»Technik können Sie von der Taktik nicht trennen« (eBook)

Die Jagdflieger der Wehrmacht

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
572 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45075-9 (ISBN)

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»Technik können Sie von der Taktik nicht trennen« -  Jens Wehner
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Die Jagdflieger der Wehrmacht waren die »Popstars« der nationalsozialistischen Propaganda. Doch was steckte hinter der glänzenden Fassade? Jens Wehner wirft - nüchtern und ausgewogen - ein neues Licht auf ihre militärische Funktion in der Luftkriegsführung. Seine Studie analysiert den militärischen Nutzen der Jagdflugzeugtypen von Messerschmitt und Focke-Wulf, ihre taktische Anwendung und Leitbilder. Vergleiche mit dem Entwicklungsstand der alliierten Kriegsgegner hinterfragen die Sinnhaftigkeit des Strebens nach technischer Überlegenheit. So entsteht das Bild einer Technik, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, einer fehlerhaften und statischen Doktrin, die für zahlreiche Rückschläge sorgte, und von individualistisch agierenden Piloten, die sich dem militärhierarchischen System entfremdeten.

Jens Wehner, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Oberrat am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.

Jens Wehner, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Oberrat am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.

2.Luftkriegs- und Luftkampfbild – Jagdflieger im Douhetismus


Die Jagdflugzeuge waren das Resultat eines technisierten Ausdifferenzierungsprozesses der Kriegsflugzeuge im Ersten Weltkrieg. Ihre Aufgabe war die Bekämpfung feindlicher Flugzeuge in der Luft.296 Jagdflugzeuge zeichneten sich durch überlegene Flugleistungen aus, mit denen der Luftkampf gegen feindliche Flugzeuge überhaupt erst möglich wurde. Die Flugleistungen hingen mit taktischen Vor- und Nachteilen eng zusammen. So konnte ein Flugzeugführer mit überlegener Geschwindigkeitsleistung nach Belieben den Kampf aufnehmen oder vermeiden. Dagegen stellte das langsamere Flugzeug diese taktische Entscheidungsmöglichkeit nicht zur Verfügung. Das Konzept der Jagdflieger bewährte sich im Verlauf des Ersten Weltkriegs außerordentlich, ohne Jagdflieger war der Luftraum nicht mehr zu beherrschen. Mit einem Anteil von 40 Prozent stellten sie bei Kriegsende 1918 die wichtigste Fliegergattung der deutschen Luftstreitkräfte.297 Ein typisches Jagdflugzeug jener Zeit war ein Doppeldecker, der etwa 200 Kilometer pro Stunde erreichte und mit zwei Maschinengewehren bewaffnet war.298

Abbildung 2: Diese Seite aus einem Fotoalbum zeigt den letzten Kommandeur der Jagdgeschwaders Richthofen, Hermann Göring, in einem Fokker D.VII-Jagdflugzeug. Die D.VII repräsentierte den technischen Stand des Jahres 1918. Göring wurde später Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Stellvertreter Adolf Hitlers. Der Besitzer des Fotoalbums, Fritz Lübbert, war Jagdflieger in Richthofens Geschwader und wurde als sogenannter »Halbjude« verfolgt.

Quelle: Lübbert/MHM Dresden

Die neue Technik bedingte auch neue Kampfformen. In deren Entwicklung nahm das Deutsche Reich eine führende Position ein. Eine Sorte taktischer Innovationen waren grundlegend neue Flugmanöver, wie sie beispielsweise der Jagdfliegeroffizier Max Immelmann entwickelte. Von übergreifender Natur waren neue taktische Regelwerke wie die »dicta boelcke« von Oswald Boelcke.299 Manfred von Richthofen, der aufgrund eines roten Flugzeuganstrichs den Beinamen »Roter Baron« erhielt, entwarf wegweisende Konzepte für den Masseneinsatz von Jagdfliegern. Er kommandierte das erste deutsche Jagdgeschwader.300 Die Kampfwerteinschätzung des Jagdflugzeuges verschlechterte sich bei führenden Luftmilitärs gegen Kriegsende, denn gegen starke Formationen großer Bomber offenbarten die Jagdflieger Schwächen.301 Das Denken Giulio Douhets und anderer Luftkriegstheoretiker der Zwischenkriegszeit ist ohne diese Erfahrungen des Ersten Weltkriegs schwer zu verstehen. Giulio Douhet stellte die Jagdflugzeuge in seiner Theorie von 1921 als zu vernachlässigende Größe dar. An diesem Punkt setzt die Untersuchung ein, denn Douhets Thesen fanden in den Luftstreitkräften der Welt so großen Anklang, dass sie in der Folgezeit zu einem regelrechten Glaubenssystem mutierten.302 Der Begriff des Douhetismus fand Eingang in den Sprachgebrauch.

Nach der Betrachtung des Luftkriegs- und Luftkampfbilds bei Douhet wird der Fachdiskurs in Deutschland anhand von Militärzeitschriften analysiert. Besonderes Augenmerk wird auf Denkfiguren des Douhetismus und davon abweichender Veränderungen gelegt. Danach ist das Luftkriegsbild der Luftwaffe zu bestimmen, wobei die Kongruenz und Devianz douhetistischer Denkmuster und der Fachpublizistik für die Doktrin maßgeblich ist. Aus den Teilbefunden lassen sich das Luftkrieg- und Luftkampfbild ermitteln, die beide handlungsleitend für die Aufrüstung der Jagdflieger in den 1930er Jahren waren.

2.1Das Luftkrieg- und Luftkampfbild bei Douhet


Giulio Douhet prägte ab 1921 mit seinem Buch Il Dominio dell’Aria (deutsch: Die Luftherrschaft) das Luftkriegsdenken nachhaltig. Darin stellte er die zentrale These auf, dass im künftigen Krieg allein die Luftmacht entscheidend sei.

Das Jagdflugzeug sah er als unzureichendes Waffensystem im Kampf um die Luftherrschaft an. Dazu führte er den Ersten Weltkrieg als zentralen Erfahrungshorizont an, in dem die Flugzeuge auf Geschwindigkeit und Feuerkraft hin konstruiert waren. Douhet beschrieb den Luftkampf im Ersten Weltkrieg nah an den Tatsachen. Schnelle und wendige Jagdflugzeuge hatten in anspruchsvollen Luftkämpfen um die Luftherrschaft gerungen. Das schnellere Flugzeug besaß den Vorteil, den Luftkampf nach eigenem Willen anfangen und beenden zu können. Das wendigere Jagdflugzeug hatte dagegen im Manöverluftkampf den Vorteil auf seiner Seite. Von den Piloten verlangte die Luftakrobatik (Kunstflug) viel Spezialkönnen. Diese Manöverluftkämpfe der Jagdflugzeuge erinnerten an »Hundekämpfe« (bis heute im Englischen »dogfight«), bei denen ein Hund an das Heck des anderen Hundes zu kommen versucht. Den Jagdfliegern erlaubte man, frei den Gegner zu suchen, um auf diese Weise Abschusserfolge zu erzielen. Ihr Vorteil war ihre Fähigkeit, die Hauptquartiere der militärischen Führung zu schützen, weshalb sie meist nahe an diesen stationiert waren. Aufgrund ihrer technisch überlegenen Flugleistungen konnten sie Bomber rechtzeitig abfangen und abschießen. Deswegen hätten höhere Militärs die jagdfliegerischen Leistungen mit eigenen Augen gesehen und besonders geschätzt. Gelang es einer Seite, mehr Flugzeuge als der Gegner abzuschießen, beanspruchte sie sofort die Luftherrschaft. In Wirklichkeit sei es keiner Seite im Ersten Weltkrieg gelungen, die Luftherrschaft zu erringen. Vielmehr hätten bis zum Schluss beide Seiten in der Luft miteinander gerungen. Der individuelle, ritterlich anmutende Zweikampf der Jagdflieger stand laut Douhet den Prinzipien des modernen Kriegs entgegen, der durch Massen an durchschnittlichen Menschen und Maschinen entschieden wird.303

Im Bestreben, diesen Prinzipien Geltung zur verschaffen, entwickelte Douhet ein eigenes Konzept von Luftherrschaft. Zentral war die Annahme, dass große Städte durch den Abwurf entsprechend großer Bombenmengen aus der Luft größtenteils zerstört werden könnten.304 Ein einzelner »K.-o.-Schlag« würde für den Sieg ausreichen. Diese These fand in den industrialisierten Ländern des Westens großen Anklang. Viele Autoren und Experten waren der Ansicht, dass ein künftiger Bombenkrieg viele Menschen töte und große Städte und deren Gesellschaften auslösche.305 Aus Furcht vor den Folgen eines Bombenkriegs unternahmen Außenpolitiker einige Anstrengungen zur Abrüstung. »Der Bomber kommt immer durch«,306 warnte der britische Außenminister Stanley Baldwin im Jahr 1932. Dieser Angst lag eine beträchtliche Überschätzung der Bombenwirkung zugrunde. Laut Douhet reichten 1.000 Tonnen Bomben aus, um Metropolen wie Paris oder London auszulöschen.307 Diese Annahme lag weit über den tatsächlichen Auswirkungen im Zweiten Weltkrieg. Allein London musste 1940/41 rund 15.000 Tonnen Bomben verkraften308 und bestand dennoch als britische Hauptstadt weiter.

Als zentrale Flugzeuggattung fungierten Luftkreuzer in Douhets Szenarien des künftigen Luftkriegs. Mit 40 Tonnen Fluggewicht und einer Leistung von 6.000 PS sollten sie etwa sechs Tonnen Bomben tragen. Für den Luftkampf waren sie mit 16 bis 24 Maschinengewehren und leichter Panzerung versehen.309 Zum Schutz der Luftkreuzer-Bomber sah Douhet eine noch größere und stärker bewaffnete Flugzeuggattung vor, die er Kampfflugzeuge nannte. Mit ihrer enormen Feuerkraft sollten sie in der Lage sein, Jagdflieger und andere Flugzeuge abzuwehren.310 Zusammen stellten Luftkreuzer und Kampfflugzeuge laut Douhet das Rückgrat der künftigen Luftstreitmächte, wohingegen die anderen Flugzeuggattungen lediglich unterstützende Aufgaben zugewiesen bekamen.311 Douhets Vision ließ gewaltige Luftarmadas auferstehen. 1.000 Luftkreuzer-Flugzeuge zu je 6.000 PS konnten, seinen Berechnungen zufolge, bis zu 6.000 Tonnen Bomben, 24.000 Maschinengewehre und 2.000 kleine Kanonen tragen.312 In einem künftigen modernen Luftkampf würde der Einsatz von Technik in Massen sowie in gut strukturierten Formationen entscheidend sein. Gegen diese Streitmacht wirkten die kleinen, schwach bewaffneten Jagdflugzeuge der 1920er Jahre hilflos.313 Zwar gestand Douhet den Jagdflugzeugen gegenüber den Bombern höhere Geschwindigkeiten und bessere Manövrierfähigkeit zu, doch wären diese Eigenschaften für den Luftkampf der Zukunft unerheblich, entscheidend sei allein die Feuerkraft. Damit hatte Douhet den Luftkampf der Zukunft auf ein einzelnes technisches Parameter verengt – die Feuerkraft. Größere Flugzeuge würden besser...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2022
Reihe/Serie Krieg und Konflikt
Krieg und Konflikt
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Bf 109 • Dogfight • Doktrin • Drittes Reich • Fliegen • Flugzeug • Flugzeuge • Focke-Wulf • Fw 190 • Geschichte • Geschwader • Giulio Douhet • im Zweiten Weltkrieg • Jagdflieger • Jagdflugzeug • Jagdflugzeuge • Jagdgeschwader • Kulturgeschichte • Luftkampf • Luftkriegsführung • Luftwaffe • Messerschmitt • Militärgeschichte • Nationalsozialismus • NS • Piloten • Propaganda • Taktik • Technikgeschichte • Wehrmacht • Wirtschaftsgeschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-593-45075-5 / 3593450755
ISBN-13 978-3-593-45075-9 / 9783593450759
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