Philosophie für alle. Die großen Denker und ihre Ideen von Platon bis zur Neurowissenschaft (eBook)
352 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-30316-7 (ISBN)
- Für den kleinen Bildungshunger zwischendurch
- Der ganze Kosmos der abendländischen Philosophie gut verdaulich zusammengefasst
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Christian Tielmann, geboren 1971 in Wuppertal, hat (beruflich) noch nie etwas anderes gemacht, als zu lesen und zu schreiben: Er studierte Deutsch und Philosophie in Freiburg und Hamburg und hat schon während des Studiums seine ersten Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Inzwischen hat er für verschiedene Verlage um die 80 Bilderbücher, Kinderbücher (sowohl Erzählungen als auch Sachbücher) und Jugendbücher geschrieben. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und bislang in 24 Sprachen übersetzt. Christian Tielmann lebt in Detmold.
Kapitel 2
Der Viel-Denker
Aristoteles
Aristoteles (*384 v. Chr. in Stagira; † 322 v. Chr. in Chalkis) gehört nicht nur zu den Klassikern der Philosophie, er gehört auch zu den Viel-Denkern. Er hat zu vielen großen Themen der Philosophie etwas hinterlassen (darunter gleich drei Bücher zur Ethik und eine Metaphysik, die so inhaltsreich ist, dass man ein ganzes Philosophiestudium ausgehend von diesem Text bestreiten könnte) und auch naturwissenschaftlich geforscht. Vermutlich könnte man jedwede philosophische Arbeit mit irgendeinem Aristoteles-Zitat garnieren. Ferner steht sein Werk, was die Wirkung angeht, dem Werk seines Lehrers Platon in nichts nach. Im Mittelalter wurde er schlicht »der Philosoph« genannt; insbesondere galt die aristotelische Logik als verbindlich, bis sie von der Aussagen- und Prädikatenlogik Gottlob Freges (1848–1925) abgelöst wurde.
Ich greife aus diesem Gedankengebirge ein Thema heraus, das für uns heute ebenso aktuell ist wie für die Griechen zu Aristoteles’ Zeit: das glückliche Leben.
Aristoteles über Glück
In der Nikomachischen Ethik* beschäftigt sich Aristoteles mit der Frage, was Glück sei und was ein glückliches Leben ausmache. Das Wort »Glück« ist dabei nicht im Sinne von »glücklicher Zufall« zu verstehen, sondern im Sinne von »Glückseligkeit« oder »glückliches Leben«.
Die Nikomachische Ethik lässt sich im Großen und Ganzen in drei Teile von sehr unterschiedlicher Länge gliedern. Im ersten Teil (Buch I) arbeitet Aristoteles auf der Basis von handlungstheoretischen Überlegungen eine Grobform dessen heraus, was er für Glück hält. Im zweiten Teil (Buch II bis einschließlich erste Hälfte Buch X) beschäftigt sich Aristoteles mit verschiedenen Tüchtigkeiten des Charakters und des Denkens. Im dritten und letzten Teil (der zweiten Hälfte des X. Buches) befasst er sich mit dem Leben des Philosophen. Ich konzentriere mich im Folgenden auf den ersten Teil.
Aristoteles’ handlungstheoretische Vorüberlegungen
Aristoteles untersucht zunächst (kurz, aber gründlich) Handlungen überhaupt, ehe er auf das Glück zu sprechen kommt. (Warum er das tut, wird später deutlich werden.) Ohne irgendein Vorgeplänkel springt er mit der ihm eigenen Gründlichkeit schon mit den ersten Sätzen direkt in sein Thema.
Jedes praktische Können und jede wissenschaftliche Untersuchung, ebenso alles Handeln und Wählen strebt nach einem Gut, wie allgemein angenommen wird. Daher die richtige Bestimmung von »Gut« als »das Ziel, zu dem alles strebt«. [Nikomachische Ethik, 1094 a]*
Aristoteles zählt vier Arten von Handlungen auf, die für die weitere Untersuchung von Bedeutung sind.
Ich erläutere diese vier Begriffe kurz, denn Aristoteles ist (im Unterschied zu seinem Lehrer Platon) ein Freund von Terminologie.
1. Praktisches Können (techne; in einigen deutschen Ausgaben auch mit »Kunst« übersetzt): Unter praktischem Können ist ganz weit alles das zu verstehen, was eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert, um etwas herzustellen. Kochen, Schreinern, Schlachten, Bilder malen, Stücke schreiben, einen Krieg führen. Beim praktischen Können kommt es nicht so sehr auf die Wahrheit einer Theorie, sondern auf die Brauchbarkeit einer Technik an.
2. Wissenschaftliche Untersuchung (methodos/episteme): Die wissenschaftlichen Disziplinen sind zu Aristoteles’ Zeit noch nicht so klar voneinander abgegrenzt wie heute. Alle Untersuchungen, die auf Wahrheit abzielen, fallen hierunter (Mathematik und Astronomie ebenso wie die Philosophie, Biologie oder Physik).
3. Handeln (praxis): Neben den herstellenden Handlungen des praktischen Könnens und den wissenschaftlichen Untersuchungen sieht Aristoteles noch Tätigkeiten, die weder etwas herstellen noch zur Wahrheitsfindung dienen, sondern als Tätigsein Selbstzweck sind, wie zum Beispiel das Spazierengehen. (Auf diesen Unterschied komme ich unten, S. 32, ausführlicher zu sprechen.)
4. Wählen (prohairesis): Man kann Dieses oder Jenes als sein Ziel wählen. Dann kann man entsprechend diesen oder jenen (günstigen oder ungünstigen, kurzen oder langen, schönen oder unbequemen) Weg zu diesem Ziel einschlagen. Das Wählen ist für Aristoteles eine Tätigkeit, die eng mit dem Beraten mit Freunden, Sachverstand und Klugheit zusammenhängt.
All diese Tätigkeiten sind nun, sagt Aristoteles, auf etwas gerichtet, das in irgendeiner Weise gut ist. Im zweiten Satz (»Daher die richtige Bestimmung von ›Gut‹ als ›das Ziel, zu dem alles strebt‹.«) bestimmt er den Begriff »Gut« (agathon) näher. Ein Gutes ist demnach das, was als Ziel vom Handelnden erstrebt wird. Es geht Aristoteles also, wenn er von »Gut« spricht, nicht allein um das sittlich-moralisch Gute. Er fasst seinen Begriff viel weiter: was gut für irgendetwas ist, das ist ein Gutes. Ein scharfes Messer ist ein gutes Messer, ein hervorragender Geiger ein guter Geiger usw.
Aristoteles hat in diesen zwei Sätzen auch schon den Gedanken eingeführt, dass die Handlungen jeweils auf irgendein Ziel (nämlich das jeweilige Gut) gerichtet sind. Dass dies tatsächlich der Fall und ein Unterschied zwischen einer Handlung und einer bloßen Bewegung ist, kann man sich mit folgenden Beispielen rasch klar machen: Wenn ich meinen Finger mit dem Ziel krümme, den Abzug zu drücken, und das mit dem Ziel, die Kugel abzufeuern, und das mit dem Ziel, den Hund meines Nachbarn zu erschießen, dann ist das Krümmen des Fingers Teil einer Handlung. Wenn mein Finger hingegen einfach zuckt, weil ich zuviel Kaffee getrunken habe, dann ist das keine Handlung (ich habe kein Ziel gewählt und krümme den Finger nicht mit der Absicht, irgendein Ziel zu erreichen), sondern eine körperliche Reaktion. (Wenn aufgrund meines nervösen, unwillkürlichen Fingerzuckens der Hund meines Nachbarn zu Tode kommt, ist das ein (mehr oder weniger tragischer) Unfall.)
Aristoteles geht in der Untersuchung der Handlungen einen Schritt weiter, indem er die Art von Zielen betrachtet, auf die Handlungen gerichtet sind.
Dabei zeigt sich aber ein Unterschied zwischen Ziel und Ziel: das eine Mal ist es das reine Tätig-sein (energeia), das andere Mal darüber hinaus das Ergebnis des Tätig-seins: das Werk (ergon). Wo es Ziele über das Tätig-sein hinaus gibt, da ist das Ergebnis naturgemäß wertvoller als das bloße Tätigsein. [Nikomachische Ethik, 1094 a]
Demnach gilt es, zwei Arten von Zielen zu unterscheiden:
1. Das Ziel einer Handlung kann ein Werk (ergon) sein.
Ein Haus ist zum Beispiel das Ziel des Bauens. Unter den Begriff »Werk« fallen für Aristoteles nicht nur Produkte wie Häuser, Geigen, Stühle usw., sondern auch Zustände wie zum Beispiel der Sieg (d.i. der Zustand nach der erfolgreichen Kriegsführung) oder die Gesundheit (Zustand des Körpers nach der erfolgreichen Behandlung durch den Arzt) oder die Ruhe (Zustand im Haus, nachdem ich den Hund meines Nachbarn erschossen habe).
2. Das Ziel einer Handlung kann aber auch ein Tätig-sein (energeia) sein.
Ziel des Spazierengehens ist das Spazierengehen. Das Spazierengehen ist selbst Ziel der Tätigkeit. Mein Sohn singt oft, um des Singens willen: Sein Gesang dient zu nichts und ist selbst das Ziel dieser Handlung.
Nach den Zielen unterscheidet Aristoteles auch die entsprechenden Handlungen, die auf diese Ziele gerichtet sind.
1a) »Poiesis« (Herstellen) nennt er die Handlungen, die um eines Werkes (ergon) willen – sei es Produkt oder Zustand – erfolgen.
2a) »Praxis« nennt er Handlungen, die um ihrer selbst willen erfolgen, bei denen also das Ziel der Handlung das Tätig-sein energeia) selbst ist.
Ferner nimmt Aristoteles bei dieser Einführung seiner handlungstheoretischen Grundbegriffe eine hierarchische Ordnung der Handlungen vor: Im Fall des Herstellens, der poiesis, ist das Werk »wertvoller« als das Tätig-sein. Statt »wertvoller« kann man auch sagen: Es ist erstrebenswerter. Denn um des Werkes willen wird ja die Tätigkeit überhaupt betrieben. (Wer nichts essen will, muss auch nicht kochen; wer keine Hütte braucht, muss auch keine bauen.)
Ob eine Handlung ein Fall von praxis oder ein Fall von poiesis ist, sieht man der Handlung allein nicht an: Man kann ja auch Kochen um des Kochens willen (das Essen, das dabei herauskommt, wäre dann nur ein Abfallprodukt des Tätigseins). Dieses Kochen wäre ein Fall von praxis. Und umgekehrt kann man auch spazierengehen um der Gesundheit willen: dieser Spaziergang wäre ein Fall von poiesis. Es kommt bei der Unterscheidung von Handlungen, die etwas herstellen, und Handlungen, die um ihrer selbst willen erfolgen, offenbar darauf an, mit welcher Absicht der Handelnde etwas tut.
Nun gibt es, so Aristoteles weiter, viele verschiedene Ziele, die Menschen durch ihr Handeln...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | 2023 • Also sprach Zarathustra • Aristoteles • Chinesische Philosophie • Der tägliche Stoiker • eBooks • Grundkurs Philosophie • Hegel • Heidegger • Kant • Neuerscheinung • Nietzsche • Philosophen • Philosophie • Philosophie für Anfänger • Philosophie für Einsteiger • Philosophie Geschichte • philosophisch • Philosophische Hintertreppe • Philosophisches Lesebuch • Platon • Precht • Stoa • wer bin ich |
ISBN-10 | 3-641-30316-8 / 3641303168 |
ISBN-13 | 978-3-641-30316-7 / 9783641303167 |
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