Die Ersten ihrer Art (eBook)

Frauen verändern die Welt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
384 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60057-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Ersten ihrer Art -  Heike Specht
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Ohne Frauen fehlt die Hälfte Simone Veil, Margaret Thatcher, Angela Merkel, Kamala Harris: Sie alle eroberten ihren Platz in einer Männerwelt und veränderten sie Stück für Stück. Das Buch führt uns zu diesen und vielen anderen Ersten ihrer Art. Es zeigt nicht nur, was fehlt, wenn Frauen nicht mit am Tisch sitzen, sondern auch wie sie in den letzten hundert Jahren gegen Widerstände an die Spitze gelangten und neue Themen setzten. Die Autorin hat viele Erste interviewt und akribisch recherchiert. Sie belegt, dass die Kämpfe noch nicht ausgefochten sind: Die Hälfte der Menschheit hat noch längst nicht die Hälfte der Macht.

HEIKE SPECHT, Jahrgang 1974, studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in München. Sie promovierte über die Familie Lion Feuchtwangers und arbeitete mehrere Jahre als Verlagslektorin. Heute lebt sie als freie Autorin in Zürich. Zuletzt erschienen die Biografien »Lilli Palmer. Die preußische Diva« und »Curd Jürgens. General und Gentleman« sowie bei Piper »Ihre Seite der Geschichte. Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute« und »Die Ersten ihrer Art. Frauen verändern die Welt«.

Heike Specht, Jahrgang 1974, studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in München. Sie promovierte über die Familie Lion Feuchtwangers und arbeitete mehrere Jahre als Verlagslektorin. Heute lebt sie als Literaturagentin und freie Autorin in Zürich. Zuletzt erschienen die Biografien »Lilli Palmer. Die preußische Diva« und »Curd Jürgens. General und Gentleman« sowie bei Piper »Ihre Seite der Geschichte. Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute«.

1 Die Systemrelevanten


Marie-Elisabeth Lüders – Louise Schroeder

Als es vorbei war, erkannten die beiden Frauen ihre Stadt kaum wieder. Wie abgebrochene Zähne ragten die Häuser aus dem traurigen Geröll, das die Straßen säumte. Als hätte Berlin durch die Luftangriffe der vorangegangenen Monate nicht schon genug gelitten, hatte die selbstmörderische Schlacht um die Hauptstadt in den letzten Wochen noch zusätzliche schreckliche Verheerungen angerichtet, unzählige Leben gekostet, das, was an Infrastruktur noch geblieben war, in Schutt und Asche gelegt. Im sogenannten »Volkssturm« hatte das Regime noch in den letzten Kriegsmonaten Greise und Kinder für den längst verlorenen Kampf aufgeboten und erbarmungslos geopfert.

Der Krieg hatte auf Berlins Antlitz seine grausamen Spuren hinterlassen und Gleiches konnte man wohl von den zwei Frauen sagen, die sich hier im Sommer 1946 wiedertrafen. Auch sie, die sich seit Jahrzehnten kannten und schätzten, hatten Mühe, jene Frau, mit der sie im Reichstag zusammengearbeitet hatten, in dem ergrauten, müden und ausgemergelten Gesicht ihres Gegenübers wiederzufinden. Abgemagert und gesundheitlich schwer angeschlagen von Jahren des Krieges, der Mangelernährung und der Verfolgung, begegneten sich Marie-Elisabeth Lüders und Louise Schroeder nun wieder. Sie konnten sich selbst kaum gerade halten und sollten doch in den folgenden Jahren ihrer Stadt und ihrem Land unschätzbare Aufbauhilfe leisten.

In der Weimarer Republik hatten Lüders und Schroeder einer sehr kleinen, aber durchaus wirkmächtigen Minderheit angehört. Sie waren zwei von wenigen Dutzend Frauen im Deutschen Reichstag gewesen. Der weibliche Anteil an den Abgeordneten hatte nie mehr als knapp 9 Prozent ausgemacht und war mit den Jahren eher geschrumpft als gewachsen. Je weiter das Parlament in den 1920er-Jahren nach rechts driftete, desto männlicher wurde es. Ein Phänomen, das wir übrigens auch dieser Tage wieder beobachten können. Mit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Europa sinkt der Frauenanteil in den Parlamenten. Bei der Reichstagswahl im März 1933 machten weibliche Abgeordnete nur noch 3,8 Prozent aus. Da war Marie-Elisabeth Lüders und Louise Schroeder längst klar, dass in diesem neuen Deutschland kein Platz mehr für sie war.

Als die beiden Politikerinnen sich etwa ein Jahr nach Kriegsende in ihrer Stadt wiedersahen, waren sie im Grunde in einem Alter, in dem man eher daran dachte, sich zur Ruhe zu setzen, als nochmals neu anzufangen. Ob Lüders und Schroeder einander von ihren Erlebnissen der letzten Jahre berichteten? Wir wissen es nicht. Vermutlich war dazu kaum Zeit. Der helle, flirrende Sommer stand in seltsamem Widerspruch zur deprimierenden Situation, in der sich die Berliner*innen befanden. Es herrschte eklatante Wohnungsnot, die Versorgungslage war katastrophal, Geflüchtete mussten untergebracht werden, Kinder waren verwaist, Männer und Frauen versehrt an Körper und Seele.

Marie-Elisabeth Lüders und Louise Schroeder hatten vor dem Krieg unterschiedlichen Parteien angehört und das sollte auch nach 1945 so bleiben. Die eine war echte Liberale, die andere durch und durch Sozialdemokratin, und doch wussten beide, dass sie in der verzweifelten Lage, in der sich die Stadt befand, gebraucht wurden. Sie waren überzeugte Demokratinnen, tief durchdrungen von der Notwendigkeit und Geltung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Rechtsstaatlichkeit, kurz: all jenen Werten, die in den vorangegangenen Jahren mit Füßen getreten worden waren und an die es nun anzuknüpfen galt. Darüber hinaus waren sie beide erfahrene und ausgewiesene Sozialpolitikerinnen mit jeder Menge administrativem Know-how, das nun so bitter nötig war. »Ich müsste zwölf Jahre jünger sein«, konstatierte Louise Schroeder trocken und krempelte die Ärmel hoch. Während die junge Generation nach zwölf Jahren Diktatur stark vom Nationalsozialismus geprägt oder gänzlich desillusioniert war und mit Politik nichts mehr zu tun haben wollte, übernahmen nun Frauen und Männer fortgeschrittenen Alters noch einmal das Ruder. »Wer nach den Erfahrungen der sechs Kriegsjahre noch Kraft und Willen zum Leben hatte«, so erinnerte sich Marie-Elisabeth Lüders später an diese Zeit, »durfte auf keinen Fall den Anruf, mitzuarbeiten und mitzuhelfen, überhören, wenn die persönlich-menschlichen Bedenken auch noch so groß waren.«[14]

[2] Die Juristin und Parlamentarierin Marie-Elisabeth Lüders kämpfte in Kaiserreich, Weimarer Republik und Bundesrepublik für Geschlechtergerechtigkeit.

 

So wurden Marie-Elisabeth Lüders und Louise Schroeder im Alter von 67 beziehungsweise 58 Jahren noch mal zu dem, was sie knapp dreißig Jahre zuvor als junge Frauen bereits gewesen waren – zu Pionierinnen. Auch damals hatten sie die politische Arena betreten als ein grauenhafter, verlustreicher Krieg zu Ende gegangen war. Auch damals hatten sie die Chance ergriffen, ihre Werte und Überzeugungen in das gerade entstehende politische Gebilde einzubringen und es dauerhaft mitzuprägen. Ihre ersten politischen Schritte aber taten beide Frauen noch im Kaiserreich. In einer Ära, in der Frauen zwar weder wählen noch gewählt werden durften, die aber dennoch eine Zeit des Aufbruchs war. Wie nie zuvor wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert Geschlechterrollen infrage gestellt, Vereine gegründet, Schriften publiziert, es wurde debattiert und gestritten. In diese Zeit, in der der unerhörte Gedanke, Männer und Frauen könnten gleichberechtigt sein, erstmals massenhaft und schichtenübergreifend durch die Köpfe blitzte – vor allem durch weibliche, versteht sich –, in diese Zeit also wurden Marie-Elisabeth Lüders und Louise Schroeder hineingeboren. Und das hatte Folgen.

Geistiges Vorwärtskommen


Wenn der Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Carl Christian Lüders morgens am Frühstückstisch Platz nahm – sorgsam gescheiteltes Haar, gepflegter Vollbart, steifer Stehkragen, der strahlend weiß aus dem schwarzen Anzug herausragte –, kam er nicht selten zu spät. Seine Tochter, ein aufgeweckter, hochgeschossener Teenager, das, was man damals einen Backfisch nannte, hatte sich oft schon die Vossische Zeitung geschnappt und war vertieft in die Lektüre, während sie ihre Schrippen mit Marmelade bestrich. Die Mutter, Friederike Laura Sophie Lüders, hob missbilligend die Augenbraue. Was für Marotten das Kind hatte! Marotten, so nannte Marie-Elisabeths Mutter das frühe Interesse ihrer Tochter für Politik. Ganz und gar unpassend für ein junges Mädchen, fand sie.

Marie-Elisabeth, Lisbeth genannt, aber liebte es, sich in Reichstagsreden zu vertiefen, die damals seitenweise in den Zeitungen abgedruckt wurden. Das parlamentarische Hin und Her, das Argumentieren, Streiten und Aushandeln faszinierte sie. Es war, als wäre man ganz nah dran, quasi mit dabei. Die Reichstagsreden gaben dem jungen Mädchen einen ersten Eindruck davon, wie parlamentarische Prozesse abliefen. Noch durften Frauen nicht wählen, Lisbeth als Minderjährige sowieso nicht, noch gab es keine weiblichen Abgeordneten, keine Ministerinnen oder höheren Beamtinnen. Daran war gar nicht zu denken. Und doch gaben ihr die abgedruckten Reden einen Einblick in den Maschinenraum der Macht, in die Abläufe des Parlaments, in das Austarieren des politisch Möglichen. Ihr Vater fragte sie einmal, was ihr an der Zeitungslektüre so gefalle. »Man kann darin lesen«, so Lisbeth, »was der Kaiser täglich tut (Hofbericht!) und was die Leute möchten, warum sie es möchten, und was andere Leute dazu sagen.« Dagegen war wenig einzuwenden, fand wohl auch Carl Christian Lüders. »So fing es an. – Und es endete im Reichstag, im Berliner Abgeordnetenhaus und Senat und im Bundestag«, erinnert sich die Politikerin viele Jahre später.[15]

Marie-Elisabeth Lüders wurde 1878 in Berlin in eine preußische Beamtenfamilie hineingeboren. Ihr Vater arbeitete im Kulturministerium und neigte der Deutschen Volkspartei zu. Intellektuelle wie der Historiker Theodor Mommsen und die Physiker Wilhelm Conrad Röntgen und Max Planck kamen regelmäßig ins Haus. Der Bildungsdrang, die wissenschaftliche Neugier, die Lust am intellektuellen Austausch – all das umgab Lisbeth wie die Luft zum Atmen, all das sog sie begierig auf.

Lisbeth war das jüngste von sechs Kindern und wurde nach eigener...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2022
Zusatzinfo Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
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ISBN-10 3-492-60057-3 / 3492600573
ISBN-13 978-3-492-60057-6 / 9783492600576
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