Die Rache des Pangolin (eBook)
336 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2800-3 (ISBN)
Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, leitet als Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität das Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Er schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung seiner Arten (C. Bertelsmann, HC, 1072 Seiten, 38.- Euro, 2019).
Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, leitet als Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität das Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Er schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung seiner Arten (C. Bertelsmann, HC/SU, 1072 Seiten, 38.- Euro, 12/2019, 8637 Ex. laut mediacontrol). Eine Auswahl seiner jüngsten Artikel findet sich unter: https://www.cenak.uni-hamburg.de/aktuelles/presse.html
Einleitung:
Göttliche Strafe oder eigene Schuld?
Um es vorwegzunehmen und damit gleich einen Irrtum auszuräumen: Es ist natürlich nicht die Schuld des Pangolins. Weder rächt sich der auch Schuppentier genannte Mitbewohner des Planeten an uns noch die Natur selbst. Sicher: Beide hätten hinreichend Grund dazu. Denn wir sind es, die das Unheil einer solchen Pandemie wie Covid19 verursachen. Wir setzen den Tieren, darunter auch dem stellvertretend genannten Pangolin, in vielerlei Weise zu, indem wir die Natur verändern.
Corona ist mithin mehr als eine vom Sars-CoV2Erreger ausgelöste Plage – die Seuche steht symptomatisch für das Verhältnis der Menschheit zu ihrer Umwelt. Dabei geht es nicht um das Leben und den Tod des Einzelnen, nicht einmal um die vielen Menschen, die infiziert wurden, erkrankt und gestorben sind. Es geht um unsere Welt und den Planeten, den wir mit anderen Lebewesen teilen. Das Virus stellt uns und unsere Lebensweise insgesamt infrage. Denn der Mensch ist zu einem Faktor geworden, der für die Entstehung von Seuchen sorgt und dafür, wie diese sich ausbreiten.
Das war anders, als der Mensch auf diesem Planeten noch weniger dominant war und Krankheiten, die ihn ohne sein Zutun trafen, ausschließlich natürliche Ursachen hatten. Doch seit Langem haben wir nun unsere Finger im Spiel, heute mehr denn je.
Davon handelt dieses Buch: dass viele Infektionen – von Kinderkrankheiten wie Masern und Röteln über Pest und Pocken, Aids und Affenpocken bis hin zu Covid19 – einen tierischen Ursprung haben und vom Tier auf den Menschen übergesprungen sind, und dass sie als solche Anschauungsunterricht in Sachen Evolution liefern. Das Buch untersucht aber auch, warum die neuerliche Pandemie keine unabwendbare Naturkatastrophe ist wie etwa ein Erdbeben. Nein, letztlich ist diese Krise menschengemacht; selbst wenn das Virus nicht unmittelbar, wie Verschwörungserzähler meinen, vom Menschen erschaffen wurde. Solche Pandemien werden durch uns selbst begünstigt, und die jüngste wird nicht die letzte sein. Wobei die Grenzen zwischen dem, was natürlich ist, und dem, was wir als »menschlich« bezeichnen, alles andere als festgezurrt sind. Daher fragen wir in diesem Buch: Wo und wie nahmen diese und andere Seuchen wirklich ihren Anfang? Und warum spielt gerade bei der Corona-Pandemie der Ursprung in China eine Rolle?
Es geht dabei ebenso um Viren wie um uns Menschen, unsere Umwelt und unsere Lebensweise – und darum, weshalb wir die Natur schützen und die Artenvielfalt erhalten müssen.
Zwei Paradoxien und eine Chance
Denn das ist das erste Paradoxon dieser Pandemie: Corona ist eine Seuche mit einer Naturgeschichte und einem tierischen Ursprung. Zugleich aber ist sie auch menschengemacht, gewissermaßen die Folge unseres eigenen evolutiven Erfolgs. Damit liegt es in unserer Hand, solche Pandemien nicht erst zu bekämpfen, wenn sie bereits über uns gekommen sind, sondern zu verhindern, dass sie überhaupt erst zu uns kommen.
Corona ist nicht allein, auch wenn – abgesehen von der Spanischen Grippe – wohl keine Plage in so kurzer Zeit für so viele Todesfälle sorgte. Katastrophen und Apokalypsen sind eine nicht enden wollende Konstante unserer Geschichte. Deshalb handelt dieses Buch auch von dem, was wir – gleichsam mit dem Blick in den Rückspiegel der Geschichte – über solche Seuchen lernen können, welche Lektion wir aus der Vergangenheit mitnehmen. Eine davon ist zweifelsohne die Einsicht in das zweite Paradoxon: dass zwar Pandemien ganz bestimmt zur Menschheitsgeschichte gehören und allgegenwärtig sind und kleinste Erreger schon immer die Geschicke der Menschen und die großen Linien geschichtlicher Geschehnisse entscheidend geprägt haben – dass dies aber den meisten Menschen kaum bewusst ist, geschweige denn, dass wir hinreichende Konsequenzen daraus zögen.
Wie andere Katastrophen – etwa Sintfluten und Dürren, Erdbeben und Vulkanausbrüche – begleiten Epidemien uns Menschen schon seit Urzeiten. Wie wir mit diesen Krisen umgehen, ist existenziell und essenziell für das Überleben der Menschheit. Doch seit den Einsichten der Mikrobiologie und den Erfolgen der Immunologie hat sich unser Blick auf Pandemien radikal verändert; mit dem Effekt, dass wir irrigerweise bis vor Kurzem kollektiv annahmen, Seuchen weitgehend ausgerottet zu haben. Genau damit aber haben wir aus der Geschichte das Falsche gelernt und noch immer nicht die Gesetzmäßigkeiten der Natur verstanden.
Geschichte, so sagt man, wiederhole sich nicht. Aber sie spiegelt sich in dem, was während der jüngsten Pandemie passierte. Oder, wie es die amerikanische Lyrikerin Amanda Gorman gerade erst so wunderbar erfasst hat: »For while we have our eyes on the future, history has its eyes on us« – denn während wir in die Zukunft schauen, schaut die Geschichte auf uns.1 Sich mit der Geschichte verheerender Seuchen zu beschäftigen vermag durchaus den Blick auf die gegenwärtige Lage und damit unsere Zukunft zu verändern – nicht nur, weil der Schrecken früher ungleich größer war, da man überhaupt nicht wusste, wie man sich vor der Plage schützen konnte. Vielmehr ist Seuchengeschichte auch Fortschrittsgeschichte geworden, da Epidemien nicht das Ende der Welt bedeuteten, sondern seit der Antike immer auch als Warnsignal verstanden wurden. Mit Quarantäne und Hygiene lernten die Menschen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Als Erbe der Pest entstanden Lazaretthäuser wie etwa die Charité in Berlin. Und bei einer Pockenepidemie beobachtete der englische Landarzt Edward Jenner, dass die vorherige Infektion mit Kuhpocken gegen die Infektion schützt, was zur ersten Impfung führte. Choleraausbrüche durch mit Bakterien verunreinigtes Trinkwasser führten in den dicht besiedelten Armenvierteln von Berlin und Hamburg zum Bau der Kanalisation.
Und was lehrt uns Corona? Gerade aus der gegenwärtigen Pandemie können wir etwas über unseren wahren Platz auf diesem Planeten und in der Natur lernen, auch über die eigene Verwundbarkeit und die unserer Zivilisation. Denn wir sehen, wie gefährlich es ist, wenn wir die Erfahrungen der Geschichte vergessen oder meinen, diese ignorieren zu können. Und wir erfahren, wie tödlich politische Indolenz und gar Wissenschaftsfeindlichkeit sein können oder in welche Sackgassen die stammtischgleichen Echokammern moderner Internetkommunikation führen können.
Vor allem aber verstehen wir: Nicht das Virus ist es, das sich verbreitet, sondern wir Menschen verbreiten es. Nicht das Virus kommt aus dem Nichts zu uns; vielmehr kommen wir dem Virus immer näher, indem wir dahin gelangen, wo gefährliche Viren auf uns warten. Wie schon bei vorangegangenen Seuchen sind wir, die Menschen, das eigentliche Problem. Die jüngst zunehmenden Virenausbrüche geschehen nicht zufällig; sie spiegeln vielmehr unsere Lebensumstände und Verhaltensweisen wider. Ganz abgesehen davon, dass wir in Hochsicherheitslaboren zwecks Erforschung von Viren auch das Stück von Johann Wolfgang Goethes Zauberlehrling neu inszenieren und ein buchstäblich mordsgefährliches Risiko eingehen: »Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.« Erst all diese Einblicke machen den Weg frei für einen neuen Umgang mit der Natur – mit tief greifenden Veränderungen in unserer Lebensweise, einem neuen systemischen Ansatz unseres Wirtschaftens und des Umgangs mit unserer Umwelt. Nicht aus ideologischen, sondern aus logischen Gründen; nicht um eine politische Utopie zu leben, sondern um zu überleben. Leicht vergessen wir es – aber letztlich geht es um nichts weniger.
Daher beschäftigt uns hier, wie die neuen Erkenntnisse uns in Zukunft auf derartige Pandemien vorzubereiten vermögen. Angesichts des immer größeren Einflusses des Menschen im angebrochenen Anthropozän – dem Zeitalter des Menschen – stellt sich die Frage, ob die Sars-Seuche, die die Welt überzog, gar der Auftakt eines neuen, eines pandemischen Zeitalters ist, wie manchmal behauptet wird.2 Ist Corona also eine Jahrhundert-Pandemie oder eher der Beginn eines neuen Jahrhunderts der Pandemien? Die anfangs vorherrschende Konzentration auf den Augenblick und die meist eingenommene Nahperspektive nur auf den Verlauf der Pandemie dürfte eine Falle sein, wurde zu Recht gewarnt.3 Mit einigem Abstand können wir nunmehr sagen, dass wiederkehrende Pandemien alles andere als auszuschließen sind. Tatsächlich schafft der Mensch selbst die Voraussetzungen dafür. Gerade darin lauert die Gefahr; auch darum geht es bei dieser Geschichte.
Globale Krise
Mit Sars-CoV2 war die Welt nicht mehr dieselbe. Und nach Jahren läuft die Pandemie weiter; alle hoffen, dass sie bald auslaufe, um dann zu vergessen, wie es dazu kam. Sie entstand, weil irgendwann, lange, bevor wir es bemerkten, irgendwo in Südostasien ein Erreger sehr wahrscheinlich aus einer Fledermaus auf einen noch nicht näher ausgemachten Zwischenwirt übergesprungen ist. Weil er dann unbemerkt die ersten Menschen infizierte, die ihn weitertrugen und ihn so auf eine rasante Reise um den Globus schickten. Das jedenfalls legen alle Indizien nahe, die wir derzeit haben.
Dieser Erreger, der – wie sein Vorgänger Sars vor zwei Jahrzehnten – aus dem Tierreich kam, hat das Leben der Menschen beinahe überall auf diesem Planeten vor unseren Augen innerhalb kürzester Zeit grundlegend verändert. Mehr als 400 Millionen Menschen sind bis Mitte 2022 weltweit an Covid19 erkrankt, mehr als sechs Millionen sind angeblich daran gestorben. Das zumindest behauptete bis vor Kurzem noch die...
Erscheint lt. Verlag | 24.11.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Naturwissenschaften ► Biologie | |
Schlagworte | Artenschutz • Artenvielfalt • Corona • Covid 19 • Diversität • Epedemie • Impfung • Klimawandel • Nachhaltigkeit • Naturschutz • Pandemie • Seuchen • Tierwelt • Umwelt • Umweltverschmutzung |
ISBN-10 | 3-8437-2800-3 / 3843728003 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2800-3 / 9783843728003 |
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