Moderne Technikgeschichte (eBook)

Eine Einführung in ihre Geschichte, Theorien, Methoden und aktuellen Forschungsfelder
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
486 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-5893-1 (ISBN)

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Moderne Technikgeschichte -  Rolf-Jürgen Gleitsmann-Topp,  Rolf-Ulrich Kunze,  Günther Oetzel
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Die Autoren stellen die Technikgeschichte als wissenschaftliche Disziplin vor. Sie analysieren deren Entwicklung über einen Zeitraum von 500 Jahren. Dabei erläutern sie deren Forschungsschwerpunkte ebenso wie die divergierenden Konzepte des Technikbegriffs und die Kontroversen um bzw. die Methoden der Technikhistoriographie. Darüber hinaus werden technikgeschichtliche Interpretationsansätze zu den gesellschaftlichen Diskursen über Technikzukünfte präsentiert und Museen als Orte der Auseinandersetzung um die Deutung der sozio-technischen Vergangenheit vorgestellt. Im besonderen Maße geht dieses Lehrbuch im Sinne eines 'usable past' auf die Bedeutung des Faches Technikgeschichte für die Notwendigkeit einer historischen Fundierung des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses über den Weg in eine Zukunft ein, der sowohl von ökonomischer, politischer und ökologischer Nachhaltigkeit geprägt ist.

Prof. Dr. Rolf-Jürgen Gleitsmann lehrte Technik- und Allgemeingeschichte am KIT in Karlsruhe.

Prof. Dr. Rolf-Jürgen Gleitsmann lehrte Technik- und Allgemeingeschichte am KIT in Karlsruhe.Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze lehrt Neuere und Neueste Geschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)Dr. Günther Oetzel lehrte Technik- und Allgemeingeschichte am Karlsruher Institut für Technologie.

Vorwort
1 Einleitung
1.1 Gegenstandsbereiche und Fragestellungen
1.2 Strukturierung der Studie und erkenntnisleitende Interessen
2 500 Jahre Technikgeschichte: Ein historischer Abriss
2.1 Das älteste technikhistorische Schrifttum vom ausgehenden 15. bis zum 18. Jahrhundert:
Themen, Formen, Forschungsfelder und Autoren
2.1.1 Fazit zur Erfindungsgeschichtsschreibung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
2.2 Die wissenschaftliche Technikgeschichtsschreibung um 1800
2.2.1 Ein Protagonist der wissenschaftlichen Technikgeschichtsschreibung um 1800:
Johann Heinrich Moritz von Poppe (1776–1854). Vom Uhrmacher zum geadelten Professor
2.2.2 Fazit zur wissenschaftlichen Technikhistoriographie um 1800
2.3 Die internalistische Technikgeschichtsschreibung zwischen 1900 und den 1940er Jahren
2.3.1 Protagonisten der Technikgeschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts: Conrad Matschoß, Franz Maria Feldhaus, Hugo Theodor Horwitz und Sigfried Giedion
2.3.2 Exkurs: Soziologie, Nationalökonomie und Technikgeschichte: Werner Sombart (1863–1941)
2.3.3 Fazit zur internalistischen Technikgeschichtsschreibung zwischen 1900 und den 1940er Jahren
2.4 Die moderne deutsche Technikgeschichtsschreibung nach 1945
2.4.1 Technikgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland
2.4.2 Technikgeschichte in der Deutschen Demokratischen Republik
2.4.3 Zur neuen Marxrezeption durch die modernen Technikgeschichtsschreibung nach 1989
2.4.4 Zur Aktualität der Begriffe Produktivkräfte und Wissenschaftlich Technische Revolution
2.4.5 Die moderne Technikgeschichte etabliert sich: Albrecht Timm (1915–1981), Karl-Heinz Ludwig (geb. 1931),
Wolfhard Weber (geb. 1940) und Ulrich Troitzsch (geb. 1938)
2.4.6 Fazit zur modernen deutschen Technikhistoriographie nach 1945
3 Technikgeschichte: Definitionen, Gegenstand, Methoden sowie Theorien des technischen Wandels
3.1 Definition Technik
3.1.1 Der dreidimensionale Technikbegriff von Günter Ropohl
3.1.2 Geschichte in der Technikgeschichte
3.1.3 Zum Verhältnis von Allgemeingeschichte und Technikgeschichte – Stationen einer schwierigen Annäherung
3.1.4 Wie das Neue in die Welt kommt: Theorien des technischen Wandels
4 Technikhistorische Interpretationsansätze
4.1 Grundmuster der Technikgeschichte im 20. Jahrhundert
4.2 Sozialgeschichte der Technik: Phasen einer Diskussion
4.3 Neue Paradigmen der modernen Technikgeschichte: Prozess, Gender, Mentalität
4.3.1 Prozessorientierte Technikgeschichte. Ein Fehlversuch
4.3.2 Die alternative Technikgeschichte
4.3.3 Eine "andere Technikgeschichte"
4.3.4 Technikgeschichte und Gender
4.3.5 Mentalitätsgeschichte der Technik
4.3.6 Kulturgeschichte der Technik: Theoretische Verortung und aktuelle Themenfelder
5 Technotopgeschichte. Ausgewählte Themenfelder der modernen Technikhistoriographie
5.1 Technotopgeschichte und Periodisierungsmodelle der Technikgeschichte
5.1.1 Menschheitsgeschichte als Technikgeschichte: Heinrich Popitz
5.1.2 Energie als gesellschafts- und epocheprägende Zentralressource: Rolf Peter Sieferle
5.1.3 Zeitenwende – das 1950er Jahre Syndrom: Christian Pfister
5.1.4 Der Mensch im Produktionsprozess als technikhistorisches Periodisierungsmodel: Akoš Paulinyi und Karl Marx
5.2 Technotopgeschichte im thematischen Überblick
5.2.1 Konsumwelten
5.2.2 "Fortschritt": Wie die Zukunft entstand. Zur Konstituierung von industrieller Moderne und
Massenkonsumgesellschaft in den USA seit den 1880er Jahren
5.2.3 Nachhaltigkeit und Massenkonsumgesellschaft. Ein Paradoxon
5.2.4 Ein Alternativmodell? Strukturelle Nachhaltigkeit und ihre Implikationen am Beispiel des Siegerländer
Montanreviers und seiner Haubergwirtschaft vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert
5.2.5 Auf dem Weg in die Katastrophe. Massenkonsumgesellschaft, Ökologie und (technik)historische Umweltforschung
5.2.6 Die Grenzen des Wachstums: gesellschaftspolitische Dimension
6 Orte der Technikgeschichte: Museen
6.1 Zwischen Inszenierung und Zeitgeist.

1.1 Gegenstandsbereiche und Fragestellungen


Dass wir in einer durch Technik geprägten Welt leben, ist offensichtlich. Schauen wir zurück in die Vergangenheit, so ist augenfällig, dass spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die von England ausgehende Industrielle Revolution die Technik zu dem „[…] bestimmenden Faktoren in der Entwicklung der Menschheit […]“ (Albrecht 1993, S. 3) gemacht hat. Ohne Technik sind moderne Gesellschaften schlichtweg nicht mehr vorstellbar. Ohne Technik würden sie kollabieren, oder, wie es der Karlsruher Philosoph Hans Lenk treffend formulierte: „Die Menschheit ist von ihrer Technokultur abhängig geworden.“ (Lenk 1982, S. 9) Günter Ropohl, ebenfalls Technikphilosoph, unterstreicht dies mit seiner These vom „soziotechnischen System“ (Ropohl 1991, S. 184), also dahingehend, dass Technik zunehmend für gesellschaftliche Strukturen und Prozesse konstitutiv sei. Für moderne Industriegesellschaften mag dies unstrittig außer Frage stehen.

Aber gehen Technikentwicklung und Menschheitsgeschichte nicht von jeher Hand in Hand? Beschrieb diesen Zusammenhang nicht bereits Benjamin Franklin im Jahre 1778 mit der griffigen Formulierung: „Man is a tool-​making animal.“ (Hänsel 1982, S. 10) Und war es nicht der Soziologe Arnold Gehlen, der diese Sicht der Dinge dann 1953, also gut zweihundert Jahre später, in seinem Vortrag über „Die Technik in der Sichtweise der Anthropologie“ vor dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit den Worten: „Die Technik ist so alt wie der Mensch“ (Gehlen 1986) erneut ins Gedächtnis rief, indem er formulierte: „Überall dort, wo wir, so gesehen, bearbeitete oder zielgerichtet verwendete (Stein-) Werkzeuge finden, finden wir auch den Menschen. Einen Menschen, der sich zudem in sozialen Einheiten organisiert, um zu überleben. Es scheint, als ob hier technischer Fortschritt durch sich selbst technischen Fortschritt und soziale Differenzierung erzeugt und damit die Menschheitsentwicklung prägt.“ Menschheitsgeschichte und Technik gehen damit Hand in Hand. Ebenso die Einbettung technischer Entwicklungen in soziale bzw. gesellschaftlich Kontexte. Als griffige Formulierung ließe sich festhalten: Technik formt Gesellschaft und Gesellschaft formt Technik.

Darauf hatte in den späten 1970er Jahren bereits Lewis Mumford hingewiesen. Er betrachtete die schlichte Charakterisierung des Menschen nur als „Werkzeug benutzendes Tier“ oder als „homo faber“ als zu simpel und verwies insbesondere auf die Bedeutung der Sprache und ihrer Entwicklung für die Menschwerdung. Zudem ist eines nicht zu übersehen: die Technik der menschlichen Vor- und Frühgeschichte weist eine auffällige Tendenz nicht nur zur Kopie des vorhandenen technischen Inventars, sondern auch zu dessen Weiterentwicklung und Perfektionierung auf, wenn auch innerhalb langer Zeiträume. „Wie sonst“, so der Karlsruher Soziologe Bernhard Schäfers „wäre es zu erklären, dass vom ersten homo erectus (vor ca. zwei Mio. Jahren) die gleichen Werkzeuge (Handbeile und zweischneidige Faustkeile) genutzt wurden wie vom späten homo erectus vor ca. 300 Tsd. Jahren?“ (Schäfers/Korte 1997, S. 185)

Es findet ein Prozess gesellschaftlicher Technisierung statt, gekennzeichnet durch ein fortwährendes Ersetzen und Erweitern menschlicher Handlungs- und Arbeitsfunktionen mittels Technik (Albrecht 1993, S. 4) auf der einen, sowie, damit zwangsläufig verbunden, der Schaffung sozialer Differenzierungen auf der anderen Seite. Menschheitsgeschichte wäre damit zunächst und in allererster Linie als eine Geschichte des, wenn auch zunächst recht langsamen, technischen Wandels und seiner Folgen zu verstehen. Will man Geschichte schreiben, so müsste dies im besonderen Maße Technikgeschichte sein und genau das Gegenteil dessen, was noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Geschichtswissenschaft und ihr erkenntnisleitendes Interesse ganz in dem Sinne prägte, wie es ein Heinrich von Treitschke (1834–1896) in klassischer Weise formulierte „Wer das ewige Werden als das Wesen der Geschichte kennt, der wird begreifen, daß alle Geschichte zuerst politische Geschichte ist.[…] Die Thaten eines Volkes muß man schildern; Staatsmänner und Feldherren sind die historischen Helden […] Je weiter man sich vom Staat entfernt, je mehr entfernt man sich vom historischen Leben.“ (Treitschke 1897, S. 63 f.) Heute sehen wir diese Positionierung einer Geschichtsschreibung sowohl in der historischen Zunft als auch in Politik und Gesellschaft grundlegend anders. Dies umso mehr, wenn man sich die Bedeutung vor Augen hält, die die Technik seit der Industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts spielte. Man kommt seitdem schlichtweg nicht mehr umhin, der Technik und der Wissenschaft einen ihnen gebührenden Platz im historischen Erkenntnisinteresse zum Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen einzuräumen.

Anders als die so genannte ‚bürgerliche‘ hatte dies die marxistische Geschichtsschreibung – wenn auch im Dienst ideologischer Herrschaftssicherung – seit jeher getan: „Die Produktivkräfte sind das bestimmende und revolutionäre Element der Produktionsweise. Wachstum und Entwicklung der Produktivkräfte bestimmen die Höhe der Arbeitsproduktivität und sind letztlich die Quelle und das Kriterium des gesellschaftlichen Fortschritts. Ihre Entwicklung bedingt die ständige Veränderung der Produktionsverhältnisse, die andererseits auf die Produktivkräfte fördernd oder hemmend wirken können.“ (Klaus/Buhr 1972, S. 880) Oder, um es mit Karl Marx direkt auszudrücken: „Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise und mit der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft der Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ (MEW 1986, Bd. 4, S. 130)

Unter diesem Blickwinkel erlangte die Technikgeschichtsschreibung im Rahmen der marxistischen ‚Geschichte der Produktivkräfte‘ einen ungemein hohen Stellenwert. (Sonnemann 1996; Schädel 1972) Sie war es, die wesentlich dazu beizutragen vermochte, nicht nur den technischen, sondern in dialektischer Weise auch den damit zwangsläufig, das heißt gesetzmäßig, verbundenen gesellschaftlichen Wandel zu verstehen. Dies bedeutet: Technik und Wissenschaft werden zur Triebfeder des gesellschaftlichen bzw. gesellschaftspolitischen Wandels.

Man mag diese marxistische Position als ideologisch geprägt und damit als a priori falsch in Frage stellen. Allerdings steht dieser die ‚bürgerliche‘ Sicht der Dinge in der modernen Technikgeschichte keineswegs grundsätzlich entgegen. Wenn man nämlich nur vom durch den vom Marxismus unterstellten gesetzmäßigen Charakter des Geschehens abstrahiert, dann finden wir uns bei jener allgemein akzeptierten Position wieder, die die bundesrepublikanische Technikhistoriographie seit Mitte der 1970er Jahren unter einem programmatischen Begriff eint, nämlich desjenigen der „modernen Technikgeschichte“. (Hausen/Rürup 1975; Troitzsch/Wohlauf 1980, S. 10-42) Auch hier wird, insbesondere unter Rückgriff auf Ropohls Technikbegriff (Ropohl 1979, S. 31; Troitzsch/Wohlauf 1980, S. 12), die Interdependenz zwischen technikwissenschaftlichem und gesellschaftlichem Wandel betont. Ebenso wird die herausragende Rolle unterstrichen, die damit der Betrachtung des technischen Fortschritts in der Menschheitsgeschichte zukommt. Hervorhebenswert bleibt, dass die Geschichtswissenschaft selbst, zumindest seit dem frühen 20. Jahrhundert begann, die geschichtsmächtige Kraft von Technik und Wissenschaft zu erkennen und diesen Zusammenhang in einschlägigen Publikationen würdigte.

Den so eingeschlagenen Weg hat der Erlanger Allgemeinhistoriker Karl H. Metz in einer Eindeutigkeit unterstrichen, die selbst den Technikhistorikern zu denken geben sollte. Sein Werk über die „Ursprünge der Zukunft. Die Geschichte der Technik in der westlichen Zivilisation“ (Metz 2005) lässt augenfällig werden, dass Menschheitsgeschichte zuerst und in allererster Linie technikgeprägt ist und insbesondere in den Deutungsbereich der Technikgeschichte fällt. Dies ist deutlich zu unterstreichen, ohne allerdings zu verkennen, dass technische Entscheidungen selbstverständlich auch politische, soziale, ökonomische etc. Dimensionen aufweisen und damit in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext und Wirkungszusammenhang eingebettet...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Technikgeschichte
Schlagworte Technikgeschichte • Technikhistoriographie
ISBN-10 3-8463-5893-2 / 3846358932
ISBN-13 978-3-8463-5893-1 / 9783846358931
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