Stefan Römer (eBook)
200 Seiten
Hatje Cantz Verlag
978-3-7757-5024-0 (ISBN)
STEFAN RÖMER (*1960) ist Künstler und Kunsttheoretiker. Er initiierte das politaktivistische Kunstkollektiv »FrischmacherInnen«, wurde im Jahr 2000 mit dem Preis für Kunstkritik des AdKV ausgezeichnet und hatte Professuren an verschiedenen Instituten inne. Zu seinem Essayfilm Conceptual Paradise (2006) besteht ein umfangreiches Webarchiv.
STEFAN RÖMER (*1960) ist Künstler und Kunsttheoretiker. Er initiierte das politaktivistische Kunstkollektiv »FrischmacherInnen«, wurde im Jahr 2000 mit dem Preis für Kunstkritik des AdKV ausgezeichnet und hatte Professuren an verschiedenen Instituten inne. Zu seinem Essayfilm Conceptual Paradise (2006) besteht ein umfangreiches Webarchiv.
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Dank
Prolog
0.2 – Einleitung
Text Practice is Sex Practice (Songtext)
1.1 – Minimal verfälscht
1.2 – Konzeptuelle Sounds – (nicht-)tanzbar und (nicht-)hörbar?
1.3 – Von postkonzeptueller Kunst zum DeConceptualize
2.1 – Dekonstruktion der Form der Zeichnung
2.2 – Künstlerische Postkarten und Jacques Derridas Die Postkarte1
2.3 – Inter-esse in Resonanz
2.4 – ReCoder of Life – ein diagrammatischer Film
Reco Song (Songtext)
2.5 – Mixed-Up Images – Stichpunkte einer Recherche zu MultiKulti-Darstellungen
Aber es war die völlige Abwesenheit von Metaphern und kulturellen Bezügen, die die minimalistische Skulptur anfangs so hartnäckig und eigentümlich störend machte.
—Yvonne Rainer1
Im zweiten Ausstellungsraum der groß angelegten Show Minimalism: Space. Light. Object 2 sticht mir eine Arbeit ins Auge, die ich für eine Appropriation einer Bodenarbeit von Lynda Benglis halte. Meine Freude über den von dieser Arbeit signalisierten, doppelt ironischen Umgang mit der Minimal Art entzündet sich daran, dass diese Arbeit der Anti-Form,3 die oft als post-minimal bezeichnet wird und eine strategisch wie formal entgegengesetzte Kunststrategie darstellt, hier in diesem Rahmen präsentiert wird. Außerdem finde ich interessant, dass dies mit einer offensichtlich künstlerischen Aneignung von Benglis’ Arbeit geschieht, indem offenbar eine Reproduktion ihrer Bodenarbeit ironisch auf einen weißen Lacksockel gehoben wird. Dies fällt mir besonders auf, weil Benglis’ Geste einer signifikanten Doppelnegation – der skulpturalen Form und Materialität sowie des skulpturalen Sockels4 – mit ihrer Formlosigkeit als ein besonders beißender Kommentar auf die der ursprünglichen New Yorker Minimal Art schon früh vorgeworfene Erstarrung in Formalismus, Designhaftigkeit und Selbstwiederholung erschien. (Abb. 5)
Als ich jedoch mit Neugier das Etikett der Arbeit an der Wand lese, sehe ich, dass es die echte Arbeit Untitled (Polly’s Pie II) (1968) von Lynda Benglis ist. Es handelt sich also nicht um ein künstlerisches Fake, sondern um eine institutionelle Inszenierung. Die bräunliche formlose Bodenarbeit aus Polyurethan-Schaum findet sich auf eine etwa zwanzig Zentimeter dicke weiße Lackscheibe platziert, die sie wie ein Sockel vom Parkett abhebt – sie wie auf einem Präsentierteller darbietet, wie man auf Deutsch sagt.
5 Lynda Benglis, Untitled (Polly’s pie II), 1968, Singapur 2018
Da ich an der Führung einer der Kurator*innen teilnehme, frage ich nach, was es mit dem strahlend weißen Podest auf sich hat. Die kuratorische Entscheidung zu dieser Präsentationsform wird mit den Auflagen der Leihgeber dieser Arbeit begründet, die keine Präsentation der Arbeit auf dem Boden erlaubt haben.5
Die Ausstellung Minimalism: Space. Light. Object intendierte, Kunstwerke aus dem Osten mit Kunstwerken aus dem Westen, die gleichermaßen als »minimalistisch«6 bezeichnet werden, in Beziehung zu setzen. Die der Ausstellung beigemessene repräsentative Bedeutung zeigt sich daran, dass sie sich über zwei bedeutende Museen in Singapur erstreckt: In der National Gallery bilden die künstlerischen Arbeiten den Schwerpunkt, während das ArtScience Museum sich auf Soundarbeiten konzentriert. Der Direktor der National Gallery, Eugene Tan, artikuliert das Hauptinteresse folgendermaßen:
6 Schwarze Gemälde von: Tadaaki Kuwayama, Barnett Newman, Frank Stella, Mark Rothko, Ad Reinhardt, Singapur 2018
Wie können wir die Beziehung zwischen Minimalismus und Kunst in Asien verstehen? [...] Die Ausstellung wird die Ursprünge des Minimalismus neu untersuchen und die Aufmerksamkeit auf seine metaphysischen und spirituellen Dimensionen sowie auf das breite Spektrum von Künstler*innen lenken, die sich weltweit mit seinen Formen und Ideen beschäftigen. Auf diese Weise soll die Bedeutung des Minimalismus in der heutigen Kunst neu bewertet werden.7
Schon im ersten Raum wird deutlich, dass nicht eine eng eingegrenzte Minimal Art im Zentrum steht, die sich in einem Momentum mit kritischer Schärfe vom New Yorker Abstrakten Expressionismus und von seinem Cheftheoretiker Clement Greenberg abzusetzen versuchte. Denn die Ausstellung beginnt mit schwarzen Gemälden von so unterschiedlichen Künstlern wie Tadaaki Kuwayama, Barnett Newman, Frank Stella, Mark Rothko und Ad Reinhardt. (Abb. 6)
Ad Reinhardts Gemälde Abstract Painting (1958) kommentiert Tan mit Bezug auf Transzendenz und Spiritualität folgendermaßen: »Es ist dieser andauernde Charakter der Wahrnehmung in Reinhardts schwarzen Gemälden, der mit dem Modus der Visualität in der späteren minimalistischen Skulptur in Beziehung steht, insofern als die beiden Wahrnehmungsmodi eine zeitliche Dauer beinhalten.«8 Das erscheint fragwürdig, weil es sich bei der von Reinhardt für seine Black Paintings konzipierten visuellen Konzentration auf eine festgelegte Perspektive und ein langsam entstehendes Bild um eine grundsätzlich andere Form von »temporal duration« als bei dem körperlichen Umgehen oder gar Betreten von minimalistischen Skulpturen handelt.9 Dazu betont Tan die metaphysische und spirituelle Dimension des Gemäldes,10 wozu ihm als Beweis der pauschale Hinweis genügt, dass Reinhardt auch Seminare von Daisetz Tataro Suzuki an der Columbia University besucht habe. Damit schließt Tan an die Verallgemeinerung an, dass die New Yorker Szene in den 1950er Jahren stark von Zen beeinflusst gewesen sei.
Aber bei Reinhardts Interesse handelt es sich viel eher um eine weltabgewandte Versenkung in das künstlerische Bild, wie Tan selbst bemerkt, insofern es sich als eine L’art pour l’art-Haltung versteht. Den frühen Minimal Artists ging es hingegen um antihierarchische und antitranszendentale industrielle Formen, für die man keine kunstgeschichtliche Vorkenntnis benötigte;11 mit dem Verständnis der Nichtrelationalität setzten sie sich vermeintlich von der europäischen Kunst ab.12 Diesem Selbstverständnis von Reinhardt widerspricht Tans Interpretation somit genauso wie dem Selbstverständnis der Minimalisten.13
Tan vernachlässigt vor allem, dass es zum visuellen, phänomenologischen »Anschalten« von Reinhardts Gemälden nicht nur des andauernden, statisch konzentrierten, intensiven Hinsehens bedarf, sondern auch einer fixen Perspektive in einer ganz bestimmten Raumanordnung. Diese subtile visuelle Struktur ist selbst nur im abgedunkelten White Cube sichtbar. Und selbst bei optimalen Bedingungen ist es nicht garantiert, dass alle die optischen Effekte sehen können. Allerdings wird die von Ad Reinhardt gewünschte technische Einrichtung des Präsentationsraums ganz selten in Ausstellungen ausgeführt, weil sie sehr aufwendig ist.14 Offenbar ist Tan nicht bewusst, dass das »transzendentale« Kreuz in dem oberflächlich schwarzen Gemälde erst und nur unter diesen Bedingungen erscheint: Diese Form scheint dann im dunklen Feld der Leinwand zu schweben und wirkt wie ein Nachbild. Dies wird in Tans Essay nicht erwähnt.
Auch konnte man nicht den entsprechenden Abstand zu den Gemälden in dem kleinen White Cube einnehmen, da die Wände von einem kniehoch umlaufenden Geländer eingefasst wurden. Würde es der Ausstellung tatsächlich um »metaphysische und spirituelle Dimensionen« der Kunst gehen, dann müsste sie alles unternehmen, um das Gemälde von Ad Reinhart adäquat zu präsentieren, damit dessen visuelle Effekte sichtbar werden. Wenn man dem Gemälde jedoch nicht die erforderlichen Bedingungen einräumt, läuft man Gefahr, dass die schwarzen Gemälde nur anekdotisch als Symbole den Diskurs illustrieren. Deshalb liegt der Schluss nahe: Damit das Gemälde dieser Funktion in der Ausstellung dienen kann, wird es seiner künstlerischen Definition und seiner phänomenologischen Rezeption enteignet.
Das völlig berechtigte Ziel der Ausstellung ist, zeitgenössische asiatische Künstler*innen in den Minimalismus-Diskurs einzubeziehen: von der historischen Minimal Art zum zeitgenössischen Asian (Chinese) Maximalism – so Eugene Tan.15 Seltsamerweise beginnt die Ausstellung mit einem Raum schwarz-monochromer Malerei aus den 1950er und 1960er Jahren und endet mit zeitgenössischen amerikanischen und europäischen Praktiken. Das weite Spektrum künstlerischer Arbeiten erinnert an vielfältige Versuche der Kanonerweiterung und -aktualisierung von Minimal und Conceptual art, die sich zumeist jedoch immer weiter von konsistenten und tragfähigen Begriffen entfernen. Die rhetorische Struktur der Ausstellung erscheint linear. Sie will vom Anfang bis zum Ende gelesen werden und folgt der Argumentation, dass die zeitgenössische asiatische Kunst gleichbedeutend mit der New Yorker Minimal und Conceptual art sei. Mein Inter-esse richtet sich aber darauf, dass die Ausstellung vor allem mit New Yorker Malerei beginnt, die widersprüchlich bis unvereinbar zueinander steht: Das Beispiel Ad Reinhardt zeigt diese Widersprüchlichkeit; weder gehört er eindeutig zur Minimal Art, noch ist seine Malerei adäquat präsentiert. Der zu enge Präsentationsraum inszeniert diese schwarzen Gemälde fälschlicherweise als eine Art Beginn der historischen Minimal Art, indem er sie formal und inhaltlich homogenisiert.
7 »Please Stay Behind The Line« Bodenlinie um Wandarbeit: Donald Judd, Untitled, 1969–1971, Singapur 2018
Doch nicht nur die Arbeiten von Lynda Benglis und Ad Reinhardt waren in der Ausstellung Minimalism entgegen ihrer künstlerischen Konzeption präsentiert.16 Auch die Arbeiten von Carl Andre, Donald Judd, Robert Morris und Sol LeWitt, die zur initialen Minimal Art gehören, wurden durch entsprechende Grenzlinien und weiße Lack-Podeste verfremdet.
Revision der Partizipation?
Angesichts heute zunehmender Überwältigungseffekte mit Immersion in Ausstellungen und Einladungen zu informatischer Partizipation in den...
Erscheint lt. Verlag | 27.6.2022 |
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Reihe/Serie | Hatje Cantz Text | Hatje Cantz Text |
Mitarbeit |
Designer: Neil Holt |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Kunstgeschichte / Kunststile |
Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik | |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Schlagworte | Kunstgeschichte • Kunsttheorie • Zeitgenösische Kunst |
ISBN-10 | 3-7757-5024-X / 377575024X |
ISBN-13 | 978-3-7757-5024-0 / 9783775750240 |
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