Lebendige Seelsorge 1/2021 (eBook)

Rassismus

Erich Garhammer (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
80 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06507-2 (ISBN)

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Lebendige Seelsorge 1/2021 -  Verlag Echter
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Rassismus ist eine weltumspannende und vielschichtige Realität. Menschen werden noch immer von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe wahrgenommen, eingeteilt und ermordet. Dabei markiert Rassismus nicht nur das Handeln einzelner, sondern auch Herrschaftsverhältnisse und ist tief in Gesellschaften verwurzelt. Mit diesem Themenheft möchte die Lebendige Seelsorge einen Beitrag zur notwendigen Auseinandersetzung mit dem individuellen und strukturellen Rassismus in Theologie, Kirche und Gesellschaft leisten. Marita Wagner beschreibt geschichtliche Entwicklungen und zeigt dabei auf, wie Wahrnehmungs-muster bis in die Gegenwart prägen. Regina Polak markiert unmissverständlich, dass Rassismus eine Herausforderung für die Kirchen ist und sich konkret im Umgang mit der Migration zeigt. Franca Spieß legt dar, wie notwendig es ist, dass weiße Menschen lernen, Rassismus wahrzunehmen und die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Sarah Vecera berichtet von ihrem Arbeitsschwerpunkt Rassismus und Kirche. Im Interview gewährt Amma Yeboah Einblicke in ihre Erfahrungen als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und als Trainerin für Empowerment und Critical Whiteness. Sandra Lassak denkt in ihrem Beitrag über den Zusammenhang von Rassismus und Körper nach und Daniela Kalscheuer macht auf das literarische Schaffen Schwarzer Autor*innen in Deutschland aufmerksam. Wie rassismuskritisches Arbeiten und Lernen gelingen kann, welche Anstrengungen dies kostet und was zu gewinnen ist, beschreibt Anthea Bethge. Keith Hamaimbo und Georg Krämer engagieren sich dafür, mit entwicklungspolitischer Bildungsarbeit und in globalen Netzwerken gegen Rassismus zu arbeiten. Auch Sprache ist nicht unschuldig. Bernd Hagenkord SJ macht dies für die liturgische Sprache deutlich. Die Beiträge in der Rubrik des Bonifatiuswerkes beschreiben praxisnah wie Rassismus im Rahmen eines Projektes der kirchlichen Bildungsarbeit in Sachsen-Anhalt umgesetzt wurde und wie sich die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen mit dem mobilen Café Hoffnung und begleitenden Bildungsveranstal- tungen in das Programm Weltoffenes Sachsen eingebracht hat.

Erich Garhammer, Dr. theol., Professor em. für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Würzburg, Mitherausgeber der 'Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge'.

Erich Garhammer, Dr. theol., Professor em. für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Würzburg, Mitherausgeber der "Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge".

Rassismus: Herausforderung für die Kirchen

Rassismus ist ein Angriff auf die Idee der Einheit der Menschheit. In unserer zusammenwachsenden, wie auch von globalen Krisen erschütterten Welt nimmt er aktuell rasant zu – in Europa nicht zuletzt als gesellschaftliche wie politische Reaktion auf Migration. Dies ist auch eine Herausforderung für die Kirchen. Regina Polak

Die liberalhumanistischen Menschheitsvorstellungen des 19. Jahrhunderts haben „niemals den Ernst und den Schrecken erfasst, die der Idee der Menschheit und dem jüdisch-christlichen Glauben an einen einheitlichen Ursprung des Menschengeschlechts zukommen, sobald nun wirklich alle Völker auf engstem Raum mit allen anderen konfrontiert sind“ (Arendt, 500). Wie im europäischen Imperialismus der Rassismus zur politischen Waffe der Abwehr dieser Idee wurde, beschrieb Hannah Arendt 1951: „Je besser die Völker einander kennen lernen, desto mehr scheuen sie begreiflicherweise vor der Idee der Menschheit zurück, weil sie spüren“, dass in dieser „eine Verpflichtung zu einer Gesamtverantwortung miteinhalten ist, die sie nicht zu übernehmen bereit sind“ (Arendt, 500).

In unserer Welt, die durch ein hyperglobalisiertes Wirtschaftssystem, durch Mobilität und Migration, multimediale Kommunikations- und Symbolsysteme und transnationale Familien- und Freundschaftsbeziehungen zusammenwächst, sind ihre Aussagen von erschreckender Aktualität. Denn erneut reagieren weltweit Regierungen, politische Parteien und Gesellschaften mit Rassismus auf die Globalisierung. Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie hat eine dramatische Zunahme rassistischer Übergriffe, Gewalttaten und Verschwörungstheorien im Gefolge (vgl. OSCE-Report). Auch wenn dieser Rassismus national vielgestaltig ist und multifaktorielle Ursachen hat: Seine Abwehrfunktion ist evident und mit Blick auf die Klimakatastrophe, die nur in internationaler Kooperation bewältigt werden kann, bedrohlich.

DAS PHÄNOMEN

Im klassischen Sinn bezeichnet Rassismus alle Ideologien, die die Menschheit hierarchisieren, indem sie diese in unterschiedliche (pseudo-) biologische ‚Rassen‘ mit genetisch vererbbaren Eigenschaften einteilen. Auf diese Weise rechtfertigte man die Sklaverei des Kolonialismus wie auch die Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus. Dieser Rassismus ist heute in der EU geächtet. Aber Intoleranz und Diskriminierung von Menschen und Gruppen infolge ihrer Abstammung und Herkunft sind bleibende Realität. Denn der Rassismus hat seit jeher seine Gestalt und ideologische Begründung verändert (vgl. Geulen). So lassen sich heute als Rassismus alle Ideologien und Praxisformen verstehen, die „Menschengruppen als Abstammungs- und Herkunftsgemeinschaften“ konstruieren und diesen kollektive Merkmale zuschreiben, „die implizit oder explizit bewertet und als nicht oder nur schwer veränderbar interpretiert werden“ (Zerger, 81). ‚Kulturrassismus‘ wiederum konstruiert Gruppenidentitäten durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur, Ethnie, Nation oder Religion und schreibt den Gruppenmitgliedern sodann stereotype Wesensarten und Mentalitäten zu. Die dadurch entstehenden Unterschiede zwischen den Gruppen werden sodann in eine Rangfolge von Höher- und Minderwertigkeit gebracht und mit der Behauptung einer grundsätzlichen Unverträglichkeit dieser Gruppen verbunden.

Regina Polak

Dr. theol., Assoc.-Prof.in, Vorständin des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien; Forschungsschwerpunkte: Religion und Migration, Werteforschung und interreligiöser Dialog; seit 2020 Personal Representative des CiO der OSCE on Combating Racism, Xenophobia and Discrimination, also focusing on Intolerance and Discrimination against Christians and Members of Other Religions.

Auch wenn umstritten ist, ob sich Rassismus ausschließlich auf People of Color oder auch andere Gruppen, wie z. B. MuslimInnen, beziehen soll, zeigen die Definitionen, dass ein psychologisches Verständnis von Rassismus als individuelles Einstellungsmuster oder als angeborene Angst vor Fremden zu kurz greift. Rassismus ist ein politisches Phänomen, das die Frage nach der Legitimation der politischen Ordnung und damit nach der Verteilung, Rechtfertigung und Erhaltung von Macht, Privilegien und Ressourcen etablierter Gruppen stellt. Rassismus ist deshalb keine Folge der Tatsache, dass es Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Kultur oder Herkunft gibt, sondern ein Konstrukt im Dienst eines Kampfes um politische Hegemonie. Er dient der Rechtfertigung von Etablierten-Privilegien wie auch der Verachtung, Diskriminierung, Exklusion und Vernichtung sozial marginalisierter Gruppen.

ÖKONOMISCH FORMATIERTER RASSISMUS

Im Gefolge der EU-Osterweiterung, der Finanzkrisen seit 2008 und der sog. Flüchtlingskrise 2015 sind auch im deutschsprachigen Raum rassistische Einstellungen wieder salonfähig geworden – zunächst geschürt durch rechtspopulistische Parteien, die vor „Umvolkung“ und „Bevölkerungsaustausch“ durch MigrantInnen und MuslimInnen warnen. Doch bereits 2010 zeigte z. B. die Europäische Wertestudie, dass die Übernahme rechtspopulistischer politischer Diskurse durch Mainstreamparteien zu einem signifikanten Anstieg antimigrantischer Einstellungen quer durch die Mittelschicht geführt hat (vgl. Rosenberger/Seeber, 186). Freilich nennt man diese Entwicklung hierzulande aus verständlichen Gründen nicht gerne Rassismus. Tatsächlich kehrt auch nicht der klassische Rassismus wieder; wohl aber die Frage nach der politischen Ordnung, nach Ressourcen- und Machtverteilung sowie nach Hegemonie in den europäischen Migrationsgesellschaften und in einer globalisierten Welt. Nicht zuletzt in den Konflikten um die Aufnahme geflüchteter Menschen lässt sich erkennen, dass damit auch die Frage nach der Einheit der Menschheit im Raum steht. Der Rassismus als Abwehrreaktion verändert dabei seine Legitimation. Ideologischer Kern der sog. ‚gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit‘ – so nennt das Forschungsprojekt „Deutsche Zustände“ (vgl. Heitmeyer) das Syndrom der Ablehnung von Arbeits- und Obdachlosen, MigrantInnen, Geflüchteten, MuslimInnen, JüdInnen und anderer Minoritäten – ist ein ökonomistisches Menschenbild. Diesem zufolge gibt es Menschen, die ökonomisch weniger wertvoll sind als andere und die daher exkludiert werden können, indem man ihnen z. B. staatliche Unterstützung entzieht. ‚Expats‘, d. h. wirtschaftlich nützliche und erfolgreiche MigrantInnen, werden daher auch weniger abgelehnt als Obdachlose und Geflüchtete.

Politisch kann diese Ideologie dazu benutzt werden, um von einer Debatte um jene ökonomischen Probleme abzulenken, die die gesamte Bevölkerung und die ganze Menschheit bedrohen. Kulturelle Konflikte, die zur Normalität von Migrationsgesellschaften gehören und Zeichen wachsender Integration sind, werden zur Ursache sozialer Konflikte erklärt. Von einer solchen Deutung profitieren am Ende auch Menschen ohne explizit rassistische Einstellungen sowie sozial marginalisierte Einheimische. Sie haben qua Geburt in die Mehrheitsgesellschaft Vorteile und Privilegien. Gesellschaftliche Spaltungen und Polarisierungen sind die Folge, sichtbar nicht zuletzt in den Konflikten um die Migrationspolitik.

KIRCHE UND RASSISMUS

Auch dieser Rassismus steht im Widerspruch zur Idee von der Einheit aller Menschen und stellt für die Katholische Kirche eine zentrale Herausforderung dar. Denn diese ‚Idee‘ gehört als Glaubensüberzeugung zum Kern der biblischen Offenbarung. Sie wird im Katechismus der Katholischen Kirche bekannt: „Das Menschengeschlecht bildet aufgrund des gemeinsamen Ursprungs eine Einheit. Denn Gott hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen (Apg 17,26)“ (KKK 360).

Dass diese Überzeugung aktuell bedroht ist und daher geschichtlich errungen werden muss, beschrieb Gaudium et Spes bereits 1965: „Heute steht die Menschheit in einer neuen Epoche ihrer Geschichte, in der tiefgehende und rasche Veränderungen Schritt um Schritt auf die ganze Welt übergreifen. […] Die Welt spürt lebhaft ihre Einheit und die wechselseitige Abhängigkeit aller von allen in einer notwendigen Solidarität und wird doch zugleich heftig von einander widerstreitenden Kräften auseinandergerissen. Denn harte politische, soziale, wirtschaftliche, rassische und ideologische Spannungen dauern an; selbst die Gefahr eines Krieges besteht weiter, der alles bis zum Letzten zerstören würde“ (GS 4).

Rassismus wird daher verurteilt: „Jede Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person, sei es wegen des Geschlechts oder der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung, der Sprache oder der Religion, muss überwunden und beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht“ (GS 29).

Rassismus wird seither in zahlreichen Stellungnahmen der Kirche immer wieder verurteilt. [Einen Überblick bietet die Arbeitshilfe Nr. 67 der Päpstlichen Kommission Justitia et Pax: Die Kirche und der Rassismus.] Johannes Paul II. hält z. B. eindeutig fest: „Alle rassistischen Theorien widersprechen dem christlichen Glauben und der Liebe.“ (Justitia et Pax, Nr. 33). Betont wird die Berufung der Kirche, „inmitten der Welt das erlöste und in sich selbst versöhnte Volk zu sein, dies vor aller Welt zu bezeugen und die Einheit der Menschen jenseits aller ethnischen, kulturellen, nationalen, sozialen oder anderen Spaltungen, die durch das Kreuz Christi beseitigt wurden, zu verwirklichen“ (Justitia et Pax, Nr. 20). Papst Franziskus betont in Fratelli...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2021
Reihe/Serie Lebendige Seelsorge
Mitarbeit Zusammenstellung: Hildegard Wustmans
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Pastoral • Rassismus • Seelsorge
ISBN-10 3-429-06507-0 / 3429065070
ISBN-13 978-3-429-06507-2 / 9783429065072
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