Autismus bei Erwachsenen -  Martina Friedrichs

Autismus bei Erwachsenen (eBook)

Ganzheitliche Hilfen im Verstehen von älteren autistischen Menschen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
292 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-3096-6 (ISBN)
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In diesem Buch werden die Merkmale und Symptome in Ihrer Qualität, Quantität, Gewichtung und Intensität bei vorliegendem Autismus-Spektrum-Syndrom beschrieben. Hierbei werden die medizinischen Fakten aus der Wissenschaft der tatsächlichen Art zu sein von autistischen Menschen gegenüber gestellt. Es werden die Fähigkeiten, Defizite, Probleme, Konflikte und Barrieren im Alltag und in den Aktivitäten des täglichen Lebens von autistischen Menschen nachvollziehbar geschildert. Was beeinträchtigt autistische Menschen wann, wie und warum wirklich und was sollten Bezugspersonen beachten, um wirksame Hilfen zu ermöglichen?

Martina Friedrichs ist staatlich anerkannte examinierte Pflegekraft, Diplom Pflegedienstleitung und Sachverständige für Pflege. Sie hat mehr als zehn Jahre als unabhängige Gutachterin für Pflege im Auftrag diverser deutscher Landgerichte und Sozialgerichte gearbeitet. Martina Friedrichs ist spätdiagnostizierte Autistin.

Die Diagnose


Viele autistische Menschen, die im letzten Jahrtausend geboren worden sind, haben keine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass sie keine Autisten sind.

In ihrer Kindheit und Jugend war es einfach nicht üblich wegen jeder „Kleinigkeit“ einen Psychiater oder Psychologen aufzusuchen. Die Angehörigen und die Bezugspersonen selbst waren als Kriegs- und Nachkriegsgeneration auf Erfolg und nicht auf „abnorm auffallen“ konditioniert und haben schon von sich aus, um ihren „guten Ruf“ und ihren „makellosen Familienerfolg“ nicht zu beschädigen alles getan, um die Defizite und Probleme eines Autisten zu verstecken. Es wurde viel Energie aufgewendet, um aus autistischen Menschen „normale Menschen“ mit normgerechtem Verhalten mittels Erziehung zu erreichen. Diese „Erziehung“ hatte nicht selten die Qualität einer Art „Gehirnwäsche“.

Die damals auffälligen autistischen Menschen bekamen deshalb eine Art Erziehung, die aus ihnen normgerechte Menschen mit normgerechtem Verhalten machen sollte. Dies ist in der Praxis, wie heutzutage belegt ist, nicht möglich. Doch damals dachte man anders. Die autistischen Menschen hatten damals die gleichen Probleme, Defizite und Krankheitssymptome wie heute. Doch statt Hilfe bekamen sie immer die erzieherischen Standartsätze wie „stell dich nicht so an“, „bemüh dich mal“, „sei nicht so…“, „du bist ja nur faul“, „wenn du nur wolltest ...“. Vielfach wurde zur Unterstützung in der Erziehung die Gewalt von Beruhigungsmedikamenten, Schlägen, Härtesport, Wiederholungen bis zum Erfolg, „Keller- und Hausarrest“ und ähnliches benutzt, welche heute archaisch anmuten und gesetzlich verboten sind. In der neurotypischen Umwelt war also immer der autistische Mensch selbst schuld, wenn etwas nicht neurotypisch funktionierte. Und dies auch noch mit Absicht.

Im Zuge dieser „Erziehungsmethoden“ wurden autistische Menschen aber nicht etwa plötzlich neurotypisch, sondern krank, behandlungspflichtig und landeten oft auch mit Akutsymptomen in Krankenhäusern. Im Zuge der Kommunikation, der autistische Mensch hat damit aber Probleme und die Bezugspersonen schildern nur den unumgänglich mitzuteilenden Akutgrund/Akutzustand, wurde bei vielen autistischen Menschen nicht ganzheitlich untersucht.

Viele autistische Menschen bekamen im Zuge von Overloads und Shutdowns gern auch mal „Verdacht auf Herzinfarkt“ oder „Verdacht auf Schlaganfall“ als Diagnose und verbrachten einige Tage im Krankenhaus. Bei „Verdacht auf Epilepsie“ oder nach Meltdowns bekamen autistische Menschen meist eine zusätzliche neurologische oder sogar psychiatrische Untersuchung. Aber aufgrund des noch wenig verbreiteten Fachwissens, Forschungsergebnissen und der diesbezüglich mangelnden ärztlichen Sensibilität ergaben sich auch aus dieser Chance nur „Verlegenheitsdiagnosen“. Meist bekamen die autistischen Menschen die Diagnose „Epilepsie“, „Psychotisch“, „Schizophrenie“ oder „Narzissmus“.

Damit waren diese autistischen Menschen zwar mit dem „Makel“ behaftet „ist nicht normal“ oder „ist geistig behindert“, aber geholfen war ihnen damit nicht. Gemäß „ihrer“ Diagnose bekamen die betroffenen autistischen Menschen Medikamente, Psychiatrieaufenthalte und Psychotherapien, doch bei falscher Diagnose erfolgt auch falsche Behandlung. Viele betroffene autistische Menschen erlitten dadurch lebenslange Traumata.

Ab Anfang der Zweitausender Jahre wurde aber vieles besser. Die Forschung und das Wissen um Autismus wurden in der medizinischen Fachwelt vermehrt verbreitet und gelehrt. Damit erhöhte sich auch die Chance für ältere autistische Menschen erstmals oder aufgrund ihrer auffälligen Altdiagnosen und lebenslangen „Psychiatriekarriere“ erneut ganzheitlich diagnostiziert zu werden.

Die Diagnosestellung ist aber nicht einfach bei/für autistische Menschen mit einem Geburtsdatum vor den achtziger Jahren des letzten Jahrtausends.

Zunächst einmal muss der betroffene autistische Mensch in seiner neurotypischen Umgebung so auffällig werden, dass diese auf die Idee kommt „hier stimmt etwas nicht“, “dies hat mit den uns bekannten Diagnosen nichts zu tun“. Voraussetzung dafür ist also ganzheitliches Engagement von Bezugspersonen.

Der betroffene autistische Mensch hingegen hat aus bisher lebenslang erfahrenem Unglauben, Missachtung, Gewalt und erfahrenen Umerziehungsmethoden gelernt „mir glaubt und hilft ja sowieso niemand“. Daraus folgert der autistische Mensch, dass es besser für ihn ist seine Probleme, Defizite und gesundheitlichen Beeinträchtigungen niemanden mitzuteilen. Er versucht seine Art zu Sein mit allen Merkmalen so gut wie möglich zu verstecken. Viele autistische Menschen sind wahre Genies im Masking. Kommunikation fällt dem autistischen Menschen schwer, genau zu verbalisieren was mit ihm los ist kann er nicht, da er nur seine Art zu Sein kennt und die tatsächlichen Unterschiede zu neurotypischen Menschen nicht selbständig erkennen und nachvollziehen kann. Der autistische Mensch erkennt aus den Aktionen und Reaktionen seiner Bezugspersonen und seines neurotypischen Umfeldes nur „ich bin falsch“ und Ich bin schuld“.

Viele ältere nicht oder falsch diagnostiziert autistische Menschen entwickeln über viele Jahre psychische Begleiterkrankungen und erleiden, wenn alle ihre Kompensationskräfte die neurotypische Welt und die neurotypischen Menschen auszuhalten, also wenn nichts mehr geht in ihrer Art zu Sein, eine Art autistischen Burnout. In dieser für neurotypische Menschen ausweglosen Situation werden sie dann in der Regel erneut für psychiatrische Behandlung und Psychotherapien den entsprechenden Fachleuten in Kliniken oder ambulanten Praxen vorgestellt. Und dies ist dann auch ihre Chance. Aufgrund der heutigen medizinischen Sensibilität für Autismus bekommen diese autistischen Menschen erstmals in ihrem Leben Untersuchungen, Test und Therapiegespräche zur Abklärung eines eventuell vorliegenden Autismus-Spektrum-Syndroms.

Im Zuge dieser Diagnose-Chance ist aber nicht gleich alles gut für die betroffenen autistischen Menschen. Es fällt ihnen sehr schwer, einigen von ihnen ist es fast unmöglich, plötzlich über ihre Probleme, Defizite und gesundheitlichen Einschränkungen zu sprechen. Ein erster Diagnostiktermin öffnet nicht plötzlich das Gehirn der autistischen Menschen und befähigt sie zur konstruktiven Teilnahme an dieser Diagnostik. Die betroffenen autistischen Menschen können ihre Art zu Sein und den Unterschied zu neurotypischen Menschen nicht erklären. Sie wissen, wie sie sind, was sie können und was sie nicht können, aber es ist ihnen oft nicht möglich sich so mitzuteilen, dass neurotypische Menschen, dies betrifft auch Fachpersonal, sie auch so verstehen, wie sie es tatsächlich meinen.

In der Diagnostik und in Therapiesitzungen erzählen und beschreiben die betroffenen autistischen Menschen statt genauer Erklärung oder Definition ihrer Probleme, Defizite und gesundheitlichen Einschränkungen meistens die genau mit Person, Zeit, Ort, Situation und z.T. damaliger wortwörtlicher Begleitrede für sie belastende Ereignisse und Situationen. Es bedarf viel Erfahrung und Sensibilität seitens des Fachpersonals daraus die autistischen Merkmale auszufiltern. Besser geeignet sind Fragebögen. Die Fragebögen zur Autismus-Diagnostik mit janein Antwortmöglichkeit sind dabei am genauesten. Die Fragebögen mit Abstufungsantworten wie sehr die Beeinträchtigung/Teilnahme wirkt sind schon schwieriger für autistische Menschen, da ihnen die persönliche Einschätzung schwerfällt und Vergleiche mit anderen Menschen am Erfassen und Verstehen scheitern. Die Fragebögen für Bezugspersonen sind, sofern diese auch ehrlich und nicht aus Schuldgefühlen heraus verschleiert beantwortet werden, hilfreich in der Diagnostik zur Entwicklung.

Im Zuge der Diagnostik erleiden die betroffenen autistische Menschen nicht selten heftige Overloads. Fremde Menschen, fremder Ort und erhebliche Anforderungen in Kommunikation und sozialer Interaktion. Eine Diagnostik, egal ob diese in einer Praxis oder einem Krankenhaus stattfindet, belastet autistische Menschen erheblich. Sie befinden sich vor, während und auch noch nach diesen Terminen in einem hochgradig belastenden psychischen Stresszustand. Da in den Diagnoseterminen auch viel über die persönliche Vergangenheit und diesbezüglichen Befindlichkeiten gesprochen wird erfolgt bei den autistischen Menschen zusätzlich noch eine Art tiefenpsychologische Wirkung. Das heißt, nach den Gesprächsterminen zur Diagnose durchleben sie alle angesprochenen Erinnerungen incl. aller Details erneut. Es ist eine Zeit mit heftigen Overloads und Shutdowns oder Meltdowns. Die autistischen Menschen brauchen in dieser Zeit viel Ruhe, Rückzugsmöglichkeiten und keinerlei neurotypischer Kommunikation bezüglich der Geschehnisse bezüglich der Diagnostik. So wenig Input und Kontakt wie möglich und so viel Sicherheit gebende Routinen wie...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-7534-3096-X / 375343096X
ISBN-13 978-3-7534-3096-6 / 9783753430966
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