Adelige Selbstbehauptung und romantische Selbstentwürfe (eBook)

Die ?queeren? Inszenierungen Herzog Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772-1822)
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2022 | 1. Auflage
387 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45147-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Adelige Selbstbehauptung und romantische Selbstentwürfe -  Patricia Kleßen
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Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772-1822) wurde lange verklärt, ob abwertend als verweiblichter Mann oder glorifizierend als Ahnherr der Homosexuellenbewegung, ob durch vorsichtige Formulierungen wie »Sonderling« oder unmissverständliche Atteste des Wahnsinns. Patricia Kleßen blickt auf seine vermeintlichen Eigenheiten im Spiegel der Zeit um 1800 und lässt ihm durch ihre differenzierte historiografische Betrachtung Gerechtigkeit widerfahren: Vor dem Hintergrund einer Krise des Adels suchte Herzog August Anschluss an die richtungsweisenden intellektuell-ästhetischen »Suchbewegungen« romantischer Kreise und inszenierte sich als ambivalente Kunstfigur, als »echtes Original«.

Patricia Kleßen promovierte im Rahmen des Graduiertenkollegs »Modell Romantik«; sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Weltoffen Lernen« an der Universität Jena.

Patricia Kleßen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Weltoffen Lernen« an den Universitäten Halle und Jena. Ihre Arbeit entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs »Modell Romantik«.

2.Herzog Augusts höfisches Leben


2.1Heranwachsen


Emil Leopold August kam am 23. November 1772 als zweiter Sohn Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg und dessen Frau Charlotte Amalie aus dem Haus Sachsen-Meiningen zur Welt. Als Zweitgeborener war August zunächst für eine militärische Laufbahn vorgesehen, wurde aufgrund des Todes seines älteren Bruders Ernst (1770–1779) jedoch im Alter von sieben Jahren zum Erbprinzen ernannt.141

Weil Ernst II. bereits von seiner Mutter nach den Ideen der europäischen Aufklärung erzogen worden war und sich auch später noch in den Dienst dieser Strömung stellte, kann davon ausgegangen werden, dass diese Geisteshaltung auch auf Herzog Augusts Erziehung Einfluss hatte. Schon als Kind erlebte August eine partielle Öffnung des höfischen Lebens für Personen aus dem Bürgertum. Mehrfach wurden beispielsweise adelige und bürgerliche Kinder der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt im Rahmen einer Prinzentafel am Hof begrüßt. Ebenfalls eingeladen waren das Lehrpersonal sowie der Begründer der Schule, der Volksaufklärer Christian Gotthilf Salzmann, der die Einrichtung nach den Lehren des Philanthropismus begründet hatte.142

Die Mutter Ernsts II., Luise Dorothea (1710–1767), hatte auf Grundlage aufklärerischen Ideenguts 1762/63 ein Erziehungsprogramm für die Fürstenkinder aufgestellt, das gerade durch Ernst II. tradiert wurde und sehr wahrscheinlich auch für Herzog Augusts Erziehung relevant war.143 Luise Dorothea hielt in ihren Aufzeichnungen fest, dass die Fürstenkinder nach den Prinzipien des Arbeitsethos, der Vernunftpolitik sowie der Mäßigung in Bezug auf sinnliche Vergnügen erzogen werden sollten.144 Sie berief sich bei der Erarbeitung ihres aufklärerischen Erziehungsprogrammes vor allem auf Voltaire und verurteilte die zeitgleich mit ihrem Journal populär gewordenen Erziehungsideale Rousseaus.145 Ihre Pädagogik sah vor, dem Heranwachsenden eine vernünftige Selbsteinsicht sowie Pflichtbewusstsein durch Zwang und Autorität beizubringen. Dem mit Rousseau populär werdenden, empfindsamen Umgang mit der Adoleszenz unterstellte Louise Dorothea, nicht etwa zur Persönlichkeitsentfaltung beizutragen, sondern lediglich verwerfliche Wesenszüge und ungezügelte Gefühlsausbrüche zu bestärken. In ihrem Text verurteilte sie Émile mit den Worten: »Ein nach diesem Vorbild erzogener junger Mann würde meines Erachtens aus dem Zustand der Unvernunft nicht herauskommen.«146

Augusts Vater berief die Gelehrten, die August in Philosophie, Staatsrecht, Literatur und – da Ernst unter anderem den Naturforscher Samuel Élisée von Bridel engagierte – wahrscheinlich auch in den Naturwissenschaften unterrichteten.147 Gothas Ruf als Hort der Wissenschaft weiterzutragen, mag eine der Aufgaben gewesen sein, die der Vater dem zukünftigen Regenten mit auf den Weg geben wollte. Für Prinzen stand neben der Einführung in die Regierungstätigkeit (insofern sie Thronfolger waren) die Ausbildung im Reiten, Fechten, Jagen und Theaterspielen auf dem Stundenplan. Beide Geschlechter mussten zudem die Gepflogenheiten höfischer Bälle und Feste sowie mit zunehmenden internationalen Kontakten auch europäische Fremdsprachen beherrschen.148

Die militärische Ausbildung bildete einen besonderen Schwerpunkt der Prinzenerziehung. Für diesen Bereich war seit 1779 der Erzieher Joachim Friedrich von der Lühe am Fürstenhof angestellt. Er betreute die Fürstenkinder etwa zehn Jahre lang. Zuvor hatte er unter Karl Eugen als Aufseher an der Stuttgarter Militärakademie gearbeitet. Der wohl prominenteste Schüler dieser Einrichtung, Friedrich Schiller, machte auch die äußerste erzieherische Strenge der Institution bekannt. Von der Lühes Eignung als Erzieher des adeligen Nachwuchses wurde im höfischen Umfeld Gothas angezweifelt, und auch dem Ansinnen Ernsts II. entsprach Lühes Pädagogik nicht.149 Ob die Kritik aufgrund militärischer Erziehungsmaßnahmen entstand, wird in den Zeugnissen nicht näher erläutert. Allein der Nekrolog auf Herzog August enthält einen Hinweis auf Augusts Verhältnis zu Lühes Erziehungsmaßnahmen. Zwar ist diese Quelle der Achtung vor den Toten verpflichtet und damit in einem wohlmeinenden Tenor gehalten, doch stammt sie zumindest von einem der engsten Vertrauten Herzog Augusts, Friedrich Jacobs, der schon unter Ernst II. am Hof angestellt war und bis auf drei Jahre auch während Augusts gesamter Regierungszeit als Bibliothekar und Direktor der Münzsammlung für den Herzog gearbeitet hat.150 Jacobs berichtete im Nekrolog, dass August vor allem in späteren Jahren darüber geklagt habe, von seinem Umfeld aufgrund seiner schon in jungen Jahren spürbaren Eigentümlichkeit verkannt worden zu sein. Jacobs kommentierte dazu:

»Inwiefern diese Klagen gegründet waren, wissen wir nicht; aber es ist nur allzu wahrscheinlich, dass er das wohlbegründete Selbstgefühl seiner spätern Jahre auch auf seine Kindheit und Jugend übertragen, und das Verkennen dessen, was damals noch verborgen lag, dem Willen oder den Fähigkeiten seines Erziehers [von der Lühe; Anm. P.K.] zur Last gelegt habe.«151

Die Zeit von 1788 bis 1791 verbrachte August aus gesundheitlichen und erzieherischen Gründen mit seinem jüngeren Bruder Friedrich in Genf, wo die beiden eher kränklichen Kinder fernab vom Hof aufwachsen und die gesunde Luft der Alpen atmen sollten. In Genf lernte August auch die französische Sprache.152 Eine sichere Diagnose zu Augusts und Friedrichs ähnlichen Krankheitsbildern gibt es nicht, doch abgesehen von der hellen und lichtempfindlichen Haut hatten beide eine ausgeprägte Sehschwäche. August selbst bezeichnete sich als »halb-blind«153 und bedurfte eines Vorlesers und Schreiberlings.154 Norbert Klatt geht davon aus, dass beide Kinder unter einer verschieden stark ausgeprägten Form von Albinismus litten.155 Die meisten Gemälde von August sind geschönt, doch eines, das ihn mit seiner späteren Frau in erster Ehe zeigt, bringt die helle Farbe von Haar und Gesicht deutlich zur Geltung.156

Abb. 1: Louise Charlotte von Mecklenburg mit ihrem Ehemann August von Sachsen-Gotha-Altenburg, ca. 1797 bis 1800, Ölgemälde von Alexandre Molinari.

Quelle: © Galerie Neue Meister, Dresden

Eine weitere lange, als Kavalierstour ausgewiesene Reise unternahm August nicht. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1791 begann der Vater ihn allmählich in die Regierungssitzungen einzubeziehen, um ihn mit seinen künftigen Aufgaben vertraut zu machen.157 Über den Einfluss von Augusts Mutter ist wenig bekannt. Die Beziehung der beiden schien, ebenso wie die zwischen Ernst II. und Charlotte Amalie, angespannt gewesen zu sein. Die Ehepartner waren seit den 1780er Jahren auf Distanz zueinander gegangen.158 Nach dem Tod Ernsts II. kam es zu Streitigkeiten zwischen August und seiner Mutter, die vermutlich im Zusammenhang mit dem auf der Gothaer Sternwarte angestellten Astronomen Franz Xaver von Zach standen.159 Wenig später verließ Augusts Mutter den Hof und kehrte bis zu ihrem Tod im Jahr 1827 nicht wieder zurück.160

Im Zeitraum von Augusts Abreise nach Genf hatte der Erzieher von der Lühe Ende der 1780er Jahre seinen Dienst in Gotha beendet und nahm eine Anstellung am Hof des Großherzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin an. Von hier aus vermittelte er dessen älteste Tochter Luise Charlotte (1779–1801) zur Verheiratung mit dem Erbprinzen August. Die Hochzeit fand am 21. Oktober 1797 statt, und Luise gebar am 21. Dezember 1800 die gemeinsame Tochter Luise Pauline Charlotte Friederike Auguste von Sachsen-Gotha-Altenburg (1800–1831). Augusts Frau verstarb kurz darauf, am 4. Januar 1801, im Kindbett.161

1802 vermählte sich August mit der hessischen Prinzessin Karoline Amalie, die er während eines Aufenthalts in Kassel im Sommer 1801 kennengelernt hatte. Diese Ehe blieb...

Erscheint lt. Verlag 23.11.2022
Reihe/Serie Geschichte und Geschlechter
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Neuzeit (bis 1918)
Schlagworte Adel • adeligkeit • August von Sachsen-Gotha-Altenburg • Briefwechsel • divers • Diverses • Geschlecht • Geschlechter • Geschlechtergeschichte • Geschlechtsidentität • Herrscherfigur • Homosexualität • Queer • Romantik • Subjekt
ISBN-10 3-593-45147-6 / 3593451476
ISBN-13 978-3-593-45147-3 / 9783593451473
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