Dämonen und unreine Geister (eBook)

Die Evangelien, gelesen auf dem Hintergrund von Krieg, Vertreibung und Trauma
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
432 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-29297-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dämonen und unreine Geister -  Luzia Sutter Rehmann
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Gewalterfahrung biblisch gedeutet
Die Bibel erzählt, dass Jesus Frauen, Männer und sogar Kinder von »unreinen Geistern« befreite. Es waren besonders diese »Dämonenaustreibungen«, die seinen Ruf als Heilsbringer begründeten. Was aber ist in diesen Geschichten genau gemeint? Zeigte Jesus eine besondere Empathie für psychisch Kranke?

Die Autorin stellt diese Geschichten in den Kontext des jüdisch-römischen Krieges und erschließt sie befreiungstheologisch. Die vielen 'Besessenen' sind von den Jahren der Gewalt gezeichnet. Sie sind verzweifelt und traumatisiert, dabei zugleich stark in ihrem Ringen mit Mächten und Gewalten, die sie spirituell und körperlich herausfordern. Sie befinden sich in einem Dazwischenraum, in einer Krise, die in der Botschaft Jesu eine Lösung erfährt.

So gelesen, verändern sich die bekannten Geschichten. Sie erzählen von etwas, das viele Menschen mit Flucht- und Kriegserfahrungen heute kennen, und sprechen so mitten hinein in die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts.

  • Oft missverstandene Texte in den Evangelien - neu und erhellend erschlossen
  • Die historischen Hintergründe zu den Geschichten von den »Dämonenaustreibungen«
  • Deutungen die zeigen, wie aktuell die Bibel gerade heute ist


Luzia Sutter Rehmann, Dr., geb. 1960. Studium der Evangelischen Theologie in Basel und Montpellier (Frankreich); ordinierte Pfarrerin seit 1986. Promotion über das Gebärmotiv in der Apokalyptik 1994 in Kassel. Ist Titularprofessorin für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Universität Basel. Übersetzerin des Lukasevangeliums für die 'Bibel in gerechter Sprache'. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind feministische Befreiungstheologie und Sozialgeschichte des Neuen Testaments.

1. Vertreibungen

Ich beginne am Anfang – wo sonst könnte ich beginnen? – und das heißt: mit der Paradiesgeschichte (Gen 2). Die Menschen stammen aus Gottes Hand und aus der Erde. Sie sind gut geschaffen, wie auch die Erde und alles, was auf ihr lebt. Doch kein Ort ist vor Gewalt gefeit, die Menschenkinder sind verletzlich und gefährdet. Diese Aussage bildet den Boden für alles Weitere. Die Menschen sind nicht schlecht, sie können aber von Gewalt und vom Tod getroffen werden.

Ekballein heißt das griechische Verb, das die Vertreibung Adams und Evas, sowie diejenige ihres Sohnes Kains schildert. Und ekballein heißt auch das Verb in den Evangelien, wenn es um das Hinauswerfen von Geistern und Dämonen geht. Ekballein bildet somit einen roten Faden, der aus dem Garten Eden zu den Evangelien führt. Wenn es im Zusammenhang mit unreinen Geistern und Dämonen auftaucht, wird es meist mit »austreiben« wiedergegeben, nicht mehr mit »vertreiben«. Warum? Ist dies gut begründet?

Zwischen »vertreiben« und »austreiben« besteht ein großer Unterschied: Vertrieben wird von einem Ort, ausgetrieben wird aus einem Individuum. Mit »vertreiben« befinden wir uns im politischen, historischen und rechtlichen Bereich, mit »austreiben« im metaphysischen oder innerlichen Raum. Archäologische Funde zu Dämonenvertreibungen zeigen, dass Dämonen an Orten hausten und Lebensräume überschatteten mit ihrem Unwesen. Diese ersten Beobachtungen machen uns hellhörig auf ersttestamentliche Schilderungen von verwüsteten Orten, in denen Dämonen hausen.

Wir werden also die wenigen Vorkommen von daimonia im griechischen Ersten Testament (LXX)1 daraufhin überprüfen, wie wir uns diese Dämonen vorstellen könnten.

1.1 Als Vertriebene leben

Ich beginne mit den biblischen Grundlagen, die wir während all der weiteren Ausführungen nie aus den Augen verlieren sollten. Erde und Gott spannen zusammen den Lebensraum der Menschen aus. Geht eines von beidem verloren, wankt die Erde unter den Füßen der Menschen, droht der Himmel einzustürzen. Der Lebensraum wandelt sich dann in einen Todesraum, in einen feindlichen, gewaltreichen, düsteren Ort. Damit setzt die Bibel einen völlig anderen Dualismus als den, der in der westlich-christlichen Kulturgeschichte genährt wurde: Erde und Gott meinen nicht Materie und Geist, sondern Heimat und Horizont, Zugehörigkeit und Freiheit, wobei nicht Horizont und Freiheit auf Gott, Heimat und Zugehörigkeit auf Erde zu reduzieren sind. Gott und Erde bilden zusammen den Horizont und die Heimat. Zwischen ihnen ist der Lebensraum aufgespannt, liegen die Aufgaben, die Begrenzungen, die Sehnsucht nach Veränderung oder Rückkehr. Das biblische Menschenbild lässt sich losgelöst von Adonaj/Gott und Israel/Erde gar nicht diskutieren.

a) Boden unter den Füßen

Die Menschen, die Gott aus Erde formte, werden auf Hebräisch als Erdgeschöpfe bezeichnet: adam – die Menschheit, benannt nach der Erde, aus der sie genommen sind: adamah (Gen 2,7). Sie sind rot, braun, hell, ocker, schwarz wie adamah; sie sind zarthäutig, dickhäutig, lederhäutig, hellhäutig, grobkörnig, feingliedrig, hochstämmig, niederwüchsig, buschig, kahl, sanft, laut, bunt, schön – wie adamah auch. Was wären sie ohne ihren Boden? Durchsichtig, eine bloße Idee, ein Schatten ihrer selbst, nichts!

Die Bodenständigkeit der Hebräischen Bibel/des Ersten Testaments hat System und gehört ganz wesentlich zu ihrer theologischen Kraft. Sie beruht auf der Liebe und Beziehung zur Erde, zum Land. Das sind die Pfeiler für unsere Vormütter und Vorväter, auf denen ihr Welt- und Selbstverständnis ruht. Auch wenn heute die Mehrheit der Menschen in riesigen Städten wohnt und sich spielend im virtuellen Raum bewegt, ernähren sie sich von dem, was auf der Erde wächst und was andere für sie pflanzen und ernten. Kommt die Erde ins Wanken, öffnen sich Abgründe.

Die Gottheit schuf die Ackerleute nach ihrem Bild, ihr ähnlich (Gen 1,27). Somit gleichen die Ackerleute Gott und der Ackererde, der sie entnommen sind. Dies ist eine sehr dichte Aussage, die wir nicht dualistisch auseinanderreißen sollten, als ob der Text sagen wollte: Die Menschen sind einerseits sterblich, bedürftig, voller Fehler (das hätten sie dann vom Ackerboden) und andererseits geistig ansprechbar, verantwortungsvoll und zum Guten fähig und darin Gottes Bild  … Die Abwertung des Irdenen ist kulturell bedingt und nicht förderlich. Diese dualistische Lektüre lässt den Text flach und wenig inspirierend erscheinen.

Die Verwandtschaft von Acker und Ackerleuten besteht nicht nur darin, dass sie aus Erde genommen sind, sondern auch darin, dass sie die Erde bebauen, auf ihr ruhen und sich von ihr ernähren. So ist es auch mit der Gottheit: Adonaj hat die Erde gebaut, hat Himmel und Erde geschaffen und schafft sie jeden Tag wieder, repariert und flickt sie, ist besorgt um ihr Wohlergehen wie um dasjenige ihrer Bewohner*innen und ruht am siebten Tag aus. Der Bezug zum Land, zum Lebensraum oder zur Erde ist in die Menschen genauso eingegeben wie ihr Bezug zu Gott – und der Bezug Gottes zur Erde ist so tief wie zu den Menschen. Diese Bezogenheit teilen die Menschen mit der Gottheit.

Das fruchtbare Land und die Gottheit bilden zusammen den Ort der Menschen, den Grund, auf dem sie leben, arbeiten und ruhen können. Lesen wir diese beiden grundlegenden Aussagen zusammen, dann heißt das: Die Gottheit und die Erde geben den Menschen Halt, Boden, Heimat, Lebensraum. Die Menschen brauchen die Gottheit, wie sie die Erde brauchen, von der sie genommen sind.

b) Narrationen der Vertreibung

Indem das Buch Genesis die Menschen dem Ackerboden zugehörig erklärt, vertritt es nicht die Ansicht, dass wir alle Bauern sein sollten. Aber es schreibt die tiefe Bedürftigkeit nach Sicherheit, Land, Lebensraum, Arbeitsfeld, Ernährung, Rückzugsort, Zuhause und Heimat in die Menschheit ein. Sie sind so gemacht, die Ackerleute, die Erdlinge, die Landleute, sie gehören an einen Ort. Und doch wird von diesen Menschen als Erstes erzählt, dass sie aus ihrem Garten hinausgeworfen wurden ( griech. ekballein, Gen 3,24). Sie müssen trotz ihrer Heimatverwobenheit als Vertriebene irgendwo in der Welt leben.

Diese Narration durchzieht die biblischen Schriften. Es ist ein Erzählfaden, der in immer neuen Farben dasselbe oder Ähnliches erzählt: Abraham, Sarah und der junge Lot brechen aus ihrer Heimat auf (Gen 11,31) und leben fortan auf der Suche nach einer Bleibe. Ihr »Vaterland« aber sehen sie nie wieder. Später wird Lot, der Neffe Abrahams, aus seiner neu gefundenen Heimatstadt vertrieben (Gen 19,29); Abraham selbst scheucht Hagar samt Ismael fort (Gen 21,14); Jakob und seine Söhne werden vom Hunger in Richtung Süden vertrieben (Gen 42,2; 43,1), während die Kinder Israels vom Pharao in Richtung Norden hinaufgetrieben werden (Ex 6,1; Ri 6,9) und dort ihrerseits die ansässigen Stämme von deren Land vertreiben, um für sich einen Ort zu finden, in dem sie in Ruhe leben können (Jos 1,13). Der Wunsch Kains nach Ruhe und die Schwierigkeit, diese zu finden auf dieser Welt, durchziehen diese Schriften. Die Menschen scheinen pausenlos vertrieben zu werden und sind doch auf der Suche nach einem Ort, wo sie sicher wohnen, arbeiten, leben und ausruhen können.

Wenn ich von der Bibel in die Welt aufblicke, sehe ich, dass Millionen von Menschen heute Boden unter den Füßen entzogen wird.2 Ein besonders erschütterndes Beispiel: Über eine Million Rohingya warten gegenwärtig (im Jahr 2022) in Bangladesch darauf, wieder in ihre Heimatorte in Myanmar zurückkehren zu können. Ihre Vertreibung durch das Militär im Jahr 2017 hat vielschichtige Ursachen, unter anderem auch wirtschaftliche (wie das internationale Bauprojekt einer Fernstraße durch Rakhine)3. Doch die schmerzhafte Kolonialherrschaft durch europäische Mächte und die aktuelle Großmacht China, die nach Einfluss strebt, sind ebenfalls Wurzeln des verschleppten Konflikts.4 Die Rohingya werden von dem eigenen Staat aus ihrem Land, das sie geformt hat und in dem sie Ruhe finden, verjagt. Damit werden sie leicht zur Beute der Stärkeren, z.B. durch das politische Interesse der Nachbarstaaten, der Großkonzerne und internationaler Machtansprüche. Wer aus seinem oder ihrem Zuhause vertrieben wurde, lebt meist ohne rechtliche Grundlage, ohne Rückzugsort, ohne Sicherheit. Es gibt einen Zusammenhang von Rechtsschutz und Landeszugehörigkeit. Auch den im eigenen Land vertriebenen Menschen, den Binnenflüchtlingen oder displaced people5 fehlen meist anerkannte Dokumente, die ihren Anspruch auf Land oder ihr Recht auf Zugehörigkeit belegen könnten.

Dieser starke Faden im biblischen Textgewebe, der in unterschiedlichen Variationen die Vertreibungen durchspielt, macht deutlich, dass die biblischen Erzählstimmen die Realität der Vertreibung kennen. Die alten Hebräer*innen, die Israelit*innen im Nord-Reich Israel und die Judäer*innen im Süd-Reich, die aus dem babylonischen Exil heimkehrenden Familien bis zu den Erzählstimmen der Evangelien im 1. Jh.: Sie kennen die Realität der Vertreibung und die Spuren, die diese Gewaltakte an der Bevölkerung hinterlassen.

c) Narbe der Gewalt

Kain gehörte zu den Menschen, die vom Acker lebten. Er war ein richtiger adam. Doch dann kam die Katastrophe und er wurde aus seiner Heimat vertrieben (Gen 4,14). Natürlich hat Kain diese Maßnahme...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2023 • Bibel • Dämonen • Dämonenaustreibung • Dämonenbeschwörung • Dämonen in der Bibel • Die Absage an das Böse • Die Bibel • eBooks • Evangelien • Evangelium • Exorzismus • Geister • Neuerscheinung • Unreine Geister • Wundererzählungen
ISBN-10 3-641-29297-2 / 3641292972
ISBN-13 978-3-641-29297-3 / 9783641292973
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