Hörensagen (eBook)

Die Kunst der Wahrheitsfindung in einer faktenfeindlichen Welt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
276 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5042-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hörensagen - Åsa Wikforss
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Warum wir nicht glauben dürfen, was wir wollen
Der Kampf um die Wirklichkeit ist in vollem Gange. Wohin man sieht, breitet sich Widerstand gegen die Wissenschaft aus. Nahezu täglich sind wir mit Fake News, Verschwörungsmythen und verzerrten Tatsachen konfrontiert.
Åsa Wikforss, eine der renommiertesten Philosophinnen Schwedens, hat die falschen Fakten dicke. Anschaulich führt sie uns durch die Welt der Wahrheitsfindung und macht begreiflich, was Wissen eigentlich ist: Was unterscheidet Wahrheit von Glauben, Meinung und Lügen? Und warum kann es etwas wie alternative Fakten gar nicht geben? Sie zeigt, wie wir die Fallstricke der Meinungsmache durchschauen und der um sich greifenden Faktenresistenz mit guten Argumenten begegnen können.
Für alle, die ihren Verstand schärfen und sich die Wirklichkeit nicht verdrehen lassen wollen.

»Eine durchdachte, vernünftige und wundervoll aufgebaute Analyse eines der drängendsten Themen unserer Zeit.«
Steven Pinker, Autor des Bestsellers »Aufklärung jetzt«

»Möge dieses in ruhigem Ton geschriebene und dabei stringent argumentierende Buch auch in Deutschland eine Diskussion entfachen.«Marko Martin,Deutschlandfunk Kultur, 17.05.2021



Prof. Dr. Åsa Wikforss ist Professorin für Theoretische Philosophie an der Universität von Stockholm und gehört zu den wichtigsten intellektuellen Stimmen Skandinaviens. Als neuestes Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften sitzt sie auf dem Stuhl der Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf - und kennt die Licht- und Schattenseiten der großen renommierten Wissensinstitutionen. Hörensagen wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, kostenlos an alle Abschlussklassen schwedischer Schulen verteilt und mit dem Natur & Kultur's Popular Science Award sowie mit dem Wissenspreis der Å Forsk Foundation ausgezeichnet. 2020 wurde Åsa Wikforss außerdem von der Schwedischen Gesellschaft für Wissenschaft und Volksbildung zur Aufklärerin des Jahres gekürt.

2.
FAKTEN


FAKTENNIHILISMUS

Im Zusammenhang mit der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 waren viele erstaunliche Dinge zu hören. Zu den Highlights zählt sicherlich Trumps Sprecherin Scottie Nell Hughes Äußerung in einem Interview mit dem National Public Radio (einer Kooperation nichtkommerzieller Hörfunksender): »There is no such thing, unfortunately, anymore as facts.« (»Leider gibt es keine Fakten mehr.«) Es war ihre Reaktion auf Trumps Behauptung, bei den Wahlen im November hätten mehrere Millionen Menschen illegal gewählt. Eine Behauptung, für die weder er noch irgendjemand anderes irgendeine Form von Evidenz nachweisen konnten. Doch was spielt Evidenz für eine Rolle, wenn es gar keine Fakten mehr gibt?

Ein ebenso verblüffendes Beispiel aus Schweden schlug im Frühjahr 2015 hohe Wellen. Ein Vertretungslehrer in Helsingborg hatte in einem Schwedischkurs für Einwanderer das Thema Holocaust behandelt. Einer seiner Schüler stellte den Holocaust infrage, worauf der Lehrer erklärte, diese Diskussion könne in dieser Stunde nicht geführt werden, und den Schüler schließlich bat, den Raum zu verlassen. Der Schüler fühlte sich gekränkt, und nach der Stunde wurde der Lehrer zum Unterrichtskoordinator gerufen, der ihn dafür kritisierte, wie er mit der Situation umgegangen war. Der Lehrer ahnte, was passieren würde, und nahm das Gespräch auf Band auf und spielte es anschließend der Presse zu. Der Unterrichtskoordinator sagt darin unter anderem: »Das, was wir als Geschichte bezeichnen, ist die Geschichte, die wir selbst gelernt haben«, und wenn man als Lehrer Schüler habe, die andere Geschichtsbücher gelesen hätten, sei es nicht angemessen, »Fakten gegen Fakten« zu stellen und zu diskutieren.25

Natürlich lässt sich schwer sagen, was hinter diesen Äußerungen steckte (ich werde auf diese Frage noch zurückkommen).26 Aber lassen Sie uns die Behauptung, dass es keine Fakten gebe, als Faktennihilismus oder Faktenleugnung bezeichnen. Es gibt eine philosophische Diskussion darüber, was Fakten sind, über ihre Metaphysik. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, sind Fakten eine Art Wahrmacher. Wie aber sollen wir die Natur dieser Wahrmacher verstehen? Einige Philosophen behandeln Fakten als eine Art Exemplifikation von Eigenschaften: Die Tatsache, dass ein roter Apfel auf dem Tisch liegt, bedeutet, dass die Eigenschaften, rot und ein Apfel zu sein, in diesem Objekt, an diesem Ort (und zu diesem Zeitpunkt) exemplifiziert werden. Andere sind eher skeptisch gegenüber dieser Betrachtungsweise von Fakten und Eigenschaften. Ebenfalls diskutiert wird in der Philosophie, wie wir die Beziehung zwischen verschiedenen Faktentypen verstehen sollen, also zum Beispiel zwischen psychologischen und physischen Fakten. Wenn ich Schmerz empfinde, kann man diesen Schmerz mit bestimmten neurophysiologischen Prozessen in Korrelation setzen. Ist dann die Tatsache, dass ich Schmerz empfinde, genau dieselbe Tatsache wie die, dass diese neurophysiologischen Prozesse in meinem Hirn vorliegen? Schließlich ist es so, dass ein und derselbe Fakt unterschiedlich beschrieben werden kann. Man kann zum Beispiel ein Bild beschreiben, indem man dessen Motiv wiedergibt oder indem man die Verteilung der Farbpigmente auf der Leinwand beschreibt. Deshalb kann es durchaus passieren, dass Psychologen und Neurophysiologen ein und dasselbe Faktum mit unterschiedlichen Termini beschreiben. Über diese Idee wird nach wie vor intensiv diskutiert, eines jedoch ist klar: Nur sehr wenige Philosophen würden leugnen, dass es Fakten gibt.

Wenn in der Philosophie von Nihilismus die Rede ist, geht es in der Regel um Werte – um gut und böse, hässlich und schön. Im Alltag sprechen wir relativ ungeniert über Werte, als würden sie objektiv existieren. Es ist falsch, Menschen zu töten, und der Parthenon ist schön. Wir stellen uns gerne vor, dass wir damit aussprechen, wie die Dinge sind, und dass wir etwas sagen, das richtig oder falsch ist, gerade als würden wir die Anzahl Morde in Schweden im vergangenen Jahr nennen oder wo der Parthenon steht. Dabei ist keineswegs gesagt, dass es tatsächlich moralische oder ästhetische Fakten gibt. Einige Philosophen argumentieren, der Glaube an solche Fakten sei eine einzige Illusion. Es gebe nichts, was objektiv gut oder böse, schön oder hässlich sei. Auch ist man der Meinung, es wäre eine Illusion, dass Behauptungen wie »Es ist falsch, Menschen zu töten« überhaupt benutzt werden, um die Welt zu beschreiben: Wir glauben, Tatsachenbehauptungen über Gut und Böse aufzustellen, und glauben damit etwas gesagt zu haben, das wahr oder falsch ist, doch im Grunde haben wir nur unseren Gefühlen Ausdruck verliehen: Weg mit dem Morden! Damit ist auch kein Wissen zu gewinnen; es gibt keine moralischen Überzeugungen oder Fürwahrannahmen (nur Gefühle), keine Evidenz und keine Wahrheit. Einer der bekanntesten Verfechter des Wertenihilismus ist der Philosoph Friedrich Nietzsche (18441900).

Der Wertenihilismus ist nicht allgemein verbreitet. Viele Philosophen sind überzeugt von der Existenz moralischer Fakten, (seltener akzeptiert man, dass es auch ästhetische Fakten gibt). Man ist zum Beispiel der Meinung, dass es objektiv falsch ist, Kinder umzubringen, völlig egal, was jemand in dieser Sache glaubt, und dass man moralisches Wissen erwerben kann, auch wenn es sich vom gewöhnlichen Wissen über die Außenwelt unterscheidet. Ein Gedanke ist, dass wir solches Wissen erlangen können, indem wir versuchen, eine Art Gleichgewicht zwischen unserer moralischen Intuition (was uns unmittelbar als richtig oder falsch erscheint) und unserem kritischen Denken zu finden.27 Von unseren Intuitionen in bestimmten Situationen ausgehend (zum Beispiel einer Situation, in der ich ein ertrinkendes Kind leicht retten kann) und durch kritisches Erörtern und Reflektieren können wir Wissen darüber erlangen, was richtig und falsch ist.

Wie auch immer man sich zum Wertenihilismus positioniert, eindeutig ist, dass Faktennihilismus grundsätzlich radikaler wäre. Der Wertenihilist geht normalerweise davon aus, dass es ziemlich eindeutige Grenzen zwischen Tatsachenbehauptungen, die wahr oder falsch sein können (»Der Parthenon steht in Athen«), und Wertungen gibt, die lediglich Gefühle ausdrücken (»Der Parthenon ist schön«). Der Wertenihilist geht, anders gesagt, davon aus, dass es eine Gattung von Behauptungen gibt, die wahr oder falsch sind, je nachdem, welche Fakten in der Welt vorliegen, und argumentiert dann, moralische Behauptungen würden nicht dazugehören. Faktennihilismus wäre etwas ganz anderes. Ein Faktennihilist würde davon ausgehen, dass es so etwas wie Tatsachenbehauptungen gar nicht gibt – Behauptungen über die Welt, die wahr oder falsch sind. Wenn man einmal darüber nachdenkt, was das bedeuten würde, gerät man ganz schnell ins Schleudern. Ist es etwa keine Tatsachenbehauptung, dass die Erde rund ist, dass ein Apfel herunterfällt, wenn man ihn loslässt, oder dass mir gerade das linke Knie wehtut? Die Frage wäre auch, ob ein durchgängiger Faktennihilismus überhaupt schlüssig wäre. Würde ein Faktennihilist sich nicht selbst widersprechen, wenn er behauptet, die Tatsachenbehauptung »Es gibt keine Fakten« sei wahr? Natürlich könnte es der Nihilist immer noch damit versuchen, es spiele gar keine Rolle, wenn Dinge widersprüchlich sind. Die Frage ist jedoch, was am Ende übrig bleibt und wie wir überhaupt argumentieren können. Faktennihilismus ist die Massenvernichtungswaffe der Philosophie.

Lassen wir deshalb den totalen Faktennihilismus einmal beiseite und schauen uns ein paar eng damit verbundene Thesen an, deren Ziel es ist, die Wahrheit von Fakten infrage zu stellen.

WAHR FÜR MICH?

Was bestimmte Dinge angeht, scheint es eine unleugbare Subjektivität zu geben, die schlecht zu der Annahme passt, dass Fakten unabhängig von uns in der Welt existieren. Was ich fühle, scheint zum Beispiel etwas zu sein, das von mir abhängt, von meiner subjektiven Perspektive. Und im Alltag sagen wir manchmal: »Für mich stimmt es, dass.« In Schweden gibt sogar eine bekannte Fernsehsendung, die Min sanning (»Meine Wahrheit«) heißt, in der Prominente über ihr Leben berichten. Ist solches Reden völlig abwegig?

Ich glaube, was wir in solchen Zusammenhängen meinen, ist völlig nachvollziehbar. Sie und ich können über ein Ereignis reden, bei dem wir beide anwesend waren. Ich finde, dass es ziemlich krass war, Sie aber finden, es war nichts, worüber man sich aufregen müsste. Möglicherweise sage ich dann, dass es zumindest für mich wahr ist, dass das, was passiert ist, krass war. Was ich damit meine, ist, dass ich die Situation als krass erlebt habe, mich hat das, was passiert ist, aufgeregt. Ob ich nun einen Grund hatte, mich aufzuregen oder nicht, spielt erst mal keine Rolle. Es ist eine ziemlich übliche Art, sich auszudrücken, und völlig legitim. In bestimmten Situationen ist entscheidend, wie wir etwas erlebt haben, und nicht, wie es tatsächlich war.

Dasselbe gilt für die Wahrheit über das eigene Leben. Wenige Bücher sind so irreführend wie Autobiografien. Sie enthalten zwar nicht unbedingt sachliche Fehler bezüglich dessen, was die entsprechende Person getan hat und wann. Eine Autobiografie ist jedoch eine Erzählung, ein Narrativ, in dem all die komplexen Ereignisse, die ein Leben ausmachen, aus subjektiver Sicht gedeutet und eingeordnet werden. Es werden Entwicklungslinien im eigenen Leben herausgearbeitet, die vielleicht...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2021
Übersetzer Hanna Granz, Susanne Dahmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Original-Titel Alternativa Fakta
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aufklärung jetzt • aufklärung jetzt steven pinker • denke selbst • factfulness buch • factfulness hans rosling • glaube wenig • hinterfrage alles • Hinterfragen • Kleines Handbuch für den Umgang mit Unwissen • kritisch denken • Kritisches Denken • kritisch hinterfragen • Philosophie heute • Populärwissenschaft • populärwissenschaftliche bücher • verschwörungstheorien buch • verschwörungstheorien psychologie • wahrheit philosophie
ISBN-10 3-7499-5042-3 / 3749950423
ISBN-13 978-3-7499-5042-3 / 9783749950423
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