Ritterromantik (eBook)
280 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-7096-5 (ISBN)
Der dänische Autor Valdemar Vedel (1865 - 1942) machte 1882 seinen Abschluss an der Metropolitan School und 1887 an der juristischen Fakultät. 1888 erhielt er die Goldmedaille der Universität für eine philosophische Abhandlung über Recht und Moral und 1890 den philosophischen Doktortitel mit Studien über das Goldene Zeitalter in der dänischen Dichtung. Er war Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften. Sein Schreibstil ist eindringlich, lebendig und farbenfroh; er legte sein Material gerne reichhaltig aus, so dass der Leser es stark und sofort erfassen kann.
I. VON DER BARONENBURG BIS
ZUM RITTERHOF.
Unser Ausgangspunkt ist die Anarchie des Adels, die im 11. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland ihren Höhepunkt erreichte. Durch das monotone Klosterlatein der Chroniken hindurch begegnen wir dem Lärm und dem Durcheinander des unaufhörlichen Streits der großen Herren - durch das eines Raoul Glabers von Cluny, des Abtes Guibert von Nogent, des Ordericus Vitalis in seinem Kloster in der Normandie sowie des bayerischen Abtes Ekkehard oder des Sassener Bischofs Tietmar. Die Vasallen der Krone herrschen fast völlig unabhängig voneinander, jeder in seinem eigenen kleinen Land; in Frankreich unter den schwachen Kapetingern, in Deutschland unter dem allgegenwärtigen Kampf der sächsischen Kaiser mit den Päpsten. In Frankreich sind sie Herzöge wie die der Normandie, Burgund, Aquitanien, Grafen wie die von Flandern, Poitou oder Toulouse. In Deutschland die Herzöge von Bayern, Schwaben, Sachsen, die Markgrafen von Babensberg in Österreich, die Pfalzgrafen von Wittelsbach und die Landgrafen von Thüringen. Und unter ihnen ein ganzes Heer von Kleinherren und gemeinen Baronen, die sich untereinander und mit ihren Lehnsherren ebenso häufig streiten wie letztere mit der königlichen Macht. Jedes Frühjahr ziehen die Fürsten und ihre Gefolgsleute in die Schlacht, um ihrem Nachbarn ein Stück Land abzunehmen. Wegen der einen oder anderen Beleidigung, aus Blutrache oder zum Zeitvertreib plündern sie die Gehöfte und Händler entlang der öffentlichen Straßen oder brennen Städte und Klöster nieder. In Anjou wütet der schwarze Graf Foulques wie eine wilde Bestie, in der Normandie erheben sich die Bauern in ihrer Verzweiflung gegen ihre Unterdrücker, werden aber mit einer Grausamkeit wieder niedergeschlagen, deren bizarre Ereignisse in den Chroniken kaltblütig festgehalten sind, in Brügge ermorden die verschwörerischen Barone den "guten" Grafen Karl mitten in der Kirche und nutzen diese dann als Festung gegen den König und die Bürger. In Guiberts Fall kann man nachlesen, wie die intrigante Gräfin von Namur, Enguerrand de Coucy und sein blutrünstiger Sohn Thomas de Marle die Bezirke von Laon jahrelang in ständiger Unordnung hielten. Und die deutschen Chroniken sind voll von Berichten über die Art und Weise, wie es manchem Heinrich von Welfen und manchem Friedrich von Staufen gelang, die fränkischen und schwäbischen Provinzen in Ordnung zu halten.
Wie grob und ungeschickt sie sind, all diese "Baronessen" und "Milites"; mit einem robusten Gewissen und einem fröhlichen Gemüt prügeln sie ihre Mitmenschen zu Tode, gierig wie Geier stürzen sie sich auf Güter und Vieh und wie wahnsinnige Stiere auf Frauen. So äußerlich wie ihre Beziehung zum Gesetz und zur Gerechtigkeit ist, so ist auch ihre Beziehung zum Christentum. Man hat ihnen immer wieder eingehämmert, dass man getauft sein, die Messe besuchen, fasten und zur Kommunion gehen muss, um gerettet zu werden, und das tun sie auch. Im Gegenteil: Wie Rebellen stellen sich die Barone in ihrer Anarchie gegen die Kirche, da sie sich dem Gesetz und der Gesellschaft widersetzen. Es ist nicht nur Gesetzlosigkeit, die dort herrscht, sondern eine bewusste Hemmungslosigkeit. Die Barone sind nicht nur ohne Moral, sie haben eine gottverlassene Wildheit, die an die Titanic der italienischen Renaissance erinnert. Einer von ihnen macht sich einen Spaß daraus, seinen Beichtvater am Karfreitag zu einem kolossalen Festmahl einzuladen und ihm seinen dicken Bauch zu zeigen, "voll von der Ehre Gottes"; ein anderer hält sich einen ganzen Harem, d.h. ein Bordell, das einem Nonnenkloster gleicht. Eine Frau nach der anderen wird betrogen, dem Nachbarn gestohlen und von der Kirche gezwungen, sowohl die Scheidung von einem als auch die Heirat mit dem nächsten zu legalisieren. Ein Baron lässt seine Gefangenen an den Genitalien oder an den Daumen aufhängen und hängt schwere Steine an sie, um ihr Gewicht zu erhöhen. Ein anderer, der es mit seinem Lehnsherrn getrieben hat und ihn schließlich in seine Gewalt gebracht hat, wirft ihn ins Gefängnis, lässt ihn aber im Winter in einem nassen Hemd vor ein offenes Fenster im Gefängnisturm stellen, bis das Hemd im eisigen Wind gefriert. Ein normannischer Ritter und seine Frau lassen einen uneinnehmbaren Turm bauen. Als er fertig ist, lässt die Burgherrin den Baumeister töten, um sicherzustellen, dass er nicht auch für seine Nachbarn einen solchen Turm baut. Kurze Zeit später jagt sie auch ihren Mann davon, weil sie allein sein will. Aber er sieht eine Chance, wieder hereinzukommen und lässt sie töten.
Diese und ähnliche Dinge mögen den Chronisten veranlassen, ein "ahh" und "wehe" auszustoßen und den Fluch der Kirche zu beschwören. Und doch gibt es in all dieser Widerspenstigkeit Kräfte, von denen die Augen der Menschheit nur die böse Seite gesehen haben. Die ideale Seite, die Ideale und Bestrebungen, die in ihren besten Momenten die Anarchie des Adels belebten, entfalten sich vor uns in den Nationalepen, die von Adeligen aus Fleisch und Blut auf der Grundlage alter Sagen und Legenden geschaffen wurden. In Frankreich haben wir sie noch ganz rein in der "Chanson de Roland" und einigen anderen der älteren "Chansons de geste", in Deutschland ist sie im "Nibelungenlied" und im "Goedroen" mit einer Schicht von Ritterlichkeit überzogen, die erst einmal abgeschält werden muss. Aber durch das raue Treiben dieser Gedichte schimmert ein edler und kämpferischer Geist von hohem menschlichen Wert durch.
Nehmen Sie zum Beispiel den verzweifelten heroischen Kampf Rolands und seiner Mitstreiter bei Ronceval gegen die sarazenischen Heere oder Ogier li Danois, der seine Burg ganz allein gegen die Armee Karls des Großen verteidigt. Oder die Geschichte von Siegfried, der Brynhilde heiraten will, und das Massaker der Nibelungen im Hunnenland auf den Fahrten der Wikinger und die heftigen Seeschlachten in "Goedroen". Es sind Bilder eines mächtigen Schicksalsspiels, in dem es um Leben und Tod geht, kraftvolle große Töne und herzzerreißende Tragödien. Verherrlichung des Mannes und des Männlichen, Verherrlichung des Lagers und der Schlacht. Diese heroischen Gedichte verkünden auch die Moral einer elementaren Kriegsehre, sie besingen das, was Roland und Olivier verbindet, und Hagen und Volker und malen den Häuptling und seine Getreuen, Karl den Großen und seine zwölf Paare, Didrik von Bern mit seinen zwölf "Recken". Das große Idealbild des kriegerischen Königs und seines Adels ist Karl der Große auf seinem "faldestueil" im Königssaal in Aachen, im Rat mit seinen Baronen oder an der Spitze seines Heeres am Morgen der Schlacht.
Aber dies ist Teil der älteren Schichten der heroischen Gedichte, die Inspiration aus dem primitiveren Stadium der Gesellschaft der Clans. Während des Zerfalls des alten Soldatenkönigtums und der Anarchie der Barone ging das Interesse der epischen Dichtungen auf die Vasallen und die Barone über und sie schildern nun den Kriegsadel in seinem gewaltigen Kampf mit den unfähigen und despotischen Fürsten - die Aufständischen stellen sich in den Vordergrund der französischen Heemskinderen oder des deutschen Herzogs Ernst - und die Fehden der Barone untereinander, dieselben, die auch die Chroniken schilderten. Aber auch Begon, der "Dämon des Krieges" und Raoul de Cambray aus den Chansons de geste oder Hagen und Krimhilde aus dem Nibelungenlied haben eine Art von Idealität; Wie sie es nicht zulassen, sich mit genialer Kraft auf ihrer "Baronskappe" oder ihrem "Reckenthum" als Adlige zu präsentieren, die weit über Mönchskutten und Hausierer und die gemeine Menge erhoben sind, sie, die Herr ihres eigenen Willens sind und keinem anderen Gesetz von Mensch oder Gott gehorchen als dem, das sie sich selbst vorschreiben.
Im doppelten Spiegel von Chronik und Epos betrachtet, ist dies die noble Anarchie in Frankreich und Deutschland. Aber im 11. und 12. Jahrhundert - wir befassen uns vorerst vor allem mit Frankreich - vollzieht sich eine Entwicklung, die sowohl in der einen als auch in der anderen Gattung bereits im Keim vorhanden ist und die schließlich zu einer Entwicklung führt, die über die Barons-Tatsachen und Barons-Ideale hinausgeht.
Aus dieser Anarchie erhebt sich wieder eine soziale Ordnung. Die Schlösser, die die Barone im ganzen Land gebaut haben, um ihre eigene Macht zu schützen, sind zu den Zellen einer neuen Gesellschaft geworden. Hinter den Mauern und Gräben wird in diesen Schlössern ein Leben in gewissem Maße sicheren Wohlstands geführt; die Familie und der Haushalt werden zu einer Einheit, besonders an den einsamen Winterabenden, wenn Krieg und Jagd erledigt sind. In den Gedichten sehen wir den Baron mit seiner Frau am Kamin sitzen, sie herzlich küssen und sich am Spiel einiger kräftiger Jungen erfreuen, oder er ist mit seinen Männern in der Halle und hört einem Sänger zu, der die Heldengedichte vorträgt. Wenn es nichts anderes zu tun gibt, üben die Leute mit ihren Waffen, spielen mit dem Pendel oder tanzen. Sie fangen auch an, das Haus zu verschönern; die Balken werden schön geschnitzt und mit Ornamenten verziert, die Wände werden bemalt oder mit bestickten Tapeten versehen. Das Leben der Barone wird gemütlicher und emotionaler, eine gewisse...
Erscheint lt. Verlag | 24.6.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
ISBN-10 | 3-7562-7096-3 / 3756270963 |
ISBN-13 | 978-3-7562-7096-5 / 9783756270965 |
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