Deutsch - Eine Liebeserklärung (eBook)
192 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60211-2 (ISBN)
Roland Kaehlbrandt, geb. 1953, ist Sachbuchautor, Sprachwissenschaftler und Experte für sprachliche Bildung. Er ist Honorarprofessor für Sprache und Gesellschaft an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Als Sachbuchautor und Sprachwissenschaftler veröffentlicht er Ende September 2022 »Deutsch - eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache.« Als sprachbegeisterter Stiftungsexperte hat er große Bildungsprojekte wie den Bundeswettbewerb »Jugend debattiert« und den Rechtschreibwettbewerb »Deutschland schreibt!« wie auch den »Deutschsommer« auf den Weg gebracht. Er ist Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 14/2023) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 13/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 12/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 11/2023) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 10/2023) — Platz 11
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 09/2023) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 08/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 07/2023) — Platz 15
Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt lehrt Sprachwissenschaft an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Seine Beschäftigung mit der deutschen Sprache verdankt sich einem mehrjährigen Aufenthalt im sprachverliebten Frankreich. Um die Sprachkultur in Deutschland zu fördern, hat er mit Stiftungen Projekte wie den "Bundeswettbewerb Jugend debattiert" und den Rechtschreibwettbewerb "Deutschland schreibt!" auf den Weg gebracht. Kaehlbrandt ist Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Erster Vorzug: einfühlsam und ausdrucksstark
»Freilich nun wohl – setzen Sie sich und trinken Sie eins. Heute sind Sie meine Gäste.«
Heinrich Mann, »Professor Unrat«
Wenn wir im deutschen Sprachraum Zeugen von Unhöflichkeit sind, so liegt es jedenfalls nicht an der deutschen Sprache. Im Gegenteil, als wüsste die deutsche Sprache, dass Barschheit bei uns so häufig ist, hat sie uns gerade eine Vielzahl von freundlichen, kommunikationsfördernden Partikeln an die Hand gegeben. Sie werden im Deutschen besonders häufig verwendet.
Ausgerechnet die deutsche Sprache soll Freundlichkeit begünstigen? Manche Vorurteile sprechen eine andere Sprache. Das Deutsche sei ein barbarischer Jargon, den man gerade noch mit den Pferden sprechen könne, urteilte der französische Philosoph Voltaire. Auch Kaiser Karl V. sprach, wie er kundtat, zu Gott auf Spanisch, mit seiner Geliebten Italienisch, mit Freunden Französisch und zu Pferden Deutsch. Und doch, gerade das Deutsche bietet eine Fülle liebenswürdiger kleiner Wörter an, die geeignet sind, unser Verhalten positiv zu beeinflussen und den Kontakt zu anderen zu erleichtern. Es sind Wörter, über die in der Schule oft kritisch geurteilt wurde: Es seien Füllwörter oder Flickwörter, man solle sie meiden, weil sie nichts Echtes zu bedeuten hätten; es seien Verlegenheitswörter, um das eigene Zögern zu verdecken. Stattdessen solle man seinen Verstand gebrauchen, seine Wörter vor dem Sprechen sorgfältig wählen, dann könne man auf diese Füllwörter getrost verzichten.
Ganz falsch! Wir brauchen sie!
Es ist nämlich gerade so, als hätten unsere Vorfahren diese vielen kleinen freundlichen Wörter erfunden, weil sie wussten, dass so mancher zu Grobheiten neigt, weshalb sie Vorsorge trafen. Ja, man könnte zu dem Schluss kommen, die deutsche Sprache stelle so viele und so häufig gebrauchte freundliche Wörter bereit, eben weil die Deutschsprachigen zu Grobheiten neigen. Aber sollen wir im Umkehrschluss vermuten, die Franzosen neigten von Natur aus eher zur Höflichkeit, weshalb diese freundlichen kleinen Wörter im Französischen zu rund 40 Prozent weniger verwendet werden als im Deutschen?[2] Das ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls stellt die deutsche Sprache diese Wörter zur Verfügung, und man sollte sie nicht als überflüssig betrachten, sondern die Vorzüge erkennen, die sie bieten.
»Wie heißt du denn?«, fragen wir das Kind eines neuen Nachbarn. Das ist netter und verbindlicher als die krude, fast schon fordernde, unmittelbar gestellte Frage: »Wie heißt du?« Das kleine Wörtchen denn schafft den Unterschied.
»Mach’s halt!«, lautet die milde Aufforderung des Vaters an seinen Sohn, in der Dunkelheit den Dynamo an seinem Fahrrad anzuschalten, auch wenn es unter seinen Altersgenossen aus unerfindlichen Gründen als uncool gilt. Wenn die Sorge der Eltern schon nicht einzusehen ist, so versteht der Sohn zwischen den Zeilen, dann solle er es doch bitte, bitte aus reiner Gefälligkeit ihnen gegenüber tun! Das kleine und unscheinbare halt erzeugt den kameradschaftlichen Ton, der dem Nachwuchs womöglich das Einlenken erleichtert. Was würde hingegen der schlichte Befehl »Mach’s!« in einer modernen Verhandlungsfamilie bewirken? Vermutlich nichts als Trotz.
»Wo bleibt sie bloß?«, lautet die besorgte Frage der Mutter an eine Freundin, weil die Tochter nicht nach Hause gekommen ist und es spät wird. Gewiss, dieses kleine bloß fügt zu der Frage, wo die Tochter bleibe, keinen neuen Sachverhalt hinzu. Aber es deutet die Sorge der Mutter an, und damit verleiht es der Frage die kommunikative Bedeutung. Dem schlichten »Wo bleibt sie?« ginge hingegen der entscheidende Mitklang ab, der durch das Wörtchen bloß erzeugt wird. Es geht ja eben gerade nicht nur um eine schlichte Informationsfrage, die die Gesprächspartnerin sachlich beantworten könnte, sondern um den Ausdruck der Sorge, ob der Tochter womöglich etwas widerfahren und dies der Grund für ihr Nichtkommen sein könnte. Wir sehen also, wie wichtig, ja entscheidend dieses bloß ist. Und damit erkennen wir auch, wie wichtig neben der rein sachlichen Frage die Tönung ist, die wir ihr geben. Die von der Mutter gestellte Frage würde auch ohne das Abtönungswort bloß nichts an ihrem Sachgrund einbüßen, so wie sie durch das Wörtchen auch keinen Wahrheitswert hinzugewinnt.
Unsere kleinen Freunde, die Partikeln, tragen keine eigene lexikalische Bedeutung. Wohl aber ist es die Haltung, die Stimmung der Fragenden, die durch diese »Zaunkönige im Pelz der Sprache«, wie der Linguist Peter Eisenberg sie fast schon zärtlich nennt, zum Ausdruck kommt. Und dies, den Ausdruck von Stimmungen, leisten diese kleinen Wörter meisterlich. Mit ihrer Hilfe ist unsere kommunikative Absicht fein und nebenhin eingeflochten und wird nicht mit großen Worten in die Welt hinausposaunt.
Wie fein die kommunikativen Unterschiede sein können, zeigt eine leichte Abwandlung. Hätte die Mutter nicht »Wo bleibt sie bloß?«, sondern »Wo bleibt sie denn?« gefragt, wäre der Mitklang deutlich harmloser, gewissermaßen in der Art wie »seltsam, sie wollte doch pünktlich sein«. Das Wörtchen denn ist verbindlich, weich, abmildernd. Dass man im Deutschen mit einem schlichten Austausch von kleinen Wortpartikeln auf einfache Weise eine Frage in ein ganz anderes Licht rücken kann, ist für die Verständigung sehr hilfreich.
Das Beispiel der Partikeln zeigt im Übrigen, dass Menschen, die die deutsche Sprache als Fremdsprache erlernen, nicht nur grammatische Kenntnisse erwerben müssen, sondern auch Regelmäßigkeiten in der kommunikativen Verwendung der Sprache. Mit einem Wörterbuch und einer Grammatik allein lernt man nicht alles. Wie die Sprache in Aktion gebraucht wird, wie also das, was uns das Sprachsystem an die Hand gibt, in der konkreten Sprechsituation mit welcher Wirkung angewandt wird, gehört ebenso zur Aneignung einer Sprache hinzu. Deshalb gibt es auch die Auffassung: Die Bedeutung der Wörter liegt in ihrem Gebrauch. Und tatsächlich: Wie sonst, wenn nicht im Zusammentragen aller denkbaren Kommunikationssituationen, in denen ein Wort mit dieser und jener Nuance verwendet wird, können wir zur Bestimmung der Bedeutung eines Wortes kommen? Und ganz gewiss trifft dies besonders auf die modulierenden »Füllwörter« zu, die ausschließlich kommunikativ, also in einer konkreten Gesprächssituation, ihren Zweck erfüllen.
Feine Zwischentöne
Eben diese Feinheit der kommunikativen Mitbedeutung ist der große Vorzug der Partikeln (aus lateinisch particula, Teilchen). Zählungen zufolge kommen im Deutschen im Durchschnitt auf 100 Wörter 13 Partikeln. Diese häufige Verwendung ist eine Besonderheit des Deutschen. Es ist nicht gerade einfach, eine Ballung von Partikeln in eine andere Sprache zu übersetzen, wie zum Beispiel die bewusst altmodische Bestätigungsformel des Professors Unrat in Heinrich Manns gleichnamigem Roman: freilich nun wohl, traun fürwahr. Häufig müssen (können aber auch) in anderen Sprachen andere Wege eingeschlagen werden, um die Abtönung der deutschen Partikeln wiederzugeben.[3]
Interessant ist der Gebrauch der Antwortpartikel ja. Oft wird ja nicht in dieser Funktion verwendet, sondern zum Ausdruck eines Vorwissens, das der andere mit uns teilt: »Sie wird ja in diesem Monat ihr Abitur schreiben.« Wenn wir nicht vermuteten, dass unser Gegenüber von dem bevorstehenden Abitur weiß, hätte das ja keinen Sinn. So aber schlagen wir die kommunikative Brücke zum anderen, indem wir an unser gemeinsames Vorwissen erinnern. Allerdings begegnen uns im Alltag auch immer wieder Zeitgenossen, die ein solches ja einflechten, ohne dass wir den Sachverhalt kennen könnten. So jemand verrät zu seinem eigenen Nachteil, dass er mehr bei sich als beim anderen ist, denn sonst wäre ihm bewusst, dass wir das, was er weiß, nicht wissen können, und er würde das ja vermeiden. Man darf die Partikeln nicht unterschätzen. Auch sie wollen korrekt verwendet werden.
Die Partikel ja hat übrigens Verstärkung erhalten. Es ist der Ausruf und ja!. Er unterstreicht die ihm folgende Aussage und hebt deren...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Sprachwissenschaft |
Schlagworte | Abkürzungen • Bildungssprache • Buch • Bücher • Deutsch • Deutsche Sprache • Dichter und Denker • Eigenschaften • Fremdsprache • Germanistik • Gesellschaft • Grammatik • Hochsprache • Jugendsprache • Jugendwort • Lexikon der schönen Wörter • Liebeserklärung • Literatur • Mark Twain • Neudeutsch • Rechtschreibung • Reichtum • Satzbau • Schöne Sprache • Semantik • Slang • Sprache lernen • Sprachliebhaber • Sprachwissenschaft • Vorteile • Vorzüge • Wortschatz |
ISBN-10 | 3-492-60211-8 / 3492602118 |
ISBN-13 | 978-3-492-60211-2 / 9783492602112 |
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