Lebendige Seelsorge 2/2022 (eBook)
80 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06552-2 (ISBN)
Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.
Ute Leimgruber, Dr. theol., Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg.
THEMA
Transformation: Das Projekt Gottes mit der Welt?
„Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde“ (Jes 43,19). Mitten in der Geschichte verheißt Gott Transformation. Transformation: Lässt sich so Gottes ‚Weltprojekt‘ zusammenfassen oder wird diese Vorstellung problematisch, wenn man sie näher durchdenkt? Lisanne Teuchert
Transformation ist ein formaler Begriff, der das Woher und Wohin des so beschriebenen Prozesses erst einmal offenlässt. Der Begriff sagt nur so viel: Es geht um einen Prozess der Umformung. Veränderung entsteht nicht aus dem Nichts, sondern durch Umgestaltung des Vorhandenen.
Systematisch-theologisch erinnert der Begriff an die Themen von Schöpfung und Neuschöpfung. Schon biblisch steht neben der Vorstellung einer creatio ex nihilo – einer Schöpfung aus dem Nichts – die Vorstellung einer Schöpfung durch Formung: In Gen 2 formt Gott den Menschen wie ein Töpfer aus Erde und Staub. Noch mehr verweist der Begriff der Transformation aber auf die Vorstellung einer Neuschöpfung (vgl. Thomas 2009). Denn wenn Gott die Welt am Ende der Zeit ‚neu schafft‘ (vgl. Jes 43,19), „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1) verheißt, dann ist ja schon etwas da: die alte Schöpfung mit ihrer Geschichte, ihren Abermillionen Menschen, Tieren und Pflanzen, ihren Verirrungen und Erfolgen, ihren kollektiven und individuellen Tragödien und Wundern.
TRANSFORMATION DER SCHÖPFUNG – NOCH NICHT UND SCHON JETZT
Günter Thomas hat dementsprechend Transformation als ein Modell dafür ausgemacht, wie sich das neuschöpferische Handeln Gottes vorstellen lässt. Er grenzt es ab von Restitution und Substitution (vgl. Thomas 2009, 23–25). Anders als bei einer Substitution, die das Vorhandene schlicht durch etwas Neues ersetzt, bleibt bei einer Transformation eine gewisse Kontinuität gewahrt. Was ist, wird nicht ausgelöscht, sondern verwandelt. Es gibt durchaus theologische Traditionen, die eine Substitution der Welt durch Gott nahelegen, die von einer Annihilation am Ende der Zeiten sprechen, einfach weil der Zustand der Welt so verloren scheint. Harald Welzer unterscheidet eine Transformation ‚by design‘ von einer Transformation ‚by disaster‘: In diesen Traditionen aber fallen ‚design‘ und ‚disaster‘ zusammen. Das Desaster ist Teil des Plans – und zwar des Plans zur Rettung der Welt. In der Transformation bleibt das Vorhandene bestehen, auch wenn es umgeformt wird. Anders als bei einer Restitution, die zurück zu einem ursprünglichen paradiesischen Zustand springt und die „sehr gute“ (Gen 1,31) Schöpfung wiederherstellen will, bleibt das, was gewesen ist, in der Transformation nicht nur bestehen, sondern auch von Bedeutung. Die Schöpfung wird nicht auf ‚reset‘ gestellt. Dieser Kontinuitätsaspekt von Transformation scheint in gegenwärtigen Verwendungsweisen eher im Hintergrund zu stehen, geht es doch zum Beispiel in kirchlichen Prozessen um die Veränderung, den Aufbruch, die Anpassung an neue Gegebenheiten. Vielleicht, weil der absolute Neubeginn mitten in unseren Bezügen und Geschichten für uns kaum jemals möglich ist.
Lisanne Teuchert
Dr. theol., Habilitandin im Fach Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum; Promotion zur Vorsehungslehre aus eschatologischer Perspektive; ordinierte Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Wenn Gott am Ende also transformativ, verwandelnd, umformend handelt – und dieses Modell favorisiert Thomas –, prägt das im Sinne präsentischer Eschatologie nicht auch, wie Gott gegenwärtig in der Welt handelt? Hebt das „Neues Schaffen“ (Jes 43,19) nicht schon mitten in der Geschichte an? Formt Gott nicht die Welt kontinuierlich in seinem Sinne um? Auch wenn es um Gottes gegenwärtiges Handeln in Natur, Geschichte und individuellem Leben geht, müsste das nicht zwangsläufig ohne Einbeziehung des Vorhandenen, der bestehenden Schöpfung und ihrer eigenen Entwicklung und Bewegung geschehen, sondern könnte sich auch in der Arbeit mit und am Vorhandenen ereignen. Gottes Handeln in der Welt muss also nicht so aussehen, dass Gott gegen die Schöpfung und ihre Eigenlogik handelt, d.h. interveniert, das eine aussetzt und das andere an seine Stelle setzt, sondern könnte zumindest auch als Transformation verstanden werden, die zielstrebig, aber auch bewahrend die Welt verwandelt.
Als solches klingt das zunächst attraktiv, führt die Interventionsvorstellung doch nicht erst neuzeitlich zu Problemen im Wirklichkeitsverständnis, sondern schon prinzipiell zu Anfragen an das Gottesbild, Gottes Verhältnis zu seiner Schöpfung und zur Frage, warum Interventionen ausbleiben, also zur Theodizee. Attraktiv bleibt das Transformationsmodell auch bei näherem Hinsehen, es wirft aber Fragen und Probleme auf, die zu bedenken sind. Diese Fragen und Probleme zeigen zugleich die Leistungen und Grenzen davon auf, Transformation als Überbegriff für Gottes ‚Weltprojekt‘ zu verwenden.
In der Transformation bleibt das Vorhandene bestehen, auch wenn es umgeformt wird.
WIE OFFEN IST DER TRANSFORMATIONSPROZESS?
Woraufhin verwandelt Gott die Welt? Sicher auf das Reich Gottes oder die neue Schöpfung hin. Aber je mehr Gott das Vorhandene in sein Handeln einbezieht – also auch das, was Menschen für sich und andere entscheiden und vollziehen, im Guten wie im Bösen –, desto mehr kann fraglich werden, ob Richtung und Ziel noch erkennbar bleiben. In der Theologie gibt es unterschiedliche Modelle für diesen Prozess. In stark deterministischen Modellen und in Geschichtstheologien, die von einem klaren Progress ausgehen und dabei höchstens vorübergehende Intermezzi zulassen, bleibt der Transformationsprozess sehr geschlossen. Dafür wird auch kaum mit gegenläufigen Ereignissen gerechnet, die diesen Prozess irritieren könnten. Ganz im Gegensatz dazu geht etwa die Prozesstheologie von radikaler Offenheit aus. Gott könnte mit seiner Verwandlung der Welt auch scheitern. Er lockt sie zwar in die richtige Richtung, aber ob die Geschöpfe darauf eingehen – wer weiß. Sicher ist nur: Gott verwahrt alles Gewesene in seinem Gedächtnis. Was das sein wird, bleibt offen. Dafür allerdings bedenkt die Prozesstheologie wie kaum eine andere theologische Richtung den kooperativen Grundmodus des Handelns Gottes. Der Offene Theismus (Open Theism) – eine jüngere Strömung in den USA, die sich in Anknüpfung und Abgrenzung zur Prozesstheologie versteht (vgl. einführend Pinnock u.a.) – möchte diesen kooperativen, gewaltlosen Aspekt beibehalten. In Beziehung zu stehen, offen zu sein für die Geschöpfe, sich von ihnen affizieren zu lassen, das wird dort als wichtiger Teil des biblischen Zeugnisses über Gottes Wesen gesehen. Deswegen bleibt Gott beeinflussbar und der Transformationsprozess irritierbar; oft genug muss Gott ‚Zick-Zack-Wege‘ gehen, um sein Ziel zu erreichen. Der Offene Theismus hält aber anders als die Prozesstheologie an einer klaren Hoffnungsperspektive fest: Gott habe vor allem in der Auferstehung gezeigt, dass sein Handeln auch gegen größte Widerstände letztlich zum Erfolg führt. Aufgrund dieser „soliden Erfolgsgeschichte“ (Sanders, 187f.) hätten wir Grund, an einem guten Ausgang der Umformung der Welt festzuhalten. Der Offene Theismus versucht damit einen Mittelweg, dessen Anliegen verständlich ist, hat allerdings Mühe, das hohe Risiko, das Gott eingeht (vgl. Sanders), wieder einzufangen. Dabei enthält dieser Weg jedoch einen richtigen Hinweis: den Hinweis auf den Hoffnungsstatus von Aussagen über Gottes Handeln in der Welt wie über das Ende der Geschichte. Zur Hoffnung muss aber auch Grund sein.
Die erste systematische Frage, die sich an die Vorstellung von einer Transformation als ‚Weltprojekt‘ Gottes stellt, lautet also: Wie offen muss die Transformation der Welt durch Gott gedacht sein, damit die Freiheit der Geschöpfe ihren Platz hat, die Geschichte der Schöpfung gewürdigt wird, der bewahrende Aspekt des Handelns Gottes und seine Kooperation mit den Geschöpfen zum Tragen kommt und als Teil eines Beziehungsgeschehens formuliert werden kann? Und wie geschlossen muss die Transformation der Welt durch Gott gedacht sein, damit die Hoffnung, wie sie in der christlichen Eschatologie gebündelt ist, und die Glaubwürdigkeit der endzeitlichen Verheißungen, wie sie biblisch bezeugt sind, aufrechterhalten werden können?
WIE INVOLVIERT IST GOTT IN DIESEN TRANSFORMATIONSPROZESS?
Eine weitere Frage, die systematisch-theologisch in diesem Zusammenhang zu denken gibt und bereits angeklungen...
Erscheint lt. Verlag | 22.4.2022 |
---|---|
Mitarbeit |
Anpassung von: Hildegard Wustmans |
Verlagsort | Würzburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
Schlagworte | Pastoral • Seelsorge • Transformation |
ISBN-10 | 3-429-06552-6 / 3429065526 |
ISBN-13 | 978-3-429-06552-2 / 9783429065522 |
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