Rausch (eBook)

Was wir über Drogen wissen müssen und wie ihr Konsum sicherer werden kann - Alles über Alkohol, Cannabis und Co. vom Notfallmediziner und Drogenexperten
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Mosaik bei Goldmann (Verlag)
978-3-641-30103-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rausch -  Gernot Rücker
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»Wir haben dem Rausch viel zu verdanken«, sagt Dr. Gernot Rücker, denn ohne die Entdeckung von Rauschmitteln hätte sich die Menschheit nicht entwickeln können. Unser erstes Rauschmittel ist der Zucker und damit wird schon klar, dass wir alle uns berauschen - die einen etwas mehr und die anderen etwas weniger. Wirkliches Wissen darüber, welches Rauschmittel uns in welchen Zustand versetzt, existiert aber nicht. Stattdessen weichen wir auf das legale und leider fatalste aus: den Alkohol. Dr. Gernot Rücker, Anästhesist und Notfallmediziner, plädiert für eine Rauschmündigkeit und die Legalisierung weiterer Rauschmittel - damit wir als Gesellschaft und Individuen weiterhin vom Rausch profitieren können.

In Rausch zeigt er, warum Alkohol so tödlich ist aber dennoch legal, Cannabis illegal aber eigentlich das harmloseste Rauschmittel ist, und wie eine Zukunft mit einer Bandbreite legaler Drogen aussehen könnte.

Dr. Gernot Rücker ist Anästhesist und Notfallmediziner und einer der führenden Experten für Freizeitdrogenkonsum in Deutschland. Er leitet das Notfallausbildungszentrum der Uniklinik Rostock und klärt z.B. auf großen Musikfestivals deutschlandweit über Drogen und ihre Zusammensetzung auf.

Anstelle eines Aperitifs:
Vorwort

Zu manchen Zeiten tun Menschen verrückte Dinge. An Fasching oder am Herrentag beispielsweise. Der 40. Tag der Osterzeit ist eigentlich ein religiöser Feiertag und als Christi Himmelfahrt bekannt. Über die Zeit wurde er dann zum Vatertag, und weil das all die Männer diskriminierte, die keine Väter waren, wurde er zum Herrentag umbenannt. Nicht ganz unschuldig an der Umdeutung des Feiertages waren Berliner Brauereien gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die neue Absatzmärkte suchten und dabei ebendiesen Feiertag erwählten. Seither ziehen Väter und andere Männer mit alkoholbepackten Bollerwagen durch die Botanik oder Siedlungen und geben sich die Kante.

Stellen Sie sich nun bitte folgende Szene vor. Sie sind am Tag nach dem besagten Herrentag unterwegs zum Bahnhof, es ist halb sechs am Morgen, in der Luft liegt der säuerliche Geruch von verschüttetem Bier. Als Sie an einem Busch vorbeilaufen, fährt Ihnen der Schreck in die Glieder. Denn unter dem Blattwerk ragen zwei Schuhe hervor, die Sohlen in Richtung Himmel zeigend, und noch viel schlimmer, in den Schuhen stecken auch noch zwei Füße. Sie sind sofort in Alarmbereitschaft, kennen Sie doch solche Anblicke aus vielen Tatort-Sendungen und CSI-Serien. Sie wissen: Wer auf dem Bauch in einem Busch liegt, kann eigentlich nur ins Gras gebissen haben. Weil Sie außerdem wissen, dass Sie bei einem Todesfall besser keine Schuhabdrücke in der Erde neben dem Verblichenen hinterlassen sollten, wählen Sie pflichtbewusst den Notruf, woraufhin Rettungswagen, Notarzt und Polizei anrücken. Alle rechnen mit dem Schlimmsten.

Der Notarzt nähert sich dem Mann und greift ihm ans Handgelenk. Die Sekunden verrinnen, dann plötzlich ruft der Arzt: »Er lebt!« Nun wird es etwas hektischer.

Rettungskräfte ziehen den Körper unter dem Busch hervor, was ringsum allgemeines Murmeln verursacht. Denn der Mann ist teilentkleidet, wie es im späteren Einsatzbericht heißen wird. Mit »Teil« ist dabei »Hose« gemeint, besser gesagt »oberer Teil der Beinbekleidung samt Unterwäsche«, was darauf hindeutet, dass der Mann beim Pinkeln im Stehen einschlief, umkippte und schließlich in dem bedauerlichen Busch, der Zeuge des Ganzen wurde, seinen Rausch ausschlief.

Geschichten wie diese amüsieren und bleiben uns im Gedächtnis. Das weiß ich deshalb, weil wir in der Notfallmedizin so etwas immer wieder erleben, und diese Anekdoten dann gern im Kollegenkreis und auf Partys zum Besten gegeben werden. Manche dieser Begebenheiten schaffen es sogar in die Medien und lockern die Flut der negativen Meldungen auf, die ständig auf uns einströmen. Es kommt vor, dass wir uns bei der Lektüre derlei Geschichten fragen, was in Gottes Namen demjenigen in den Sinn kam, der diese Verrücktheit begangen hat. Nicht umsonst spricht man dann auch von einer Schnapsidee. Fakt ist, dass Alkohol häufig zumindest beteiligt ist, wenn sich wieder mal irgendwo ein Mensch zum Affen macht. Wenn ich es mir recht überlege, ist Alkohol überhaupt an vielem (Dummen) beteiligt, was Menschen tun.

Man muss häufig schon sehr genau hinschauen, um seinen Einfluss zu entdecken. Auf den ersten Blick bemerkt man den Zusammenhang zwischen den Geschehnissen in der Republik und dem Alkohol möglicherweise gar nicht. Erst bei genauerem Hinsehen offenbart es sich: Wir sind ein Volk der Säufer.

Allein Verkehrsunfälle liefern hierfür einen deutlichen Beweis – denn ein Großteil davon geschieht vor allem am Wochenende und unter Alkoholeinfluss. Es gibt kaum eine Veranstaltung, die ohne alkoholische Getränke auskommt, vielleicht abgesehen vom Jahrestreffen der Anonymen Alkoholiker. Auch vor Kindergarteneinweihungen macht der Alkohol nicht halt, und selbst Sportfeste werden von Herstellern alkoholischer Getränke gesponsort. Ganz zu schweigen von randalierenden Fußballfans und allerlei Straftaten, die vorwiegend unter dem Einfluss von Alkohol begangen werden. Wenn man die Tageszeitung aufschlägt und gezielt auf die »alkoholischen« Meldungen hin studiert, fragt man sich zwangsläufig: Warum in drei Teufels Namen rühren wir Alkohol überhaupt an, wenn die Folgen für Gesellschaft und Individuum so desaströs sind?

Die Antwort ist simpel: Es ist der Rausch, der es uns angetan hat. Benebelt, beduselt, beschwipst, beruhigt oder benommen lassen wir sämtliche Hemmungen fallen. Denn die Welt verlangt viel von uns. Wir sollen effizient, vernünftig und gemäßigt sein, kurzum: Unser regulierter Dauermodus bedeutet ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Wie herrlich, ja wie geradezu erleichternd ist es, diese Disziplin bewusst und sozial vollkommen anerkannt aufzugeben! Zumindest für einen Abend, ein Wochenende oder eben einen Feiertag.

Loslassen, den Kopf ausschalten, sich den Gefühlen hingeben. Kaum ein anderes Rauschmittel eignet sich, so scheint es, für diesen selbst gewählten Kontrollverlust so gut wie der Alkohol. Das jahrtausendealte Rauschmittel, das der Menschheit offensichtlich viel Freude, aber mindestens genauso viel Ärger und Elend beschert, hat längst alle Bereiche unserer Gesellschaft durchdrungen. Still und heimlich haben sich die alkoholisierten Rituale in sämtliche Belange des Lebens von der Kirche über Firmenfeste bis in die Politik eingeschlichen. Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Ist doch so! Oder? Aber wie voll ist so ein Gläschen? Wann trinken wir es? Und wie oft? Jede Woche? Jeden Tag? Jede Stunde? Dank der Omnipräsenz des Alkohols haben wir den Blick dafür verloren, in welchem Ausmaß die Substanz unser Leben bestimmt.

In diesem Buch möchte ich mich deshalb dem Faszinosum Rausch im Allgemeinen und dem Alkohol im Speziellen zuwenden. Ich will Ihnen aufzeigen, weshalb es dem Menschen in die Wiege gelegt ist, sich der Maßlosigkeit immer wieder hinzugeben. Ein guter Rausch ist nichts, wofür man sich schämen sollte – im Gegenteil, wir haben ihm viel zu verdanken. Ohne aufputschende, beruhigende oder halluzinogene Substanzen würden wir heute noch in Höhlen hocken und aufs Feuer starren (das haben wir ohne Alkohol entdeckt, immerhin). Ohne Bier hätte es keine Städte oder Pyramiden gegeben. Denn der Mensch berauscht sich, seitdem es ihn gibt: an Pflanzen, Getränken, Pulvern, Pillen, Sex, Extremsport, Bungee-Jumping, Sonnenuntergängen und vielem mehr. Wir haben dem Rausch einiges zu verdanken. Ohne Rausch keine Zivilisation.

Doch wenn es um Rauschmittel geht, wird bei uns wie fast überall auf der Welt mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt die erlaubten und die verbotenen Substanzen. Leider ist diese Einteilung willkürlich und nur wenig wissenschaftlich. Die Dosis macht das Gift? Stimmt. Es wird dabei aber gern ignoriert, dass viele (verbotene) Rauschmittel nur wenig giftig sind und andere (legale) Rauschmittel die höchsten Sterberaten der Konsumenten auf ihrem Konto verbuchen. Würden wir es nicht ignorieren, wären in den Supermarktregalen und Tankstellenshops sicher keine Schnapsflaschen und Bierkästen mehr zu finden. Von diversen Pharmazeutika, die von einem Tag auf den anderen aus den Apotheken verschwinden müssten, mal abgesehen.

Auf den kommenden Seiten werde ich Ihnen veranschaulichen, wie insbesondere beim Alkohol die Grenze zwischen Genuss- und Rauschmittel verschwimmt und inwieweit Parallelen zu anderen Rauschmitteln bestehen. Diese Betrachtung ist von ausgesprochen aktueller Relevanz, denn sie relativiert die Diskussion über die Liberalisierung anderer psychoaktiver Substanzen wie beispielsweise Cannabis. Erst wenn wir verstehen und bewusst wahrnehmen, wie omnipräsent Alkohol in unserem Leben ist, können wir auch unser Konsumverhalten anpassen. Denn wir haben es selbst in der Hand, auf welches Rauschmittel wir uns in welchem Maße einlassen.

Meine Hoffnung ist, durch Aufklärung einen Diskurs anzustoßen, der die Selbstverständlichkeit infrage stellt, mit der Alkohol in unserer Gesellschaft konsumiert wird. Der durchschnittliche Deutsche trinkt 12,8 Liter reinen Alkohol im Jahr.1 In Bier, Wein und Schnaps »übersetzt« ist das fast eine Badewanne voll. Weltweit befinden wir uns damit in der Oberliga.

Es wäre völliger Unfug, Alkohol generell zu verbieten. Das ginge aus zahlreichen Gründen auch gar nicht. Es ist jedoch ebenso völliger Unfug, (fast) alles andere zu verbieten. Was wir brauchen, ist ein genereller bewusster Umgang mit rauschauslösenden Substanzen – auch mit Drogen, die schon längst legalisiert sein sollten, da viele davon weit weniger gefährlich sind als Alkohol. Vor allem aber möchte ich klarmachen: Wir brauchen den Rausch. Allerdings ist Alkohol dabei eine denkbar schlechte Wahl. Er schädigt nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft. Etwa 200.000 Straftaten werden jährlich unter Alkoholeinfluss verübt2; das ist alle zweieinhalb Minuten eine Straftat in Deutschland. Über 31.000 Unfälle im Straßenverkehr passieren jedes Jahr aufgrund von Alkohol.3 Und während der Bund durch die Alkoholsteuer mehr als drei Milliarden Euro einnimmt, bleibt der Steuerzahler auf über 40 Milliarden Euro direkter und indirekter Kosten durch alkoholbedingte Krankheiten sitzen. Übrigens auch diejenigen, die sich als abstinent bezeichnen. Das sind allerdings nur ein paar Prozent, denn laut Alkoholatlas Deutschland 2022 haben innerhalb des Umfragemonats 77 Prozent der Männer und 68 Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren Alkohol getrunken4. Damit dürften sage und schreibe geschätzte 95 Prozent aller Deutschen zwischen 18 und 59 Alkohol zumindest ab und an konsumieren. Diese Zahlen...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte 2023 • 9 Tage wach • Alkohol • Alkoholentwöhnung • Bündnis90 • Drogen • eBooks • Exzess • Koalitionsvertrag • Kokain • kontrolliertes Trinken • Leberschädigung • Leberzirrhose • Legalisierung • LSD • Microdosing • Nathalie Stuben • Neuerscheinung • Promillegrenzen • Sucht • Suchtverhalten • THC • Überdosis • Unfalltod
ISBN-10 3-641-30103-3 / 3641301033
ISBN-13 978-3-641-30103-3 / 9783641301033
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