Think Again - Die Kraft des flexiblen Denkens (eBook)
368 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60080-4 (ISBN)
Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Seine Forschungsbeiträge im Bereich Motivation und Produktivität wurden vielfach ausgezeichnet. Er ist Autor mehrerer internationaler Bestseller, die Millionenauflagen erreichten und in 35 Sprachen übersetzt wurden.
Adam Grant ist ein vielfach ausgezeichneter Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Er ist Autor mehrerer internationaler Bestseller, die Millionenauflagen erreichten und in 35 Sprachen übersetzt wurden.
Prolog
Nach einem unruhigen Flug schwebten in Montana 15 Männer vom Himmel herab. Sie waren keine Fallschirmspringer. Sie waren Feuerspringer – Mitglieder einer Elitefeuerwehrtruppe, die mit einem Fallschirm absprangen, um einen Waldbrand zu löschen, der am Tag zuvor durch einen Blitzschlag ausgelöst worden war. In wenigen Minuten würden sie um ihr Leben rennen.
Die Feuerspringer landeten an einem glühend heißen Augustnachmittag des Jahres 1949 nahe dem Bergkamm des Mann Gulch, einem kleinen Kerbtal am oberen Missouri. Das Feuer war über die Schlucht hinweg sichtbar, als sie den Hang zum Missouri River hinabstiegen. Sie hatten vor, um das Feuer herum eine Schneise in den Boden zu graben. Damit sollte es eingedämmt und in einen Bereich gelenkt werden, in dem es nicht viel Brennbares gab.
Nachdem sie etwa 400 Meter zurückgelegt hatten, sah Wagner Dodge, der die Truppe anführte, dass das Feuer die Schlucht übersprungen hatte und direkt auf sie zukam. Seine Flammen schossen bis zu neun Meter hoch in die Luft. Schon bald würde es schnell genug brennen, um sich in weniger als einer Minute über eine Länge von zwei Fußballfeldern auszudehnen.
Um 17:45 Uhr stand fest, dass selbst eine Eindämmung des Feuers nicht mehr möglich war. Als Dodge klar wurde, dass es Zeit war, von Kampf auf Flucht umzuschalten, befahl er seiner Mannschaft, sofort umzukehren und den Hang wieder hinaufzulaufen. Der Hang war extrem steil, und die Feuerspringer mussten sich auf felsigem Terrain durch kniehohes Gras kämpfen. In den nächsten acht Minuten schafften sie fast 460 Meter, sodass der Bergkamm, das sichere Ufer, nur noch knapp 200 Meter entfernt war.
Da das Feuer jedoch schnell näher kam, tat Dodge etwas, was seine Kollegen völlig aus der Fassung brachte. Statt zu versuchen, vor dem Feuer davonzulaufen, blieb er stehen und beugte sich vor. Er nahm ein Streichholzbriefchen heraus, entzündete Streichhölzer und warf sie ins Gras. »Wir dachten, er sei verrückt geworden«, erinnerte sich später einer der Feuerspringer. Was zum Teufel tut er da? Das Feuer ist uns direkt auf den Fersen, und der Boss entzündet vor uns noch eins, dachte er bei sich. Dodge, dieser Mistkerl, will mich umbringen. Es überrascht nicht, dass sein Team Dodge nicht folgte, als er mit wedelnden Armen auf das Feuer deutete und brüllte: »Hier! Hier lang!«
Die Feuerspringer erkannten nicht, dass Dodge eine Überlebensstrategie ersonnen hatte: Er entfachte ein Fluchtfeuer. Dadurch, dass er das Gras vor sich verbrannte, entzog er dem Waldbrand den Brennstoff, der ihm Nahrung gab. Dann goss er Wasser aus seiner Feldflasche über sein Taschentuch, bedeckte damit den Mund und legte sich mit dem Gesicht nach unten auf den verkohlten Boden. Während der Waldbrand in der nächsten Viertelstunde direkt über ihm tobte, überlebte er mithilfe des nah über dem Boden verbliebenen Sauerstoffs.
Tragischerweise verloren zwölf der Feuerspringer ihr Leben. Später wurde die Taschenuhr eines der Männer gefunden, deren geschmolzene Zeiger bei 17:56 Uhr stehen geblieben waren.
Warum überlebten nur drei der Feuerspringer? Die körperliche Fitness mag ein Faktor gewesen sein; den anderen beiden Überlebenden gelang es, vor dem Feuer davonzulaufen und den Kamm zu erreichen. Doch Dodge überlebte aufgrund seiner mentalen Fitness.
Wenn Menschen darüber nachdenken, was erforderlich ist, um mental fit zu sein, kommt ihnen in der Regel als Erstes die Intelligenz in den Sinn. Je klüger man ist, desto schwieriger sind die Probleme, die man zu lösen vermag[1] – und desto schneller kann man sie lösen.[2] Intelligenz wird traditionell als die Fähigkeit zu denken und zu lernen betrachtet. Doch in einer turbulenten Welt könnten andere kognitive Fähigkeiten noch wichtiger sein: die Fähigkeit, umzudenken und umzulernen.[3]
Stellen Sie sich vor, Sie hätten gerade einen Multiple-Choice-Test hinter sich gebracht und würden nun eine Ihrer Antworten anzweifeln. Sie haben noch ein wenig Zeit – sollten Sie bei Ihrem ersten Gedanken bleiben oder die Antwort ändern?
Etwa drei Viertel aller Studenten sind davon überzeugt, dass sie schlechter abschneiden werden, wenn sie ihre Antwort ändern. Kaplan, das große Testvorbereitungsunternehmen, ermahnte sie einmal: »Lasst große Vorsicht walten, wenn ihr beschließt, eine Antwort zu ändern. Die Erfahrung zeigt, dass viele Studenten, die Antworten ändern, zur falschen Antwort wechseln.«[4]
Bei allem Respekt vor dem, was uns die Erfahrung lehrt: Ich ziehe rigorose Beweise vor. Als ein Team von drei Psychologen eine umfassende Überprüfung von 33 Studien vornahm, stellte es bei jeder von ihnen fest, dass es sich bei der Mehrzahl der vorgenommenen Änderungen um einen Wechsel von einer falschen zu einer richtigen Antwort handelte.[5] Dieses Phänomen ist bekannt als Erste-Instinkt-Falle.
In einem Fall zählten Psychologen die geänderten Stellen in den Klausuren von über 1500 Studenten aus Illinois.[6] Nur bei einem Viertel der Änderungen waren aus richtigen Antworten falsche geworden, bei der Hälfte der Änderungen hingegen aus falschen Antworten richtige. Ich erlebe es Jahr für Jahr in meinen eigenen Kursen: In den Abschlussklausuren meiner Studenten findet man erstaunlich wenige geänderte Stellen, doch diejenigen, die ihre ersten Antworten überdenken, statt an ihnen festzuhalten, verbessern letztlich ihre Punktzahl.[7]
Natürlich sind zweite Antworten nicht grundsätzlich besser. Sie sind nur deswegen besser, weil Studenten im Allgemeinen so ungern Änderungen vornehmen, dass sie dies nur tun, wenn sie sich ihrer Sache ziemlich sicher sind. Jüngste Studien deuten aber noch auf eine andere Erklärung hin: Nicht so sehr das Ändern einer Antwort verbessert die Note, sondern vielmehr die Überlegung, ob man sie ändern sollte.[8]
Wir zögern nicht nur, unsere Antworten zu überdenken. Wir zögern schon allein bei dem Gedanken, umzudenken. So sollten in einem Experiment Hunderte nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Collegestudenten erfahren, was es mit der Erste-Instinkt-Falle auf sich hat. Der Referent erklärte ihnen, welchen Wert es haben kann, seine Meinung zu ändern, und gab ihnen Ratschläge, wann es sinnvoll ist, dies zu tun.[9] Bei den nächsten beiden Tests waren sie jedoch noch immer nicht geneigt, ihre Antworten zu korrigieren.
Einen Teil des Problems bildet die kognitive Trägheit. Einige Psychologen weisen darauf hin, dass wir kognitive Geizhälse sind: Wir ziehen oft die Bequemlichkeit, an alten Ansichten festzuhalten, der Schwierigkeit vor, uns mit neuen Sichtweisen auseinanderzusetzen.[10] Doch unserem Widerstreben, Dinge neu zu durchdenken, liegen auch tiefere Kräfte zugrunde. Uns selbst zu hinterfragen macht die Welt unvorhersehbarer. Es verlangt von uns, zuzugeben, dass die Tatsachen sich geändert haben mögen, dass das, was einst richtig war, nun vielleicht falsch ist. Etwas zu überdenken, an das wir fest glauben, kann unsere Identität bedrohen und uns das Gefühl geben, als würden wir einen Teil unseres Selbst verlieren.
Nicht in jedem Bereich unseres Lebens haben wir Probleme, umzudenken. So erneuern wir voller Eifer unsere Besitztümer. Wir frischen unsere Garderobe auf, wenn sie aus der Mode kommt, und renovieren unsere Küchen, wenn sie nicht länger en vogue sind. Doch wenn es um unser Wissen und unsere Meinungen geht, neigen wir dazu, uns nicht beirren zu lassen. Psychologen nennen dies seizing (Ergreifen) und freezing (Einfrieren).[11] Wir ziehen die uns Behagen bereitende Überzeugung dem Unbehagen des Zweifels vor, und wir lassen zu, dass unsere Überzeugungen brüchig werden, lange bevor unsere Knochen dies tun. Wir lachen über Menschen, die noch immer Windows 95 benutzen, halten aber nach wie vor an den Meinungen fest, die wir uns 1995 gebildet haben. Wir hören uns Ansichten an, die uns ein gutes Gefühl vermitteln, statt Ideen, die uns zum Nachdenken zwingen.
Sie haben vermutlich schon einmal folgende Geschichte gehört: dass ein Frosch, den man in einen Topf mit kochend heißem Wasser wirft, sofort aus diesem Topf herausspringt; dass er jedoch sterben wird, wenn man ihn in lauwarmes Wasser setzt und nach und nach die Temperatur erhöht. Er ist nicht in der Lage, die Situation zu überdenken, und erkennt die Gefahr erst, wenn es schon zu spät ist.
Ich habe vor Kurzem ein paar Recherchen zu dieser beliebten Geschichte angestellt und ein kleines Problem entdeckt: Sie...
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Biopsychologie • Carol Dweck • Denken • Denktraining • Emotionale Intelligenz • Intelligenz • Intuition • Kognitionswissenschaft • Lernen • Lernwissenschaft • Mentaltraining • Neuropsychologie • Organisationspsychologie • Psychologie • Rolf Dobelli • Verhaltenstheorie |
ISBN-10 | 3-492-60080-8 / 3492600808 |
ISBN-13 | 978-3-492-60080-4 / 9783492600804 |
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Größe: 13,7 MB
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