Lacan ohne Fremdwörter -  Jona Tomke

Lacan ohne Fremdwörter (eBook)

Einführung für Laien

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
182 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-7808-4 (ISBN)
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Dieser Blick über die Weltanschauung der Psychoanalyse überhaupt und des Jacques Lacan im Besonderen richtet sich an Neulinge ohne Vorwissen. Lacan drückt sich in erst einmal unverständlichen Begriffen aus (objet petit a, jouissance, gebarrtes Subjekt), die seiner Lehre einen geheimnisvollen Anstrich geben. In dieser Einführung wird nichts von dem Fachwortschatz verwendet, seine jeweilige Bedeutung in Gemeindeutsch wiedergegeben. Im Kapitel Terminologie werden die wichtigsten Begriffe Lacans beim Namen genannt und mit Stichworten aus dem vorhergehenden Text, der dafür gelesen worden sein muss, allgemeinverständlichem gemacht. Der Anhang zitiert Textstellen aus den Werken klassischer Denker, die das Projekt der Psychoanalyse vorausahnen und ergänzen.

JONA TOMKE schreibt abenteuerliche Geschichten und erzählt alte Mythen in heute verständlicher Sprache nach für Kinder und ihre Eltern.

Anhang


Kierkegaard

In Sygdommen til Døden (Krankheit zum Tode) zeigt Kierkegaard den Menschen (die Psychoanalyse würde sagen: das Subjekt) zerrissen zwischen Ich und Begehren. Die beiden kommen nie zur Deckung: eine verzweifelte Lage, welche jedes Dasein untergräbt.

Der Menschen ist nach Kierkegaard auf jeden Fall entzwei – nicht, weil er etwas verkehrt gemacht hat, sondern weil er so zur Welt kommt: zum Verzweifeln. Es gibt keinen Menschen, der nicht ursprünglich verzweifelt wäre. Weil sein Ich dem Begehren nicht nachkommt.

Die Verzweiflung kann ein Mensch nach Kierkegaard überwinden durch die Entwicklung eines, wie er's nennt, Selbsts (Lacan würde sagen: durch die Durchschreitung seines Phantasmas). Darunter versteht er keine Einheit, sondern eine gelungene Beziehung zwischen Endlichkeit (Psychoanalyse: Ich) und Unendlichkeit (Psychoanalyse: Es).

Dies kann durch drei Spielarten der Ideologie misslingen:

1 – ÜBERTÖNUNG der Verzweiflung vermittels Zeitvertreib intellektueller oder spielerischer Natur.

(Blaise Pascal führt als Beispiele für solche Ablenkungen »Tennisspielen« und »Mathematik« an.) Wer keine Zeit hat, den Mangel in seinem Alltag zu bemerken, ist lt. Kierkegaard verzweifelt auf eine Art und Weise, welche die hoffnungsloseste ist. Da er gar nicht weiß, dass er verzweifelt ist, und so auch nichts dagegen unternehmen kann.

2 – EINSEITIGKEIT – Erwürgung des einen Moments zugunsten des anderen. Der Verzweifelte versteigt sich dann vollständig in seine Einbildung wie der Virtuose. Oder er überlässt sich ganz dem Begehren wie der Dilettant. Eine Vermittlung findet nicht statt.

3 – ÜBERSCHÄTZUNG infolge der Annahme, sein Begehren »mit Bordmitteln« stillen zu können (Liebe z. B. »deichseln« zu können, was noch niemand geschafft hat).

Entsprechend die Ausgangspunkte von Selbstwerdungs– Geschichten: Verzweiflung bricht durch, die Hauptfigur konfrontiert ihr bisheriges Leben, das in ÜBERTÖNUNG, EINSEITIGKEIT, ÜBERSCHÄTZUNG – oder einer Mischung beziehungsweise Abwechselung aller drei – bestand. Aber irgendwie droht damit kein richtiger Verlust, weil die Chance entsteht, auf etwas Erfüllenderes zu stoßen: zum wahren Selbst.

Wie hat man sich dessen Geburt vorzustellen?

Für Kierkegaard spielt dazu das andere (Lacan würde sagen: Extime) eine entscheidende Rolle, ursprünglich als Gott interpretiert, ein Wort, das bei Kierkegaard niemals fällt. Er stellt nur fest, kein Mensch könne sein Begehren je »mit Bordmitteln« stillen, sondern hänge in diesem Punkte von etwas ab, das mehr sei, als er je sein könne, und – hinzukommend – das Selbst erst vollendet.

»… ein Selbst«, schreibt Kierkgegaard, »muss entweder sich selbst gesetzt haben oder durch ein anderes gesetzt sein.« Da wir als Menschen dessen, was uns ausmacht, nie zeitgleich inne – nicht parallel im Besitz von Einbildung und Begehren – sein können, sind wir auch nicht imstande das, worin wir besteht, zu versöhnen. Wir schaffen ein Selbst nicht mit Bordmitteln; es muss vielmehr »durch ein anderes gesetzt sein«.

»Dies ist nämlich die Formel, die den Zustand des Selbst beschreibt, wenn die Verzweiflung ganz beseitigt ist: Indem es sich zu sich selbst verhält und indem es es selbst sein will, gründet das Selbst durchsichtig in der Macht, die es setzte.«

»Durchsichtig« meint wohl etwas wie »nachträglich«: diejenige Person hat sich selbst oder ihr Selbst gefunden, deren Dasein von einer Sache erfüllt ist, die sich in allen wichtigen Aspekten ihres Tuns und Strebens (»durchsichtig«) mitteilt, nichts Menschliches dabei auslässt oder unterdrückt.

Was für eine – das Selbst bedingende – Sache kann das sein?

Das Selbst kommt zustande durch etwas, das einen für sich einnimmt.

Dante beschreibt seine erste Begegnung mit Beatrice in La Vita Nuova: »Neunmal, seit ich geboren war, hatten die Sterne schon am Himmel sich zu jenem Bild vereint, das jährlich wiederkehrt, als ich ihre Gestalt erblickte. Die es nicht besser wussten, nannten sie Beatrice. Ein 12tel Grad hatte der Sternenhimmel sich seit ihrer Geburt in den Morgen gedreht, so dass sie, eben neun geworden, mir entgegentrat, der beinah zehn war. In edles Gewand gehüllt, blutrot und achtbar, erschien sie, gegürtet und geschmückt, wie’s ihrem jungen Alter zukam. Da zitterte furchtbar in mir empor der Puls des Lebens und sagte: Siehe, ein Gott, der stärker ist als ich und der daherkommt und mich beherrschen wird.«

Wie aber entspannt so eine Gnade die Verzweiflung?

Indem Einbildung oder Karriere und Sehnsucht oder Begehren in ihr thematisch aufeinander bezogen sind.

Dies geschieht nach Kierkegaard durch die Stiftung wahrer Identität, kraft welcher Einbildung und Begehren ineinander greifen; denn was sich von einem Menschen hält, ihn ewig und »identisch« macht, entspringt seinen zeitlichen Spuren und Feinheiten, die er gesinnt ist, hier und jetzt zustande zu bringen, je handfester, desto inständiger.

Ich und Begehren (Endlichkeit und Unendlichkeit) als Quellen der Verzweiflung werden versöhnt, weil ein inspirierter Mensch mit allem etwas anfangen kann, das ihm begegnet – je begegnen wird! Denn es hat in jedem Fall Bedeutung kraft dessen, was ihn einnimmt, indem es immer dasselbe konturiert, fördert oder behindert. Dadruch, dass ich weiß, was wirklich werden soll (Endlichkeit), hat es mit allem, was mich erfüllt (Undendlichkeit), etwas auf sich.

Die Versöhnung des Widerspruchs zwischen Notwendigkeit oder Faktizität und Freiheit folgt für Kierkegaard aus der Zunahme von Identität. Nur wer einen bestimmten Weg einschlug, gelangt an neue Gabelungen, die seine Freiheit herausfordern und dadurch bedingen. Das gilt selbst für Macbeth.

Ein sicheres Erkennungsmerkmal aber für die Gnade oder Sache, welche mein Selbst zustande bringt, ist für Kierkegaard das Gefühl der Angst, die angesichts der Aufforderung in mir anhebt. Nur in einem Auftauchen, dessen Anmut meinen Herzschlag beschleunigt, liegt das Versprechen einer Rettung vor der Verzweiflung.

Blondel

Tun


»Ja oder nein: Hat das menschliche Leben einen Sinn? Hat der Mensch eine Bestimmung?« beginnt Blondel sein Hauptwerk L᾽ActionAction – lässt es enden mit dem Satz: »Es ist.«

Der Philosoph nimmt an, dass unserer Leben auf Erden bedeutend ist durch eine Bestimmung, deren Sinn sich schrittweise herausstellt, nachdem wir ihn uns eingehandelt haben. Denn die Welt ist – nach Blondel – nicht räumlich, sondern zeitlich verfasst: besteht nicht aus Dingen, sondern in Verläufen oder Entwicklungen, die sich mit den Dingen vollziehen. Die Welt ist somit eine gewaltige Handlung (action), zerfallend in Unterhandlungen, die sich dem Willen verdanken, der sie hervorbringt.

Blondel geht davon aus, dass das Schicksal der Welt sich nicht wiederholt oder im Kreis geht, sondern ein glückliches Ende hat, dessen Eintreten angelegt ist in einem menschlichen Grundwollen, welches sich schrittweise, wann immer gehandelt wird, verwirklicht. Indem wir etwas tun, haben wir Teil an einem unendlichen Vermögen, das zu einem geheimnisvollen Schluss drängt. Dabei geht es um alles oder nichts für etwas Tatsächliches, dem Blondel nachspürt im Sinn jeder Handlung: wie sie Wahrheit erzeugt und abwirft, welche anschließend verstanden und formuliert werden kann.

Blondel nähert sich der Bedeutung von Glück über ihre Zurückweisung: Was, wenn das Gegenteil ursprünglicher und das Pochen auf etwas Bestimmtes nur eine Flucht ist vor der garantierten Belanglosigkeit? Untersucht werden zwei Haltungen, welche das Heilsversprechen bestreiten: die Gemeinheit und das Misstrauen. Beide behaupten, das Leben und die Welt durchschaut zu haben und von keiner Wahrheit mehr eingeholt oder überrascht werden zu können.

Die Gemeinheit ist eine zugleich sehr intelligente und sehr sinnliche Geisteshaltung, die der Reihe nach zu den verschiedensten Formen des Lebens drängt und einen dahin führt, sich allen diesen Formen anzupassen, ohne sich einer von ihnen zu überlassen. Blondel weist nach, dass diese Haltung nicht ursprünglicher sein kann, sondern verursacht wird von der Sorge, das Glück zu verpassen, also dessen Möglichkeit voraussetzt.

Misstrauen unterstellt, dass es keine Tatsache geben kann, die das Grundwollen befriedigt, welches sich daher besser auslöscht. Blondel weist den Selbstwiderspruch dieser Haltung nach, die unmöglich wäre ohne die Vorstellung einer befriedigenden Tatsache, welche ihrem Trotz erst den Inhalt gibt und daher vorangeht.

Nachdem Blondel auf diese Weise die Wirklichkeit des Bestimmten bewiesen hat, spürt er dessen Hauptsache weiter nach in den Wissenschaften, den grundlegenden (Mathematik …) sowie den beobachtenden (Physik, Chemie, Biologie …) und bemerkt, dass die...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
ISBN-10 3-7562-7808-5 / 3756278085
ISBN-13 978-3-7562-7808-4 / 9783756278084
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