Seltsam unverbunden (eBook)

Breitensport in der DDR als öffentliche Sphäre zwischen System und Lebenswelt
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
273 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45008-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Seltsam unverbunden -  Jan Kleinmanns
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Sport war im »Arbeiter- und Bauernstaat« DDR ein wichtiger Bestandteil des Alltags vieler Millionen Menschen und war dort sogar in der Verfassung verankert. Jan Kleinmanns zeigt in seiner quellengesättigten Studie, wie Sportgemeinschaften in der DDR eigene, verkapselte Teilöffentlichkeiten entwickelten, die als geschlossene Einheiten gegenüber zentralen Institutionen auftraten. Innerhalb dieser Gruppen blieben Bekenntnisse zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft oftmals Lippenbekenntnisse. Mit der Untersuchung dieser Begebenheiten legt die Studie Mechanismen des Nebeneinanders von Partei und Gesellschaft in der DDR offen und zieht Schlüsse für die ostdeutsche Nachkriegsdiktatur, die weit über den Bereich Sport hinausgehen.

Jan Kleinmanns ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn.

Jan Kleinmanns ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn.

2.Sport und Struktur


Der meiste Sport, den wir kennen, ist organisierter Sport. Und auch in dieser Arbeit wird Sport vor allem als organisierter Sport beschrieben. Ausdauerläufern im Breitensport, die einsam und nach Lust und Laune ihre Runden auf den befestigten Wegen landein und landaus ziehen und auch Kinder, die auf einem Bolzplatz das Leder malträtieren, stehen nicht im Fokus dieser Arbeit, sondern Sportlerinnen und Sportler, die ihrem Hobby in einer Struktur nachgehen. Dies liegt darin begründet, dass zur Untersuchung eigen-sinniger Verhaltensweisen und Öffentlichkeit die Personen besonders geeignet erscheinen, die zwischen einem »Dafür« und einem »Dagegen« changieren, dabei jedoch, und dies ist hinsichtlich »bolzender« Kinder und einsamen Langstreckensportlern problematisch, auswertbare Spuren hinterlassen.

Wie diese Spuren aussehen, wird Gegenstand eines späteren Kapitels sein. In diesem Kapitel werden die Rahmenbedingungen des Sports erörtert werden, in denen diese Sportlerinnen und Sportler navigierten. Es wird aufgezeigt werden, dass auch das DDR-Sportsystem nicht »bei null« begann, welche einschneidende Wirkung die Gründung des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) hatte, wann und wie der Sport in der DDR auf eine hohe Leistungsfähigkeit eingestellt wurde und es sich mit neuen Sportarten verhielt, die nicht »schon immer« im Osten Deutschlands ausgeübt wurden.

2.1Die Wurzeln


»Alles war für immer, bis es nicht mehr war.« Dieses Fazit, das für die gefühlt ewig-bestehende sowjetische Lebenswelt formuliert wurde,114 traf nicht nur auf ihr Ende, sondern auch auf ihren Anfang zu. Das Kriegsende, also den Zeitraum zwischen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 und der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten am 5. Juni 1945, als Zäsur zwischen Nationalsozialismus und DDR anzunehmen, erweitert um eine diffuse Zwischen- und Übergangszeitzeit in der sowjetischen Besatzungszone, liegt schon auf den ersten Blick nahe. Das, was 1.000 Jahre bestehen sollte, war kollabiert und keinesfalls mehr »für immer«. Im Falle eines Systemwechsels gilt dies gleich in mehrfacher Hinsicht, denn zweifelsohne gab es bereits vor 1949 organisierten Sport im Osten Deutschlands. Doch ist es weder zielführend noch sachdienlich, diese Entwicklung von ihren Ursprüngen an zu erzählen. Ein Blick auf eine kurze Zeitspanne vor dieser Zäsur ist ausreichend, denn die Wurzel des strukturierten DDR-Sports ist spätestens in der Strukturierung des Breitensports im Nationalsozialismus zu sehen. Die Entwicklungen in der Weimarer Republik, die das Phänomen des Massensports erst befeuerten, werden an dieser Stelle nicht behandelt werden.

Die Gleichschaltung vieler gesellschaftlicher und politischer Strukturen, sprich die zentrale Vereinnahmung des kulturellen und politischen Lebens durch die Nationalsozialisten, hatte auch ihre Auswirkung auf den Sport. Auch Vereine und Sportgemeinschaften waren »gleichgeschaltet« worden und wurden auf diese Weise für die Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Ideologie vorbereitet.115 Dies wirkte sich manchmal mehr und manchmal weniger drastisch auf den Alltag der Sporttreibenden aus, doch wurde die Strenge dieser Gleichschaltung aber durch den Zweiten Weltkrieg und dessen Ende aufgebrochen. Die gleichgeschaltete Struktur wich dann, wie fast jeder gesellschaftliche Faktor, einer Phase der kurzen und chaotischen Neuordnung, bei der die Vereine sich neu aufzustellen versuchten, ohne dabei auf die vorher bestimmenden, nationalsozialistisch geprägten Strukturen zurückgreifen zu können, zu wollen oder zu dürfen. Die oftmals geäußerte These, dass der Sport im Osten Deutschlands »bei null« hätte aufgebaut werden müssen,116 ist jedoch falsch:

Besonders, dass die vorherigen Strukturen, die durch den Zweiten Weltkrieg zerschlagen worden waren, auch keine sonderlich lange Tradition genossen, stützt die Annahme, dass die Strukturen, die den Sport trugen, vielmehr in der Mikroebene, also in den Vereinen und bei den einzelnen Sportlern, die sich als Gemeinschaft verstanden, und nicht bei den großen Verbandsstrukturen, also der Meso- oder Makroebene, zu suchen sind.

Der letzte gewichtige Eingriff in die Sportstruktur im nationalsozialistischen Deutschland und damit grundlegend für den letzten geordneten Zustand des Breitensports vor dem Kriegsende war die Umgestaltung des Deutschen Reichsbunds für Leibesübungen (DRL) in den Nationalsozialistischen Sportbund für Leibesübungen (NSRL) im Jahr 1938. Der sogenannte NSRL-Erlass wurde im Dezember 1938 verabschiedet und sollte die Mitgliederzahlen der Sportbewegung durch die Anbindung an die nationalsozialistischen Parteistrukturen stabilisieren.117 Der Anlass hierfür war, dass zuvor die Zahl der Aktiven in den Sportvereinen, auch wegen der stärkeren Einbindung der männlichen Bevölkerung in die Wehraufgaben, schlagartig gesunken war. Dieser Entwicklung sollte durch eine stärkere Anbindung an die Parteiorgane entgegengewirkt werden: Neben vielen Neuerungen, die vor allem die Annäherung der Sportstruktur an die nationalsozialistischen Ideologie-Konstrukte umfassten, fand auch eine strukturelle Neuordnung des Sportsystems statt. Die alten Verbandsstrukturen wurden aufgelöst und die Ordnung den Parteigauen angegliedert. Zwar wurden hierbei einzelne Gaue in der Sportstrukturierung zusammengelegt, doch insgesamt ist eine klare Orientierung an diesem Gliederungssystem nachzuvollziehen. Diese Gliederung blieb, wenn auch zuletzt in einer formalen Bedeutung, bis zum Kriegsende stabil.

Dabei war der Sport im Nationalsozialismus, insbesondere auf den Zeitpunkt des Kriegsendes bezogen, mehr als die instrumentalisierte Zurschaustellung nationalsozialistischer Körperkultur:

»Die Menschen fanden im Sport etwas, das nicht ›von oben‹ verordnet werden musste; Flucht aus den Sorgen des Kriegsalltags und vor der politischen Dauerberieslung, ein Stück Frieden im Krieg und ablenkende Unterhaltung.«118

Dies wundert auch dahingehend nicht, da die kleinsten Einheiten der Sportorganisation, die Mitglieder der Vereine, ausgenommen die durch die »Gleichschaltung« beeinflusste Leitungsebene und die Entbehrungen durch den Krieg, als soziale Ordnungsfaktoren und Identifikationspunkte über die NS-Zeit zumeist stabil blieben.119 Die Facetten, die der Krieg hatte und die Auswirkungen, die er nach sich zog, also Zerstörung, Verlust und Elend, die strukturellen Änderungen, also die Neuordnung des institutionalisierten gesellschaftlichen Lebens und die geistige Konstruktion des Bruchs, verleihen dem Kriegsende erst die Rahmenbedingungen, um als Aufbruch umgedeutet werden zu können. Besonders mit dem Blick auf das Forschungsfeld Sport ist dabei auf die Konsequenzen von Vertreibung, Gefangenschaft, Tod und Verstümmelung ein verstärktes Augenmerk zu legen. In einem Umfeld, in dem insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhebliche Teile der männlichen Bevölkerung in Gefangenschaft geraten, tot oder verwundet waren, scheint eine Ausübung des Sports in einer Form, wie er in der Vorkriegszeit stattgefunden hat, wenig wahrscheinlich. Die Vereine, in denen besonders große Anteile der Sporttreibenden männlichen Geschlechtes waren, erlebten schon durch das Fehlen von großen Teilen ihrer Mitglieder einen Transformationsprozess. Leider finden sich zu diesem Prozess kaum Forschungsergebnisse. Beschleunigt wurde dieser Prozess dadurch, dass die männlichen Vereinsmitglieder, die schon während des Krieges wieder am Vereinsleben teilnahmen, zu einem beträchtlichen Teil zum Kreis der Kriegsversehrten gehört haben dürften. Von der damit einhergehenden möglichen Traumatisierung einmal abgesehen, veränderte auch ihre Versehrtheit das Vereinsleben, die Wahrnehmung von Sport und auch das Miteinander.

Nach den zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur und einem Weltkrieg, der Millionen von Lebenswelten verschlang, brach mit der Besatzungszeit und der Gründung der DDR eine neue Welt über die Bewohner des Osten Deutschlands herein. Anders als in den westlichen Besatzungszonen, in denen die Besatzer schnell als Befreier wahrgenommen wurden und die Demokratisierung politischer Strukturen spürbar wurde, manifestierte sich in der DDR ein anderer politischer Stil, dessen Drall zur Diktatur früh offenkundig wurde. Dieser Drall zeigte sich auch im Wandel lebensweltlicher Strukturen. Bereits im Nationalsozialismus griff die Diktatur in die Freizeit und Lebenswelt der Bevölkerung ein, wobei diese Eingriffe zwischen Zuckerbrot und Peitsche changierten. Angebote, die überaus vorteilhaft wirkten, wie exzessiv geförderter Betriebssport...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Schlagworte Alltag • Alltagsgeschichte • Deutsche Demokratische Republik • Erich Honecker • Erich Mielke • Freizeit • Geschichte • Gesellschaft • Opposition • Partei • SED • Sozialistische Einheitspartei Deutschlands • Sport • Sportgeschichte • Systemanhängerschaft
ISBN-10 3-593-45008-9 / 3593450089
ISBN-13 978-3-593-45008-7 / 9783593450087
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