Bettler, Henker & Vagabunden (eBook)
264 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-5053-9 (ISBN)
Christoph Schweiger, geboren 1990, studierte an der Universität Klagenfurt Geschichte und promovierte über die chronikalische Darstellung sozialer Außenseiter im Spätmittelalter. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Alltags- und Sozialgeschichte des Mittelalters sowie in der musealen Geschichtsvermittlung.
III.
Fahrende
1. Das fahrende Volk
1.1 Erzwungene Mobilität
Die zunehmende Ausgrenzung fremder Bettler führte im Spätmittelalter zum Anwachsen jener sozialen Gruppe, die gemeinhin als das fahrende Volk bezeichnet wird. Sie zeichnete sich vor allem durch ihre Vielschichtigkeit und Heterogenität aus. So lassen sich unterschiedliche Menschengruppen unter diesem Sammelbegriff zusammenfassen. Zu den Vagierenden zählten nicht nur die umherziehenden Bettler und Kranken, die von Stadt zu Stadt ziehen mussten, um Almosen zu erhaschen, zu ihnen gehörten auch die zahlreichen fahrenden Schüler sowie Händler, Hausierer und Spielleute.
Ebenso vielschichtig waren auch die zeitgenössischen Bezeichnungen für diese Gesellschaftsgruppe. Im 13. und 14. Jahrhundert bezeichnete man diese Masse an umherziehenden Menschen als varnde diet, als varnde liute oder auch als gernde diet.132 Ab dem 15. Jahrhundert wurden auch Begriffe wie Landstreicher oder Abenteurer zunehmend gebräuchlich. Unter Letzteren verstand man nicht nur die verschiedenen fahrenden Schausteller, Artisten und Seiltänzer, sondern auch die umherziehenden Hausierer, Kesselflicker, Quacksalber und Zinngießer.133
Wie groß die Zahl der zur fahrenden Lebensweise gezwungenen Menschen im Mittelalter war, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, da die Grenze zwischen Mobilität und Sesshaftigkeit zumeist fließend verlief. So wurde im frühen 14. Jahrhundert in Tirol aus einem Henricus joculator innerhalb von vier Jahren ein Henricus sartor, der Spielmann wurde zu einem sesshaften Handwerker.134 Ein weiteres Beispiel wäre ein im 15. Jahrhundert als Wiener Bürger überlieferter Zinngießer namens Hans, der in den Urkunden den Beinamen „abenteurer von Nürnberg“ trägt, was ebenfalls auf ein zumindest temporäres Leben als fahrender Händler hinweist.135
Die Ursachen für ein unfreiwilliges Leben als Fahrender waren vielseitig. Vor allem die im späten Mittelalter weit verbreitete Arbeitslosigkeit, gepaart mit einem hohen Bevölkerungswachstum, verursachte eine zunehmende Existenznot, welche wiederum zu einer erzwungenen Mobilität breiter Schichten führte.136
Die Hoffnung auf Arbeit und ein abgesichertes Leben war bereits im Hochmittelalter für viele Bauern ein starkes Motiv dafür gewesen, vom Land in die Städte zu fliehen. Da Vielen die Aufnahme in die städtische Gesellschaft jedoch verwehrt blieb, fristeten sie fortan ein unstetes Leben ohne feste Bleibe oder Wohnsitz, das geprägt war vom tagtäglichen Kampf gegen Hunger und Krankheit. Sie lebten zwar ein freies Leben und waren keinem Herrn Gefolgschaft schuldig, doch bedeutete dies auch, dass sie völlig schutz- und rechtlos waren und keinen Anspruch auf Arbeit oder Brot hatten. Ihre Lebenssituation war somit sogar schlechter als die der leibeigenen Bauern.137 Ihr Lebensmittelpunkt waren die unsicheren Straßen und Wälder. Den größten Schutz lieferte dabei ihre Mobilität, wobei diese wiederum eine Bedrohung ihrer Existenz darstellte.138
Zur Besserung der Lebensumstände waren die Möglichkeiten der Fahrenden begrenzt. Da der Zugang zu den Almosen begrenzt war, versuchten viele Vaganten sich durch Betteln vor den Stadttoren durchzuschlagen. Der Großteil der vagierenden Frauen versuchte als Wanderhuren zu überleben. Andere wiederum trieb der Hunger in die Kriminalität, weshalb die wachsende Zahl an Räuberbanden, Dieben und Wegelagerern ein schwerwiegendes Problem der spätmittelalterlichen Gesellschaft wurde.
Am erfolgversprechendsten war es jedoch, sich dem Volk der fahrenden Gaukler oder Schausteller anzuschließen. Als Angehöriger der Spielleute war einem nicht nur der Zugang zu den Städten erleichtert, bei entsprechenden künstlerischen Fähigkeiten fielen auch die Spenden zumeist weitaus höher aus als bei herkömmlichen Bedürftigen.
Nachfolgend möchte ich mein Hauptaugenmerk auf diese spezielle Gruppe des fahrenden Volkes richten, die sich durch unterschiedliche Tätigkeiten abseits des herkömmlichen Bettelns durchzuschlagen versuchten und als Schausteller, Gaukler und Artisten von Stadt zu Stadt zogen.
1.2 Gaukler und Spielleute
Bereits im Frühmittelalter waren Spielleute Inhalt weltlicher und geistlicher Gesetzgebung. Ziel dieser Regelungen war es, die Tätigkeit der Unterhaltungskünstler zu kontrollieren und einzugrenzen. So bestimmte bereits der Frankenkönig Childebert I., dass die Possenreißer und Tänzer an besonderen kirchlichen Feiertagen nicht auftreten sollten, um die Sakralität des Festes nicht zu beschmutzen.139 Auch unter den Karolingern wurden die histriones als unmoralisch eingestuft, weshalb sich Geistliche von Feierlichkeiten fernhalten sollten, wenn Spielleute dort auftraten. Hier zeigt sich, wie eng die Bindung zwischen weltlicher und geistlicher Macht im Karolingerreich war und wie groß der Einfluss des Klerus auf die Entwicklung der Gesetzgebung war.140
Der Klerus sah in den Spielleuten die Repräsentanten einer verkommenen Moral, des Exzesses und der Schamlosigkeit, die das Volk durch ihre Auftritte zu Ehebruch, Götzendienst und Hemmungslosigkeit verführen würden. Bereits Augustinus lehnte diese Art der Unterhaltung ab. Das Volk sollte sich vielmehr mit frommen Lesungen und Predigten beschäftigen als mit Musik und heidnischen Liedern.141
Besonderer Anstoß der klerikalen Kritik war auch der Umstand, dass Spielleuten für ihre Kunst Geld gegeben wurde. Eine allzu übermäßige Unterstützung von Gauklern würde die Menschen demnach vom wahren Glauben ablenken und dadurch die Gemeinschaft der Gläubigen und damit letztlich das gesamte Gesellschaftssystem gefährden.142 Lediglich bedürftigen Spielleuten sollten Schenkungen oder Bezahlungen zuteil werden.
Während sich Kirchengelehrte wie Berthold von Regensburg entschieden gegen die Tätigkeit der Spielleute wandten, gab es innerhalb des Klerus aber auch Stimmen, die einen differenzierten Blick einforderten. So betonte Thomas von Aquin, dass die histriones dazu berufen seien, den Menschen Trost zu spenden. Sie seien keineswegs als unmoralisch zu verurteilen, sofern sie mit ihrer Kunst niemandem schadeten. Für ihn stand außer Frage, dass der menschliche Geist gelegentlicher Entspannung und Ablenkung bedürfe, die er u. a. im Tanz und im Spiel finden könne.143
Beim Blick auf die weltlichen Rechtstexte des Spätmittelalters wird die Benachteiligung von Spielleuten deutlich erkennbar. So wurde beispielsweise in den Stadtrechten von Passau (1300), Ingolstadt (1312), Ravensburg (1330) und Wien (1340) festgeschrieben, dass Beleidigungen und tätliche Übergriffe auf Spielleute ungestraft bleiben sollen, sofern diesen eine nachweisbare Beleidigung vorangegangen war.144 In einem Wiener Stadtrechtsprivileg vom 24. Juli 1340 heißt es diesbezüglich:
„Ob aber ieman slecht einen leichten mann, leicht einen lotter oder einen posen spilman, der daz mit worten oder mit andern untzuchten umb in verdient, und bewert er daz, so sol er dem richtter nichtes geben nach dem geslagen, wanne drei sleg, di sol er demselben vroelichen darzu geben.“ 145
Im Vergleich zu anderen Regionen fällt auf, dass die Verachtung von Spielleuten in besonderem Maße im süddeutschen Raum festgestellt werden kann. Es ist aber davon auszugehen, dass die Wirksamkeit dieser Diffamierungsversuche relativ gering war. Sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Stand erfreuten sich die Gaukler und Artisten einer ungebrochen großen Beliebtheit.
Im Spätmittelalter bemühte man sich daher weniger darum, ihnen das Publikum zu entziehen, sondern sie vielmehr einer obrigkeitlichen Kontrolle zu unterwerfen. Die scheinbar Unkontrollierbaren sollten kontrollierbar gemacht werden und damit bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft integriert werden. Grundlage für diese Entwicklung war das Bedürfnis vieler Spielleute nach einer selbstständigen Organisation, die ab dem 13. Jahrhundert zu Gründungen von Spielmannsbruderschaften führte. Man wollte hier eine gemeinschaftliche Schutz- und Glaubensverbindung etablieren, deren primäres Ziel die gemeinsame Religionsausübung war.146
Durch die Erfüllung bestimmter religiöser Pflichten, wie beispielsweise der Organisation von Begräbnissen und Messen verstorbener Mitglieder, stellten die Spielmannsbruderschaften eine Möglichkeit dar, den seit dem 12. Jahrhundert im Kirchenrecht festgeschriebenen Ausschluss von der Kommunion zumindest partiell zu umgehen. So gelang es den meisten Bruderschaften zumindest einmal im Jahr zur Kommunion zugelassen zu werden, sofern sie gewisse Auflagen erfüllten.147
Als erster zunftähnlicher Zusammenschluss im deutschen Reichsgebiet entstand in Wien eine Sängerbruderschaft. Die sogenannte Nikolaibruderschaft wurde 1288...
Erscheint lt. Verlag | 10.6.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
ISBN-10 | 3-7543-5053-6 / 3754350536 |
ISBN-13 | 978-3-7543-5053-9 / 9783754350539 |
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