missverständnisse, Übersetzungsfehler und die Unlust, sich mit ihr gründlicher zu beschäftigen, beigetragen haben. Statt entscheidende Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung an der Verdrängung des Sexualtriebs und seinen weiteren Schicksalen festzumachen, wurde die Subjektkonstitution nur noch im Kontext der Bindung sowie der Entwicklung von Urvertrauen, Sicherheit und Selbstwertgefühl, Instinktsystemen und Motiven, die der Selbsterhaltung dienen, erforscht. Verschiedene Objektbeziehungstheorien wie die von Donald Winnicott, Wilfred Bion, die Selbstpsychologie von Heinz Kohut, aber auch interpersonelle und relationale Theorien von Harry Stack Sullivan bis Stephen A. Mitchell legten in unterschiedlichem Ausmaß so gut wie kein Gewicht mehr auf die Psychosexualität. Erst durch das Werk von Jean Laplanche, der die Freud'sche Triebtheorie auf ein neues Fundament stellte, wurde die Psychosexualität nach und nach wieder zum Thema. Auch wenn mittlerweile einige kritische Einwände gegen seine Allgemeine Verführungstheorie erhoben wurden, hat er fruchtbare Diskussionen darüber angestoßen, wie eine revidierte Triebtheorie in Verbindung mit der Bindungstheorie der zweiten und dritten Generation nach Bowlbys bahnbrechendem Werk eine umfassendere Erklärungsbasis bereitstellen kann. So haben etwa Jessica Benjamin im Rahmen ihres Anerkennungs-Modells oder Peter Fonagy und Mary Target im Rahmen von Mentalisierungs-Modellen einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet. Diese verschiedenen Modelle lassen eine erklärungsstarke Theorie entstehen, in der die Befunde von Kleinkind- und Bindungsforschern mit dem Kosmos an mütterlicher Fürsorge, Empathie und Reflexionsfähigkeit ebenso integriert sind wie die Tatsache, dass Mütter/Eltern sexuelle Wesen mit erotischen Phantasien und rätselhaften Botschaften sind, die ihrem Kind unbewusst übermittelt werden. Damit wird die Psychoanalyse wieder psychoanalytisch, wenn auch nicht mehr im klassischen Sinn. Und selbstverständlich ändern sich im Zeitalter des Internet auch die Erscheinungsformen, an denen psychosexuelle Phantasien heutzutage festgemacht werden und zum Ausdruck kommen können. Das sexuelle Begehren und Phantasieren spielen nunmehr in Teilen der psychoanalytischen Theorie und Praxis – wie im wirklichen Leben – wieder eine herausragende Rolle in der Entwicklung der Persönlichkeit und zwischenmenschlicher Beziehungen (s. Mertens, in Vorb.).

Nach wie vor gilt die Psychoanalyse mit ihrem weitverzweigten Theoriegebäude trotz der gelegentlichen unsachgemäßen Kritik in manchen Medien als die interessanteste Theorie im human- und sozialwissenschaftlichen Bereich und als einziges Therapieverfahren, das langfristige, tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen in einem Menschen bewirken kann. Dies wurde vor einigen Jahren noch stark angezweifelt und es wurden sogar einige Philosophen bemüht, um die Psychoanalyse in die Nähe von nicht beweisbarer Esoterik zu befördern. In den 1980er Jahren galt die wissenschaftstheoretische Kritik insbesondere von Adolf Grünbaum (z. B. 1988) als ein viel diskutierter Referenzpunkt für die Einschätzung der Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse. Immerhin gestand er ihr – im Unterschied zu seinem Kollegen Karl Popper – eine experimentelle Überprüfbarkeit zu, die jedoch viel zu wenig erfolgt sei. Mittlerweile sind die wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen aber sehr viel differenzierter geworden (z. B. Schülein, 1999a,b; Nissen, 2010, 2012; Warsitz und Küchenhoff, 2015; Guggenheim et al., 2016). Das Experiment nimmt zwar in den Naturwissenschaften einen hohen Rang ein, aber für die Psychoanalyse gelten andere Kriterien der Überprüfung und Bestätigung als lediglich das experimentell Manipulier- und Messbare.

Immer mehr wird auch erkennbar, dass die mitunter heftige Ablehnung, welche die Psychoanalyse von Journalisten als Meinungsmachern und einigen Philosophen erfuhr, andere Gründe hatte als ihre Argumentationen dem gutgläubigen Leser glauben machen wollten: Diese Personen versuchten bei ihren Lesern damit zu punkten, dass sie die ängstigende Macht nur schwer steuerbarer unbewusster psychischer Vorgänge im Leben jedes einzelnen Menschen, aber auch innerhalb eines kollektiven Ganzen für unerheblich erklärten, indem sie auf das angebliche Überholtsein der Psychoanalyse verwiesen. Aber die Auseinandersetzung mit der Komplexität des Psychischen, mit den »Tiefen der Seele« gehört seit Jahrhunderten zu den ethischen und philosophischen Herausforderungen unseres Menschseins und kann niemals veralten. Denn letztlich geht es dabei um die Ermöglichung und Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins für einen selbst und selbstverständlich auch für alle Menschen. Aber immer wieder stellen sich diesem Vorhaben individuelle wie kollektive Verweigerungshaltungen und Widerstände entgegen. Auch in der Gegenwart hat es den Anschein, als dürften z. B. die Ursachen und Folgen der herannahenden Klimakatastrophe nicht wirklich gesehen und entsprechende Veränderungen vorgenommen werden (s. Kap. 1.1).

Mit dem bereits im Herbst 2021 begonnenen, lange erhofften und stark umkämpften neuen Studium »Direktausbildung Psychotherapie« an einigen Psychologischen Fakultäten Deutschlands ergeben sich wichtige Überlegungen zu der Frage: In welcher Form kann die Psychoanalyse zukünftig an der Universität gelehrt werden? In Kapitel 1.2 »Psychoanalyse zurück an die Universität? Chancen und Probleme angesichts der Direktausbildung zum psychologischen...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2022
Zusatzinfo 8 Abb., 6 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Psychoanalyse / Tiefenpsychologie
Schlagworte Filmanalyse • Krankheitslehre • Psychoanalyse • psychoanalytische Behandlungstechnik • Psychoanalytische Entwicklungstheorie • Psychologie • Psychotherapie • Sigmund Freud
ISBN-10 3-17-037144-4 / 3170371444
ISBN-13 978-3-17-037144-6 / 9783170371446
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