Lebendig leben! (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46267-6 (ISBN)
Steve Biddulph, geb. 1953 in England, ist ein australischer Familienpsychologe, der Erfahrungen in der Arbeit mit Problemfamilien, Vietnam-Veteranen, Notfallopfern sowie Opfern von Vergewaltigungen, Trauma und Mobbing gesammelt hat. Er kritisiert den Verlust von familiärer Gemeinschaft und propagiert ein neues Denken im Hinblick auf die Bedürfnisse von Kindern, Männern und Ehepaaren. In den letzten Jahren hat er sich in der Flüchtlingsarbeit sowie für den Klimaschutz engagiert. Biddulphs Bücher sind Weltbesteller und haben in Deutschland zum Teil sechsstellige Verkaufszahlen erreicht, darunter 'Das Geheimnis glücklicher Kinder' (2001), 'Männer auf der Suche' (2003) und 'Wie die Liebe bleibt' (2006, zusammen mit Shaaron Biddulph).
Steve Biddulph, geb. 1953 in England, ist ein australischer Familienpsychologe, der Erfahrungen in der Arbeit mit Problemfamilien, Vietnam-Veteranen, Notfallopfern sowie Opfern von Vergewaltigungen, Trauma und Mobbing gesammelt hat. Er kritisiert den Verlust von familiärer Gemeinschaft und propagiert ein neues Denken im Hinblick auf die Bedürfnisse von Kindern, Männern und Ehepaaren. In den letzten Jahren hat er sich in der Flüchtlingsarbeit sowie für den Klimaschutz engagiert. Biddulphs Bücher sind Weltbesteller und haben in Deutschland zum Teil sechsstellige Verkaufszahlen erreicht, darunter "Das Geheimnis glücklicher Kinder" (2001), "Männer auf der Suche" (2003) und "Wie die Liebe bleibt" (2006, zusammen mit Shaaron Biddulph).
Anfangen
Wir fangen sofort an – hier kommt etwas zum Ausprobieren. Spreizen Sie jetzt sofort, ohne Ihr Buch oder Ihren E-Book-Reader wegzulegen, einfach den kleinen Finger Ihrer rechten Hand ab (wie es in England beim Teetrinken üblich ist). Gut so. Jetzt machen Sie das einige Male und achten darauf, ob Sie irgendwo sonst in Ihrem Körper eine Bewegung oder Empfindung wahrnehmen. Ich warte solange! Natürlich spüren Sie vielleicht ein paar leichte Veränderungen in der Hand, aber wie sieht es mit der anderen Hand aus? Mit Ihren Füßen? Mit Ihrem Rumpf?
Zuerst spüren Sie vielleicht überhaupt nichts. Aber seien Sie einmal ganz aufmerksam und scannen Sie Ihren Körper von oben bis unten. Was verändert sich noch, und wenn es nur eine Winzigkeit ist? Wenn Ihnen das schwerfällt, probieren Sie es mit einer etwas größeren Bewegung. Heben Sie Ihren ganzen rechten Arm hoch. Wo können Sie sonst noch eine Empfindung registrieren, eine leichte Anspannung der Muskeln, eine kleine Bewegung?
Aufgrund elektrischer Messungen von Muskelpotenzialen wissen wir, dass selbst dann, wenn wir nur den kleinen Finger bewegen, jeder andere Muskel im Körper eine kleine Anpassung vornimmt. Selbst die Zehen Ihres linken Fußes verlagern sich ein ganz kleines bisschen, um die Gewichtsverschiebung in Ihrer Hand auszugleichen oder eine mögliche nächste Bewegung aufzufangen. Muskelbewegungen beginnen so subtil, dass selbst dann, wenn Sie einem Tennismatch oder einem Tanzturnier lediglich zuschauen, Teile Ihres Körpers die Bewegungen proben, die Sie sehen.
Häufig haben wir keine Ahnung, wie wir uns bewegen. Wenn Sie den Arm heben, geht die Bewegung genau genommen nicht vom Arm selbst aus. Versuchen Sie es noch einmal und sehen Sie selbst. Ihr Arm wird von den Schultern und den Rückenmuskeln angehoben. Jede Bewegung in Ihrem Körper bezieht Ihren gesamten übrigen Körper mit ein.
Wahrscheinlich sitzen Sie gerade, dann können Sie Folgendes ausprobieren: Machen Sie nichts, rühren Sie sich nicht, aber stellen Sie sich vor, Sie würden aufstehen. Proben Sie den Bewegungsablauf in der Vorstellung. Sofort werden kleine Veränderungen in Ihrem Hals, Ihrem Rücken und Ihren Beinen stattfinden, die sich auf die Ganzkörperbewegung vorbereiten, die dafür erforderlich wäre. Machen Sie sich keine Gedanken, sollten Sie dies nicht spüren; bis zum Ende des Buches werden Sie sich gelockert haben.
So faszinierend das auch ist, ist es doch nicht die Richtung, die wir hier einschlagen werden. (Dieses Wissen verdanke ich Moshe Feldenkrais, dem israelischen Physiker und Judo-Meister, dessen System zur Körperwahrnehmung mit seinen Übungen das Leben Tausender Menschen verändert hat.) Die größte Bedeutung dieser Fakten liegt für unsere Zwecke darin, dass sie Sie darauf aufmerksam machen, wie viel in jeder Sekunde Ihres Lebens in Ihnen geschieht.
Dabei sind Muskeln nur die oberflächlichste Ebene. Auch Organe bewegen und verändern sich, oft als Reaktion auf Dinge, die um uns herum geschehen. Unser Magen krampft sich zusammen. Unser Mund wird trocken. Diese Veränderungen können leicht und vorübergehend oder auch länger anhaltend und stärker sein. Norwegische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich bei einem schwerwiegenden Verlust – dem Tod eines geliebten Mannes, einer geliebten Frau oder eines Kindes – sogar die Form unseres Herzens verändert. Es verengt sich in der oberen Hälfte und bleibt auch bis zu einem Jahr so. Was geschieht da? Bricht uns buchstäblich das Herz? Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine Art Einschränkung, eine Drosselung, aber ist das ein Zeichen von gesunder Trauer oder von unterdrückter – von entgleister Trauer? Schließlich verleihen die Menschen in der westlichen Welt ihrer Trauer eher wenig Ausdruck, verglichen mit anderen Teilen der Erde. Wenn wir schluchzen, jammern und wehklagen könnten, umgeben von Verwandten und Freunden, die das alle ebenfalls tun, wie es in manchen Kulturen der Fall ist, würde sich das Herz dann immer noch zusammenziehen? Sicher wissen wir nur, dass der Körper sich erinnert. Die Frage ist nicht belanglos – ein Mensch, der einen Verlust erlitten hat, ist im ersten Jahr danach um ein Vielfaches stärker gefährdet, an völlig natürlichen Ursachen ebenfalls zu sterben.2,3 Das gilt ganz besonders für die ersten Tage und Wochen.
In unseren Organen gibt es zahlreiche Nervenendigungen – besonders im Verdauungstrakt und im Magen –, und obgleich der Grund dafür noch unklar ist, muss es doch einen geben. Er steht auch fast sicher hinter dem Ausdruck, den es in so vielen Sprachen gibt: »Bauchgefühl«. Wenn wir starke Erfahrungen machen, dann beschreiben wir sie als »bewegend«; wir erleben beinahe alle Emotionen als große Wogen oder Turbulenzen in unserem Körper. Das kann buchstäblich überwältigend sein und uns auf die Knie zwingen, sodass wir keine Kontrolle mehr über den Körper haben, bis die Emotion sich vollständig entladen und ihre Aufgabe erfüllt hat.
Manchmal mögen wir starke Gefühle sogar und freuen uns an ihnen. Das Ende eines großartigen Films oder Buchs oder Musikstücks kann uns mit Emotionen überschwemmen, und es wird viel Mühe und Können darauf verwendet, das herbeizuführen. Emotionen erleben zu können lockt uns ins Kino, bringt uns dazu, Romane zu lesen oder Konzerte zu besuchen. Noch Jahre später erinnern wir uns an das intensive, mitreißende Gefühl, wenn die Musik aufrauscht und der Abspann beginnt. Sie sind gerettet. Sie liebt ihn wirklich. Die Hobbits haben überlebt und werden von allen in Mittelerde gepriesen.
Und sofern es uns nicht an Herzblut fehlt, haben wir diese Momente auch in unserem eigenen Leben. Und wir spüren sie in unserem Körper. Wenn wir uns verlieben, jemanden begehren, uns Sorgen um unsere Kinder machen und von unseren Enkeln hingerissen sind, löst das tief im Körperinneren sitzende Gefühle aus.
Vor langer Zeit haben meine Frau und ich auf einer großen Schaffarm unterhalb der Great Western Tiers von Tasmanien gelebt. Oft machten wir schon am frühen Morgen einen Spaziergang. Als die gerade erst erwachten Schafe uns unerwartet mitten in ihrer Weide sahen, leerten die meisten erst einmal ihre Blase, ehe sie davonrannten. Wenn Hunderte von Schafen gleichzeitig Wasser lassen, ist das ein urkomischer Anblick, der heftig an die Niagarafälle erinnert! In seinem Bestseller Der Zorn der Wölfe, schildert der chinesische Schriftsteller Jiang Rong (er schreibt unter Pseudonym und heißt eigentlich Lü Jiamin), wie die Wölfe in der mongolischen Steppe das Wild in der Morgendämmerung überraschen, weil die Tiere dann aufgrund ihrer vollen Blase nicht schnell weglaufen können. Angesichts einer drohenden Gefahr Wasser und Kot auszuscheiden, hat also praktische Gründe: Es verringert das Gewicht! Auch Menschen haben diese Reaktion, wenn etwas Schreckliches droht. Australische Schuljungen machen Witze über »Hosenkacker«, aber in der Wildnis ist eine spontane Entleerung praktisch und nützlich. Unsere Körperreaktionen können massiv sein, denn auch das Leben selbst kann für Menschen extrem sein. Tragischerweise kann sehr großer Stress auch vorzeitige Wehen auslösen. Wir wurden für harte Zeiten konzipiert.
In der modernen Welt können wir auch allzu sicher sein, uns so dumpf und gelangweilt fühlen, dass wir uns zur Belebung mit einer künstlichen Gefahr aufputschen wollen. Die Krimis, die alte Leute lieben, beginnen stets mit dem Nervenkitzel eines grässlichen Mordes. Dadurch gebührend in Erregung versetzt, lassen sich die Zuschauer auf das Vergnügen ein, in Kreuzworträtselmanier herauszufinden, wer der Mörder war. Jüngere Leute holen sich ihre »Kicks« im wahren Leben; Teenager fahren zu schnell Auto oder – was gesünder ist – stürzen sich in die Brandung oder wagen sich auf Mountainbike-Trails. Junge Paare fahren Achterbahn. Hervorragend ausgebildete Spezialisten im Bereich der Medizin fühlen sich oft zu Extremsportarten oder Outdoor-Aktivitäten hingezogen, die sogar ihr Leben in Gefahr bringen können. Alle schauen sich die Abendnachrichten an; wir sagen, das täten wir, um informiert zu sein, aber in Wirklichkeit fühlen wir uns dadurch einfach lebendiger. (Möglicherweise müssten wir uns mehr auf die Bedürfnisse von realen Menschen in unserer Umgebung einlassen, wenn wir uns Not, Elend und Tragödien als Unterhaltung anschauen.) Aber der Punkt ist, dass wir körperliche Wesen sind, deren Körper reagiert. Und zwar auf alles.
Das ist unsere erste und elementarste Lektion – denn wahrscheinlich haben Sie bis zum heutigen Tag nicht so gedacht oder gehandelt. Ihr Körper hat ein ganz eigenes Leben. Er erfüllt seine Aufgabe rund um die Uhr ganz hervorragend. Er liefert Motivation, ob zum Guten oder zum Schlechten, und beeinflusst Sie, ob Sie das anerkennen oder nicht. Er gibt Ihnen entscheidende Hinweise. Er lenkt Sie zu Gesundheit und Lebendigkeit hin. Ihr Leben kann glatter laufen, wenn Sie auf seine Stimme hören, nicht nur, wenn er Sie anschreit, sondern wenn er leise spricht, was er im Laufe des Tages häufig tut.
Die moderne Psychologie begann nicht mit Ratten in Labyrinthen oder mit Menschen auf der Couch, die über ihre Mutter sprachen, sondern mit einem Mann namens Carl Rogers. Rogers war ein heller Kopf, aber auch ein warmherziger Mann, und er weigerte sich zu glauben, dass Herz und Verstand getrennt werden sollten. Er überließ die Psyche nicht länger den kalten Händen der Männer in weißen Kitteln, sondern gründete...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 6. Sinn • Angewandte Psychologie • Anthropologie • Bwusstsein • Erfülltes Leben • Freude am Leben • Gefühle • Geist und Seele • Glücklich leben • Glücklich sein • Grundlagen des Menschseins • gut leben • Humanistische Psychologie • im Einklang leben • im Einklang sein • Intuition • Körper • Körperbewusstsein • Körpergefühl • Körper und Psyche • Lebensenergie • Lebensenergie stärken • lebensfreude buch • lebenshilfe bücher • Lebensweisheit Bücher • Menschlichkeit • Menschsein • Persönliche Entwicklung • Persönlichkeitsentwicklung buch • Persönlichkeitsentwicklung Psychologie • Psychologie • psychologie bücher • Ratgeber glücklich sein • Ratgeber Leben • Ratgeber Lebensführung • Ratgeber Psychologie • Ressourcen aktivieren • sechster Sinn • seele buch • Spiritualität • Verhaltenstherapie • Vernunft • Verstand • Zusammenspiel von Körper • Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele |
ISBN-10 | 3-426-46267-2 / 3426462672 |
ISBN-13 | 978-3-426-46267-6 / 9783426462676 |
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