Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus (eBook)

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2021 | 1. Auflage
308 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-7750-4 (ISBN)

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Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus -  Sven Komenda
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Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Prosarhythmus Ciceros in einer konkreten kolometrischen Analyse und zieht ihn zur kontinuierlichen Textinterpretation heran. Kernthese ist, dass die lateinischen Wortakzente eine konstitutive Bedeutung bereits für den Prosarhythmus im klassischen Latein haben, sodass auch im Falle Ciceros im Wesentlichen ein Set von fünf sogenannten 'Klauseln' ausreichend für eine inhaltsgetragene prosarhythmische Analyse ist (im Zusammenhang der Trias compositio - concinnitas - numerus). Illustriert wird dies vorrangig anhand einer Interpretation der jeweils ersten 300 Kola von Pro Quinctio, de lege agraria (zweite Rede) und der 14. Philippischen Rede.

2 Grundzüge einer Erfassung des Prosarhythmus

2.1 Das Notationssystem

Zunächst sei eine grundsätzliche Frage angesprochen: Ciceros auf die dichterischen (Vers-)Füße zurückgreifende Aussagen über den Gebrauch des Prosarhythmus werden im Allgemeinen als schwer verständlich beurteilt,32 stellenweise gehen die Forscher so weit, diesen Befund als das Unvermögen Ciceros zu interpretieren, sein System in anschaulicher Weise umfassend darzustellen.33 Wir teilen bezüglich dessen die Sicht, dass eine umfassende Darstellung in der Tat nicht stattgefunden habe. Doch scheint es uns näher zu liegen, nicht von Ciceros Unfähigkeit, sondern seinem Unwillen auszugehen, eine vollständige Darstellung anzufertigen. Eine explizite methodologische Abhandlung wäre ja durchaus nicht in Ciceros Interesse gewesen, wenn (was doch von der Prosarhythmusforschung gerne behauptet wird)34 viele oder gar alle kompositorischen Detailfragen mit dem Prosarhythmus zu tun haben. Wieder anderes könnte er ggf. auch für selbstverständlich erachtet und daher beiseitegelassen haben.35 Den Prosarhythmus und sein System aber preiszugeben und so gewissermaßen auch das Geheimnis der eigenen literarischen Diktion und ihrer ästhetischen Wirksamkeit, wäre in der Tat sehr viel verlangt. Cicero, so meinen wir daher, hat vielleicht ganz bewusst nicht genug über den Prosarhythmus preisgegeben, um ein in sich geschlossenes System daraus ableiten zu können. Und übrigens nicht nur hier, sondern auch bei der Figurenlehre mutet Cicero seinen modernen Interpreten einiges zu. So konstatiert bereits POLHEIM mit dezenter Resignation: „Nach einer Umgrenzung oder Abgrenzung des similiter cadens und des similiter desinens suchen wir, wie gesagt, bei Cicero vergeblich. Wie mit Absicht sind scharfe Linien vermieden […].“ 36

Wer den lateinischen Prosarhythmus untersuchte, war wohl gerade auch aufgrund dieser Schwierigkeiten in vielen Fällen zunächst an einer Weiter- oder gar Neuentwicklung der zugrunde liegenden Heuristik interessiert.37 Sie besteht generell in der Identifikation von prosodisch modifizierten Textsegmenten sowie in deren Erfassung und Auswertung. Wir möchten mit den meisten dieser Ansätze brechen und den Gegenstand sehr stark vereinfachen. ZELENYS (zumindest prinzipiell) treffende Kritik an den umfangreichen Regulierungsmonstren38 der modernen lateinischen Metriktheorie kann hier als Vorbild dienen. Selbst wenn bei einem derartigen Bildersturm, wie sie ihn forciert, nicht alles richtig sein dürfte, ist dennoch, auch was den Prosarhythmus angeht, anzuraten, von möglichst basalen und gesicherten Faktoren auszugehen. Damit ist vor allem auch gesagt, dass der lateinische Wortakzent Beachtung finden muss (und nicht etwaige Ikten nur vage oder, wenn man ehrlich ist, auf sich gestellt schlichtweg gar nicht eindeutig identifizierbarer Versfüße).39

Trotz der eigentlich offenkundigen Beleglage sei daher kurz an die Darstellung Ciceros erinnert: Im Orator wird nicht nur über den Prosarhythmus, sondern ebenso über die Mechanik des sogenannten „Drei-Silben-Gesetzes“ gesprochen. Es definiert bekanntlich die Position des lateinischen Wortakzentes. Cicero geht also auf selbiges ein und schreibt vor, die literarische Komposition müsse Sorgfalt auf den Faktor „Wort-Akzent“ verwenden.40 Er teilt uns demnach mit (und das ist eine ganz und gar nicht neue Erkenntnis), dass der selbige ein bewusst wahrgenommener und für den Redner folglich relevanter Faktor im gesprochenen Latein war. Es ist somit schlicht abwegig, ihn nicht in unsere Untersuchung einbeziehen zu wollen und die oft vertretene Prämisse,41 dass Cicero seine Aufmerksamkeit lediglich auf die Klangwirkung langer und kurzer Silben gerichtet habe, aufrecht zu erhalten. Sie läuft vielmehr einer der wenigen wirklich eindeutigen (wenn auch knappen) Äußerungen Ciceros zuwider, der zwar nicht preisgibt, wie der Zusammenhang von Akzent und Wohlklang im Sinne des Prosarhythmus nun zu denken ist, ihn an sich aber zur Sprache bringt.

Ferner weist bekanntlich bereits NORDEN auf die Genese der sogenannten Cursusformen aus dem „klassischen“ Prosarhythmus hin.42 So weit so gut also. Allein: warum sollte man dann noch den von Cicero erwähnten Wortakzent gerade nicht bereits hier in genau diesem Sinne berücksichtigen? Eine Identität der Akzente der sogenannten „Haupt“-formen und „Cursus“-formen ist nämlich, wenn die stereotypen Wortgrenzen hinzukommen, zwangsläufig erreicht.43 Vorsichtig sprechen denn auch LEUMANN-HOFMANN-SZANTYR davon, dass die Klausel mit Vorliebe mit den Wortakzenten kongruiere44 und dass der gebildete und damit ggf. gräzisierend-musikalische Akzent eine gewisse (nicht näher definierte, aber dennoch vorhandene) Rolle spiele.45 Dieser Befund legt es insgesamt also nahe, beiden Faktoren gleichermaßen (also Quantitäten und Akzenten) eine im Detail noch näher zu fassende Bedeutung einzuräumen.

Wir fahren nun mit der eigentlichen Betrachtung fort: Die Entstehung und sukzessive Weiterentwicklung des von uns herangezogenen Notationssystems wird bereits von BLÜMER dargestellt.46 Dennoch scheint es uns geboten, auf einige Aspekte, vor allem auf das primäre Ordnungs- und Kategorisierungsinstrument, den lateinischen Wortakzent, (für seine Bedeutung haben wir ja eben noch plädiert) erneut hinzuweisen. Während etwa ZIELINSKI, AILI und, um aktuellere Beispiele zu nennen, KOSTER und SCHMID, vorrangig quantitierende Systeme verwenden oder die Akzente ggf. diesem anpassen (wie es insbesondere ZIELINSKI vollzieht, indem er grundlegend neue Betonungsregeln auf Basis seiner Klauselforschung definiert),47 ihn als sekundäres Merkmal behandeln und nur an strittigen Stellen zu einer Differenzierung etwaiger Füße heranziehen (so wie etwa PRIMMER und STRÄTERHOFF),48 muss das hier benutzte System immer von den Wortakzenten her gedacht werden.

Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Akzentmuster vorrangig eine „Klausel“ ausmachen, sodass u. a. die Silbenzahl in jedem Fall gewahrt bleibt, während abweichende Quantitäten zumindest kein prinzipielles Ausschlusskriterium darstellen.49 Ein entscheidendes Kriterium, ob ein vom Autor gewollter Prosarhythmus vorliegt, ist jedoch für uns seine Interpretierbarkeit und es muss betont werden, dass die bloße Tatsache, dass die sogenannten Klauseln an vielen Kolonenden (auch bei Cicero, wie wir sehen werden) gemessen werden können, alleine noch nicht viel über eine planmäßige Gestaltung aussagt. Mit entsprechenden Notationen festgehaltene Messungen zeigen offensichtlich nur eine Kollokation phonetischer Merkmale, mit Intentionalität hat dies aber zunächst noch rein gar nichts zu tun. Erst die Analyse konkreter Texte, welche inhaltliche, aber auch andere stilistische Aspekte einbezieht, wird Argumente aufdecken können, die für eine bewusste prosarhythmische Ausformung des Wortlautes sprechen könnten.

Bei der Messung der für den Prosarhythmus relevanten Klangmuster findet dementsprechend eine Beschränkung der sogenannten Klauseln, im modernen Sinne also „Typen rhythmisierter Satz- bzw. Kolonschlüsse“,50 auf vorrangig fünf Formen statt, deren Ordnungsmerkmal wie gesagt primär die Stellung der Wortakzente ist.

Die folgende Tabelle soll unser Notationssystem illustrieren. Es ist dabei Folgendes zu beachten: die vorliegenden Beispiele (erste Spalte der Tabelle) können auf ihre anzunehmende phonetische Struktur hin untersucht und das Ergebnis dieser Untersuchung mit der entsprechenden „Notation“ festgehalten werden. Diese Notation gibt Auskunft über genau drei Faktoren: Die Positionen der Wortakzente werden mit dem Anfangsbuchstaben des jeweiligen „cursus“ festgehalten. Eine spezifische Kollokation langer und kurzer Silben wird mit einer Ziffer wiedergegeben. Eine Wortgrenze wird schließlich mithilfe einer griechischen Minuskel in die Notation aufgenommen.

Es sei mit „laude coniungant“ das erste Beispiel der Tabelle besprochen: P steht für den sogenannten cursus planus, also für das bezeichnete Akzentmuster. Ein paralleles Auftreten der Quantitäten der sogenannten Hauptform 1 wird demzufolge mit „P1“ gekennzeichnet. Eine Zäsur, also Wortgrenze wird mit griechischen Minuskeln gekennzeichnet. Im Beispiel laude coniungant setzt die Messung der Klausel wie üblich mit dem Wortakzent des ersten Wortes ein,51 sodass die Wortgrenze vor der dritten Silbe, also vor γ, liegt. Das Ergebnis der Messung ist P1γ.

Auch „nominis dignitatem“ möchten wir kurz erläutern: Die gegebenen Akzentpositionen entsprechen dem Schema des cursus velox, welcher als V abgekürzt wird. Die Anzahl und die Abfolge der langen und kurzen Silben entsprechen in diesem Fall der dritten Hauptform. Die Notation hält dies mit der Ziffer 3 fest. Beides ergibt zunächst also V3. Eine Wortgrenze zwischen der dritten und vierten Silbe wird mithilfe...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2021
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Cicero • Colon • Kolon • Prosarhythmus • prose rhythm • Stilistik
ISBN-10 3-8288-7750-8 / 3828877508
ISBN-13 978-3-8288-7750-4 / 9783828877504
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