Geist & Leben 2/2021 (eBook)

Zeitschrift für christliche Spiritualität

Christoph Benke (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
116 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06504-1 (ISBN)

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Geist & Leben 2/2021 -  Verlag Echter
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Bernhard Körner eröffnet Heft 2 mit einer Notiz zu Jürgen Habermas' Reflexion dogmati-scher Geltungsansprüche in den Geisteswissenschaften und befragt sie nach Impulsen für die Unterscheidung einer wissenschaftlich-theologischen Außenperspektive von einer gläubigen Innenperspektive. Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Ausgabe ist der französischen Schrift-stellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl gewidmet. Während der Beitrag von Edith Kür-pick FMJ von Madeleines Gedicht 'Fahrradspiritualität' inspiriert ist, kommt die renommier-te Delbrêl-Forscherin Annette Schleinzer in einem Interview, das interessante neue Einsich-ten vermittelt, zu Wort. Mathias Moosbrugger begibt sich auf die Spur des eloquenten Pet-rus Canisius SJ, der eigentlich dem Kartäuser-Orden beitreten wollte und der jesuitischen Spiritualität zunächst nur wenig abgewinnen konnte. Felix Körner SJ beschließt die Rubrik 'Nachfolge' mit einer ignatianischen Betrachtung der Markuspassion, deren Zentrum das Motiv der Verborgenheit Gottes bildet. Zweifellos stellt die lückenlos transparente Aufarbeitung des sog. 'Missbrauchsskandals' gegenwärtig die größte Herausforderung für die Kirche dar. Deshalb adressiert François Cassingena-Trévedy OSB kritische Rückfragen an die kirchliche Rede über Sexualität und votiert für ein 'Projekt für den Leib', welches die Sexualität nicht als Tabu, sondern vielmehr als Ressource begreift. Unter dem Eindruck der Corona-Krise befragt Stefan Kopp den Be-griff der 'Geistlichen Kommunion' nach seinen noch unentdeckten sakramental-spirituellen Potenzialen. Roman Winter beleuchtet das Martyrium und ökumenische Märty-rer(innen)gedenken in der Spannung von Freiheit und Gnade. Die Bedeutung der 'Ränder' für die Evangelisierung der Kirche erhellt die Kleine Schwester Jesu Ulrike, indem sie den Leser(inne)n von prägenden Begegnungen in ihrem beruflichen, wie seelsorgerlichen Um-feld erzählt. Im Bereich der 'Jungen Theologie' beschreibt Agnes Slunitschek das Zueinander von Liturgie und Diakonie anhand der theologischen Überlegungen Edward Schillebeeckx'. Vor einem Jahr, am 6. April 2020, gedachte die Welt des 500. Todestages Raffaels, den die ZEIT als 'Genie der Hochrenaissance' bezeichnete. Willibald Hopfgartner OFM wagt sich an eines seiner bekanntesten Werke, die 'Sixtinische Madonna', heran und interpretiert die Funktion der weltberühmten 'lümmelnden' Engelchen auf der unteren Brüstung des Bildes. Im Nachgang reflektiert Johannes Lorenz apersonale Spiritualitäten alternativspiritueller 'Lebenskunst-Labore' anhand des New Age-Denkers Ken Wilber. Hans Brandl SJ geht der geistlichen Dimension des Lernens und ihrer Bedeutung für die Bildung des Menschen bei Ignatius von Loyola auf den Grund. Schließlich führt Egbert Ballhorn die Leser(innen) an Jo-chen Kleppers Lied 'Die Nacht ist vorgedrungen' (1938) heran und stellt dessen Relektüre in den Kontext der Passionszeit.

Christoph Benke, geb. 1956, Dr. theol., Priester der Erzdiözese Wien, in der Studentenseel-sorge tätig.

Christoph Benke, geb. 1956, Dr. theol., Priester der Erzdiözese Wien, in der Studentenseel-sorge tätig.

Edith Kürpick FMJ | Köln

geb. 1967, Priorin der Monastischen Gemeinschaft der Schwestern von Jerusalem, Köln, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

schwester.edith.koeln@jerusalemgemeinschaften.de

Plädoyer für eine Fahrrad-Spiritualität

Viele starten regelmäßig mit einer Reihe guter Vorsätze ins neue Jahr. Dazu gehört nicht selten auch die Absicht, in Zukunft wirklich mehr Sport zu machen. Für einen guten Vorsatz braucht es oft eine kleine Motivationshilfe. Und weil Sport ja durchaus etwas Ganzheitliches ist und nicht nur die Muskeln, sondern auch Geist, Herz und Verstand betrifft, soll hier ein kurzes Plädoyer für eine Fahrrad-Spiritualität skizziert werden.

Unübersehbar ist der Titel angelehnt an einen Text von Madeleine Delbrêl1. Die folgenden Ausführungen haben aber auch ein wenig bei Romano Guardini vorbeigeschaut. Im Hintergrund steht die Vermutung, dass Christsein heute, in welcher Lebensform auch immer, tatsächlich ein bisschen mehr Bewegung braucht.

Eine kurze Vorbemerkung noch, um im Bild zu bleiben: Das Fahrradfahren verlangt einiges ab. Ob mit Gangschaltung oder ohne – in die Pedale treten muss man allemal. Ohne Selbstbewegung geht es nicht, auch wenn man fest im Sattel sitzt. Ein bisschen flexibel sollte man schon sein, denn manchmal, vor allem beim Abbiegen, ist es besser, sich mit in die Kurve zu legen. Dafür kann man aber auch etwas auf den Gepäckträger klemmen oder im Fahrradkorb mitnehmen. Und man kann, wenn man es denn kann, wunderbar freihändig fahren.

Seit einiger Zeit ist in unseren Städten ein hässlich-praktisches Konkurrenzgerät aufgetaucht: der E-Scooter. Den Zugang dazu gewährt kein Schlüssel zu einem altbackenen Rundschloss, sondern das Smartphone. Dann geht es auch schon los, wenn er (der Akku, nicht die Beine) denn aufgeladen ist. Man steht darauf senkrecht wie eine Eins, wie mit einem unsichtbaren Brett im Rücken, und wird ohne Anstrengung unbewegt fortbewegt. Mitnehmen kann man so gut wie nichts, beugen muss man sich nicht und ins Schwitzen kommt man garantiert nicht. Man hat alles im Griff und, so scheint es, den kompletten Überblick über jede Situation, durch die man souverän hindurchrauscht. Nur eines sollte man in jedem Fall – nicht nur wegen des angedrohten Bußgeldes – tunlichst vermeiden: versuchen, freihändig zu fahren! Alles in allem vielleicht kein optimales Bild für eine heutige Spiritualität … Von daher also ein Plädoyer für die des Fahrrads.

Nur „eine“ Spiritualität?

Natürlich drängt sich sofort eine Rückfrage auf: Ja, gibt es denn nur eine Spiritualität? Die – richtige – Spiritualität? Die Frage ist nicht neu2 und ist hier nicht zu vertiefen. Christliches geistliches Leben soll in diesem Zusammenhang, verkürzt gesagt, verstanden werden als Widerhall, als Ankommen der Heilsgeschichte im Leben des oder der Einzelnen3 und Spiritualität entsprechend als reflektiertes und verantwortbares Leben aus eben dieser Heilsgeschichte. Die aber artikuliert sich prozesshaft: Sie bewegt sich zwischen Himmel und Erde, Gott und Menschen, Gnade und Freiheit, Aktion und Passion, aber auch Treue und Versagen, Suche und Erfüllung … Zwischen diesen Koordinaten sind wir, wenn man so will, mit unseren Rädern unterwegs.

Christsein auf Erden meint: werden, was wir sind. Treue zu unserer Taufgnade kann es ohne Werden nicht geben. Im Prisma der Spiritualität brechen sich die Lebensfarben in vielfältigen Facetten, gezeichnet von Bewegung und Wandel. Man könnte sich fragen, ob es nicht Grundelemente gibt, die für eine Beweglichkeit und Lebendigkeit unverzichtbar sind. Oder, anders gesagt, notwendige Grundhaltungen für eine Fahrrad-Spiritualität. Vermutlich gibt es viele. Aber weil Fahrradfahren ja im Grunde kinderleicht ist, seien hier nur vier in Erinnerung gerufen.

Ein Glaube, der die Erde liebt

Keine Frage: Unsere Zeit, unsere Zivilisation, unsere Kontexte werden immer weiträumiger und zugleich individualistischer, immer schneller und multikultureller, immer komplexer und unlesbarer. Ob wir es wollen oder nicht, wir sind eingebunden in vielschichtige und einflussreiche Prozesse wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, medialer oder politischer Art. Dem ungeahnten Reichtum an Möglichkeiten und Angeboten, den stimulierenden Herausforderungen steht ein hohes Maß an Überforderung und schmerzvollem Scheitern und Nicht-Mithalten-Können gegenüber. Es drängt sich manchmal der Eindruck einer multioptionalen Zerfahrenheit, einer „angestrengten Diesseitigkeit“ (P. M. Zulehner) auf. Der Mensch ist immer noch ein Homo viator, er klickt sich existenziell einfach anderswo weiter, tritt die säkulare Flucht in die Welt an: Erfahrung to go und scheinbar um jeden Preis, „Transzendenz bestenfalls im Selbstversuch“4. Das kann einen gläubigen Menschen schon manchmal entsetzen und ziemlich zusetzen.

Und doch liegt das Problem des gläubigen Menschen nicht so sehr in diesem Entsetzen, sondern vor allem darin, dass die allererste und bleibend gültige Geste Gottes über alles Geschaffene vergessen wird: sein Segen. Vom ersten Blick Gottes, der sah, dass es „sehr gut“ war (Gen 1,31), bis hin zu der Zusage des Auferstandenen „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20) liegt auf dieser Welt, auf den Menschen und auf ihrem Wachstum Gottes Segen. Erstaunlich, wie sehr der Segen heute unterschätzt wird! Wir können eben nicht auf einem spirituellen E-Roller mit heimlicher Verachtung im Herzen und großem Jammern auf den Lippen souverän über unsere Zeit hinwegfliegen und uns vermeintlich geistlich, d.h. billig aus ihr herausstehlen. Das wäre eine arge Illusion: „Es gibt Menschen, die, weil sie nicht ihrer Zeit angehören, meinen, der Ewigkeit anzugehören.“5 Es wäre auch nicht der Weg Gottes, der, ob es uns passt oder nicht, „diese Welt so sehr geliebt hat“ (Joh 3,16).

Hinter diesen Gott also, der sich definitiv auf die Welt zubewegt hat, sich mit seiner Menschwerdung in sie hineinbewegt hat, kann unser Glaube und darf auch eine Spiritualität heute nicht mehr zurück. Fahrrad-Spiritualität könnte also heißen: in diese Bewegung einschwingen, sich bewegen und bewegen lassen hin zu einer liebenden, nicht naiven, aber unmissverständlichen Zeitgenossenschaft – kein Rückzug aus den heute so extrovertierten Lebenswelten hinein in eine innere Sicherheits- und Komfortzone, in eine klar abgegrenzte, vertraute Umgebung ohne Risiken und Nebenwirkungen, in der man nicht mehr viel erklären muss, weil alle gleich denken und gleich fühlen, und in der man alles unter Kontrolle hat; kein Lagerfeuer, um das sich in dunklen Zeiten die kleine Herde versammelt, trotz oder gerade wegen Corona eng zusammenrückt und unmerklich die Kirche und die Welt und die gesamte Wirklichkeit auf dieses so warm flackernde Feuerchen reduziert. Der Herr hat nirgendwo schön asphaltierte Fahrradwege verheißen, die mit Null-Risiko-Schildern ausgewiesen wären: „Gefährlich ist das Leben“, schreibt Romano Guardini, „man kann ihm nicht trauen. Es ist untreu, sobald man unter Treue versteht, dass angebbare Sicherheiten dafür bestünden, es werde sich später verhalten wie gestern und heute.“6

Eine Spiritualität also tut not, die sich nicht scheut, auch die holprigen Wege der Erde und der Menschen einzuschlagen, und die sich unterwegs selbst von fremden Welten anreden lässt; eine Spiritualität, deren Bewegung und Lebendigkeit nicht darin besteht, sich einfach der Zeit anzupassen oder ihr hinterherzuhecheln, sondern sich ihr auszusetzen und in Kauf zu nehmen, dabei auch einmal auf die Nase zu fallen (das kann beim Fahrradfahren passieren); ab und zu mal einen Gang runter- oder auch raufzuschalten und sich immer wieder neu anzustrengen, im Gegenwärtigen Gott zu suchen, zu finden, zu bezeugen und … wiederum zu suchen. Mit einem Glauben, der die Erde liebt (K. Rahner) und der dem Leben dann doch traut, weil Gott es mit uns lebt7.

Damit das Fahrrad dennoch nicht in eine Schieflage gerät, braucht es eine weitere Grundhaltung.

Ein Glaube, der den Himmel liebt

Die Komplexität unserer Zeit und die multi-optionalen Möglichkeiten heute bergen nämlich auch die Versuchung, die Wirklichkeit auf einer rein horizontalen, immanenten Ebene anzusiedeln, ohne Tiefgang und ohne Höhenluft (höchstens mit ein paar exzentrischen Höhepunkten oder recht derben Tiefschlägen) – aber ohne Fenster zum Himmel. Christliche Spiritualität kann sich da nicht einfach einrichten und es sich bequem machen oder, schlimmer noch, mit ähnlich zivilen Reflexen satt werden an den eigenen vermeintlichen Sicherheiten. Im Gegenteil: „Der Herr hat uns die Unruhe und die Verantwortung ins Herz gebrannt, und man verrät den Himmel, wenn man die Erde nicht liebt, und man verrät die Erde, wenn man nicht an den Himmel glaubt, weil man der Erde Gewalt antut und nicht mit segnenden, helfenden Händen zu ihr kommt.“8 Das Johannesevangelium bringt diesen Anspruch so auf den Punkt: in der Welt – aber nicht von der Welt (vgl. Joh 17,11ff.). Vielmehr von einer anderen Welt oder besser: aus einem Geheimnis heraus, das nicht manipulierbar ist und allen Möglichkeiten immer schon vorausliegt und dennoch hineinreicht und hineinwirkt in diese Welt – und Leben und Wirken freilassend möglich macht.

Ein Glaube, der das Geheimnis und den Himmel liebt, ist die Antriebskraft, die uns daran hindert, auf unserem geerdeten Fahrradweg zu früh abzusteigen. Das ist uns eigentlich schon neutestamentlich eingeimpft. Der Brief an Diognet aus dem 2./3. Jahrhundert zeichnet ein erstaunliches Porträt frühchristlicher Fahrradfahrer(innen):...

Erscheint lt. Verlag 7.4.2021
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Ignatianisch • jesuitisch • Kontemplation • Mystik • Orden • Spiritualität
ISBN-10 3-429-06504-6 / 3429065046
ISBN-13 978-3-429-06504-1 / 9783429065041
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