Lebendige Seelsorge 5/2021 (eBook)

Sterben und Beerdigen

Erich Garhammer (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
72 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06511-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebendige Seelsorge 5/2021 -  Verlag Echter
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Es gehört zu den selbstverständlichsten Erwartungen an Kirche und Christentum, dass bei ihnen eine gute und würdige Kultur des Sterbens und Bestattens gepflegt wird. Tatsächlich kann das kirchliche Leben auf eine reiche und jahrhundertealte Weisheit zugreifen, die sehr viel über das 'Trauern', das 'Scheitern' und das 'Lassen' weiß. Gesten, Rituale, Gebäude, Zeichen und Symbole sind hier oft sprachmächtiger als Worte. Aber auch diese fehlen nicht: Denn über und unter allem liegt dieses übergroße Versprechen, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Ich sage es ganz offen: Dieses Heft hat mich stolz gemacht. Denn auf den folgenden Seiten finden Sie die kreativen Formen, in die das alte Wissen sich heute gießt: die Arbeit von Trauerzentren; Einblicke in den ehrenamtlichen Beerdigungsdienst; neue Kirchenarchitekturen rund um das Thema Tod und Auferstehung; digitale Unterstützungen des Trauerns; der letzte Gang mit Menschen ohne Angehörige; Reflexionen über den Dienst im Hospiz und über den Friedhof von morgen; die Erwartungen an Trauerbegleitung aus der Sicht der sozialen Milieus. Es begegnen Ihnen Frauen und Männer, die sich reinhalten in das, wovor viele instinktiv zurückschrecken. Und: Sie taten dies gerade auch dann, als die Corona-Pandemie zu einer Veränderung der Routinen gezwungen hat. Als das Sterben einsam war. Beim Lesen der Beiträge wird spürbar: Diese Engagierten vergessen die Toten genauso wenig wie die, die an ihrem Grab stehen. Das zeigt, wie wertvoll der Dienst seelsorglicher Präsenz ist.

Prof. Dr. Erich Garhammer lehrte von 1991 bis 2017 Pastoraltheologie und Homiletik in Paderborn und Würzburg. Er ist Schriftleiter der Zeitschrift 'Lebendige Seelsorge' und Mitherausgeber der 'Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge'. Das Gespräch von Literatur und Theologie ist sein Forschungsschwerpunkt. 2019 bekam er den Preis für sein Lebenswerk von der Evangelischen Fakultät der Universität Bonn verliehen.

Prof. Dr. Erich Garhammer lehrte von 1991 bis 2017 Pastoraltheologie und Homiletik in Paderborn und Würzburg. Er ist Schriftleiter der Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" und Mitherausgeber der "Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge". Das Gespräch von Literatur und Theologie ist sein Forschungsschwerpunkt. 2019 bekam er den Preis für sein Lebenswerk von der Evangelischen Fakultät der Universität Bonn verliehen.

Den Tod gesellschaftsfähig machen


Was ist uns die ehrenamtliche Sterbebegleitung heute noch wert?


Der Tod ist überall, zu jeder Zeit allgegenwärtig und doch unsichtbar, unberührbar. Der Soziologe Norbert Elias äußert sich hierzu: „Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Tote Menschen haben keine Probleme“ (Elias, 10). Das Wissen darum ist nicht neu, doch die Sterblichkeit ein Randthema unserer Gesellschaft. Johanna Klug

Dabei durchziehen Sterben und Tod alle Ebenen unseres Lebens: Literatur, Kunst, Unterhaltungsmedien oder Social Media werden als dramaturgische Mittel eingesetzt und doch wahren wir die Distanz zu unserem eigenen Sterben. In der repräsentativen Umfrage Sterben in Deutschland des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes (2017) gaben 56 Prozent der Menschen an, dass keine ausreichende gesellschaftliche Thematisierung mit Sterben, Tod und Trauer stattfindet. Es gilt also den Tod gesellschaftsfähiger machen – was braucht es hierzu? Sicherlich erst einmal das Wissen um unsere Ängste hinsichtlich des Lebensendes. Der Sozialanthropologe Ernest Becker spricht in Dynamik des Todes von der Todesfurcht als der ‚Urangst‘ des Menschen. Wäre diese ständig präsent, könnten wir nicht existieren. Aber einen wichtigen evolutionsbiologischen Vorteil hat sie: Die Urangst dient zum Zweck der Selbsterhaltung (vgl. Becker, 40ff.). Viele verschiedene Schnittstellen müssen bei der Enttabuisierung des Todesthemas ineinandergreifen. Immer mehr Wissenschaftler*innen der Thanatologie widersprechen einer Todesverdrängung (vgl. Fischer, 252), doch aus Medien und Gesellschaft werden Stimmen einer immer noch anhaltenden Tabuisierung laut. Jede*r hat eine Meinung zu diesem Thema, die sie*er auch offen kundtut. Diese ambivalente Stimmungsbilder zeigen: Der Tod ist noch immer ein Problem der Lebenden. Warum sollten wir trotzdem die Auseinandersetzung mit einem tabuisierten, angstbehafteten Themenbereich wagen, welche uns letztendlich doch nur den Tod bringt?

Johanna Klug

Studium des Medienmanagements mit Schwerpunkt Journalismus (B. A.) in Würzburg und Groningen sowie der Digitalen Kommunikation (M. A.) in Hamburg und Oslo; Sterbe- und Trauerbegleiterin; nach langjähriger Erfahrung im Hospiz- und Palliativbereich in Deutschland und Südafrika Spezialisierung auf (Kinder) trauergruppen und die Begleitung auf Palliativstationen; von 2019 bis 2021 Studienkoordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim interdisziplinären Masterstudiengang Perimortale Wissenschaften an der Universität Regensburg; Online-Blog: https://endlichendlos.de; Buchneuerscheinung: Mehr vom Leben. Wie mich die Begleitung Sterbender verändert (München 2021).

STERBEBEGLEITUNG AUF DER PALLIATIVSTATION


„Sterbebegleitung und Sterben sind unabdingbar ineinander verwoben“ (Pierburg, 209), weshalb die gesellschaftliche Thematisierung des Ehrenamts besonders hervorzuheben ist. Der einhergehende Wandel und Bedarf einer Neuausrichtung des Ehrenamts kann nur gelingen, wenn dies eine gesellschaftliche Veränderung bedeutet.

Hier ein Beispiel aus meiner langjährigen Arbeit als ehrenamtliche Sterbebegleiterin: Ganz am Ende des Flurs der Palliativstation befindet sich das Zimmer mit der Nummer 15. Als ich nach einem kurzen Klopfen meinen Kopf durch den Türspalt steckte, schaute mich eine kleine, zierliche Frau erschrocken an, die genauso wenig Haare auf dem Kopf hatte wie ich. „Wir haben ja die gleiche Frisur“, sagte ich, grinste und strich mir mit einer Hand über den Kopf. Frau Huber lächelte, hob vorsichtig ihren Arm und strich sich auch über ihren kahlen Kopf. Fast so, als müsste sie sich vergewissern, dass es auch stimmte, was ich sagte. Dann grinste sie frech zurück und deutete auf den Stuhl neben ihrem Bett.

Als wir auf ihre Familie zu sprechen kamen, erzählte sie mir, dass ihre Kinder und auch ihr Mann sie davon abhielten zu rauchen, obwohl sie ihr Leben lang nichts anderes getan hatte. „Und jetzt liege ich hier und kann noch nicht mal eine letzte Zigarette rauchen.“ Und während sie das so erzählte, fiel Frau Huber noch ein kleines Stück mehr in sich zusammen. „Meine Kinder verbieten mir zu rauchen, weil es ungesund ist, aber ich weiß doch eh, dass ich nicht mehr lange hab. Ich werde hier sterben.“ Sie seufzte. „Der Krebs ist doch schon überall.“ „Wenn Sie möchten, komme ich am Wochenende, bringe Ihnen Ihre Schachtel Lieblingszigaretten mit und dann rauchen wir eine“, sagte ich und zwinkerte ihr zu.

Frau Huber fing an zu strahlen und ihre Augen glitzerten vor Freude. Dabei wippte sie mit ihrem zarten Oberkörper vor und zurück. „Das würden Sie tun?“, fragte sie mich. Scheinbar konnte sie es nicht glauben, dass eine fremde Person ihr eine so große Freude erfüllen wollte. Ein paar Tage später lag Frau Huber im Sterben. Es kam nie zu dieser gemeinsamen letzten Zigarette. Sie starb zwei Tage später auf der Palliativstation.

Die Begleitungen mit sterbenden Menschen sind für mich das pure Leben in einer hochkonzentrierten Form.

Am Ende ging es gar nicht um diese Zigarette, die hier nur als ‚Schnittstelle‘ fungierte, sondern um das, was alles dazwischen passierte: das Vertrauen in der anfänglichen Fremdheit, die Vertiefung von Beziehung und die Art und Weise in Kontakt zu kommen und zu bleiben, gerade in den Momenten, die für viele nicht mehr aushaltbar sind. Die Begleitungen mit sterbenden Menschen sind für mich das pure Leben in einer hochkonzentrierten Form.

„Ehrenamtliche verstehen sich als Zuhörer, also solche, die einfach da sind“ (Schuchter et al., 88). Denn „die Kunst der Begleitung“, wie es im gleichnamigen Buchtitel heißt, besteht im „‚Zugang‘ zur Seele, in der Stiftung von Beziehung“ (Schuchter et al., 71). Diese ‚heiligen Momente‘ sind es, die Ehrenamtliche in der Begleitung von und mit Sterbenden erleben, auch über den Tod hinaus. Denn es wäre einfältig zu glauben, die Beziehung zwischen dem sterbenden Menschen und der ehrenamtlichen Begleitung fände allein auf dieser Ebene statt. Es ist immer das System aus Zugehörigen: Familie, Freunde und Bekannte, die in der Hospizarbeit oder der Palliative Care Versorgung einbezogen werden (vgl. Schuchter et al., 110). Dabei wird von Ehrenamtlichen als Kommunikationsprofis gesprochen, die mit Feingefühl und Sensibilität agieren (vgl. Schuchter et al., 92). Demnach geht es bei der ehrenamtlichen Sterbebegleitung darum „Gespräche zu führen, zuzuhören, da zu sein, Zeit zu schenken, Angehörige zu entlasten und zu unterstützen“ (Fink/Schultz, 20). Hier steht die aktive Seite der ehrenamtlichen Person, die im Außen agiert, im Vordergrund. Doch dafür bedarf es einer inneren Stabilität und Reflexionshaltung: „Es geht um Halt im Leben und man nimmt eine Haltung im Leben ein“ (Dethloff, 33). So beschreibt Fanny Dethloff im Leidfaden, dem Fachmagazin für Krisen, Leid und Trauer, dass sich Halt und Haltung wechselseitig bedingen und veränderbare, beeinflussbare Faktoren im Leben darstellen, die sich durch unsere Erfahrungen entwickeln (vgl. Dethloff, 33f.).

Einhergehend mit dem demografischen Wandel unterliegt auch das Ehrenamt eben diesem. Das hospizliche Ehrenamt befindet sich in einer alternden Gesellschaft, doch auch das Ehrenamt selbst ist alternd. Ein hohes Sterbealter und ein langsames, herauszögerndes Sterben sind die Realität, obwohl in der deutschen Gesellschaft der Wunsch laut einer Umfrage von forsa nach einem schnellen und vor allem symptomfreien (Schmerzen, Atemnot etc.) Sterben mit 95 Prozent die höchste Priorität hat (vgl. forsa, 14). Zusammengefasst: „Wir leben länger und wir sterben länger“ (Heller/Wegleitner, 11). Die Gesellschaft wird immer älter und die Alten immer einsamer. Als psychosoziale Begleiter*innen gehen die Ehrenamtlichen enge Beziehungen mit den zu betreuenden Menschen ein, die, in Anbetracht der demografischen Entwicklung vor allem bei Alleinstehenden, zum ‚Familienersatz‘ werden können (vgl. Hesse et al., 16). Es geht um die zwischenmenschliche Begleitung, die unentgeltlich bleibt, aber vor allem dadurch ihre Wertigkeit bestimmt und gegen eine Isolierung des Sterbens einsteht (vgl. Raischl/Wohlleben, 18). Ehrenamtliche Sterbebegleitung wird hochgeschätzt, als sinnstiftend und altruistisch angesehen, doch Gegenstimmen sprechen auch von einer „einseitige[n] Überhöhung und […] immer gleiche[n] Darstellung des Ehrenamts“ (Melching, 63).

Ist das Ehrenamt wie eine Liebesbeziehung oder doch eher eine Zwangsehe? Die Frage nach einem guten Ehrenamt ist eine Frage nach einem stabilen Gesellschaftssystem, das durch und mit Krankenkassen und -häusern sowie der Gesundheits- und Pharmaindustrie aufrechterhalten wird. Die Hospizbewegung mit ihren Ehrenamtlichen spielt jedoch mit in diesem machtgesteuerten Kampf um Anerkennung und Geld und...

Erscheint lt. Verlag 22.10.2021
Mitarbeit Zusammenstellung: Matthias Sellmann
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte beerdigen • Pastoral • Seelsorge • Sterben
ISBN-10 3-429-06511-9 / 3429065119
ISBN-13 978-3-429-06511-9 / 9783429065119
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