Hartmann von Aue (eBook)

Eine literaturwissenschaftliche Einführung

Cordula Kropik (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
400 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-5562-6 (ISBN)

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Hartmann von Aue -
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Hartmann von Aue gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Dichtern des Mittelalters. In Forschung und Lehre ist er präsent wie kaum ein anderer. Diese Einführung erleichtert Studierenden den Zugang zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Hartmann von Aue und ermöglicht weiterreichende Einsichten ins Werk dieses 'Klassikers' der mittelhochdeutschen Literatur. Sie stellt zentrale Fragen, Ansätze und Methoden der Hartmannforschung verständlich dar. Die Kapitel sind von Forscher:innen verfasst, die in jüngster Zeit selbst zu den jeweiligen Themen gearbeitet haben und ausgewiesene Expert:innen auf Ihrem Gebiet sind. Damit führt sie in den aktuellen Stand der Forschung ein und veranschaulicht zugleich der Vielfalt des Fachdiskurses.

Einleitung (Cordula Kropik)9
A Dichter und Werk;13
1. Literatur um 1200. Hartmanns Dichtung im literaturhistorischen Kontext (Timo Felber)15
1.1. Wer war Hartmann von Aue? Biographischer Autor und literarische Autorbilder16
1.2. ‚Höfische‘ Dichtung. Hartmann und der literaturgeschichtliche Kontext29
1.3. Fazit42
2. Hartmanns Texte: Fassungen und Überlieferung (Andreas Hammer)45
2.1. Mittelalterliche Textualität: Zum Verständnis von Text und Autorschaft45
2.2. Die Überlieferung der Werke Hartmanns von Aue49
2.3. Fazit78
B Poetologische Zugänge I – Lyrische und rhetorische Formen;83
3. Gesungene Geschichten? Hartmanns Lyrik (Jens Haustein)85
3.1. Überblick 85
3.2. Narrativität96
4. Ein Streitgespräch im Schnittpunkt der Diskurse: ‚Die Klage‘ (Susanne Köbele)101
4.1. ‚Klage‘, ‚Büchlein‘, Streitgespräch? Aspekte der Überlieferung und Gattungszuordnung101
4.2. Schwierige Kohärenz: Reimpaardialog und Schlussgedicht als selbstwidersprüchliche stæte-Demonstration106
4.3. Gnade vor Recht? Diskursinterferenzen114
4.4. Rezeption118
C Poetologische Zugänge II – Hartmanns Erzählungen;121
5. Vorlagenbindung und Übertragungspraxis (Britta Bußmann) 123
5.1. Die Problemlage: Hartmann und seine Vorlagen123
5.2. Die frühe Forschung und die Debatte um Hartmanns Eigenständigkeit129
5.3. Worstbrocks Konzept des Wiedererzählens und die aktuelle Forschung133
5.4. Hartmanns Bearbeitungsverfahren136
5.5. Bearbeitungstendenzen in den drei Übertragungen141
6. Komposition und Erzählwelt (Cordula Kropik)149
6.1. Exemplarische Textbeobachtungen149
6.2. Hartmanns Kompositionstechnik152
6.3. Die âventiure und andere weltlenkende Instanzen153
6.4. Doppelweg160
6.5. Queste und quaestio167
6.6. Fazit173
7. Poetologische Fiktion und Selbstreflexion des Erzählens (Haiko Wandhoff)175
7.1. Nur eine Frage der Ehre? Kalogreant, Iwein und die Logik des Wiedererzählens177
7.2. âventiure, waz ist daz? Der ‚Iwein‘ als falsch verstandener ‚Erec‘182
7.3. Lunetes (Er-)Findungen: Ein unsihtiger geist öffnet der Erzählung Tür und Tor184
7.4. Minne-Vergessenheit: Warum der Hof kein Ort für Liebesgeschichten ist188
7.5. Liebeswerbung oder Hofliteratur? Die doppelte Adressierung des Löwenritterromans190
7.6. Fazit195
8. Hartmanns Erzähler (Markus Greulich)197
8.1. Zur narratologischen Kategorie des ‚Erzählers‘198
8.2. Autorsignatur und Erzähler in den höfisch-religiösen Verserzählungen201
8.3. Experiment und Reflexion: Autorsignatur und Erzähler in den Artusromanen210
8.4. Fazit218
D Thematische Zugänge;221
9. Männer und Frauen (Seraina Plotke)223
9.1. Aspekte männlicher und weiblicher Agency225
9.2. Fokalisierung, Figurenpivilegierung und doing gender233
10. Liebe und Gesellschaft (Dorothea Klein)243
10.1. Der Hof als kulturelles244
10.2. Der Hof als herrschaftliches Zentrum248
10.3. Gewalt als Bestandteil adliger Lebensform251
10.4. Ehre als Leitwert der höfischen Gesellschaft253
10.5. Ein weiteres Ordnungsmuster: Die Ehe255
10.6. Liebe260
10.7. Herkommen und Genealogie265
10.8. Umakzentuierungen in den Legendendichtungen266
11. Gott und Welt (Albrecht Hausmann)271
11.1. Weltliches und geistliches Leben272
11.2. Der wunderlîche Gott in ‚Erec‘ und ‚Gregorius‘275
11.3. Weltliches und geistliches Erzählen: Strukturmodelle und Gott als Handlungsinstanz283
E Wirkung;293
12. Kanonisierung: Dichter über Hartmann (Sandra Linden)295
13. Rezeption und Kontinuität: Die Nachwirkung von Hartmanns Werk (Volker Mertens)317
Verzeichnis der Handschriften und Fragmente355
Abgekürzt zitierte Textausgaben361
Sekundärliteratur 367
Bildnachweise. 393
Register 395

1.1. Wer war Hartmann von Aue? Biographischer Autor und literarische Autorbilder


Auch wenn die poststrukturalistische Kritik den Autor als Interpretationskategorie wirkmächtig in Frage gestellt hat, bleibt das wissenschaftliche Verständnis literarischer Texte auf den Autor als Produktionsinstanz bezogen. Das Wissen um die biographische Existenz des Autors hilft, Texte gesellschaftlich sowie wissensgeschichtlich zu kontextualisieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, Interpretationen zu plausibilisieren (Jannidis 1999:25). Dies müsste auch und gerade für die mittelalterliche Literaturpraxis gelten, doch entziehen sich deren Akteure aufgrund der desaströsen Quellensituation zumeist einem wissenschaftlichen Zugriff: „Wir kennen im Mittelalter in der Regel nicht den Autor, der den Text hervorgebracht hat, sondern nur den Text, der den Autor hervorbringt“ (Wenzel 1998:5). Dies lässt sich beispielhaft an Hartmann von Aue zeigen. Unser gesamtes Wissen über ihn stammt aus literarischen Texten. Andere Quellen (Tauf- oder Sterberegister, Urkunden o.ä.), die Aufschluss über sein Leben geben könnten, gibt es nicht. Bei einer biographischen Rekonstruktion, die sich auf die Lektüre literarischer Texte des Mittelalters stützt, begegnen deshalb einige unhintergehbare methodische Probleme. Anders als in modernen Textausgaben existieren in mittelalterlichen Handschriften keine Titelblätter mit Angaben zum Verfasser. Wenn ein Autor seinen Text mit seinem Namen in Verbindung bringen wollte, musste er sich selbst nennen: Prologe und Epiloge sind bevorzugte Stellen solcher Selbstnennungen. Da diese in der Überlieferung nicht selten weggelassen wurden, war es für den Verfasser jedoch sicherer, seinen Namen an verschiedenen Stellen seines Werkes einzuflechten. Wer biographische Informationen aus solchen Selbstnennungen generieren möchte, steht schließlich vor dem methodischen Problem, dass Dichter über die Lizenz verfügen, Unwahres über sich zu erzählen (Kablitz 2008). Es gilt folglich, die biographische Autorexistenz nicht mit der literarischen Szenerie der Autorbilder und -stilisierungen zu verwechseln (Peters 1991:31). Nichtsdestotrotz hat die germanistische Forschung zahlreiche biographische Informationen aus solchen Selbstnennungen abgeleitet: Im Licht der Quellenkritik sind sie oft genug nicht haltbar (z.B. Bumke 2006:1–4, Wolf 2007:31–35). Was kann vor diesem Hintergrund denn überhaupt als gesichertes oder doch zumindest wahrscheinliches biographisches Wissen über Hartmann von Aue gelten?

1.1.1. Der Name


Hartmann nennt sich in seinen Texten selbst Hartmann von Ouwe. Diese Selbstbezeichnung findet leicht variiert (Der von Ouwe, Der Ouwære) Bestätigung in den Dichtungen anderer Autoren, die Hartmann als einen der größten Dichter seiner Zeit herausstellen (→ Kap.12.). So heißt es im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg:

Hartman der Ouwære,

[…]

swer guote rede ze guote

und ouch ze rehte kan verstân,

der muoz dem Ouwære lân

sîn schapel unde sîn lorzwî (GoTr 4621; 4634–4637)

Hartmann, der Ouwære, […] wenn einer gute Dichtung gut und auch richtig beurteilen kann, so muss der dem Ouwære seinen Ehrenkranz aus Lorbeer zugestehen.

Die Schreiber der großen Lyrik-Sammelhandschriften um 1300 nennen ihn übereinstimmend Her Hartman von Owe (zur Weingartner Liederhandschrift B und Codex Manesse C, → Abb. 1.1. und 1.2.). Auch wenn das Owe hier dem vielfach im Minnesang genutzten Leidausruf owê entspricht (so z.B. in Hartmanns Lied IV: Owê, waz tæte si einem man, / dem sî doch vient wære, MF 209,15f.) und daher die literarische Klagefigur des unglücklichen Liebenden aufruft, machen die weitgehenden Namensübereinstimmungen nahezu sicher, dass es einen Autor mit Namen Hartmann von Aue gegeben hat.

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Weingartner Liederhandschrift (B).

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C).

1.1.2.  Datierung und Herkunft


Die Entstehung mittelalterlicher Literatur kann in aller Regel nicht genau datiert werden. Anders als moderne Textausgaben gibt es in mittelalterlichen Codices keine Titelei, der das Erscheinungsdatum zu entnehmen wäre. Zudem haben wir weitestgehend keine Autographe, d.h. vom Autor selbst verfasste Texte. Mittelalterliche Literatur liegt nahezu immer in Abschriften vor, die lange Zeit nach der Entstehung der Dichtung angefertigt wurden. Das gilt auch für Hartmanns Texte. Die überlieferten handschriftlichen Zeugnisse seines Werks datieren vom frühen 13. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert (→ Kap. 2.). Ferner gibt es in den Texten Hartmanns keine einzige zeitgeschichtliche Anspielung, die einen sicheren Anhaltspunkt für eine Datierung bietet. Dennoch können wir die Schaffenszeit Hartmanns ungefähr auf die Jahre 1180–1200/05 eingrenzen. Dazu bedienen wir uns der Erwähnung Hartmanns sowie seiner Romane ‚Erec(k)‘ und ‚Iwein‘ im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. Aus dieser Erwähnung resultiert, dass Hartmann seine Romane vor der Entstehung des ‚Parzival‘ verfasst haben muss. Den ‚Parzival‘ aber können wir ungefähr datieren, weil sich darin eine Anspielung auf ein historisches Ereignis findet. Wolfram vergleicht nämlich die im Roman geschilderte Zerstörung einer Landschaft durch ein Belagerungsheer mit der Verwüstung der Erfurter Weingärten in der historischen Realität:

Erffurter wîngarte giht

von treten noch der selben nôt:

maneg orses vuoz die slâge bôt. (WoPz 379,18–20)

Die Erfurter Weingärten befinden sich durch Tritte immer noch in der gleichen Not: Viele Hufschläge verwüsteten sie.

Damit spielt Wolfram wahrscheinlich auf die Zerstörungen im Erfurter Umland an, die während der Belagerung der Stadt im Zuge des Thronstreits zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV. im Jahr 1203 entstanden sind. Da in der Formulierung Wolframs die Weingärten immer noch zerstört sind, setzt man die Entstehung dieser Textstelle des ‚Parzival‘ um 1205 an. Damit wäre für Hartmanns Dichtung ein terminus ante quem gewonnen.

Noch unsicherer sind die Indizien für den Beginn von Hartmanns Autorschaft. Die Prätexte der beiden Artusromane Hartmanns, Chrétiens de Troyes ‚Erec et Enide‘ und ‚Yvain‘, lassen sich ebenfalls nicht genau datieren. Man nimmt als Entstehungszeiten die Jahre um 1165 bzw. um 1175 an. „Die verwertbaren Anhaltspunkte sichern nur einen Datierungsrahmen. Hartmanns literarische Aktivität gehört in die letzten beiden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts; ob sie das vorletzte Jahrzehnt ganz oder nur zum Ende hin ausfüllte und auch noch in das erste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts reichte, ist nicht sicher auszumachen“ (Cormeau/Störmer ³2007:31).

Eine relative Chronologie, also eine Reihenfolge der Dichtungen Hartmanns, ist nicht wirklich zu erweisen, auch wenn man sich in der Forschung konsensual auf die Reihung der Erzähltexte in der Abfolge ‚Erec(k)‘ – ‚Gregorius‘ – ‚Armer Heinrich‘ – ‚Iwein‘ verständigt hat. Diese Anordnung gründet auf den Vergleich von Reimtechnik, Wortwahl und Versrhythmus. Man geht dabei stillschweigend von der problematischen Prämisse aus, dass ein Autor sich mit fortschreitender Zeit stilistisch stetig verbessert. Gesichert scheint in der Reihung nur, dass der ‚Erec[k]‘ vor dem ‚Iwein‘ entstanden ist, da hier auf die Handlung des Erec[k]romans Bezug genommen wird, dessen Kenntnis bei den Rezipienten also erwartet werden kann. Die ‚Klage‘ wird zuweilen als Erstlings- oder neben dem ‚Erec(k)‘ als Frühwerk Hartmanns angesehen, doch bietet die als Beleg für diese Einordnung herangezogene Selbstbezeichnung Hartmanns als jungelinc (HaKl 7) keine hinreichende Sicherheit (zur Problematik der biographischen Auswertung der Selbstaussagen: → Kap. 1.1.3.). In den Liedern gibt es nicht einen einzigen Anhaltspunkt, der eine Datierung zuließe.

 

Noch größere Schwierigkeiten als die zeitliche Einordnung bereitet die Frage nach der Herkunft Hartmanns. Wir können ihn familiär gar nicht, regional nur sehr bedingt verorten. Beides hängt damit zusammen, dass es im 12. Jahrhundert noch keine Nachnamen gibt. ‚Von Aue‘ ist eine Herkunftsbezeichnung. Es handelt sich bei unserem Autor folglich um Hartmann aus Aue. Allerdings wissen wir nicht, aus welchem ‚Aue‘ Hartmann stammt. In der Forschung gilt der Südwesten Deutschlands, das alte Herzogtum Schwaben, als...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
Schlagworte Dichter • Forschung • Forschungsgeschichte • Forschungsmethoden • Grundlagenwissen • Hartmann von Aue • Heldendichtung • Höfische Dichtung • Höfisches Epos • Lehrbuch • Literatur • Literatur des Mittelalters • Literaturwissenschaft • Mediävistik • Minnesang • Mittelalter • mittelalterliche Literatur • Oswald von Wolkenstein • Walter von der Vogelweide • Werk • Wolfram von Eschenbach
ISBN-10 3-8463-5562-3 / 3846355623
ISBN-13 978-3-8463-5562-6 / 9783846355626
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