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Mit Büchern von Frauen durchs Leben | Elke Heidenreich über die prägenden Lektüren ihres Lebens - eine weibliche Leseautobiographie
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2021 | 1. Auflage
192 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-126-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hier geht's lang! -  Elke Heidenreich
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Mit Büchern von Frauen durchs Leben! Es waren Bu?cher von Frauen, die Elke Heidenreich gepra?gt haben, von fru?hester Jugend an. Später machte sie das Reden und Schreiben u?ber Bu?cher zu ihrem Beruf. Und wurde, wie sie heute ist, durch Bu?cher: Denn Lektu?re und Perso?nlichkeitsentfaltung bedingen einander, das Lesen durchdringt das Leben. Bu?cher von Frauen gaben ihr das Ru?stzeug fu?r alles, was sie heute macht, fu?r die lebenslange Freude an Auseinandersetzungen, schwierigen Lektu?ren, am immer Weitermachen. Lesen macht glu?cklich und ist der rote Faden im Leben der Elke Heidenreich. Sie schreibt dieses Buch, um nachzuvollziehen, wie Bu?cher von Frauen uns zu dem machen, was wir sind, um zu verstehen, was Literatur bedeutet, und um ihren Leserinnen Anregungen zum eigenen Lesen und Leben zu geben. »Klug, unterhaltsam und inspirierend - ein wundervoll subjektives Buch, voller Persönlichkeit und privater Fotos der Autorin.« Brigitte »Eine einzige Anregung zum Lesen!« Kölnische Rundschau

Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete bei Hörfunk und Fernsehen. Sie ist Deutschlands einflussreichste Literaturvermittlerin.

Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete bei Hörfunk und Fernsehen. Zuletzt erschien von ihr der Erzählungsband Männer in Kamelhaarmänteln.

DAS KIND

Ein wichtiger Mann in meinem Kinderleseleben war Peter Kölln. Ich wusste weder, dass es ihn gab, noch, wer das war, aber er hatte 1820 in Elmshorn ein Haferflockenimperium gegründet und die »blütenzarten Köllnflocken« erfunden, die es ab 1937 unter diesem Markenzeichen in blausilberner Verpackung gab.

Zehn Jahre später war ich vier Jahre alt, aß täglich zum Frühstück blütenzarte Köllnflocken mit Milch, Zucker und Kakao, buchstabierte auf der Tüte herum und freute mich über die Roswitha-Sammelbildchen. Jeder Packung lag ein Märchenbild bei, man konnte die Bilder in Alben kleben, aber für ein Album gab es bei uns kein Geld. Ich sammelte in den Zigarrenkisten von Onkel Hans, er rauchte Handelsgold, und meine Roswitha-Bildchen rochen also zuerst nach Haferflocken, dann nach Zigarren. Damals war noch kein Aufdruck auf den Kisten, dass das Rauchen tödlich sei. Der viel tödlichere Zweite Weltkrieg steckte uns mit ganz anderen Nachwirkungen in den Knochen.

Onkel Hans wohnte mit Opa Albert in der Nähe von meiner Mutter und mir, mein Vater machte sich im Laufe der Jahre immer mehr aus dem Staub und ich aß Haferflocken, um groß und stark zu werden. Groß wurde ich, stark nicht gerade, aber schlau, denn mit fünf hatte ich entziffert, was hinten auf den Bildchen stand. Und da standen nicht etwa die Geschichten zu den Bildern, sondern dort war zu lesen, dass es das »Große Roswitha-Album jetzt zum Preise von DM 1,– beim Lebensmittelkaufmann« zu erwerben gäbe. Und: »Wer jedes Bildchen gleich ins Album klebt, schont seine wertvolle Roswitha-Sammlung und erlebt, wie Seite um Seite ein prächtiges Märchenbuch entsteht.« Darunter: »Köllnflocken kräftigen, ohne dick zu machen.«

Peter Kölln (Hrsg.): Mit Roswitha ins Märchenland. Firma Köllnflocken, Elmshorn 1935 (Bilderbuch mit farbigen Einklebebildern nach Originalen von Roswitha Bitterlich)

Dick wurde ich tatsächlich nicht, aber ein Album gab es auch nicht, obwohl man beim 500-Gramm-Paket Flocken vier Pfennig sparte und somit nach dem Kauf von 25 Pfundpaketen, so wurde akribisch vorgerechnet, schon genug gespart hätte, um ein Album für DM 1,– kaufen zu können.

»Sonst noch was«, sagte meine pragmatische Mutter zu solchen Ansinnen, und die Bildchen blieben in der Zigarrenkiste.

Dass ein österreichisches Wunderkind namens Roswitha Bitterlich diese Bildchen gezeichnet und getextet hatte, wusste ich damals natürlich auch noch nicht, und als ich Jahrzehnte später dieses Roswitha-Album auf dem Flohmarkt entdeckte, stellte ich fest: Sie wurde nicht mal erwähnt, sondern das Buch wurde »gewidmet von der Märchentante der Peter- Kölln-Mühle – Elmshorn.«

Diese Märchentante aber war eben jene Roswitha Bitterlich, die in ihren Bildchen und Verslein mächtig idyllisch und possierlich herumschwurbelte, da war das vielbeschworene Deutsche Wesen noch nicht lange in Misskredit geraten. Roswitha Bitterlich war also, ohne dass ich es wusste, im Grunde meine erste Lyrikerin gewesen.

Mariele und ihr Brüderlein

Sind auf der Welt so ganz allein.
Vater und Mutter leben nicht mehr,
Geldbeutel und Brotsack sind auch leer.

Ich hatte Vater, Mutter und Haferflocken und schätzte mich glücklich.

Die zweite Autorin, an die ich mich noch genau erinnere, war Emma Gündel. Ich bekam zwischen 1948 und 1949 insgesamt viermal ihr Buch Elke, der Schlingel geschenkt: von Patentante Helene, die mir aus abgelegten Armeeklamotten meines Vaters Mäntel und Kleider nähte, von Friseur-Tante Lili, die meine Mutter mit krisseligen Dauerwellen verunstaltete und mir in ihrer Küche fürchterliche Topfschnitte verpasste, von meiner schönen Tante Aneta, die sich mein Onkel Eduard aus Polen mitgebracht hatte, zusammen mit dem Diamantring, den sie trug und »für den ich dem Juden erst den Finger abhacken musste«, O-Ton Onkel Eduard. Und schließlich bekam ich den Elke-Schlingel noch von Onkel Welle unten im Haus, der Rentner war und im Treppenhaus meiner Mutter nachstieg: »Nun seien Sie doch nicht so, meine Frau lässt mich nicht mehr hin und Sie sind doch auch so oft allein.« Der schenkte mir das Buch zum Schulanfang 1949. Meine Mutter brachte es ihm sofort zurück und sagte: »Wir können selber Bücher kaufen.« Das stimmte zwar nicht, wir kamen gerade mal so über die Runden, aber von Onkel Welle wollte sie nichts annehmen, und immerhin hatte ich nun ja auch schon dreimal Elke, der Schlingel von Emma Gündel, die insgesamt zehn Elke-Romane schrieb, von Elke, der Schlingel über Elke im Seewind und Elke lernt Bergsteigen bis zu Leb wohl, Elke. Natürlich habe ich sie alle gelesen.

Emma Gündels Elke, der Schlingel bekam ich insgesamt viermal geschenkt.

Emma Gündel (1889–1968) war Lehrerin gewesen, und mit ihrer Elke-Serie landete sie einen großen Erfolg mit mehr als anderthalb Millionen Exemplaren Auflage. Ihre Elke war ein leicht aufsässiger Charakter, das gefiel mir als Namensschwester ganz gut, und wir hatten noch zweierlei gemeinsam: einen stets abwesenden Vater und eine schwache Lunge. Ich soll, sagte meine Mutter, bei der Geburt erst mal gehustet statt geschrien haben, und bis man mir mit Anfang zwanzig die Hälfte meiner total kaputt gehusteten Lunge herausoperierte, hatte ich so viele Lungenentzündungen, dass kein Mensch sie mehr zählte. Aber für eine Kur fehlte auch hier das Geld, ich musste mit Kamillendampf unterm Handtuch inhalieren und viel liegen. Liegen und lesen. Die Elke im Buch, die an Blutarmut und »zarter Lunge« litt, kam für sechs ganze Monate auf den Sonnenhof im Holsteinischen und war danach stark und gesund. Die hatte es gut! Die hatte es überhaupt gut: Die hatte noch vier ältere Geschwister. Ich hatte niemanden. Meine Eltern hatten sich kein Kind im Krieg gewünscht, und entsprechend fand ich kaum statt. Ich las und las. Ich suchte mir meine Freunde, Geschwister, Familie in den Geschichten. Zum Glück hatte meine sonst so strenge Mutter immer einen Sinn für Bücher. Sie sorgte für eine Dauerkarte in der Gemeindebibliothek, und weil ich schon als Kind eine schöne Schrift hatte, durfte ich dort bald Karteikärtchen beschriften, musste gar nichts mehr zahlen und durfte so viel ausleihen, wie ich wollte. Mädchenbücher zunächst, natürlich.

Und sehr gern wurde mir dann auch in späteren Jahren noch eine andere Elke von einer anderen Autorin geschenkt, nämlich Elke zahlt Lehrgeld von Eva Schäfer.

»O, diese Elke!« ist hier der tägliche Stoßseufzer. Das Buch ist eine unerträglich öde Schmonzette, in der alberne Streiche eine Rolle spielen, aber: »Wenn Mutti dagewesen wäre, dann wäre ich niemals so boshaft und aufsässig gewesen! Aber natürlich war das keine Entschuldigung, denn gerade weil Mutti fort war, hätte Elke ja ganz besonders vernünftig und gewissenhaft sein sollen.«

Elke zahlt Lehrgeld von Eva Schäfer ist eine öde Schmonzette.

Ich habe dieses Buch übrigens damals nie gelesen, ich war, als es erschien, schon zu alt für Kinderbücher, und es ging ja wohl auch nur um den Titel. Jaja, Botschaft angekommen. Erst jetzt hab ich mal hineingeschaut und es voller Entsetzen sofort weggelegt. Aber die Emma-Gündel-Bücher aus den Dreißigerjahren haben mich als Kind durchaus erreicht.

Als ich ein Kind war, gab es jede Menge solcher Mädchenbücher. Unsere kleine Gemeindebibliothek führte streng getrennte Regale für Mädchen und Jungen, und ich las mich dann eben erst mal durch die Mädchen, bis mich mit elf oder zwölf Karl May rettete. Die Jungen lasen Dampfer in Seenot, Sturm auf See, Gorilla greift an oder Der kleine Heinz hat viel zu tun und Horst wird Förster.

Mädchen konnten ruhig auch Jungsbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.

Wir Mädchen lasen Ursula hat ein Ziel, Der Zopf ist ab, Peggys Abenteuer in Ägypten, Krach um Kati und Alle Achtung, Christine.

Wir Mädchen lasen Mädchenbücher, eins so blöd wie das andere.

Eins war so blöd wie das andere, aber dann gab es ja auch noch die herrlichen Märchen und Sagen, es gab Daniel Defoes Robinson Crusoe und Stevensons Die Schatzinsel, das war dann was für alle, für Mädchen und Jungen.

R. L. Stevensons Die Schatzinsel – das war dann was für alle, für Mädchen und Jungen.

Aber im Grunde galt schon damals: Mädchen konnten ruhig auch Karl May oder Abenteuerbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit Alle Achtung, Christine oder sonst einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.

Das fing so früh schon an: Frauen lesen Literatur von Männern, über Männer, Männer lesen in aller Regel nicht Literatur von Frauen. Vor diesen Kinderregalen in der Gemeindebibliothek entschied sich bereits, dass ich später zu Flaubert, Tschechow, Don DeLillo greifen würde, aber Wolf-Rüdiger nicht zu Virginia Woolf, den Schwestern Brontë oder Anna Achmatowa. Aber, auch das sei erwähnt, Mädchen wie Jungen wurden angesprochen, unterhalten und vor Nachkriegsgrau...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Autobiografie • Autobiographie • Autobiographien • Biografie • Biographie • Buch • Buchempfehlungen • Damen • Deutsch • Frauen • Frauenbücher • Frauenromane ab 50 • frauenromane ab 60 • Geschenk • Leseanleitung • Lesebegleiter • Lesen • Literaturkanon • Literaturkritik • Literatur von Frauen • Männer • Neuerscheinung 2021 • Sachbuch • SPIEGEL-Bestseller • weibliche Autorinnen
ISBN-10 3-96161-126-2 / 3961611262
ISBN-13 978-3-96161-126-3 / 9783961611263
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