Lorenzianer -  Maria Schubert

Lorenzianer (eBook)

Entstehungs- und Wirkungsgeschichte einer apokalyptischen Sekte
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2021 | 2. Auflage
186 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-1484-3 (ISBN)
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Dieses Buch wirft einen analytischen Blick auf die Gemeinschaft in Christo Jesu e.V. mit Sitz in Pockau. Skizziert wird die spannende Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der evangelischen Sekte von ihren Gründerpersönlichkeiten bis in die Gegenwart. Dabei wird sowohl die Einbettung und Verortung in einen konkreten historischen Kontext, als auch die aktuelle Glaubensausübung, die Soziologie und das religiöse Leben der endzeitlichen Sekte ausführlich thematisiert. Maria Schubert beleuchtet die Entstehungsmythen der Gemeinschaft und entlarvt ihre selbsterhaltenden psychologischen Mechanismen. Argumentationsgrundlage bilden diverse wissenschaftliche und publizistische Texte, gemeinschaftsinternes Schrifttum sowie Erfahrungsberichte Gläubiger und Aussteiger. Das Buch bietet also neben allgemeiner wissenschaftlicher und historischer Aufklärung auch konkrete Lebenshilfen für Aussteiger und Ausstiegswillige und für den familiären, schulischen oder beruflichen Kontakt mit Anhängern dieser Sekte.

1.3.2.1 Der Aufbau des Vollendungswerkes


Als Medium wurde Lorenz aber erst nach dem Tod seiner Mutter aktiv und nahm erst nach Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 seine Offenbarungstätigkeit auf. Eine Berufung will er jedoch bereits 30 Jahre zuvor mit 21 Jahren erlebt haben, als ihm Gott erschien und ihm alle Reiche der Herrlichkeit zeigte und ihn als geistigen Führer bestimmt habe.41 In der Selbstdarstellung der Gemeinschaft heißt es über die Ereignisse von 1914:

„Erst nach 30 Jahren, nämlich am 11. Juni 1914, trat die Bestimmung in Kraft, indem ihm der Herr abermals erschien. Die Wirkung begann im eigenen Familienkreise in Marterbüschel. Bald aber erteilte der Herr den Befehl, sämtliche alte Zeugen42 zu benachrichtigen, und somit wurde das bedeutungsvolle Jahr 1914 auch zu einem gewaltigen Markstein der „Gemeinschaft in Christo Jesu“.

Im November 1914 endlich verbreitete eine alte Glaubensschwester die Nachricht, der neue Führer und Sendbote des Herrn wäre da und lade auf Befehl des Herrn zum Besuche ein. Ohne lange zu zögern, gingen vier alte Gemeindeglieder am 1. Weihnachtsfeiertag 1914 zu Hermann Lorenz in Marterbüschel, um sich davon zu überzeugen. Sie sollten sich denn auch nicht getäuscht haben; denn sie erkannten hier wieder die wahrhaftige, die reine Geisteslehre. [...] Tief ergriffen und voll überzeugt trugen die vier Glieder der Tieflandsgemeinde43 die überraschende Nachricht zu den Ihrigen. Nun begann ein reges Leben, und für Hermann Lorenz tat sich bald ein bedeutendes Arbeitsfeld44 auf.

Erfreulicherweise schlossen sich die noch lebenden alten Zeugen fast restlos dem neuen Führer an, brachten neue Glaubensgeschwister hinzu, und nach kurzer Zeit waren es mehrere Hundert Glieder.“45

Über die Vorgänge im Jahr 1914 weiß Samuel Kleemann außerdem in seiner Inauguraldissertation von 1926 zu berichten:

„Nach des Hermann Lorenz eigener Erzählung legte ihm Gott am 2. August 1914 drei Fragen vor, die er dann in einem kleinen Kreise von Gläubigen beantwortete. Er weissagte als erstes, der Krieg würde eine Ausdehnung nehmen, die niemand vermutete. Auf die Frage nach dem Ausgang des Krieges erfolgte sodann die Antwort: ‚Dieser Krieg wird zu einem Verderben für dieses Reich durch das Tier.’ Die dritte Weissagung beantwortete die Frage nach dem Friedensschluß aus dem Weltpessimismus46 der apokalyptischen Stimmung heraus: ‚Es kommt kein Friede wieder47. Der Krieg ist der Anfang vom Ende alles Weltgeschehens.’“48

Die scheinbare Erfüllung dieser Prophezeiungen führte Hermann Lorenz in den Folgejahren weitere Anhänger zu. Aus „Furcht vor einer Anklage wegen Hochverrats“49 hatte Lorenz diese 1914 aber nicht öffentlich gemacht. Laut Selbstdarstellung zählte die Gemeinde 1917 bereits an die 1000 Mitglieder. Helmut Obst resümiert die Entwicklungen der ersten Rekrutierungs- und Expansionsphase der Gemeinschaft folgendermaßen:

„Weite Teile der Öffentlichkeit wurden erst auf sie aufmerksam, als 1918 einige Lokalzeitungen sensationell aufgemachte, weitgehend auf Entstellungen und Übertreibungen beruhende Berichte über die „Lorenzianer“ veröffentlichten. Die leitenden Organe der Sächsischen Landeskirche waren trotz scharfer Angriffe einzelner Pfarrer bemüht, einen Bruch mit Lorenz und seinen Anhängern zu vermeiden. Diese wiederum hielten an ihrer Zugehörigkeit zur Kirche fest und nahmen für sich in Anspruch, auf dem Boden der lutherischen Kirche zu stehen.“50

1918 stieg die Anhängerzahl laut Selbstdarstellung der Gemeinschaft auf 1500 Personen, doch nach Kriegsende gab es wieder einen leichten Personenverlust:

„Infolge der scheinbar sich bessernden Zukunft trat im Jahre 1919 erst eine geringe Schwankung ein; einige Monate nach der Revolution51 stieg jedoch die Zahl der Mitglieder und erreichte am Jahresschluß 1800.“52

1920 wurden schließlich in vielen Regionen Sachsens Aufklärungs- und Missionsvorträge gehalten. Zum Abschluss der Missionskampagne fand am 5. September 1920 in Lengefeld ein großes Dankesfest mit Festumzug statt.53

„Hermann Lorenz hielt die Festrede in prophetischer Inspiration. Von nun an wurde auf jede weitere öffentliche Missionsarbeit verzichtet.“54

Diese Festveranstaltung war auch Thema in den lokalen Medien.55 Folgendes Foto wurde an diesem 5. September 1920 bei Lengefeld aufgenommen.

Hermann Lorenz predigt, umgeben von Glaubensbrüdern mit Zylinder, von einer Kanzel. Der Platz der Festrede ist mit Girlanden geschmückt. Seine Rede hat, wie das Foto dokumentiert, regen Zulauf.

Abb.6: Missionsvortrag des Hermann Lorenz 1920

Infolge der Missionsvorträge im Jahr 1920 und weiterer Mundzumundpropaganda gewinnt die Gemeinschaft in den Folgejahren stark an Mitgliedern und soll im Sommer 1923 bereits eine Zahl von bis zu 5000 Anhängern erreicht haben.56

Um Organisationsstrukturen aufzubauen, ließ sich die Gemeinschaft in Christo Jesu am 13. Juni 1922 beim Amtsgericht Lengefeld behördlich als eingetragener Verein anerkennen. An der Spitze stand ein fünfköpfiger Vorstand57, dem Hermann Lorenz nicht angehörte. Er wurde bei der Lehre von zwei Oberwächtern unterstützt, die dem 50köpfigen Bruderrat angehörten.

Die Mitglieder des Vereins waren vor allem Arbeiter, Handwerker, kleine Beamte und Gebirgsbauern, sodass soziale Unterschiede innerhalb der Gemeinschaft kaum eine Rolle spielten. Alle galten und gelten bis heute als Brüder und Schwestern und sind untereinander stets per Du. Als Begrüßung pflegt man ein „Sei(d) gegrüßt“.58 Neben der Vereinsgründung ist das Jahr 1922 auch das Jahr der Trennung von der sächsischen Landeskirche. Helmut Obst resümiert:

„Von großer innerer und äußerer Tragweite war der 1922 gefaßte Beschluss, die Abendmahlsgemeinschaft mit der sächsischen Landeskirche aufzuheben. Vorausgegangen war, dies bedarf noch der näheren Untersuchung, dass einzelne Pfarrer Gliedern der Gemeinschaft das Abendmahl verwehrten, d.h. Kirchenzuchtmaßnahmen verhängten. Das Abendmahl wurde von nun an, mit Ausnahme des Erstabendmahles der Konfirmanden, nur noch innerhalb des Gemeinschaftskreises gefeiert.“59

Hinweise darauf, in welchen konkreten Fällen und in welchen Kirchengemeinden es zu Kirchenzuchtmaßnahmen gegenüber Gemeinschaftsanhängern oder Vereinsmitgliedern gekommen war, wären hilfreich, das Spaltungsgeschehen und den Bruch mit der Landeskirche besser und gerechter beurteilen zu können. Da die Gemeinschaft in Christo Jesu e. V. mittlerweile mehrere Tausend Mitglieder zählte, führte der Bruch mit der Kirche automatisch auch zu dem Bedürfnis nach einer geeigneten Versammlungsstätte.

1923 wurde daher unter großen Spendenopfern der Mitglieder in Marterbüschel (heute Pockau) im Flöhatal ein Fabriksaal als „Tempel“ ausgebaut. Da dieser Tempel nur etwa 600 Personen fassen konnte und sich in der Folgezeit als zu klein erwies, wurde 1928 im selben Ortsteil ein neuer, deutlich größerer Tempel mit ca. 1000 Sitzplätzen errichtet. Dieser Tempel, auch Elias-Burg genannt, ist das Zentralheiligtum der Gemeinschaft in Christo Jesu. Der erste Tempelbau wird heute aufgrund seines Fassungsvermögens auch als „Kleiner Tempel“ bezeichnet. Folgende Postkarte zeigt den Ortsteil Marterbüschel mit der Elias-Burg am Waldesrand. Der Ort wird unter Lorenzianern gerne auch „Lobetal“ genannt.

Abb.7: Marterbüschel bei Pockau - Lengefeld 1937

Nachdem das Zentralheiligtum der Gemeinschaft in Christo Jesu e.V. eingeweiht worden war, blieb seinen Anhängern ihr Prophet nicht mehr lange erhalten. Dass er selbst die von ihm verkündete Entrückung der Auserwählten nicht mehr miterleben würde, soll ihm zu seinem 65. Geburtstag mitgeteilt worden sein.

„An seinem 65. Geburtstag, am 11. Juni 1929, ‚musste ihm der Herr schweren Herzens die grausame Forderung des Satans unterbreiten, von der er nicht abging – er müsse durch den Tod gehen.“60

Dies war ein großer Schock der endzeitlichen Gemeinde, die quasi täglich auf ihre Entrückung in Fleisch und Blut hoffte, um dem leiblichen Tod zu entgehen und diesen zu besiegen. Hermann Lorenz war das jedenfalls nicht vergönnt und er verstarb schließlich am Vormittag des 17. Juli 1929.

„Die Leiche wurde im „kleinen Tempel“ in Marterbüschel aufgebahrt und auf Anweisung des „hohen Fürsten Elias“ im Garten der Elias-Burg beigesetzt.“61

Abbildung 8 zeigt den Leichenzug des Hermann Lorenz in Marterbüschel. Er wurde an der Stirnseite der Elias-Burg beigesetzt. Das...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7534-1484-0 / 3753414840
ISBN-13 978-3-7534-1484-3 / 9783753414843
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