Wiltraut Rupp-von Brünneck (1912-1977) (eBook)

Juristin, Spitzenbeamtin, Verfassungsrichterin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
558 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44998-2 (ISBN)

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Wiltraut Rupp-von Brünneck (1912-1977) -  Fabian Michl
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Wiltraut Rupp-von Brünneck war eine der profiliertesten Juristinnen der Bonner Republik. Von 1963 bis 1977 amtierte sie als Richterin des Bundesverfassungsgerichts - als einzige Frau unter fünfzehn Männern. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie in den Siebzigerjahren durch ihre pointiert formulierten Sondervoten bekannt, in denen sie die Entscheidungen ihrer mehrheitlich konservativen Richterkollegen kritisierte. Ihr Sondervotum zum umstrittenen Abtreibungsurteil machte sie zu einer Identifikationsfigur der Frauenbewegung. Auf der Grundlage umfangreicher Archivbestände schildert Fabian Michl den außergewöhnlichen Lebensweg einer Spitzenjuristin und streitbaren Vorkämpferin für Gleichberechtigung, Sozialstaat und Demokratie - von der Jugend im Adelsmilieu der Weimarer Jahre über das Studium in Zeiten des politischen Umbruchs, die ersten beruflichen Schritte im Nationalsozialismus, die Neuorientierung in der Nachkriegszeit, die Ministeriallaufbahn im »roten Hessen« der Fünfzigerjahre bis hin zur Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht.

Fabian Michl, Dr. iur., ist Juniorprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Recht der Politik an der Universität Leipzig.

Fabian Michl, Dr. iur., ist Juniorprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Recht der Politik an der Universität Leipzig.

Prolog


Im September 1963 trat Wiltraut Rupp-von Brünneck die Nachfolge von Erna Scheffler als einzige Frau unter den sechzehn Richtern des Bundesverfassungsgerichts an. Bis zu ihrem frühen Tod im August 1977 sollte sie die Rechtsprechung des Karlsruher Gerichts prägen wie nur wenige Richter vor oder nach ihr. In Erinnerung geblieben sind vor allem ihre pointierten Sondervoten zu besonders umstrittenen Entscheidungen der siebziger Jahre – zum Mephisto-Beschluss von 1971, zum Hochschulurteil von 1973 und zum Abtreibungsurteil von 1975. »Gerade in solchen Entscheidungen, die in politisch äußerst kontroversen Materien ergangen sind, konnten sich Teile der Bevölkerung in der von ihr veröffentlichten abweichenden Meinung wiederfinden«, sollte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda rückblickend sagen. Er charakterisierte seine streitbare Kollegin in Anspielung auf US-amerikanische Vorbilder als den »Great Dissenter« von Karlsruhe.1 Wiltraut Rupp-von Brünnecks abweichende Meinungen sind heute Klassiker der verfassungsrechtlichen Prosa. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass sie vor allem dann maßgebenden Einfluss auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahm, wenn sie eine Mehrheit der Richter für ihren Entscheidungsvorschlag gewinnen konnte, beim Unehelichenbeschluss von 1969 etwa, beim Spanier-Beschluss von 1971 oder beim Lebach-Urteil von 1973.

Dieses Buch erzählt die Lebensgeschichte einer Juristin, von der manche sagen, »sie sei die bedeutendste Richterin in der deutschen Rechtsgeschichte gewesen«.2 Ihre Verdienste um die Verfassungsordnung des Grundgesetzes, um Gleichberechtigung, Sozialstaatlichkeit und Demokratie haben bereits Anlass zu mehr als einer Würdigung ihres Lebens und Wirkens gegeben. Hierzulande, wo Richterbiographien keine Tradition haben,3 ist allein das bemerkenswert. Doch gehen die bisherigen Darstellungen über biographische Skizzen kaum hinaus. Sie stützen sich auf veröffentlichte Urteile und Voten, eigene Wahrnehmungen der Verfasser und anekdotische Überlieferungen.4 45 Jahre nach dem Tod der Juristin, Spitzenbeamtin und Verfassungsrichterin ist die Zeit reif für eine umfassendere und differenziertere Lebensbeschreibung. Das ist der Anspruch dieses Buches. Dabei versteht sich von selbst, dass eine Biographie nur Annäherung an die Vergangenheit, nicht aber getreues Abbild dessen sein kann, »was eigentlich« im Leben der Protagonistin »gewesen« ist.

Die Präzision der Annäherung hängt entscheidend von Umfang und Qualität der Quellen ab. Für die meisten Lebensabschnitte ist die Quellenlage günstig: Wer vierzig Jahre lang im Staatsdienst tätig war, hinterlässt Spuren in den Akten seiner Dienststellen. In Wiltraut Rupp-von Brünnecks Fall sind das in chronologischer Reihenfolge das Berliner Kammergericht (1937–1941), die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (1941–1943), das Reichsjustizministerium (1943–1945), die Justiz der sowjetisch besetzten Provinz Sachsen (1945/46), das hessische Justizministerium (1946–1952), die hessische Staatskanzlei (1953–1963), schließlich das Bundesverfassungsgericht (1963–1977). Die Personalakten dieser Dienststellen sind in staatlichen Archiven in Berlin, Koblenz, Magdeburg und Wiesbaden fast lückenlos überliefert. Für die Dienstzeiten am Reichsjustizministerium und in den hessischen Ministerien ließen sich dort auch Sachakten ermitteln, die Einblicke in Wiltraut Rupp-von Brünnecks Tätigkeit auf ihren jeweiligen Dienstposten gewähren. Diese umfangreiche archivalische Überlieferung bildet die Grundlage der ersten fünf Kapitel dieses Buches. Sie wird durch Bestände weiterer öffentlicher und privater Archive ergänzt, in denen vor allem Nachlässe von Weggefährten Wiltraut Rupp-von Brünnecks überliefert sind. Die Reste ihres eigenen Nachlasses und des Nachlasses ihres Ehemannes Hans Rupp verwahrt ihr Neffe Alexander von Brünneck.

Etwas dürftiger ist die Quellenlage für Wiltraut Rupp-von Brünnecks letzten, zugleich aber prominentesten Lebensabschnitt, die zwei Amtszeiten als Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Zwar ist die Personalakte aus dieser Zeit erhalten, doch lässt sie nur wenige Rückschlüsse auf die richterliche Tätigkeit zu. Die anderen Akten der Verwaltung des Bundesverfassungsgerichts aus den sechziger und siebziger Jahren sind verschollen. Die entscheidungsrelevanten Akten der einzelnen Verfahren unterliegen einer besonderen gesetzlichen Sperrfrist von 60 Jahren. Da Wiltraut Rupp-von Brünneck erst ab Ende der sechziger Jahre eigene Akzente am Gericht setzte und ihre Sondervoten alle aus den siebziger Jahren stammen, wird noch einige Zeit ins Land gehen, ehe sich der »Schleier des Beratungsgeheimnisses« lüften lässt.5 Dieses Buch kann daher nicht mit Enthüllungen über die gerichtsinternen Kontroversen aufwarten, die Wiltraut Rupp-von Brünneck zur Abfassung ihrer Sondervoten bewegt haben. Auch kann es ihren Einfluss als Berichterstatterin nicht anhand von Voten und Beratungsprotokollen rekonstruieren. Die Darstellung des letzten Lebensabschnitts ist daher weitgehend auf die veröffentlichten Texte der Entscheidungen und Sondervoten verwiesen. Zusammen mit der quellengesättigten Beschreibung ihres Lebens vor dem Richteramt vermitteln diese Texte aber einen Gesamteindruck von der Rolle, die Wiltraut Rupp-von Brünneck am Bundesverfassungsgericht einnahm.

Hans-Peter Schneider, der 1983 Wiltraut Rupp-von Brünnecks gesammelte Schriften und Sondervoten herausgab, würdigte sie als eine »große Richterin«.6 Diemut Majer, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin einige Monate in Wiltraut Rupp-von Brünnecks Dezernat gearbeitet hatte, charakterisierte sie 1993 als »eine der eindrucksvollsten Richterpersönlichkeiten, die im Bundesverfassungsgericht wirkten«.7 Anne Lenze schloss sich dieser Einschätzung in ihrer 2016 veröffentlichten Analyse der Sondervoten an und betonte, dass es Wiltraut Rupp-von Brünneck »gewiss nicht in die Wiege gelegt« gewesen sei, »eine der eindrucksvollsten Richterinnen zu werden, die je im Bundesverfassungsgericht gewirkt haben«.8 Die Verfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck steht im Fokus aller bisherigen biographischen Würdigungen.9

Dieses Buch setzt einen etwas anderen Akzent. Es erzählt die Lebensgeschichte einer Juristin, von deren vierzig Jahren im Staatsdienst weniger als die Hälfte auf die richterliche Tätigkeit in Karlsruhe entfielen. Die längste Zeit ihres Lebens war Wiltraut Rupp-von Brünneck Ministerialbeamtin, zuerst zwei Jahre im Reichsjustizministerium, dann sechzehn Jahre in Hessen, wo sie nicht nur juristische, sondern auch politische Erfahrungen sammelte. Als Spitzenbeamtin im sozialdemokratisch regierten »Roten Hessen« entwickelte sie ein Verständnis für die parlamentarische Demokratie, das sie später mehr als einmal in Konflikt mit ihren Karlsruher Richterkollegen bringen sollte, wenn diese darangingen, demokratische Mehrheitsentscheidungen zu korrigieren. Die verfassungspolitischen Überzeugungen, denen Wiltraut Rupp-von Brünneck in ihren Sondervoten Ausdruck verlieh, lassen sich ohne eine Berücksichtigung ihrer Ministerialtätigkeit nicht erklären, zumal ihr Lebensweg bis 1945 keineswegs in eine freiheitlich-demokratische Richtung wies.

Aufgewachsen im deutschnationalen Milieu der Weimarer Jahre, arrangierte sie sich während ihres Studiums in der Zeit des politischen Umbruchs mit dem Nationalsozialismus. Sie wollte als »Rechtswahrerin« in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« Karriere machen, positionierte sich mit programmatischen Schriften, engagierte sich in NS-Organisationen und nahm ein Promotionsvorhaben bei dem regimetreuen Rechtswissenschaftler Wolfgang Siebert auf. 1943 trat sie in den Dienst des Reichsjustizministeriums, wo sie tief in die Abgründe der nationalsozialistischen Herrschaft blickte. Jahre später sollte sie in ihren Sondervoten den Nationalsozialismus als »Unrechtsregime« charakterisieren10 und die NS-Verbrechen klar benennen.11 Sie ließ keinen Zweifel an ihrer freiheitlich-demokratischen Grundhaltung aufkommen und trat autoritären Tendenzen immer wieder entschieden entgegen. Der unermüdliche Einsatz für Demokratie, Freiheit und die Rechte des Einzelnen, der ihr juristisches Wirken nach 1945 prägte, steht in einem gewissen Widerspruch zu den ersten Jahren ihrer Laufbahn – ein Widerspruch, der sich biographisch nicht vollständig auflösen lässt und gerade dadurch charakteristisch ist für den Lebensweg einer deutschen Juristin im 20. Jahrhundert.

Wiltraut Rupp-von Brünneck stammte aus einer Juristenfamilie, väterlicher-...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Schlagworte Abtreibung • Beamte • Biografie • Biographie • Bonner Republik • Bundesrepublik Deutschland • Bundesverfassungsgericht • BVerfG • Drittes Reich • Frauenbewegung • Gericht • Geschichte • Geschlechtergeschichte • Gleichberechtigung • Hessen • Juristinnenbund • Justiz • Justizwesen • Karlsruhe • Konrad Adenauer • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Parlamentarischer Rat • Rechtsprechung • Richter • Richterin • Richterinnen • Sondervotum • Verfassungsrichterin • Weimarer Republik • Wiltraut Rupp-von Brünneck
ISBN-10 3-593-44998-6 / 3593449986
ISBN-13 978-3-593-44998-2 / 9783593449982
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