Im Spiegel der Sprache (eBook)
320 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-77281-8 (ISBN)
Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd.» Was ist aus wissenschaftlicher Sicht dran an der Vermutung Karls V., dass verschiedene Sprachen nicht in allen Situationen gleich gut zu gebrauchen sind? Prägt die Sprache die Weltwahrnehmung oder umgekehrt? Und inwieweit sieht die Welt, wenn sie «durch die Brille» einer anderen Sprache gesehen wird, anders aus?
- Wie Sprache und Wahrnehmung sich gegenseitig beeinflussen
Guy Deutscher ist in Tel Aviv aufgewachsen. Er hat in Cambridge Mathematik und Linguistik studiert und dann dort am St. John's College sowie an den Universitäten in Leiden und Manchester über Sprachstrukturen geforscht.
• Einleitung •
Sprache, Kultur, Denken
«Vier Sprachen sind es wert, dass man sie auf der Welt gebraucht», sagt der Talmud: «Griechisch für den Gesang, Latein für den Krieg, Syrisch für die Klage und Hebräisch für die gewöhnliche Rede.» Andere Autoritäten urteilten nicht weniger entschieden über die Frage, wozu verschiedene Sprachen gut sind. Karl V., der als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Spanien, Erzherzog von Österreich sowie Herzog von Mailand und Luxemburg den größten Teil des europäischen Kontinents unter seiner Macht hatte und auch mehrerer europäischer Sprachen mächtig war, erklärte einmal: «Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu Männern und Deutsch zu meinem Pferd.»
In der Sprache eines Volkes, so wird oft gesagt, spiegeln sich seine Kultur, seine Seele und seine Denkweisen wider. Die Menschen in tropischen Klimazonen sind so lässig, dass es kein Wunder ist, wenn sie den größten Teil ihrer Konsonanten am Wegesrand fallen lassen. Und man braucht nur die weichen Klänge des Portugiesischen mit der Härte des Spanischen zu vergleichen, um den wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden benachbarten Kulturen zu verstehen. Die Grammatik mancher Sprachen ist einfach nicht logisch genug, um komplexe Ideen auszudrücken. Das Deutsche hingegen ist ein ideales Werkzeug, um die präzisesten philosophischen Tiefgründigkeiten zu formulieren, da es eine besonders ordentliche Sprache ist, und deshalb haben die Deutschen auch einen so ordentlichen Geist. Einige Sprachen kennen noch nicht einmal ein Futur – darum haben ihre Sprecher natürlich auch keinen Begriff von der Zukunft. Den Babyloniern wäre es schwergefallen, die Wendung «Verbrechen und Strafe» zu verstehen, denn ihre Sprache verwendete zur Wiedergabe dieser beiden Begriffe ein und dasselbe Wort. In der schroffen Intonation des Norwegischen kann man die zerklüfteten Fjorde hören, und in Tschaikowskys kummervollen Melodien klingen die dunklen l’s des Russischen an. Das Französische ist ebenso romanisch wie romantisch, das Englische eine anpassungsfähige, ja promiskuitive Sprache, und das Italienische – ah, das Italienische!
Derartige Aperçus lockern so manches Tischgespräch auf, denn nur wenige Themen eignen sich besser zu einer ausführlichen Erörterung als der Charakter verschiedener Sprachen und ihrer Sprecher. Und doch, würde man diese hochfliegenden Bemerkungen aus der Geselligkeit des Esszimmers in die kühle Luft des Studierzimmers überführen, dann würden sie rasch in sich zusammenfallen wie ein Soufflé aus verstiegenen Anekdoten – bestenfalls amüsant und sinnlos, schlimmstenfalls vorurteilsvoll und absurd. Die meisten Ausländer können den Unterschied zwischen dem zerklüfteten Norwegischen und den endlosen Ebenen des Schwedischen überhaupt nicht hören. Die emsigen protestantischen Dänen haben auf ihren eisigen sturmgepeitschten Äckern mehr Konsonanten fallen lassen als alle trägen tropischen Stämme. Und wenn die Deutschen tatsächlich einen systematischen Geist haben, dann kann der Grund hierfür ebenso gut darin liegen, dass ihre außerordentlich launenhafte Muttersprache die Fähigkeit ihres Gehirns erschöpft hat, noch mit irgendwelchen weiteren Unregelmäßigkeiten fertig zu werden. Sprecher jeder beliebigen Sprache können lange Geschichten über Ereignisse in der Zukunft erzählen, die ganz im Präsens gehalten sind («morgen gehe ich …»), ohne dass dadurch ihr Verständnis vom Begriff der Zukunft merklich beeinträchtigt würde.
Keine Sprache – auch nicht die der «primitivsten» Stämme – ist von vornherein ungeeignet, die komplexesten Ideen auszudrücken. Wenn sich eine Sprache schlecht zum Philosophieren zu eignen scheint, dann liegt das einfach am Fehlen eines spezialisierten abstrakten Wortschatzes und vielleicht noch einiger syntaktischer Konstruktionen; die lassen sich jedoch leicht entlehnen, so wie sich sämtliche europäischen Sprachen ihr philosophisches Werkzeug aus dem Lateinischen geholt haben, welches es seinerseits en bloc aus dem Griechischen bezogen hatte. Stünde Sprechern einer Stammessprache der Sinn danach, dann könnten sie heute ohne weiteres ebenso verfahren, und es wäre absolut möglich, in Zulu die Vorzüge des Empirismus beziehungsweise des Rationalismus zu erwägen oder sich auf West-Grönländisch über existentialistische Phänomenologie auszulassen.
Würden Grübeleien über Völker und Sprachen nur beim Aperitif zum Besten gegeben, dann könnte man sie als harmlosen, wenn auch unsinnigen Zeitvertreib abtun. Das Thema hat nun aber auch große und gelehrte Geister aller Epochen beschäftigt. Philosophen sämtlicher Richtungen und Nationalitäten sind angetreten, um zu verkünden, dass sich in jeder Sprache die Eigenschaften des Volkes widerspiegeln, welches sie spricht. Im frühen 17. Jahrhundert erklärte der Engländer Francis Bacon, man könne «gewichtige Anzeichen der Geistesverfassung und der Sitten von Menschen und Völkern ihren Sprachen» entnehmen. «Alles bestätigt», stimmte ein Jahrhundert später der Franzose Étienne de Condillac zu, «daß jede Sprache den Charakter des Volkes zum Ausdruck bringt, das sie spricht.» Sein jüngerer Zeitgenosse Johann Gottfried Herder war ebenfalls der Meinung, dass in jede Sprache «der Verstand eines Volks und sein Charakter gepräget» seien. «Thätige Völker», so sagte er, «haben einen Ueberfluß von modis der Verben, feinere Nationen eine Menge Beschaffenheiten der Dinge, die sie zu Abstraktionen erhöhten.» Kurz gesagt, es offenbart sich «der Genius eines Volks nirgend besser als in der Physiognomie seiner Rede». Der Amerikaner Ralph Waldo Emerson fasste all das 1844 zusammen: «Wir erschließen den Geist des Volkes in bedeutendem Maße aus der Sprache, die eine Art Denkmal darstellt, zu dem jedes kraftvolle Individuum im Laufe vieler Jahrhunderte einen Stein beigetragen hat.»
Das Problem bei dieser eindrucksvollen internationalen Eintracht ist nur, dass sie in dem Moment zusammenbricht, in dem die Denker von den allgemeinen Prinzipien dazu übergehen, über die besonderen Vorzüge (oder Mängel) einzelner Sprachen zu reflektieren und sich Gedanken darüber zu machen, was deren Eigenschaften über die Vorzüge (oder Mängel) der jeweiligen Völker aussagen können. Emersons Fazit wurde im Jahre 1889 dem 17jährigen Bertrand Russell als Aufsatzthema gestellt, als dieser in einer Paukschule in London saß und sich auf die Aufnahmeprüfung für das Trinity College in Cambridge vorbereitete. Russell ließ folgende Perlen vom Stapel: «Wir können den Charakter eines Volkes an den Ideen studieren, die seine Sprache am besten zum Ausdruck bringt. Das Französische beispielsweise hat solche Wörter wie ‹spirituel› oder ‹l’esprit›, die sich im Englischen kaum ausdrücken lassen; und daraus ziehen wir ganz zwanglos den Schluss, der sich durch die tatsächliche Beobachtung bestätigen lässt, dass die Franzosen mehr ‹esprit› haben und in höherem Maße ‹spirituel› sind als die Engländer.»
Cicero dagegen zog aus dem Fehlen eines Wortes in einer Sprache genau den entgegengesetzten Schluss. In seiner 55 v. Chr. verfassten Schrift De oratore lässt er sich ausführlich darüber aus, dass dem Griechischen eine Entsprechung zu dem lateinischen Wort ineptus («unverschämt» oder «taktlos») fehlt. Russell hätte hieraus geschlossen, dass die Griechen so untadelige Manieren hätten, dass sie einfach kein Wort zur Bezeichnung eines nicht existierenden Fehlers brauchten. Nicht so Cicero: Für ihn war das Fehlen des Wortes ein Beweis dafür, dass der Fehler unter den Griechen so weit verbreitet war, dass sie ihn nicht einmal wahrnahmen.
Die Sprache der Römer war selbst nicht immer über Tadel erhaben. Etwa zwölf Jahrhunderte nach Cicero gab Dante Alighieri in seinem Werk De vulgari eloquentia einen Überblick über die Dialekte Italiens und erklärte, «daß die Volkssprache, besser der traurige Jargon der Römer, von allen italienischen Volkssprachen die abscheulichste sei; und dies ist nicht verwunderlich, da sie durch Verunstaltung der Sitten und Gebräuche mehr als alle anderen Ekel zu verursachen scheint».
Niemand würde im Traum daran denken, derartige Auffassungen über die französische Sprache zu hegen, die nicht nur romantisch und spirituel ist, sondern natürlich auch das Muster von Logik und Klarheit. Das bezeugen uns keine geringeren Autoritäten als die Franzosen selbst. Im Jahre 1894 teilte der bedeutende Literaturkritiker Ferdinand Brunetière den Mitgliedern der Académie française anlässlich seiner Aufnahme in diese illustre Institution mit, das Französische sei «die logischste, die klarste und durchsichtigste Sprache, die je ein Mensch gesprochen hat». Brunetière berief sich dabei auf das Zeugnis einer langen Reihe von savants,...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2021 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Übersetzer | Martin Pfeiffer |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Sprachwissenschaft |
Schlagworte | Anthropologie • Guy Deutscher • Humor • Lebenswelt • Linguistik • Sprache • Sprachforschung • Sprachgeschichte • Sprachwissenschaft • Wahrnehmung |
ISBN-10 | 3-406-77281-1 / 3406772811 |
ISBN-13 | 978-3-406-77281-8 / 9783406772818 |
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