Interview-Praxis kompakt (eBook)
140 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-4426-9 (ISBN)
Der Autor ist zum einen als Forscher und Buchautor im Bereich der Medienpsychologie ausgewiesen (u.a. mit dem Themenbereich Interview), zum anderen seit über 30 Jahren als Trainer und Coach für öffentlich-rechtliche und private TV-Anstalten, Journalistenschulen, Verbände und Organisationen sowie in der Fortbildung von Führungskräften erfolgreich tätig.
2. Verhaltensregeln im Interview
In diesem Kapitel werden Empfehlungen zu wesentlichen Einzelpunkten gegeben, die bei der Durchführung von Interviews von Bedeutung sind. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Interviewformen, die in der Praxis zeitlich limitiert und nicht beliebig oft wiederholbar (korrigierbar oder ergänzbar) sind. Unter fachlichen Gesichtspunkten ist dabei ferner eine deutliche Abgrenzung eines Interviews gegenüber dem „Einfangen“ von O-Tönen oder Statements notwendig, die in der Regel mit geringerer handwerklicher Kompetenz produzierbar sind. Zudem sollte der Durchführung eines Interviews stets eine rationale (evtl. redaktionelle) Entscheidung zugrunde liegen, die die Auffassung widerspiegelt, dass ein Interview im konkreten Fall das optimale Mittel ist, um die zentralen Informationen zu vermitteln.
Interviews sind Dienstleistungen für die Adressaten – „Verlegenheitsinterviews“, Interviews als lediglich „auflockernde Elemente“, als „getarnte Kommentare“, als Medium der Selbstdarstellung des Interviewers u. ä. m. entsprechen nicht der wesentlichen Funktion von Interviews und sind zudem im Regelfall qualitätsmäßig „suboptimal“.
2.1 Vorbereitung des Interviews
BESTIMMUNG DER ZIELGRUPPE
Hier sollten folgende Fragen gestellt werden: Für welchen Adressatenkreis ist das Interview gedacht? Welchen Informationsstand und welche aktuelle Zuhörmotivation haben diese Adressaten vermutlich? Auf welche Art kann ich diese spezielle Zielgruppe in Anmoderation und Interview optimal ansprechen? Liegen konkrete Kenntnisse bzw. Vorstellungen über die tatsächliche oder „gemeinte“ Zielgruppe vor? Wenn nicht, wie kann ich diese erlangen (grobe Schätzung, Festlegung)?
FESTLEGUNG DES KONKRETEN INTERVIEWZIELS
Notwendig ist die Unterscheidung zwischen einem übergeordneten Themenbereich und dem konkreten Interviewziel (bzw. den Teilzielen; vgl. Kap. 1: Bausteine kompetenter Interviewführung).
Eine Eingrenzung der Zielthematik ist auch im Hinblick auf die in der Praxis (hauptsächlich bei elektronischen Medien) nur begrenzt zur Verfügung stehende Zeit notwendig: Sinnlos ist im Regelfall der Versuch, ein Thema in 4 Minuten umfassend beleuchten zu wollen. Der Maßstab kann auch nicht die Frage sein, wie viele Fragen man in 4 Minuten stellen kann, sondern es ist einzuplanen, dass auf die jeweiligen Antworten des Befragten wiederum reagiert wird durch Nachhaken, Vertiefen, Weiterführen etc. Zu klären ist: Sollen eher mehrere Einzelpunkte (nur kurz) thematisiert werden (z. B. bei einem Service-Thema) oder sollen eher wenige Punkte, diese aber vertiefend bearbeitet werden (vgl. Krüger 2000).
Bei längeren Interviews können auch mehrere Ziele anvisiert werden, wichtig ist dabei jedoch, dass allen Beteiligten (Interviewer, Befragter, Adressaten) zu jeder Sekunde klar ist, was genau in einer bestimmten Phase des Interviews geklärt werden soll, und ein Hin und Her zwischen verschiedenen Zielen bzw. Teilzielen vermieden wird.
Grundsätzlich hilfreich kann eine Prioritätenliste sein, die eine Reihe von thematischen Punkten (Teilzielen) umfasst. Sie legt fest, welche Punkte der Liste auf jeden Fall bearbeitet werden müssen (sonst „trägt“ das Interview nicht, ist es keine angemessene Dienstleistung), welche weiteren Punkte bei normalem Verlauf wohl in der zur Verfügung stehenden Zeit abgearbeitet werden können und welche Punkte lediglich als „Puffer“ fungieren sollen, die zur Klärung des Themas nicht unbedingt erforderlich sind, auf die guten Gewissens auch verzichtet werden kann, die aber (auch) als Mittel gegen die Angst, in Live-Situationen buchstäblich keine Fragen mehr zu haben, verwendet werden können.
Leitlinie: Diese Dinge vorher planen, nicht „mal sehen, was sich so ergibt ...“.
KLÄRUNG DES INFORMATIONSSTANDES DES INTERVIEWERS
Was muss ich als Interviewer wissen, um gezielt fragen zu können und so eine gute Dienstleistung für meine Zielgruppe zu erbringen? Interviewer müssen nicht die gleiche Fachkompetenz wie ihre Befragten haben, sie sollen auf der Basis von Recherchen aber so fragen können, dass für die Adressaten wesentliche Informationen herausgearbeitet werden, auch wenn diese vom Befragten nicht offensiv und selbstständig angeboten werden.
Gemäß der Philosophie und Zielsetzung des Interviews zur Person gibt es prinzipiell nur eine Person, die hier über die optimale „Fachkompetenz“ verfügt: dies ist der Befragte selbst – die präzisesten Informationen über seine Einstellungen, Sichtweisen, Bewertungen, Interessen etc. sind letztlich nur von ihm zu erhalten (nähere Ausführungen in Kap. 5: Interview zur Person). Theoretisch ist es daher in dieser Interviewform möglich, auch ohne vorherige Recherche ein informatives und spannendes Interview zu führen. Je nach Interviewziel trägt aber auch hier oftmals eine Recherche zu noch intensiveren Gesprächsinhalten bei.
Die Recherche ist grundsätzlich Mittel zum Zweck, d. h. Inhalt, Ablauf und Ziel des Interviews sollen nicht vorrangig durch das Recherchematerial bestimmt werden, sondern dieses soll dem Interviewer helfen, im Sinne der Dienstleistung für die Adressaten das präziser erfragen zu können, was ihn dem von ihm selbst definierten Ziel näherbringt.
Sofern die Rahmenbedingungen es zulassen, empfiehlt es sich in der Praxis oftmals, mehrere „Vorbereitungsschleifen“ zu durchlaufen: Zunächst wird – unabhängig von einer gezielten Recherche – grob geklärt, welche Inhalte (z. B. Anlass, Themenbereich, Schwerpunkt) den Adressaten vermittelt werden sollen (grobe Zielfestlegung); es erfolgt eine erste Recherchephase, in der eine Materialsammlung im Hinblick auf das (grobe) Interviewziel vorgenommen wird; diese dient als Hilfestellung (nicht als Entscheidung) bei der Konkretisierung des spezifizierten Interviewziels (oder der Teilziele). Der endgültige Zugriff auf das spezifizierte Ziel ist dann auf der Basis bereits gefilterter Vorinformationen und darauf aufbauender weiterer (nunmehr gezielter) Rechercheschritte deutlich erleichtert.
AUSWAHL DES BEFRAGTEN
Sofern für den Interviewer die Möglichkeit besteht, Einfluss auf die Auswahl der Interviewpartner zu nehmen, sollte überlegt werden, ob spezielle Qualitäten des Befragten die Erreichung des Informationsziels besonders fördern können. So kann es bei bestimmten Themen sinnvoll und hilfreich sein, Interviewpartner (auch) nach soziodemographischen Merkmalen, nach der Art der Betroffenheit von dem zu behandelnden Thema, dem Ausmaß der Medienerfahrung, dem Sprachniveau etc. auszuwählen, weil so evtl. die in der Zielsetzung angestrebte Thematik präziser und/oder anschaulicher transportiert werden kann. Dabei ist jeweils die „Rolle“ des Befragten zu berücksichtigen (Interessenvertreter, Experte, Augenzeuge, Betroffener etc.). Denn im Interview zur Person fungiert der Befragte als „Experte für sich selbst“.
VORGESPRÄCH
Grundsätzlich sollte das Vorgespräch kein Übungsinterview sein, in welchem schon mal die Fragen zwischen Interviewer und Befragtem „durchgespielt“ werden. Gerade vor Live-Interviews in Hörfunk und TV ist die Versuchung groß, (vermeintliche) Sicherheit dadurch herzustellen, dass der Ablauf probeweise simuliert wird. Dieser Wunsch nach Sicherheit ist insbesondere bei medienunerfahrenen Interviewpartnern verständlich, jedoch auch bei professionellen Interviewern besteht oft die Tendenz, vorab zu viel regeln zu wollen, um keine böse Überraschung zu erleben.
Zur Reduzierung der Unsicherheit bei den Befragten sollten vornehmlich die Rahmenbedingungen des Interviews geklärt, für den Befragten transparent gemacht werden: Worüber soll gesprochen werden (grobe Zielrichtung)? Wie lange dauert das Interview? In welchem Rahmen wird das Interview publiziert, live oder als Aufzeichnung, mit Wiederholungsmöglichkeiten? Soll der Befragte bestimmte Daten (Zahlen, Statistiken etc.) parat haben, kann oder will er zu bestimmten Aspekten nichts sagen? Etc.
Bei sehr ängstlichen und/oder medienunerfahrenen Interviewpartnern kann die Vereinbarung einer Einstiegsfrage hilfreich sein. Über den Umgang mit weitergehenden Forderungen (etwa nach vorheriger Nennung weiterer Fragen oder nach Aushändigung einer konkreten – und evtl. verbindlichen – Fragenliste) muss im Einzelfall (auch redaktionell) entschieden werden. Hier ist abzuwägen, welchen Informationswert oder Nutzen ein so produziertes Interview für das Informationsziel haben kann oder ob absehbar ist, dass die vorherige Bekanntgabe der Frage zu einem ziel-hinderlichen Verhalten des Befragten führen wird (z. B. Politiker o. ä. Personen).
Zur Reduzierung der Unsicherheit des Interviewers kann die Beobachtung des Interaktionsstils des Befragten genutzt werden (z....
Erscheint lt. Verlag | 9.12.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sozialpsychologie |
ISBN-10 | 3-7557-4426-0 / 3755744260 |
ISBN-13 | 978-3-7557-4426-9 / 9783755744269 |
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