Texte zur Erziehung (eBook)
280 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962093-0 (ISBN)
Jean-Jacques Rousseau (28.6.1712 Genf - 2.7.1778 Ermenonville), Sohn eines Uhrmachers und Forschers, ist einer der maßgeblichen Denker der Aufklärung. Rousseau besucht die Dom-Musikschule in Annecy. Danach geht er nach Paris, wo er als Schreiber in einem Katasteramt arbeitet und im literarischen Salon von Madame Dupin verkehrt. Rousseau reist viel und bildet sich autodidaktisch weiter. Er tut sich als Schriftsteller, Philosoph und Komponist hervor. Der Kulturpessimist Rousseau verschriftlicht in seiner Abhandlung »Du contrat social« (dt. »Gesellschaftsvertrag«) seine Theorie des Gesellschaftsvertrags, in der er von einem ursprünglich freien Naturzustand des Menschen ausgeht, der sich gesellschaftlichen Konventionen unterwerfe (»Der Mensch ist frei geboren, und liegt überall in Ketten«). »Emile oder Über die Erziehung« ist eine prosaische Ausarbeitung dieser Gedanken. Selbst wissenschaftliche und kulturelle Bildung, so hatte er bereits in seinem »Discours sur les Sciences et les Arts« (dt. »Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste«) festgestellt, gehören zu den negativen Einflüssen, die den Menschen zusehends von seinem positiven Naturzustand entfernt hätten. In seinem »Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes« (dt. »Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen«) führt er als ein Vorläufer des europäischen Sozialismus die Ungleichheit der Menschen auf die Arbeitsteilung zurück. Der Herausgeber: Tim Zumhof, geb. 1984, Juniorprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Trier.
Jean-Jacques Rousseau (28.6.1712 Genf – 2.7.1778 Ermenonville), Sohn eines Uhrmachers und Forschers, ist einer der maßgeblichen Denker der Aufklärung. Rousseau besucht die Dom-Musikschule in Annecy. Danach geht er nach Paris, wo er als Schreiber in einem Katasteramt arbeitet und im literarischen Salon von Madame Dupin verkehrt. Rousseau reist viel und bildet sich autodidaktisch weiter. Er tut sich als Schriftsteller, Philosoph und Komponist hervor. Der Kulturpessimist Rousseau verschriftlicht in seiner Abhandlung »Du contrat social« (dt. »Gesellschaftsvertrag«) seine Theorie des Gesellschaftsvertrags, in der er von einem ursprünglich freien Naturzustand des Menschen ausgeht, der sich gesellschaftlichen Konventionen unterwerfe (»Der Mensch ist frei geboren, und liegt überall in Ketten«). »Emile oder Über die Erziehung« ist eine prosaische Ausarbeitung dieser Gedanken. Selbst wissenschaftliche und kulturelle Bildung, so hatte er bereits in seinem »Discours sur les Sciences et les Arts« (dt. »Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste«) festgestellt, gehören zu den negativen Einflüssen, die den Menschen zusehends von seinem positiven Naturzustand entfernt hätten. In seinem »Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes« (dt. »Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen«) führt er als ein Vorläufer des europäischen Sozialismus die Ungleichheit der Menschen auf die Arbeitsteilung zurück. Der Herausgeber: Tim Zumhof, geb. 1984, Juniorprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Trier.
Einleitung: Rousseaus pädagogisches Denken im Kontext der französischen Aufklärung
Denkschrift für Herrn de Mably über die Erziehung seines Herrn Sohns (1740)
Abhandlung über die Wissenschaften und Künste (1750, Auszüge)
Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1755, Auszüge)
Abhandlung über die politische Ökonomie (1758, Auszüge)
Julie oder Die neue Heloise (1761, Auszüge)
Emile oder Über die Erziehung (1762, Auszüge)
Brief an Christophe de Beaumont (1763, Auszüge)
Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts (1762, Auszüge)
Anmerkungen
Zeittafel
Textnachweise
Literaturhinweise
[7]Einleitung
Rousseaus pädagogisches Denken im Kontext der französischen Aufklärung
»In diesem Jahrhundert der Aufklärer ist der allgemeine Ruf, dass wir Menschen erziehen müssen«1, schrieb ein Korrespondent im Journal de la ville de Troyes in der Ausgabe vom 30. Juni 1784. Als siècle des lumières (›Jahrhundert der Aufklärer‹) bezeichneten bereits Zeitgenossen in Frankreich und Europa das 18. Jahrhundert. Mit dieser Metaphorik brachten sie zum Ausdruck, dass durch das ›Licht‹ der Vernunft die ›Dunkelheit‹ der Vorurteile und Intoleranz, des Aberglaubens und Unwissens sowie der Bevormundung und Unmündigkeit überwunden und zu einer selbstbestimmten und vernunftgeleiteten Ordnung der Welt fortgeschritten werden könne.
Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717–1783), der zusammen mit Denis Diderot (1713–1784) eines der Hauptwerke der Aufklärung – die Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (1751–80) – herausgegeben hat, gehörte als Aufklärer zu einer Gruppe von Intellektuellen, die sich von religiöser und staatlicher Bevormundung emanzipierten. Jenseits von traditionellen Institutionen wie den Universitäten traten sie als Sprachrohr einer im regen Austausch stehenden République des Lettres (›Gelehrtenrepublik‹) auf. D’Alembert bemerkte, dass der Gebrauch der Vernunft im 18. Jahrhundert bereits zu weitreichenden Fortschritten in verschiedenen Bereichen geführt habe. In den Wissenschaften und der Religion, in der Metaphysik und Ästhetik, in der Musik [8]und Moral, bei theologischen Streitfragen sowie bei Fragen der Wirtschaft und des Handels, in der Politik sowie im Völker- und Zivilrecht. Wie Ebbe und Flut, resümiert d’Alembert, habe der Gebrauch der Vernunft manch Neues ans Ufer gespült und anderes von ihm losgerissen.2
Dieses Losreißen von Althergebrachtem resultierte aber nicht nur aus der Erfahrung neuer Erfindungen und Entdeckungen sowie aus der hiermit verbundenen Möglichkeit technisch versierter Naturbeherrschung, sondern auch aus dem durch konfessionelle Spaltung und europäische Religions- und Bürgerkriege ausgelösten Autoritätsverlust religiöser Wahrheiten und Ordnungsvorstellungen. Weder die Ständeordnung noch die Auffassung vom Gottesgnadentum der Monarchie ließen sich angesichts des Legitimationsschwunds traditioneller Autoritäten durch konfessionelle und politische Konflikte auf Dauer halten. Mit diesem »Selbstverständlichkeitsverlust der traditionellen Ordnung des Handelns, Wissens und Glaubens«3 im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts gewann auch zunehmend die Frage an Bedeutung, wie und zu welchem Zweck der Mensch erzogen werden müsse.
Der Genfer Schriftsteller und Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), dessen Buch Émile ou De l’éducation (1762) das pädagogische Denken in Europa nachhaltig beeinflusste, erklärte, dass sich angesichts dieser »Wandelbarkeit der Umstände« (S. 168) das Verhältnis zwischen den Generationen dahingehend verändert habe, dass die künftige Bestimmung des zu Erziehenden nicht mehr nur ihm selbst unbekannt sei, [9]sondern auch für die erziehenden Bezugspersonen ungewiss werde. »Wir sind einer Krise und dem Jahrhundert der Revolutionen nahe«, stellte Rousseau fest. »Wer garantiert euch dafür, was dann aus euch wird?«4
Neben den revolutionären wissenschaftlichen Entdeckungen und den politischen Umbrüchen in Europa gehörte zu diesen gesellschaftlichen Transformationsprozessen im 18. Jahrhundert auch der sozioökonomische Aufstieg des Bürgertums sowie die sich verändernde Struktur des familialen Zusammenlebens. Das Bürgertum grenzte sich als eine heterogene soziale Gruppe von anderen Ständen ab, da in ihr zumindest tendenziell sozialer Rang und Status nicht mehr geburtsständisch bestimmt, sondern an individuellen Leistungen oder Qualifikationen gemessen wurde. Kaufleute und Manufakturunternehmer, Reeder und Verleger, Bankiers und Fabrikanten gewannen so durch ihre wachsende Wirtschaftskraft an Einfluss und Bedeutung. Akademiker wie Juristen, Ärzte, Pfarrer, Professoren und Lehrer fanden als fachlich qualifizierte Funktionseliten Anstellungen auf allen Ebenen staatlicher und kirchlicher Organisationen – im Verwaltungsapparat, im Militärwesen, in der Justiz sowie im Bildungs- und Finanzwesen.
Mit dieser Leistungsorientierung war zugleich eine Sorge um die Aufzucht, Gesundheit und Ausbildung der eigenen Kinder verbunden: »Väter, die reich geworden sind oder die den Aufstieg ihrer Familien betreiben«, heißt es in der Encyclopédie unter dem Stichwort père (›Vater‹), »lieben ihre Kinder zärtlicher, zweifellos weil sie sie unter zwei gleich interessanten Gesichtspunkten ansehen: als ihre Erben und als ihre Geschöpfe.«5 Bis weit ins 18. Jahrhundert fand in Frankreich die [10]Aufzucht, Erziehung und Unterrichtung von Kindern aus wohlhabenden Elternhäusern getrennt von der Familie statt. Nach der Geburt wurden die Säuglinge einer Amme übergeben, zur Unterweisung stellte man Hauslehrer, Hofmeister oder Gouvernanten ein, und im Jugendalter wurden Kinder auf Internate und Kollegien geschickt. Auch Rousseau wirkte wie viele Gelehrte im 18. Jahrhundert als Hauslehrer. Für einige Monate arbeitete er in der wohlhabenden und einflussreichen Familie des Generalprofos Jean Bonnot de Mably (1669–1761) in Lyon, wo Rousseau mit der Erziehung der beiden Söhne beauftragt wurde. Seine erzieherischen Pläne und Erfahrungen hielt er in seiner Mémoire présenté à M. de Mably sur l’éducation de M. son fils (›Denkschrift für Herrn de M[ably] über die Erziehung seines Herrn Sohns‹, 1740) fest.
Mit der zunehmenden Trennung von Arbeits- und Familienleben sowie der Möglichkeit zur Abgrenzung privater Räumlichkeiten von der Öffentlichkeit bot die Familie im 18. Jahrhundert einen emotionalen Intimraum, in dem sich eine veränderte Einstellung zur Kindheit entfalten konnte. Die Aufmerksamkeit, die man Kindern und ihrer Besonderheit zuteilwerden ließ, drückte sich aber nicht in bloßer ›Hätschelei‹ aus – bei der Eltern »ihren Kindern nur insofern Beachtung schenken, als sie ihnen Zerstreuung und Vergnügen bereiten«6. Kinder wurden vielmehr zu Subjekten elterlicher Fürsorge und Erziehung.7 In Diderots Drama Le père de famille (›Der Hausvater‹, 1758) offenbart der Vater seinem Sohn: »Ich habe dich nicht der Sorge eines Mietlings [d. h. eines Hofmeisters oder [11]Hauslehrers] übergeben. Ich habe dich selbst gelehrt zu reden, denken und zu empfinden. So wie du an Jahren zunahmst, habe ich deine Neigungen ausgeforscht; diesen gemäß habe ich den Plan deiner Erziehung entworfen, und ihn ohne Unterlass befolgt. Wie viel Mühe habe ich mir gegeben, um dir Mühe zu ersparen?«8
Da gesellschaftliche Krisen und Veränderungen das pädagogische Denken und Handeln verunsicherten, die Aufzucht des Nachwuchses sich nicht mehr unmittelbar aus der tradierten Erziehungspraxis herleiten und begründen ließ, wurde Erziehung über die rein praktische Herausforderung hinaus zu einem öffentlichen, gesamtgesellschaftlichen Anliegen und einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und philosophischer Reflexion. Mit der Aufklärung intensivierte sich der öffentliche Austausch über pädagogische Themen, an dem sich Experten und Laien, Theologen und Gelehrte, Ärzte und Philosophen beteiligten. Die Verbreitung wissenschaftlicher Beobachtungen sowie die Zirkulation pädagogischer Ideen war einer sehr regen pädagogischen Publizistik zu verdanken, die dank verbesserter Drucktechniken, sinkender Buchpreise und eines sich etablierenden Verlagswesens eine breite Leserschaft erreichte. Neben Schriften über Erziehung wurden auch Medien für den pädagogischen Gebrauch – wie Schul-, Lese- und Kinderbücher – produziert. In Frankreich, das neben England als ein »Kernland«9 der europäischen Aufklärung bezeichnet werden kann, erschienen neben zahlreichen Aufsätzen in Zeitschriften im Verlauf des 18. Jahrhunderts rund 180 Bücher zu [12]pädagogischen Themen. Etwa ein Drittel dieser Bücher wurde noch vor Rousseaus Émile veröffentlicht.10 Pädagogische Ratgeberliteratur für Eltern und Erzieher, die sich schon im 17. Jahrhundert finden lässt und die auch im 18. Jahrhundert weiterhin verfasst und vertrieben wurde, behandelte größtenteils praktische Fragen der standesgemäßen Verhaltensformung, des Benehmens, der Ehrerbietung und der geschlechtsspezifischen Erziehung. Im Vordergrund standen Themen wie Autorität und Gehorsam, Tugenderziehung sowie Charakter- und Gewissensbildung. Daneben kamen ab dem 17. Jahrhundert didaktische Werke auf, die sich mit Fragen der Unterweisung und Unterrichtung sowie mit ihrer institutionellen Organisation befassten. Religiöse Ordensgemeinschaften wie die Oratorianer, der Orden von Port Royal und insbesondere die Jesuiten – die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts allein in Frankreich über 600 Schulen unterhielten –, waren maßgeblich an der Gestaltung von Erziehung und Unterricht beteiligt.
Die pädagogische Literatur im 18. Jahrhundert zeichnete sich jedoch dadurch aus, dass sie sich zunehmend um eine philosophische und wissenschaftliche Grundlegung des pädagogischen Denkens bemühte. Autoren wie der Abbé de Saint-Pierre (1658–1743), Claude-Adrien Helvétius...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2022 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
Schlagworte | Aufklärungsliteratur • Basiswissen • Bildung • Didaktik • Einführung • Erläuterungen • Erziehung • Erziehungsfragen • Erziehungswissenschaften • gelb • gelbe bücher • Grundlagen • Jean-Jacques Jean-Jacques Rousseau Aufklärung • Jean-Jacques Rousseau Anthologie • Jean-Jacques Rousseau Brief an Christophe de Beaumont • Jean-Jacques Rousseau Deutsch • Jean-Jacques Rousseau Didaktik • Jean-Jacques Rousseau Emile • Jean-Jacques Rousseau Erziehung • Jean-Jacques Rousseau Gesellschaftsvertrag • Jean-Jacques Rousseau Heloïse • Jean-Jacques Rousseau Lehre • Jean-Jacques Rousseau Neue Heloise • Jean-Jacques Rousseau Pädagogik • Jean-Jacques Rousseau PHilosophie • Jean-Jacques Rousseau Plan für die Erziehung • Jean-Jacques Rousseau Sainte-Marie • Jean-Jacques Rousseau Text • Jean-Jacques Rousseau Textsammlung • Jean-Jacques Rousseau Übersetzung • Lehramt Studium • Lektüre • Literatur Aufklärung • Literatur Epoche Aufklärung • Pädagogik • Philosophie • Philosophie der Aufklärung • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Referendariat • Studenten • Studentinnen • Studierende • universalbibliothek • Universität • Unterrichtsmaterial • Unterrichtsvorbereitung • Vorlesungen • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftliche Abhandlung |
ISBN-10 | 3-15-962093-X / 315962093X |
ISBN-13 | 978-3-15-962093-0 / 9783159620930 |
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