Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren (eBook)

[Was bedeutet das alles?]
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
92 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961968-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren -  Sascha Friesike,  Johanna Sprondel
Systemvoraussetzungen
5,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Deutschland investiert Milliarden in prestigeträchtige Leuchtturmprojekte und Pseudo-Veränderungen - und ist trotzdem digital weit abgeschlagen. Das liegt auch daran, dass Digitalisierung nicht als Transformation verstanden wird: Es geht eben nicht darum, Gegenstände oder Strukturen einfach ins Digitale zu überführen. Transformationsprozesse müssen die Gegenstände und Strukturen selbst hinterfragen und wandlungsfähig sein. Und selbst da, wo man dies erkannt hat, verhindern Missverständnisse die Entwicklung. Digitale Transformation ist ein komplexer Vorgang, der nicht dann abrupt endet, wenn irgendein neuer Dienst eingeführt wurde. Dieser Essay stellt heraus, dass isolierte Blicke auf Gesellschaft oder Technik nicht zielführend sind, und entlarvt dabei stets bemühte Buzzwords und die wichtigsten Denkfehler. 

Sascha Friesike , geb. 1983, ist Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin und Direktor des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft. An der Universität der Künste leitet er den Studiengang Leadership in Digitaler Innovation. Friesike ist Wirtschaftsingenieur und hat an der Universität St. Gallen promoviert. In seiner Forschung beschäftigt er sich damit, welche Rolle das Digitale spielt, wenn etwas Neues entsteht. Johanna Sprondel , geb. 1980, ist Professorin für Medien, Kommunikation und Marketing in Stuttgart. Sie wurde an der Universität Freiburg in Philosophie promoviert und arbeitete anschließend zu Praktiken und Theorien der Digitalisierung an der Stanford University. Seit 2010 forscht Sprondel zu der Frage, wie sich das Leben von Menschen und unsere Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung verändern. Sie berät international Unternehmen in Transformationsprozessen.

Sascha Friesike , geb. 1983, ist Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin und Direktor des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft. An der Universität der Künste leitet er den Studiengang Leadership in Digitaler Innovation. Friesike ist Wirtschaftsingenieur und hat an der Universität St. Gallen promoviert. In seiner Forschung beschäftigt er sich damit, welche Rolle das Digitale spielt, wenn etwas Neues entsteht. Johanna Sprondel , geb. 1980, ist Professorin für Medien, Kommunikation und Marketing in Stuttgart. Sie wurde an der Universität Freiburg in Philosophie promoviert und arbeitete anschließend zu Praktiken und Theorien der Digitalisierung an der Stanford University. Seit 2010 forscht Sprondel zu der Frage, wie sich das Leben von Menschen und unsere Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung verändern. Sie berät international Unternehmen in Transformationsprozessen.

Stets bemüht
»Am Anfang steht die Vision«
»Technologie ist die Lösung«
»Beschleunigung durch Komplexitätsreduktion«
»Neu ist besser als gut«
»Neues entsteht durch Vernetzung«
»Transparenz führt zu Sichtbarkeit«
»Wir müssen von Start-ups lernen«
»Von überall droht Disruption«
»Wir brauchen eine neue Fehlerkultur«
Was wir von Lenin über Revolutionen, Bahnhöfe und die Deutschen lernen müssen, wenn aus der digitalen Transformation doch noch etwas werden soll

Anmerkungen
Autorin und Autor

»Am Anfang steht die Vision«


Wer schon mal an einer Führungskräftetagung unter dem Motto »digitale Transformation« teilgenommen hat, ist möglicherweise über eine Kreativitätsmethode gestolpert, die man »Moonshot Thinking« nennt. Moonshot Thinking verdankt seinen Namen dem US-amerikanischen Apollo-Programm, dem in wenigen Jahren das Unglaubliche gelungen ist, einen Menschen auf dem Mond abzusetzen und heil wieder auf die Erde zurückzubringen

Entsprechend mutig und innovationsfreudig soll die Methode das Denken in inkrementellen (also schrittweisen) Verbesserungen aufbrechen und dazu animieren, große Visionen zu ersinnen. Es geht um die radikale Abkehr vom Tagesgeschäft, wenn man so mag. Wie würde unsere Organisation aussehen, wenn die digitale Transformation keine zehnprozentige Verbesserung bedeuten würde, sondern wir uns absolut gesehen um den Faktor zehn verbessern könnten? Mit diesem Arbeitsauftrag machen sich gestandene Managerinnen und Manager dann ans Werk und entwickeln – üblicherweise unter hohem Zeitdruck – bunte Poster, die die Organisation von Morgen zumindest in Grundzügen skizzieren sollen.

Der Vorteil der Methode besteht darin, dass die Tätigkeit sehr kurzweilig ist und es keine falsche Lösung gibt, ja: dass es gar keine falsche Lösung geben kann. Wer darüber nachdenkt, wie eine Organisation aussehen könnte, die wenig mit der heutigen Organisation zu tun hat, genießt einen so hohen Grad an Freiheit, dass festgehalten werden kann, was immer man will. Sind die Ergebnisse besonders abwegig, so wird von der Moderation darauf hingewiesen, dass dies gar nicht schlimm sei, sondern dass es ganz im Gegenteil eben einer neuen Fehlerkultur bedürfe, die endlich auch einmal unorthodoxe Ideen fördere.

Die Methode entwickelt meist eine verblüffende Eigendynamik, die den Teilnehmenden selbst nicht immer ersichtlich ist. Ist man indes Zaungast bei mehreren solcher Führungskräftetagungen von ganz unterschiedlichen Organisationen, so fällt auf, dass sich die entwickelten Moonshots erstaunlich ähnlich sind. Vor ein paar Jahren, als »Big Data« das Schlagwort der Stunde war, sahen die Moonshots gerne vor, dass man sich von der heutigen Organisationsform lösen müsse, um sich hin zu einem »Data Analytics Provider« zu wandeln, der dann die Datengrundlage für eine ganze Branche legen könnte.

Als die »Plattformisierung« zum Mode- bzw. Buzzword avancierte, zeigten die Ergebnisse der Moonshot-Poster zweiseitige Märkte. Geschäftsmodelle also, bei denen Anbieter mit Kunden vernetzt werden. Airbnb, Uber oder YouTube lieferten hierfür erfolgreiche Beispiele, die dann auf jede erdenkliche Branche übertragen wurden.

Im Zuge der aktuellen Renaissance der künstlichen Intelligenz steht nun natürlich ebendiese Technologie im Zentrum zukünftiger Geschäftsmodelle, die aus der Moonshot-Methode keimen.

Dabei wird die Moonshot-Methode typischerweise verwendet, um die zukünftige Entwicklung einer bestehenden Organisation auszuloten, doch beziehen sich die Ergebnisse fast nie auf die heutige Organisation – höchstens noch auf die Branche allgemein.

Die Managementforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten viele Gedanken über Ressourcen gemacht – über materielle Ressourcen, wie den Zugang zu Rohstoffen, aber auch immaterielle Ressourcen, wie Wissen oder Fähigkeiten. Ein Verständnis von Organisationen, das besonders populär ist, versteht Organisationen als Einheiten, die die Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, besser einsetzen können als andere.

Dabei ist unumstritten, dass Organisationen ständigen Veränderungen unterworfen sind und dass gerade die Fähigkeit, Ressourcen dynamisch zu rekonfigurieren, sie wettbewerbsfähig macht. Eine gesunde Organisation arbeitet also in einem Jahr anders, als sie das heute tut. Sie reagiert auf Veränderungen oder ist selber Antriebsfeder für Veränderungen. Dieses Verständnis setzt voraus, dass Ressourcen und deren Nutzung kontinuierlich angepasst werden. Oder anders ausgedrückt: Bestimmte Praktiken müssen aktiv ›verlernt‹ werden, um sie aus der Organisation zu verdrängen, andere Fähigkeiten müssen erst noch entwickelt werden. Diese Prozesse laufen in einer ›gesunden‹ Organisation kontinuierlich ab, im Kleinen, wenn spezielle Abläufe verbessert oder von Grund auf neu aufgesetzt werden, und im Großen, wenn strategische Entscheidungen eine ganze Organisation neu ausrichten sollen.

Ergebnisse der Moonshot-Methode, die suggerieren, Vorschläge für eine digital transformierte Organisation zu bieten, haben indes in aller Regel nichts mit den realen Ressourcen zu tun, die eine Organisation heute ausmachen.

Das wirft zwei Fragen auf:

  1. Wie soll ein Prozess aussehen, der alle heutigen Ressourcen abschneidet und vollkommen neue aufbaut?

  2. Warum sollte ausgerechnet die Organisation selbst dazu in der Lage sein, diese Schritte sinnvoll allein aus sich selbst heraus zu entwickeln? Wäre es nicht viel leichter, die in der Methode skizzierte Organisation vollkommen neu aufzubauen, beispielsweise als Start-up?

Doch zeichnet einen Moonshot noch eine andere Eigenschaft aus. Die visionäre Idee hat eine Strahlkraft, einen »Halo-Effect«, der von den realen, heutigen Problemen ablenken kann. Wer möchte sich schon mit der Banalität des Alltags auseinandersetzen, wenn man sich auch in eine Vision flüchten kann?

Dieser Nebeneffekt eines Moonshots wird deutlich an einem Interview, das die damalige »Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung« Dorothee »Doro« Bär der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka gab. Auf die Frage, wann man in Deutschland denn endlich dem lang angekündigten Breitbandausbau nachkommen würde (zu dem Zeitpunkt waren in Litauen 71 Prozent aller Breitbandanschlüsse aus Glasfaser, während es in Deutschland 2,3 Prozent waren), lautete Bärs inzwischen legendäre Antwort:

Digitalisierung ist doch nicht nur der Breitbandausbau […]. Mein Thema ist nicht: Funktioniert jetzt hier die Straße? […] Aber das Thema muss doch sein: Kann ich auf dieser Infrastruktur, die wir haben, dann auch autonom fahren? Habe ich die Möglichkeit auch zum Beispiel mit einem Flugtaxi durch die Gegend zu können?

Die breite Verfügbarkeit von Flugtaxis ist ein typischer Moonshot. Jeder, der das Interview sieht, kann nicht anders, als sich auszumalen, wie hinreißend es wäre, in ein Flugtaxi zu steigen. Sofort vergibt man der CSU, dass man nie in den Münchner Hauptbahnhof »einsteigen« konnte, um dort in zehn Minuten einen Flug zu starten, wie Edmund Stoiber es in einem früheren Moonshot doch versprochen hatte. Das Bild eines Flugtaxis entschädigt für alles. Und während man sein zukünftiges Selbst in einem Flugtaxi sieht, hat man schon vergessen, dass es in dem Interview eigentlich um etwas ganz anderes ging, um etwas viel Dringenderes, aber eben auch dem Anschein nach viel Banaleres: um den mangelhaften Glasfaserausbau in Deutschland, der im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlage ausmacht, auf der eine digitale Transformation überhaupt erst stattfinden kann.

Konstruktive Utopien können Anstöße geben, gewachsene Strukturen in Frage zu stellen. Das kann helfen, die Trägheit des Alltagsgeschäfts zu überwinden, und genau darin besteht die eigentliche Motivation hinter der Moonshot-Methode. Wenn die entwickelte Vision jedoch vollkommen entkoppelt dasteht und es keine sinnvollen Verbindungslinien vom Hier und Jetzt zum utopischen Übermorgen gibt, dann ist die Vision bestenfalls wertlos und schlimmstenfalls kontraproduktiv. Kontraproduktiv, weil sie ablenkt von den heutigen Problemen, die immer noch nicht angegangen wurden und damit die Wettbewerbsfähigkeit in einer viel näheren Zukunft gefährden.

Ganz offensichtlich hat das, was man heute als Moonshot-Methode versteht, also nur wenig mit dem Apollo-Programm zu tun: Weder steht eine weltpolitische Führungsposition auf dem Spiel – wir haben eingangs gesehen, dass diese inzwischen in weite Ferne gerückt ist – noch, und das ist dramatischer, sind wesentliche Grundlagen für einen Moonshot bereits vorhanden.

Beides war der Fall, als John F. Kennedy am 25. Mai 1961 ankündigte, dass bis zum Ende des Jahrzehnts ein Amerikaner auf dem Mond wandeln werde. Am 12. April 1961 war Juri Gagarin als erster Mensch ins Weltall geflogen und hatte in der Vostok die Erde einmal orbital umrundet – während die NASA noch den ersten suborbitalen Flug plante.

Nach dem »Sputnikschock« des Jahres 1957 war es der damaligen Sowjetunion erneut geglückt, ihre Vorherrschaft in der Raumfahrt zu beweisen. Zugleich hatte die Sowjetunion auch gezeigt, dass man die Atmosphäre der Erde verlassen und lebendig wieder zur Erde zurückkehren konnte. Gagarins Flug, ein sehr konkretes Ereignis also, aus dem sich sowohl eine Bedrohung als auch Erkenntnisse ergaben, war es dann auch, was den Anlass dafür gab, dass Kennedy seinen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson umgehend damit beauftragte, bei der NASA Informationen über Möglichkeiten und Chancen einzuholen, wie man der damaligen Sowjetunion ihre Führungsposition im Weltall abjagen könnte. Konkret fragte Kennedy nach Möglichkeiten des »leapfrogging«, um die Sowjetunion einzuholen, quasi mit einem ›riesigen Bocksprung‹ die eigentlich in einem Entwicklungsprozess immer geduldig nacheinander zu nehmenden Stufen auszulassen bzw. zu überspringen. Erst als Kennedy die Bedingungen für...

Erscheint lt. Verlag 11.2.2021
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek – [Was bedeutet das alles?]
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Schlagworte Deutschland Digitaler Wandel • Deutschland Digitale Transformation • Deutschland Digitalisierung • Digitaler Wandel in Deutschland • digitalisierung deutschland • Wie geht Digitaler Wandel • Wie geht Digitale Transformation • Wie geht Digitalisierung • Wie ist Digitaler Wandel möglich • Wie ist Digitale Transformation möglich • Wie ist Digitalisierung möglich • Wie kann Digitaler Wandel gelingen • Wie kann Digitale Transformation gelingen • Wie kann Digitalisierung gelingen
ISBN-10 3-15-961968-0 / 3159619680
ISBN-13 978-3-15-961968-2 / 9783159619682
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 796 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich