Darstellung und kritische Würdigung des Abjekten in Heinrich Wittenwilers 'Ring' -  Hans Heinrich

Darstellung und kritische Würdigung des Abjekten in Heinrich Wittenwilers 'Ring' (eBook)

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2022 | 1. Auflage
392 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-0032-7 (ISBN)
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Die vorliegende Schrift verzeichnet drei Teile: den ersten zum Ekel aus der Kinderstube des Mittelalters, den zweiten zu Ekel und Abjektes aus der Sicht der Anatomie im Ring, den dritten, den Appendix zur Schrift. Kap. 9 bis 19, bzw. der Ring, mögen den Leser jeweils in kleinen Texten amüsieren und informieren. Zur Leseprobe diene der Fließtext zur Anatomie (ungekürzt) aus Teil 2: Abjekte Anatomie will Befreiung von Körper und Haut, die diese Feuchte zusammenhält, mit all den ekligen Stoffen, die man bisher kenngelernt. Es ist, als sei der ,freie' Körper in der Anatomie versteckt und gerade darin freizügig verekelbar, kooperativ, denn Hüdlin lässt die Hose runter, Chnotz öffnet die Nase, der alte Kraut den hinteren Hotausgang, die eine Hand auf dem Oberbauch, die andere Hand woanders, Mätzli den Anus aus dem Fenster, die Lappenhauser das Maul, um sich auf freigelegtes Abjektes untersuchen zu lassen. Die Schrift hat, mit vielen kleinen Themen versehen, Handbuchcharakter. Sie sind alle tematisch um ihre Kapitel versammelt. So kann der interessierte Leser nach Belieben von Blüte zur Blüte fliegen, um Nahrung zur Information einzufahren. Oder die Suche nach Triefnas {in 12.17, ungekürzt): Würde Triefnas gesucht, beschriebe man ihn, wie folgt: Um die dreißig, tapsig-trottelig, wenig auf Äußeres bedacht, ein Typ, der das Nasenwasser im fetzen Augenblick nach der Tropfenbildung vor dem freien Fall bewahrt, weil er das letzte Stück Papier aus Geiz, sich Anzünder zu kaufen, im Kamin verheizt hat. Also müssen die Daumen her, und umgekehrt. Dann trockenlegen mit dem Handrücken, von dort auf die Oberseite der Jackenärmel. Würde man dem die Han reichen? Eine tut es .... Wieviel Unheil wohnt in diesem winzigen Ding! Der Tropfen könntein die Suppe fallen, in die eigene, in den Teller des Tischgenossen ... Wenn also einer behauptet, der Ekel bei Triefnas schlüge nicht um in Komik, bevor er ironisch zu Ekel würde, dann will ich Heinrich heißen, wie Wittenwiler!

Natus sum Iohannes Heinrich a.d. V Idus Maias anno MCMXLII filius patris Guilelmi matris Paulae e gente Zaehringer. Fidei addistus sum evangelicae. Testimonium maturitatis autumno, MCMLXVI discipulus sum universitatis Heidelbergensis, atque per septem annos in studium linguarum recentium incumbebam. His temporibus magistratus emeritus sum scholis Baden-Wuerttemberg regionis.

Exkurs: Kommentar zu Parzival

Parzival gelangt also am Gralshof in den Einzugsbereich der Wunde, die Anfortas verwaltet, verheimlicht, nach außen verbergen soll, deren Geheimnis Parzival ergründen will. Dem tumben toren, ihm fehlt es an Wissen, gelingt das nicht. Also ändere man die Richtung, stellen fest: Parzival (s. Register) gehört zum Fall vorläufig verifizierbarer, tumber Ekelvermeidung, (s. Fürst Dietrich: Siech und Aussatz). Dabei wäre der moderne Parzival, vorweggenommen, ein Bildungsroman, seine Fragen Initiation. Den Stoff der Bildung lieferte das Abenteuer, die Initiation die Fragen Parzivals. Erzähle man so, achte man auf die unter der üblen Wunde versammelten Figuren. In einem Gralsroman über Sünde, Schuld, Erlösung begibt sich Parzival eines Tages auf Abenteuer, trifft auf Anfortas in Nöten. Eine vergiftete Lanzenspitze verletzt Anfortas an den Hoden, eine Verwundung, die nicht heilen will. Die dadurch verursachte sexuelle Impotenz der Wunde, ihr ekliger Gestank, gefährden den Fortbestand feudaler Ordnung, mit ihr die Dynastie der Gralsburg. Im Parzival benutzt Wolfram von Eschenbach für die Wunde des Anfortas an den Hoden, an dem lîbe hât geletzet (239, 27, 15), das Wort ungenâde (240,8), für eine unheilbare Wunde an einem delikaten Ort des genius loci, den man schamhaft sich zu scheuen nennt. Soweit der ,eklige‘ Einstieg in Kürze. Wilhelm Kellermann123 z. B. hat sich im Percevalroman des Chrestien ausnehmend detailliert auch mit der Parzivalfrage beschäftigt. Lasse man den Perceval beiseite, erspüre, was an Gerüchen durch Wolframs Texte schimmern will. Dazu beobachten wir Parzival, auf dem Weg zur Wunde in der Gralsburg, versetzen uns - close reading - in seine Erlebnisse, begleiten ihn auf der Reise. Rücke man die verworrene Handlung zwischen versäumter und zweiter Frage ein in den Kontext der Unterkapitel, folge dem von Einschüben unterbrochenen Patchwork der Erzählstruktur, dann ergeben sich Zusammenhänge, die er, tumber thor, nicht versteht. Man bemitleidet keinen Gestank, allenfalls die leidvolle Lage, in die Anfortas unverschuldet geraten ist. Der Wandel vom Unwissenden zum Wissenden lautet: Auch ohne Fragen werde ich erfahren: âne vrage ich vernim (239,16).

Ein weiterer Wandel, begünstigt durch Mitleid: ouch riuwet mich (240,7), durch den Schritt zur Einsicht (240,9), betrifft Parzival unmittelbar. Die unterlassene Frage und das drohende Scheitern der Gralsburg-Dynastie, Cundrie, im übrigen eklig und grundhässlich, verflucht den tumben toren, weil er kein triuwe, kein Mitleid gezeigt habe, danach Parzivals Wandel vom tumben toren zum ,wissenden‘ Ritter, der sich mit der zweiten Frage dem Ekel stellt. Man kann Parzivals Wandel als Bewährung der triuwe mittels zweiter Frage nach dem Woher der üblen Wunde betrachten. Was man nicht vermeiden kann, versteckt man vor Sicht und Geruch. Eingangs hatte man damit Erfolg, denn das durch die zweite Frage begrifflich Erfasste der üblen Wunde, von Ekel sollte man (noch) nicht sprechen, führt, inzwischen kontrolliert, zum Fest. Frage man dem Kontext der Unterkapitel, folge dem von Einschüben unterbrochenen Patchwork der Erzählstruktur. Die Handlung, besser: die Behandlung der Wunde und ihrer Mitstreiter, Siech und Gestank, steht ins Haus. Derweil hängt der Geruch des Parzival, der gestankliche Einzugsbereich der üblen Wunde zwischen erster und zweiter Frage, urgewaltig, nicht wegzukriegen. Sie hängt unter einer Glocke über der Gralsburg, wartet auf seine Befreiung, in Ausschnitten konzentriert auf die Bücher III-VI und V-XVI.

der tumbe tor: Das Epos führt ihn ein als einen, der seinen eigenen Namen nicht kennt, ihn von Sigune erfährt. So nenne ihn die Mutter, besorgt: Rehte inmitten durch. (140,17)124 Der tumbe tor, der einfältige Held (169, 15), fragt die Mutter, was ist Gott? (119, 14), nervt sie mit den Fragen des Sokrates,125 und er, gebrannt, sieht Fischer, hält sie für ,Herrscher über alle Reiche dieser Erde‘ (übers.: 225, 10-11), vertauscht Illusion mit Wirklichkeit.126 Herzeloyde (119,14) spricht vom höchsten Gott, weckt die Neugier ihres Herzensknaben. Parzival der Person, noch der Sache unwissend, will wissen: ôwê muoter, waz ist got? (119, 17), was ist ein Ritter? Seine Frage nach dem ,waz‘, statt ,wer‘ klärt weder Sache, noch Person. Die Mutter versteht diese Unkenntnis nicht, erklärt ihm die Frage nach einer Person, nâch menschen antlitze. (119, 20, 21). Die Frage: was hast du?, nach unbekannter Sache, scheint berechtigt, denn: was fehlt dir? bedeutet, dass die Sache bekannt ist, besteht. Mit der Frage: was fehlt dir? legt sich Parzival auf paradoxerweise auf Bekanntes fest, das man doch erst erfragen müsste, oder, was Parzival nicht befragt, nicht existiert. Nun, Parzival fragt nicht. Der Grund: Er ist nie einer ekligen Sache begegnet, die es zuerst zu erfragen gilt. Ein anderer wäre, der Hof vermiede den hinterfragten Ekel. Oder: das, was Parzival nicht befragt, eben nicht existieren kann. Die Sachfrage, noch ist das Wachs über die Neugier nicht geschmolzen, wird später, in der ersten Frage, Folgen haben. Er kann nicht nach der Wunde fragen, weil er eine solche Empfindung nicht kennt. Dessen ungeachtet wird er von Anfortas per Gebärde der Einladung, der Schwertgabe, zur ungestellten Frage ermuntert. Ein Ausweg aus den Fragewirren des Parzival wäre die Annahme: die Wunde entstand daher nicht, als Anfortas vom Speer getroffen, sie entstand in Parzivals Einbildung, und so hätte diese Einbildung Parzival von der ersten Frage abgehalten. In Parzivals Einbildung ist die Wunde Realität, sonst entstünde für das Epos kein narratives Moment, von dem es lebt. Im übrigen darf Anfortas als göttlich verehrte Figur keine solche Wunde führen. Scheint plausibel. Vermutlich genügte es Wolfram, sich so zu verhalten, dass es weder Hof noch Tischnachbarn ekelt, oder er bestätigt auf Einwände von außen den Wandel per Nennung in der zweiten Frage. In Parzivals Einbildung wäre die Wunde des Anfortas das Erdichtete, so darf man annehmen, die Ungefragte das Erdachte. Ist die Einbildung bewusste Weigerung Parzivals vor der Erkenntnis erdichteter Wahrheit? Immerhin, die Burg, als blühende Pflanze präsent, erscheint Parzival, dem tumben tor, so prächtig wie die strahlenden Rüstungen der Ritter zu Beginn. Blendungen behindern die Sicht auf das reale Dahinter, mindern das Erkenntnisvermögen, trüben es ein.

Wie kann man Inexistentes vermeiden, per Anordnung, per Regel, per Wahrnehmung erkennen? Das ist dem tumben toren fremd, weil er fühlt, bevor er denkt. Parzival stellt keine Frage an den ,körperlosen‘ Körper; der körperlich Gewandelte wird sie stellen. Auch ohne Frage vermeint Parzival die Gründe dieser Schmerzen zu erfahren, doch das schlechte Gewissen unterlassenen Mitleids stellt sich ein.

Parzival beim Fischer Trevrizent: Zurück, in Buch V, (S. 224 ff.) trifft Parzival, Abenteurer, auf der Suche nach einer Herberge auf einen Fischer am See. Parzival erfährt durch ihn zum ersten Mal vom Leiden des Burgherrn Anfortas: Er lebte niht wan töude (230,21), sei der wirt jamers rich (230,30). Dass der truric man sein Oheim wäre, so erzählt ihm Trevrizent (491,6 ff.), was im übrigen einer der Gründe der ungestellten Frage sei. Er möchte Anfortas am See, in der Nähe weilend, als enger Verwandter des Parzival nicht vor allen schamhaft brüskieren. Dort ist es der Gestank der schwärenden Wunde, welcher ihn belästigt, indirekt nachgewiesen durch das Gegenmittel wie milde Seeluft z. B., doch es nützt nichts. Die Andeutung der Wunde des schwer gezeichneten truric man, so empfindet es Parzival, scheint ihm so diskret schwärend wie die Trauer auf der Gralsburg um das Leiden des Königs.

Die versäumte Frage: Einführend zitiere ich Dallapiazza127: das Frageversäumnis wird zwar ange- sprochen, die Art der Frage bleibt vorerst im Dunkeln. Ekel verdient eher Ablehnung als Mitleid, bleibt allenfalls die Neugierfrage nach dem Grund des Gestanks, dem Grund des Versäumnisses und dem kann Parzival, siehe Frageverbot des Gurmanz, nicht nachkommen. Das Versagen ritterlicher Erziehung steht im Raum. Er achtet auf Gurnemanz‘ Warnung, unterlässt die Frage durch zuht (239,10), sein Mangel an triuwe missdeutet wörtlich dessen Lehrmeinung. Nach Bumke handele es sich um eine Fehlleistung der Wahrnehmungsfähigkeit.128 Er verantwortet das Frageversäumnis auf Munsal- vaesche als eine Fehlleistung der Wahrnehmungsfähigkeit Parzivals. Oder: die Ekeltiefe dieser Wunde entschuldigt Parzivals Fehlleistung, weil ihm die Wahrnehmung ob seiner tumpheit (484,28) fehlt. Obgleich Anfortas durch eine einzige Frage hätte erlöst werden können: des im von vragen nu waere...

Erscheint lt. Verlag 4.7.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-7534-0032-7 / 3753400327
ISBN-13 978-3-7534-0032-7 / 9783753400327
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