BERLIN – 1918–1989. Die Stadt, die ein Jahrhundert prägte (eBook)

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2023 | 1. Auflage
560 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0563-8 (ISBN)

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BERLIN – 1918–1989. Die Stadt, die ein Jahrhundert prägte - Sinclair McKay
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»Man kann das zwanzigste Jahrhundert nicht verstehen, ohne Berlin zu verstehen; und man kann Berlin nicht verstehen, ohne die Erfahrungen der Menschen dort zu verstehen.«

Sinclair McKay, Berlin


Kaum eine andere Stadt stand im zwanzigsten Jahrhundert so sehr im Zentrum des Weltgeschehens wie Berlin: Ihr Aufstieg zur kosmopolitischen Metropole während der Weimarer Republik, der wirtschaftliche Absturz, die Machtübernahme der Nationalsozialisten, der Zweite Weltkrieg, ihre Teilung, die Wende und der Mauerfall.

Zwischen Kaufhäusern der Moderne, UFA-Studios, Uranium-Clubs und Rosinenbombern erzählt Sinclair McKay die Geschichte der Stadt durch die Augen derer, die in ihr lebten: Vom idealistischen Wissenschaftler Albert Einstein bis zum Nazi-Architekten Albert Speer, von der Revolutionärin Rosa Luxemburg bis zum ersten deutschen Nachkriegsstar Hildegard Knef - von einfachen Hausfrauen, Büroangestellten, Zwangsarbeitern in einer Marmeladenfabrik oder übermütigen Jugendlichen, die das Dauerwellenverbot der Nationalsozialisten, umgingen.

Generationen von Berlinern gibt Sinclair McKay eine Stimme und zeichnet dabei ein fesselndes, lebendiges und mit neuen Details gespicktes Portrait dieser Stadt und ihrer Bewohner, die von den Ereignissen der Geschichte immer wieder durchgerüttelt wurden - ihren Überlebenswillen und ihren Sinn für Humor jedoch nie verloren.



SINLCAIR MCKAY ist ein britischer Literaturkritiker und Bestsellerautor. Er schreibt für The Telegraph und The Spectator. Sein auch auf Deutsch erschienenes Buch »Die Nacht, als das Feuer kam - Dresden 1945« gehörte 2020 zu den besten Büchern des Jahres der Sunday Times. Sinclair McKay lebt in East London.

VORWORT:
»JEDE STADT HAT IHRE GESCHICHTE, ABER BERLIN HAT ZU VIEL DAVON!«


Berlin ist eine nackte Stadt. Eine Stadt, die ihre Wunden und Narben offen zur Schau stellt. Gestein und Gemäuer sind in zahllosen ihrer Straßen schartig, mit Löchern übersät, verbrannt – Erinnerungen an Geschosse. Diese Entstellungen sind Echos eines großen, blutigen Traumas, über das die Berliner viele Jahre lang nur widerwillig öffentlich sprachen. Im Schatten des schmutzigen Völkermordes galt es als Tabu, anzudeuten, dass auch sie selbst Opfer von Hitlers Krieg gewesen sind. Die Wunden der Stadt als solche sind längst verheilt, aber diese Verletzungen sind noch deutlich zu erkennen: Da ist die Wand der alten Brauerei Friedrichshöhe mit ihren bis heute erkennbaren, schwerem Beschuss geschuldeten, Einsprenkelungen, die Darstellung des gekreuzigten Christus im Hintergrund eines der Reliefs am Fuß der Siegessäule aus dem neunzehnten Jahrhundert, dem ein Schrapnellsplitter das Herz durchbohrt hat, das fragmentierte Eingangsportal des von Bomben zerstörten Anhalter Bahnhofs, dessen gemauerte Torbögen nun allein dastehen und ins Nichts führen. Im Humboldthain, einem üppigen Park nördlich des Stadtzentrums, sprießen Bäume rund um die Überreste einer imposanten Betonfestung, die gegen Ende des Krieges als Schutzbunker, Lazarett und Flakstellung diente. Das berühmteste Bauwerk ist der halb zerstörte Kirchturm an der geschäftigen Einkaufsstraße Kurfürstendamm: die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Bis auf den Turm ist so gut wie nichts vom Originalbau der Jahrhundertwende übriggeblieben; die Kirche wurde in einer Nacht im Jahr 1943 bei einem Bombenangriff getroffen und ging in Flammen auf (nach dem Krieg wurde das zerstörte Kirchenschiff abgerissen, und es entstand direkt neben dem Turm ein modernes, sechseckiges Kirchengebäude). Auf jemanden, der nichts über die Geschichte der Stadt weiß, dürfte der merkwürdige Anblick befremdlich wirken: Was soll die seltsame Ruine mitten in einem gleichgültigen Shopping-Bezirk? Andere europäische Hauptstädte erinnern an die dunkle Vergangenheit durch elegante Denkmäler; sie bemühen sich, die scharfen Kanten der Geschichte abzuschleifen. Nicht so hier.

Das gesamte zwanzigste Jahrhundert hindurch bildete Berlin den Mittelpunkt einer von Erschütterungen geplagten Welt. Die Stadt galt über die nationalen Grenzen hinweg mal als große Verführerin, mal als Moloch. Ihr Wesen schien von einer scharfen Dualität geprägt: Da waren der Glanz der Boulevards und das lärmende Chaos der Mietskasernen, die dunklen, Rauch ausstoßenden Hochburgen der Schwerindustrie und die sonnigen Gewässer und Wälder in der Umgebung, die ausgelassenen pansexuellen Revuen und die steife Ehrwürdigkeit der Oper, die bunten Exzesse der dadaistischen Kunstwelt und die düstere Uniformität der Hakenkreuzaufmärsche. Und mit dem Erstarken des Nationalsozialismus setzte ein stetig lauter werdender Trommelschlag des Todes ein. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung Berlins, die trotz des Nazi-Regimes in der Stadt blieb – rund 80.000 Menschen –, wurde zwischen 1941 und 1943 deportiert und ermordet. Außerdem kamen 1945, in den letzten Wochen des Krieges, geschätzt 25.000 Berliner und Berlinerinnen durch Bombenangriffe der Alliierten ums Leben. Doch die Angst war auch vorher und nachher ein ständiger Begleiter der Menschen: Wer um das Jahr 1900 in Berlin geboren wurde und das Glück hatte, bis in die 1970er- oder 1980er-Jahre in der Stadt zu leben, wurde Zeuge einer endlosen Reihe von Revolutionen, eines Mahlstroms aus Chaos und Ungewissheiten. In diese Zeit fiel das Trauma des Ersten Weltkriegs, gefolgt von einer Pandemie und um sich greifender Gewalt; der schwindelerregende Aufstieg der modernen Industrie und der trotzig revolutionären Architektur, die diese widerspiegelte und einst vertrauten Straßen und Arbeitsstätten ein ganz neues Gesicht verlieh; der dramatische Kollaps der Wirtschaft, der Elend und Hunger auslöste; die Herrschaft der Nationalsozialisten, der Wahnsinn des Völkermordes und der Feuerbrand des Krieges sowie schlussendlich die durch konkurrierende Ideologien bedingte Zweiteilung der Stadt. Im Zentrum all dieser Erschütterungen, quasi ihr Flucht- wie ihr Ausgangspunkt, standen einige Wochen im Frühjahr 1945, als der Krieg zu Ende ging und Berlin und seine Bewohner einer Zerstörungswut ausgesetzt waren, die dem Vergleich mit den infernalischen Rachefeldzügen der klassischen Antike standhält.

An aufrichtigen Würdigungen den Toten gegenüber mangelt es der Stadt nicht: Das beeindruckende und relativ junge Holocaust-Mahnmal, ein Labyrinth aus Betonstelen, die immer höher über den Kopf des Besuchers hinausragen, je weiter er sich hineinbegibt, ist einer der wenigen Orte in Berlin, an denen das hastige Schritttempo vieler Berliner gezwungenermaßen etwas gebremst wird. Ein paar Straßen weiter befindet sich ein deutlich älteres, aus hellem Stein errichtetes Bauwerk: die klassizistische Neue Wache, die 1818 entstand, gleichermaßen Wachgebäude wie Denkmal für die Kriege, von denen Europa jahrelang von Kriegen gebeutelt worden war. In der jüngeren Vergangenheit ist sein Zweck deutlich ausgeweitet worden, sodass es nun als eindrucksvolle Gedenkstätte für die »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« dient, in die das Licht durch eine kreisrunde Öffnung in der Decke hinabfällt. Doch das Gedenken an die einzigartige Katastrophe, die Hitlers Krieg und die daraus resultierende Zerstörung über die Stadt brachten, fällt Berlin nicht leicht. Im Frühjahr 1945, als die Amerikaner und Briten sich quer durch Deutschland kämpften und ihre Bomber immer mehr Straßenzüge und Gebäude, darunter reihenweise Wohnhäuser, in Trümmer legten, während die gewaltige sowjetische Armee rund um die Stadt Stellung bezog und ihre Geschosse durch die Luft pfeifen ließ, saßen die ganz normalen Berliner in ihrer Stadt fest und erlebten ausweglose Schrecken. Für das folgende Gemetzel empfand die Welt kein Mitleid. Die Stadt wurde zu einem Schlachtfeld, aus dem die absolute Gewissenlosigkeit des totalen Krieges sprach. Alles, was die Zivilisation ausmachte, wurde dem Erdboden gleichgemacht, und die Berliner mussten derart mühsam um ihr Überleben kämpfen, dass es geradezu unmenschlich war.

Dieses Leid wurde 1945 noch durch einen weiteren Aspekt verstärkt, einen Aspekt, der hinausging über die Bomben und Granaten, die bis zur Unkenntlichkeit entstellte Leichen ohne Hoffnung auf ein Begräbnis in den Straßen hinterließen, über die um sich greifende Selbstmorde, durch die Menschen es vorzogen durch die eigene Hand zu sterben statt in die des gefürchteten Feindes zu fallen, ja, sogar über die im wahrsten Sinne des Wortes unzähligen Vergewaltigungen, die überall in der Stadt Jahrzehnte andauernde Familientraumata auslösten. Die Rede ist von der Tatsache, dass der unversöhnliche Rest der Welt diese Gewalttaten und Grausamkeiten als nachvollziehbar betrachtete – ein letztes Aufbäumen der Sehnsucht nach Vergeltung, so unaufhaltsam wie die Natur selbst. Das Nazi-Regime hatte enormes Leid und den Tod über Millionen Menschen in Europa gebracht. Die einstmals bedeutende und beträchtliche jüdische Bevölkerung Berlins war jahrelang terrorisiert worden, bevor man sie schließlich vertrieb, deportierte und auslöschte. Wie hätten deren Berliner Nachbarn es sich herausnehmen können, der Welt ihr Leid zu klagen? Das sühnende Schweigen legte eine verwirrende Wolke moralischer Ambiguität über die Stadt. Wie total war der Totalitarismus der Nationalsozialisten hier eigentlich?

Der Fall Berlins im Jahr 1945 ist einer dieser Augenblicke in der Geschichte, die gleichzeitig Vergangenheit und Zukunft erhellen; er rückt ins Licht, was vorher war und was danach kam. Was diesen Augenblick ausmachte, war nicht nur der armselige Tod des Mannes, der sich im Mittelpunkt des Mahlstroms befand, oder die Art und Weise, wie sein selbst gesetztes Ende in einem unterirdischen Bunker nach außen drang und offenbar die Auflösung der Grundfesten der Stadt nach sich zog. Genauso wenig handelt es sich um ein Ereignis, das ausschließlich als Teil der Militärgeschichte verstanden werden kann, da es auch eine große Anzahl von Zivilisten betraf – normale Berliner, die die verbliebenen Soldaten, die sie nicht mehr schützen konnten, zahlenmäßig weit übertrafen und mühsam gegen den Wahnsinn kämpften, während ihr Leben aus den Angeln gerissen wurde. Ebenso wichtig sind diejenigen, die bereits in den Jahren zuvor die warnenden Schatten der Gewalt wahrgenommen hatten. 1945 gab es ältere Berliner, die schon den Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution von 1918 erlebt hatten, die sich bereits damals ihren Weg durch vereiste, von Scharfschützen belagerte Straßen gebahnt hatten und nicht das erste Mal unter chronischem Lebensmittelmangel und erbarmungsloser Kälte litten. 1919 war überall in der Stadt ein Plakat aufgetaucht, das eine elegant gekleidete Frau (die personifizierte Stadt Berlin) eng umklammert mit einem Skelett beim Tango zeigte. »Berlin, halt ein! Besinne Dich. Dein Tänzer ist der Tod«, hieß es dort. Das Plakat, das von Paul Zechs gleichnamigem Gedicht inspiriert war, bezog sich auf die öffentlichen Hygienemaßnahmen nach dem Krieg, verwies aber auch auf eine morbide Grundstimmung in der Stadt.

Auf ähnliche Weise wirkte auch der Albtraum von 1945 bis weit in die Zukunft nach. Für die ganz normalen Bürger zog das Ende des Nationalsozialismus noch mehr Gewalt, Entbehrungen, Elend und einen neuen totalitären...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2023
Übersetzer Elisabeth Schmalen, Johanna Wais
Sprache deutsch
Original-Titel Berlin
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Berlin • Berlin-Blockade • Christopher Clark • Die Schlafwandler • Filmstadt Berlin • Geschichte 20. Jahrhundert • Geschichte Berlins • Geschichte der Moderne • Geteilte Stadt • Harald Jähner • Hildegard Knef • Himmel über Berlin • Höhenrausch • Ian Kershaw • Jens Bisky • Mauerbau • Mauerfall • Nachkriegszeit • Philipp Schaefer • Rosinenbomber • UFA-Studios • Wolfszeit • Zwanzigerjahre • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7499-0563-0 / 3749905630
ISBN-13 978-3-7499-0563-8 / 9783749905638
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