4000 Wochen (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60049-1 (ISBN)
Oliver Burkeman, geboren 1975 in Großbritannien, ist ein preisgekrönter Feuilletonist. Für den Guardian schrieb er viele Jahre eine wöchentliche Kolumne. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in den North York Moors in England.
Oliver Burkeman, geboren 1975 in Großbritannien, ist ein preisgekrönter Feuilletonist. Für den Guardian schrieb er viele Jahre eine wöchentliche Kolumne. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt in New York City.
1 Die Begrenztheit des Lebens akzeptieren
Das eigentliche Problem ist nicht unsere begrenzte Zeit. Das eigentliche Problem – jedenfalls hoffe ich, Sie davon überzeugen zu können – besteht darin, dass wir unwissentlich eine Reihe problematischer Vorstellungen davon übernommen haben, wie wir unsere begrenzte Zeit nutzen sollten, und dass wir uns unter Druck gesetzt fühlen, nach diesen Vorstellungen zu leben, obwohl dadurch mit ziemlicher Sicherheit alles nur noch schlimmer wird. Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte und wie wir ein besseres Verhältnis zur Zeit gewinnen können, müssen wir die Uhr zurückdrehen – in die Zeit, als es noch keine Uhren gab.
Alles in allem muss man dankbar sein, dass man nicht als Bauer im England des frühen Mittelalters geboren wurde. Zunächst einmal wäre es viel unwahrscheinlicher gewesen, dass man das Erwachsenenalter erreicht hätte; aber selbst wenn man es geschafft hätte, wäre das Leben, das vor einem gelegen hätte, von Knechtschaft geprägt gewesen. Man hätte seine mühsamen Tage damit verbracht, das Land zu bewirtschaften, auf dem man mit Erlaubnis des örtlichen Grundherrn leben durfte, und ihm dafür einen erdrückenden Anteil an den Erträgen oder den daraus erzielten Einkünften abgetreten. Auch die Kirche hätte regelmäßige Abgaben verlangt, und man hätte viel zu große Angst vor der ewigen Verdammnis gehabt, um sich zu widersetzen. Nachts hätte man sich in seine Einzimmerhütte zurückgezogen, nicht nur mit dem Rest der Familie (die sich, wie man selbst, selten gebadet oder die Zähne geputzt hätte), sondern auch mit den Schweinen und Hühnern, die man nachts ins Haus brachte; Bären und Wölfe streiften noch immer durch die Wälder und holten sich die Tiere, die nach Sonnenuntergang draußen blieben. Seuchen waren ein weiterer ständiger Begleiter: Die bekannten Krankheiten reichten von Masern und Grippe bis hin zu Beulenpest und Antoniusfeuer, einer durch verschimmeltes Getreide verursachten Lebensmittelvergiftung, bei der die Betroffenen im Delirium das Gefühl hatten, dass ihre Haut verbrannte oder sie von unsichtbaren Zähnen gebissen wurden.[15]
Die Zeit, bevor es Zeitpläne gab
Bestimmte Probleme hätte man jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht gehabt: Zeitprobleme. Selbst an den anstrengendsten Tagen wäre einem vermutlich nicht in den Sinn gekommen, dass man »zu viel zu tun« hat, dass man sich beeilen muss oder dass das Leben zu schnell verläuft, geschweige denn, dass man die Work-Life-Balance falsch eingeschätzt hat. Umgekehrt hätte man sich an ruhigeren Tagen nie gelangweilt. Und obwohl der Tod ein ständiger Begleiter war und das Leben weitaus häufiger verfrüht endete als heute, hätte man nicht das Gefühl gehabt, die Zeit sei knapp bemessen. Man hätte keinen Druck verspürt, Wege zu finden, sie zu »sparen«. Man hätte sich auch nicht schuldig gefühlt, wenn man sie vergeudet hätte: Wenn man am Nachmittag eine Pause vom Getreidedreschen gemacht hätte, um sich einen Hahnenkampf auf dem Dorfanger anzusehen, hätte man sich nicht als Drückeberger während der »Arbeitszeit« gefühlt. Das lag nicht daran, dass damals alles langsamer ging, dass die mittelalterlichen Bauern entspannter waren oder sich eher in ihr Schicksal fügten. Es lag daran, dass sie, soweit wir wissen, die Zeit insgesamt nicht als abstraktes Gebilde – als Ding – empfanden.
Wenn das verwirrend klingt, dann deshalb, weil unser moderner Zeitbegriff so tief verwurzelt ist, dass wir vergessen, dass es sich dabei eigentlich um eine Denkweise handelt; wir sind wie die sprichwörtlichen Fische, die keine Ahnung haben, was Wasser ist, weil es sie vollständig umgibt. Mit etwas gedanklichem Abstand erscheint unsere Perspektive jedoch recht sonderbar. Wir stellen uns die Zeit als etwas vor, das von uns und der Welt um uns herum getrennt ist, »eine unabhängige Welt mathematisch messbarer Sequenzen«, wie es der amerikanische Kulturkritiker Lewis Mumford formulierte.[16] Um zu verstehen, was er damit meint, denke man an eine zeitbezogene Frage – zum Beispiel, wie man den morgigen Nachmittag gestalten will oder was man im letzten Jahr erreicht hat. Ohne dass es einem anfangs bewusst ist, stellt man sich wahrscheinlich einen Kalender, einen Zollstock, ein Maßband, die Zahlen auf einem Ziffernblatt oder irgendeine andere abstrakte Zeitleiste vor. Dann misst man sein reales Leben an diesem imaginären Maßstab, indem man seine Aktivitäten mit dem Zeitstrahl im Kopf abgleicht. Edward T. Hall hat mit seinem Bild von der Zeit als Fließband, das ständig an uns vorbeizieht, denselben Punkt angesprochen. Jede Stunde, jede Woche oder jedes Jahr ist wie ein Behälter, der auf dem Band transportiert wird und den wir füllen müssen, wenn wir das Gefühl haben wollen, unsere Zeit gut zu nutzen. Wenn es zu viele Aktivitäten gibt, die nicht bequem in die Behälter passen, empfinden wir Stress; wenn es zu wenige sind, langweilen wir uns. Wenn wir mit den vorbeiziehenden Behältern Schritt halten, beglückwünschen wir uns dazu, dass wir »auf dem Laufenden sind«, und haben das Gefühl, unsere Existenz zu rechtfertigen; wenn wir zu viele Behälter ungefüllt vorüberziehen lassen, glauben wir, dass wir sie vergeudet haben. Wenn wir Behälter mit der Aufschrift »Arbeitszeit« für Freizeitzwecke verwenden, könnte unser Arbeitgeber verärgert sein. (Er hat für diese Behälter bezahlt; sie gehören ihm!)
Für die mittelalterlichen Bauern gab es schlicht keinen Grund für eine derart abwegige Vorstellung. Bei Sonnenaufgang standen sie auf, und wenn die Dämmerung hereinbrach, legten sie sich schlafen. Die Länge ihrer Tage hing von den Jahreszeiten ab. Es bestand keine Notwendigkeit, die Zeit als etwas Abstraktes und vom Leben Getrenntes zu betrachten: Man melkte die Kühe, wenn sie gemolken werden mussten, und erntete das Getreide, wenn Erntezeit war, und jeder, der versucht hätte, irgendetwas davon einem äußeren Zeitplan zu unterwerfen – zum Beispiel, indem er probiert hätte, das Melken eines Monats an einem einzigen Tag zu erledigen oder die Ernte vorzuverlegen –, wäre zu Recht für verrückt erklärt worden. Es bestand auch nicht der Zwang, »alles zu bewältigen«, denn die Arbeit eines Bauern endet nie: Es wird immer wieder ein nächstes Melken und eine nächste Ernte geben, sodass es gar keinen Sinn hat, auf einen hypothetischen Zeitpunkt der Vollendung hinzuarbeiten. Historiker nennen diese Art zu leben »Aufgabenorientierung«, weil sich der Lebensrhythmus organisch aus den Aufgaben selbst ergibt und nicht aus einer abstrakten Zeitachse, wie es uns heute zur zweiten Natur geworden ist. (Es ist verlockend, sich das mittelalterliche Leben als langsam vorzustellen, doch trifft eher zu, dass das Konzept des »langsamen« Lebens den meisten Menschen damals sinnlos erschienen wäre. Langsam im Vergleich wozu?) Wenn man in der Zeit vor den Uhren erklären wollte, wie lange etwas dauerte, konnte man es nur mit einer konkreten anderen Tätigkeit vergleichen. Im Mittelalter sprach man etwa von einer »Miserere whyle« – der ungefähren Zeit, die man brauchte, um Psalm 50, das sogenannte Miserere, aus der Bibel zu rezitieren – oder alternativ von einer »pissing whyle«, was wohl keiner weiteren Erklärung bedarf.[17]
Man kann sich durchaus vorstellen, dass diese Lebensweise als weitläufig und fließend empfunden wurde, durchdrungen von etwas, das man ohne Übertreibung als eine Art Magie bezeichnen kann. Trotz der vielen realen Entbehrungen ihres Daseins könnten unsere Bauern in der Welt um sie herum eine strahlende, Ehrfurcht gebietende Dimension gespürt haben. Unbeeindruckt von der Vorstellung, dass die Zeit »abläuft«, erlebten sie möglicherweise ein gesteigertes Bewusstsein für die Lebendigkeit der Dinge – das Gefühl der Zeitlosigkeit, das der Franziskanerpater und Autor Richard Rohr »Leben in tiefer Zeit« nennt.[18] In der Abenddämmerung vernahmen die mittelalterlichen Landbewohner vielleicht das Flüstern der Geister im Wald, zusammen mit den Bären und Wölfen; beim Pflügen der Felder fühlten sie sich vielleicht als winziger Teil einer alles umfassenden Geschichte, in der ihre entfernten Vorfahren für sie fast so lebendig waren wie ihre eigenen Kinder. Das alles lässt sich mit einiger Gewissheit behaupten, weil wir bis heute gelegentlich auf Inseln tiefer Zeit stoßen – in jenen...
Erscheint lt. Verlag | 31.3.2022 |
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Übersetzer | Heide Lutosch |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 4-Stunden-Woche • Achtsamkeit • Adam Grant • Alltag • Brianna Wiest • carpe diem • Effizienz • Endlichkeit • Erfolg • Gelassenheit • Geschenkbuch • Geschenk für Männer • Lebenszeit • Prioritäten • produktiver sein • Ratgeber • Selbstmanagement • Selbstoptimierung • Sinn des Lebens • sinnvolles Leben • Stoiker • Stress • Stressbewältigung • Time Management • Vergänglichkeit • Was wichtig ist • Zeit • Zeitbewusstsein • Zeitgefühl • Zeitmanagement • zeitmanagement buch |
ISBN-10 | 3-492-60049-2 / 3492600492 |
ISBN-13 | 978-3-492-60049-1 / 9783492600491 |
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