Trauernde Kinder und Jugendliche psychologisch begleiten (eBook)

Ein Handbuch für die Praxis
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2022 | 1. Auflage
257 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-96174-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Trauernde Kinder und Jugendliche psychologisch begleiten -  Franziska Bobillier
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Das Thema Tod und Trauer ist besonders im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ein großes Tabuthema. Franziska Bobillier liefert mit diesem Handbuch eine theoretisch fundierte, praxisnahe und anwendungsorientierte Unterstützung für Psycholog*innen, die Kinder, Jugendliche und ihre Eltern im Kontext von Tod und Trauer begleiten. Die Autorin fokussiert auf folgende Themen: •Pathologisierung der Trauer (Diskussion der Diagnose 'anhaltende Trauerstörung' u.v.m.) •entwicklungspsychologische Aspekte (Entwicklung des Todeskonzepts, mögliche Trauerreaktionen u.v.m.) •Entwicklung der Trauermodelle •Konkrete Implementierung des Dualen Prozessmodells (DPM) nach Stroebe und Schut in die kinder- und jugendpsychologische Trauerbegleitung •Empfehlungen für unterschiedliche Auftragsarten in der Praxis (Kurz-Coaching von erwachsenen Bezugspersonen: Dos and Donts im Umgang mit trauernden Kindern und Jugendlichen; Empfehlungen für den konkreten Ablauf eines Erstgesprächs u.v.m.) •Umgang mit Suizid und Suizidalität (Todeskontext Suizid; Suizidalitätsmanagement: (trauernde) Kinder und Jugendliche coachen) •Selbstfürsorge als psychologische Fachperson (u.a. Mindful Self Compassion (MSC) und Acceptance & Commitment Therapy (ACT)) • Im Anhang befindet sich eine ausführliche Zusammenstellung von Interventionen, Materialien, Checklisten, Musterbriefen, Literaturempfehlungen und Hinweisen auf alternative Angebote, fachliche Weiterbildung und Netzwerkarbeit.

Inhaltsverzeichnis 7
Dank 13
Geleitwort 15
Vorwort: Warum dieses Fachbuch? 17
Einleitung: Pathologisierung der Trauer? 27
1 Entwicklungspsychologische Aspekte der Trauerreaktionen 35
1.1 Säuglinge und Kleinkinder (± 0–2 Jahre) 36
1.2 Junge Kinder (± 2–4 Jahre) 37
1.3 Kindergarten-/Vorschulkinder (±4–7 Jahre) 39
1.4 Junge Schulkinder (± 7–12 Jahre) 41
1.5 Ältere Schulkinder/Pubertät (± 12–14 Jahre) 43
1.6 Jugendliche (ab ± 14 Jahre) 45
2 Das duale Prozessmodell (DPM) der Trauerbewältigung in der kinder- und jugendpsychologischen Trauerbegleitung 49
2.1 Entwicklung der Trauermodelle 49
2.2 Anwendbarkeit, Möglichkeiten und Grenzen des dualen Prozessmodells 51
2.2.1 Das duale Prozessmodell in der kinder- und jugendpsychologischen Trauerbegleitung 51
2.2.2 Ergänzung 1: Erinnerungsarbeit und Stabilisierung 54
2.2.3 Ergänzung 2: Belastende Beziehung zur verstorbenen Person zu deren Lebzeiten 55
2.2.4 Fazit 56
2.3 Implementierung des dualen Prozessmodells in die kinder- und jugendpsychologische Trauerbegleitung 57
2.3.1 Zum Einstieg in die Trauerbegleitung mit Kindern und Jugendlichen 58
2.3.2 Umgang mit belastender Beziehung des Kindes zum Verstorbenen 60
2.3.3 Die Realität des Verlusts und die Realität einer veränderten Welt akzeptieren 62
2.3.4 Den Trauerschmerz erfahren und sich Pausen vom Trauerschmerz erlauben 64
2.3.5 Sich an die Welt anpassen, in der die verstorbene Person fehlt, und die veränderte (subjektive) Welt bewältigen 68
2.3.6 Eine dauerhafte neue Verbindung zu der verstorbenen Person finden und neue Rollen, Funktionen, Identitäten und Beziehungen entwickeln 70
3 Vorschläge für unterschiedliche Auftragsarten in der Praxis 73
3.1 Allgemeine Informationen für psychologische Fachpersonen 73
3.2 Anmeldung/Erstkontakt 74
3.2.1 Klient*in mit starkem Leidensdruck: Die ELSE-Technik nach Servan-Schreiber 74
3.2.2 Vergütung ansprechen und klären 76
3.2.3 Das weitere Auftragssetting besprechen 78
3.3 Alternative Unterstützungsformen 78
3.4 Kurzcoaching von erwachsenen Bezugspersonen: Dos and Don’ts im Umgang mit trauernden Kindern und Jugendlichen 79
3.4.1 Wissen um die Kindertrauer: Bedürfnis nach Trauer und nach Normalität 80
3.4.2 Kindgerechte Wortwahl und Erklärungen zum Sterben, zum Tod und zur Trauer 80
3.4.3 Praktische Unterstützung von trauernden Kindern und Jugendlichen 86
3.4.4 Erwachsene Bezugspersonen: Modellfunktion und Umgang mit eigenen Emotionen 88
3.4.5 Vorbeugung von Ängsten bei Kindern und Jugendlichen 90
3.4.6 Umgang mit unterschiedlichen Reaktionen und Bewältigungsstrategien 90
3.4.7 Umgang mit Mobbing: Die Neue Autorität nach Haim Omer 90
3.4.8 Hilfreiche und entlastende Unterstützung durch soziales Netz 97
3.5 Anregungen für den Ablauf des (Erst-)Gesprächs 99
4 Umgang mit Suizid und Suizidalität 105
4.1 Besondere Aspekte der psychologischen Trauerbegleitung bei der Todesursache Suizid 105
4.1.1 Grundsätzliches 105
4.1.2 Kommunikation 106
4.1.3 Psychoedukation 107
4.1.4 Verabschieden vom Leichnam ermöglichen 109
4.1.5 Gefühle zulassen 109
4.1.6 Psychoedukation über den „suizidalen Modus“ 110
4.1.7 Den ständigen Fokus vom Suizid auch einmal wegnehmen 110
4.1.8 Auf den Umgang mit unangebrachten Reaktionen des Umfeldes vorbereiten 110
4.1.9 Mögliche unrealistische Erwartungen an trauernde Kinder und Jugendliche 111
4.2 Suizidalität bei trauernden Kindern und Jugendlichen 111
4.2.1 Anzeichen 111
4.2.2 Warnzeichen 112
4.2.3 Alarmzeichen 112
4.2.4 Trauernde Kinder und Jugendliche auf ihre Suizidalität ansprechen 115
4.3 Suizidalitätsmanagement: Kinder und Jugendliche coachen 116
4.3.1 Grundsätzliches 116
4.3.2 PRISM™-S (Pictoral Representation of Illness Self Measure – Suicidality) 118
4.4 Wenn psychologische Begleitung nicht ausreicht 121
4.4.1 Risikofaktoren für eine Entwicklung einer anhaltenden Trauerstörung 121
4.4.2 Kurzausblick: Psychotherapieverfahren 123
5 Selbstfürsorge für psychologische Fachpersonen in der Trauerbegleitung 127
5.1 Die Rolle von Selbstfürsorge bei der psychologischen Trauerbegleitung 127
5.2 Selbsterfahrung und Selbstreflexion 127
5.3 Grundlagen zur Selbstfürsorge 128
5.4 Achtsamkeit 128
5.5 Akzeptanz des Leids: die Akzeptanz-und-Commitment-Therapie (ACT) 129
5.6 Achtsames Selbstmitgefühl (Mindful Self-Compassion, MSC) 130
5.7 Mitgefühl mit Gleichmut und Umgang mit Fürsorgemüdigkeit 132
Schluss 135
Anhang: Hinweise zu Zusatzmaterialien 137
Hinweise zu Zusatzmaterialien 141
Anhang A: Interventionen 143
A1 Interventionen für die kinder- und jugendpsychologische Trauerbegleitung 143
A2 Techniken und Übungen für die Selbstfürsorge für psychologische Fachpersonen in der Trauerbegleitung 208
Anhang B: Materialien 221
B1 Zum (Nach-)Spielen/Psychoedukation 221
B2 Spiele 223
B3 Andere Materialien 226
Anhang C: Checklisten und Musterbriefe 227
C1 Merkblatt „Telefonischer Erstkontakt mit Familie“ 227
C2 Ausführlicheres Anamneseblatt (ergänzend zu C1) 232
C3 Weitere vertiefende Fragen 237
C4 Musterbrief „Unfall“ 238
C5 Musterbrief „Tod eines Schülers/Suizid“ 239
C6 Musterbrief „Familiendrama“ (z. B. Geiselnahme, Gewalttaten, Totschlag, etc.) 240
C7 Möglicher Ablauf einer psychologischen Intervention in einer Klasse 241
C8 Checkliste für telefonische Anfragen in der Psychologischen Ersten Hilfe (PEH) 242
Anhang D: Bücherempfehlungen 243
Anhang E: Netzwerkarbeit/Angebote für Betroffene und fachliche Weiterbildungen 247
Professionelle Trauerbegleitung, Fachstellen und Vereine 247
Andere allgemeine Angebote 248
Fachliche Information, Weiterbildungen in Trauerbegleitung und Therapie 249
Literatur 251
Die Autorin 257

|25|Einleitung: Pathologisierung der Trauer?


Begriffsklärung. Seit einigen Jahren besteht neben der Uneinigkeit über die Definition einer Trauerstörung auch eine große Uneinigkeit darüber, wann eine Trauerreaktion als pathologisch eingestuft werden soll. Folgende Begriffe tauchten im bisherigen Fachdiskurs auf:

Infolge der Weiterentwicklungen diagnostischer Manuale wie dem DSM und dem ICD wurde eine Pathologisierung von Trauer in Fachkreisen stark diskutiert. Insbesondere stellt sich die Frage, ab welcher Dauer eine Trauerreaktion als pathologisch eingeordnet werden kann oder soll. Eine Übersicht über den Forschungsstand zum Thema Trauer als psychische Erkrankung in Abgrenzung zu normalen Trauerreaktionen gibt Wagner (2016). Im Folgenden werden die für dieses Kapitel als die am relevantesten erachteten Punkte aus der genannten Publikation kurz skizziert.

Einordnung von Trauerreaktionen im DSM und ICD. Im DSM-III war Trauer Ausschlusskriterium bei der Depression; eine Diagnose „Depression“ konnte nicht gegeben werden, wenn die Symptome durch Trauer erklärt werden konnten. In den Revisionen DSM-III-R und DSM-IV wurde das Ausschlusskriterium ausgeweitet: Die Depression konnte auch dann diagnostiziert werden, wenn die Trauersymptomatik länger als 2 Monate vorlag. Im DSM-5 wurde das Ausschlusskriterium der Trauer aufgehoben, aber anstelle einer eigenen Diagnose für Trauer, wurde das Zeitkriterium bei der Vergabe einer depressiven Episode angepasst: Waren es im DSM-IV noch 2 Monate, kann Trauernden bereits nach 2 Wochen die Diagnose einer depressiven Episode gegeben werden.

Weiter wurde die Forschungsdiagnose „Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion“ in das Kapitel „Klinische Erscheinungsbilder mit weiterem Forschungsbedarf“ des Appendizes des DSM-5 aufgenommen. Auffällig ist, dass das Zeitkriterium für Erwachsene mindestens 12 Monate umfasst, während dies bei Kindern mindestens 6 Monate sind (Tabelle 1).

Diagnosekriterien der Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion

A

Die Person ist vom Tod eines Menschen, zu dem eine enge Beziehung bestanden hat, betroffen.

B

Seit dem Todesfall tritt an mehr als der Hälfte der Tage mindestens eines der folgenden Symptome in klinisch bedeutsamer Ausprägung auf. Es besteht bei hinterbliebenen Erwachsenen für mindestens 12 Monate und bei hinterbliebenen Kindern für mindestens 6 Monate fort:

1)

Fortbestehende Sehnsucht/Verlangen nach dem Verstorbenen. Bei jüngeren Kindern kann die Sehnsucht durch Spiel und Verhaltensweisen ausgedrückt werden, die das Getrennt- und Wiedervereintsein mit einer Betreuungs- oder Bezugsperson widerspiegeln.

2)

Intensive Sorge und emotionaler Schmerz als Reaktion auf den Todesfall.

3)

Gedankliches Verhaftetsein mit dem/der Verstorbenen.

4)

Übermäßige Beschäftigung mit den Umständen des Todesfalles. Bei Kindern kann die übermäßige Beschäftigung mit dem Verstorbenen durch Themen im Spiel und im Verhalten ausgedrückt werden und sich auf einen möglichen Tod anderer Personen aus dem nahen Umfeld ausweiten.

C

Seit dem Todesfall treten an mehr als der Hälfte der Tage mindestens sechs der folgenden Symptome in klinisch bedeutsamem Ausmaß auf und besteht bei hinterbliebenen Erwachsenen für mindestens 12 Monate und bei hinterbliebenen Kindern für mindestens 6 Monate fort:

Durch einen Todesfall hervorgerufene Belastung

1)

Beträchtliche Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren. Bei Kindern ist dies abhängig von ihrem kognitiven Vermögen, die Bedeutung und Endgültigkeit des Todes zu verstehen.

2)

Unglaube oder emotionale Taubheit über den Verlust.

3)

Schwierigkeiten, positive Erinnerungen an den Verstorbenen zuzulassen.

4)

Bitterkeit oder Ärger über den Verlust.

5)

Dysfunktionale Bewertungen der eigenen Person in Bezug auf den Verstorbenen oder seinen Tod (z. B. Selbstvorwürfe).

6)

Übermäßiges Vermeiden von Erinnerungen an den Verlust (z. B. Vermeidung von Personen, Plätzen oder Situationen, die mit dem Verstorbenen verbunden werden; bei Kindern kann dies beinhalten, dass sie Gedanken und Gefühle in Bezug auf den Verstorbenen vermeiden).

Soziale und Identitätsprobleme

7)

Der Wunsch zu sterben, um bei dem Verstorbenen zu sein.

8)

Schwierigkeiten, anderen Personen seit dem Todesfall zu vertrauen.

9)

Sich seit dem Todesfall einsam oder von anderen Personen abgetrennt fühlen.

10)

Das Gefühl, dass das Leben ohne den Verstorbenen sinnlos und leer ist, oder der Glaube, dass man nicht mehr ohne den Verstorbenen funktionieren kann.

11)

Verunsicherung über die eigene Rolle im Leben oder eine verminderte Wahrnehmung der eigenen Identität (z. B. das Gefühl, dass ein Teil von einem selbst mit dem Verstorbenen gestorben ist).

12)

Schwierigkeiten oder Widerwillen, seit dem Verlust...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2022
Zusatzinfo 25 Abbildungen
Verlagsort Bern
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Kinder- u. Jugendpsychotherapie • Suizid • Tod • Trauerbegleitung • Trauermodelle • Verlust
ISBN-10 3-456-96174-X / 345696174X
ISBN-13 978-3-456-96174-3 / 9783456961743
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