Goethes 'Faust' (eBook)

Das Drama der Moderne

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76430-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Goethes 'Faust' - Michael Jaeger
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MICHAEL JAEGER REKAPITULIERT DIE ENTSTEHUNGS- UND DRUCKGESCHICHTE DES BERÜHMTESTEN GOETHESCHEN TEXTES.

An seiner Faust-Tragödie hat Goethe beinahe sein ganzes Leben lang geschrieben. Sie spiegelt die große Transformation, die die Welt des alten Europa vom modernen Industriezeitalter trennt, und kann daher als das Drama der Moderne gelten. Gestützt auf die neusten Ergebnisse der Faust-Forschung, führt Michael Jaeger in das riesige Werk, seine Entstehung und Deutung ein. Dabei folgt er dem Weg des Protagonisten von einer Gelehrtenstube im Ambiente der Renaissance bis zu einer großen Kanalbaustelle, auf der bereits die Dampfmaschinen in Betrieb sind.

Goethes Diktum, dass alles, was er geschrieben habe, «Bruchstücke einer großen Konfession» seien, nimmt Michael Jaeger beim Wort. Gestützt auf die neuesten Befunde der Faustphilologie und der mit ihr verbundenen Editionswissenschaft, rekapituliert dieser Band die bruchstückhafte Entstehungs- und Druckgeschichte des berühmtesten goetheschen Textes. Dabei zeigt sich, dass die fragmentarische Schreibweise eine offene Form des Dramas hervorbrachte, die dessen moderner Thematik besonders angemessen war. Denn der Faustautor hatte sich vorgenommen, die «Widersprüche disparater» zu machen, jene vor allem zwischen Ruhe und Bewegung, Reflexion und Aktion und zuletzt zwischen Weltbetrachtung und Weltveränderung. Auf diese Weise hat Goethe ein eindringliches Bild des revolutionären Bruchs gestaltet, der durch seine Epoche und durch sein eigenes Leben geht.


Michael Jaeger ist Privatdozent für Deutsche Philologie an der Freien Universität Berlin und als Gastprofessor an deutschen und ausländischen Universitäten tätig.

II. Die neue Faustidee des 18. Jahrhunderts

Neben Faust agieren bereits im 16. Jahrhundert Mephistopheles, Wagner und Helena als Hauptdarsteller des Dramas. Dieses Figurenensemble trat dann schon bald auf den Wander- und Puppenspielbühnen des 17. und 18. Jahrhunderts eine steile Theaterkarriere an. Im Milieu der Populärkultur wurde Faust zu einer prominenten Gestalt, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts allerdings nicht mehr nur die unterhaltungsfreudigen Zuschauer des städtischen Jahrmarkttheaters fesselte, sondern bald schon die strengen Blicke solcher kritischen Zeitgenossen in Deutschland auf sich zog, die – wie etwa Johann Christoph Gottsched – im Vorfeld der Aufklärung auf vernunftgemäßere Schauspiele drangen. Dabei nahmen sie sich den formbewussten Klassizismus in Frankreich bei Corneille und Racine zum Vorbild. Das Zauber-, Teufelsspuk- und Höllenwesen in Fausts obskurer Geschichte wurde daher seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein Gegenstand der Polemik des aufgeklärten Geistes der Epoche.

Wenn Faust dennoch während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer neuen Theaterlaufbahn aufbrechen konnte, so war das nur nach einer Umwertung seiner Person möglich. Dabei war die Neukonzeption vor allem auf die Curiositas-Kritik der theologisch inspirierten alten Faustlegende bezogen. Faust vermochte nämlich seinen Weg ins Zeitalter der Aufklärung gerade deshalb so erfolgreich fortzusetzen, weil seine ursprünglich verteufelte «Neugierde» vom hochmütigen Vorwitz zur modernen Tugend der forschenden Wissbegierde umgedeutet wurde.

Diese Umwertung von Fausts alter Sünde in ein modernes Verdienst scheint erstmals bei Gotthold Ephraim Lessing literarische Formen angenommen zu haben, wenn auch nur in fragmentarischer Gestalt (Bauer, 102ff.). Statt der Höllenfahrt war die Erlösung des Wissbegierigen vorgesehen. Dieselbe sollte zuletzt aus Engelsmund den um ihren vermeintlich verdienten Lohn gebrachten Teufeln kundgetan werden: «Ihr habt nicht über Menschheit und Wissenschaft gesiegt; die Gottheit hat dem Menschen nicht den edelsten der Triebe (den Wissenstrieb also, Vf.) gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen» (Lessing 2, 780).

Zur Rechtfertigung Fausts im Geiste der Aufklärung ist es bei Lessing in expliziter Form jedoch nicht mehr gekommen. Er selbst hat 1759 nur eine einzige Faustszene in den «Briefen, die neueste Literatur betreffend» publiziert (Lessing 2, 487ff.), die freilich noch nichts preisgab von der geplanten Modernisierung der Faustthematik. Womöglich wurde Lessing das Vorhaben, Faust als Held der Wissenschaft in ein neues Licht zu stellen, auch vergällt durch die bereits in Gang gekommene, ebenso zeitgemäße zweite Karriere Fausts im Zeichen der – Lessings Ästhetik zuwiderlaufenden – Sturm-und-Drang-Bewegung. Deren Autoren hatten den alten Teufelsbündner nämlich entdeckt als Gestalt, die erhebliches nationales Identifikationspotential im neuen Konkurrenzkampf mit der französisch-klassizistischen Geschmackskultur bot. Die Zuschreibung, einen typisch deutschen Charakter zu verkörpern, sollte Faust während seiner nun anhebenden modernen Laufbahn nie mehr loswerden.

Faustkonjunktur  Teile eines im Stil des Sturm und Drang angelegten Dramas des gegen Tradition und Konvention aufbegehrenden Faust hatte Friedrich Müller seit 1776 publiziert. Aber schon zuvor waren Faustarbeiten im Verborgenen auch im Frankfurter Bürgerhaus «Am großen Hirschgraben» begonnen worden, in dessen Dachstube Johann Wolfgang Goethe wohl seit den Herbstmonaten des Jahres 1771 an einem entsprechenden Dramenmanuskript schrieb. Die Anregungen dafür hatte er aus seiner Straßburger Studienzeit mitgebracht, wo – unter dem Einfluss Herders – parallel zur Sturm-und-Drang-typischen Begeisterung für die gotische Architektur sein Interesse für die Altertümer der deutschen Literatur geweckt wurde. Die daraus hervorgehenden charakteristisch regellosen dramatischen Versuche hatte der junge Goethe der strengen Beurteilung seines älteren Freundes jedoch entzogen. Im Rückblick von Dichtung und Wahrheit heißt es dazu: «Am sorgfältigsten verbarg ich ihm das Interesse an gewissen Gegenständen, die sich bei mir eingewurzelt hatten und sich nach und nach zu poetischen Gestalten ausbilden wollten. Es war Götz von Berlichingen und Faust. Die Lebensbeschreibung des erstern hatte mich im Innersten ergriffen. (…) Die bedeutende Puppenspielfabel des andern klang und summte gar vieltönig in mir wider» (MA 16, 445).

Goethe hatte die Faustüberlieferung schon während seiner Jugend bei den Besuchen der Frankfurter Puppenspiel- und Jahrmarktstheater kennengelernt, und offenbar waren es die hier auf die Bühne kommenden, im Commedia-dell’arte-Stil variierten Fassungen der alten Historia, die dann im Umfeld des Sturm und Drang inspirierend auf den jungen Autor wirkten. Die im Geiste der Aufklärung soeben noch aus dem Theater verbannten anarchisch-derben Bilder des Teufels-, Hexen-, Magier- und Narrenwesens scheinen zu Beginn der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts ein subversives Potential zu gewinnen und im Urteil der antiklassizistisch gesinnten jungen Generation aktuell zu werden. Was noch in Lessings Perspektive unmöglich schien, eine Verbindung der Ideen der Aufklärung mit der Ästhetik des Sturm und Drang, kennzeichnet nun den Beginn von Goethes Arbeit am Faustdrama.

Goethe hatte zu diesem Zeitpunkt gerade den Roman Die Leiden des jungen Werthers geschrieben, der ihn zum Vorbild der jungen Generation und ihrer Genieästhetik werden ließ und sofort berühmt gemacht hatte. Aufmerksam geworden war man auf den Verfasser des Romans auch in der thüringischen Residenzstadt Weimar, wo die regierende Herzogin Anna Amalia eine kunst- und wissenschaftsfördernde Politik betrieb. Zur Bildungsreise von Anna Amalias Sohn, dem künftigen Herzog Carl August, gehörte im Winter 1774 infolgedessen der Besuch bei dem zur literarischen Prominenz aufgestiegenen Wertherautor. Carl Ludwig von Knebel, der Reisebegleiter Carl Augusts, vermittelte den Kontakt und suchte den jungen Dichter im Haus am Frankfurter Hirschgraben auf. Nach Weimar schrieb er über Goethe: «Ich habe einen Haufen Fragmente von ihm, unter anderem einen Doktor Faust, wo ganz herrliche Szenen sind. Er zieht die Manuskripte aus allen Winkeln seines Zimmers hervor» (FA 7/1, 764).

Faustlesungen in Weimar  Der Begegnung mit Carl August folgte die Einladung Goethes nach Weimar, wo er im November 1775 eintraf. Die Arbeit am Faustfragment kam während der Weimarer Jahre zwischen 1776 und 1786 zum Erliegen. Berichte gibt es lediglich von Lesungen Goethes aus dem noch in Frankfurt entstandenen bruchstückhaften Drama. In einer Einladung Herders zu einer konspirativ inszenierten Weimarer Faustdarbietung Goethes heißt es: «Morgen am Abend lassen bei uns sich hinter der Kirche/Faustus Teufel zur Lehr böser Verruchter sehn/Oder hören vielmehr; sei auch von der heiligen Anzahl,/oder willst Du etwa selbst Mephistopheles sein? – Ich bitte aber es weiter niemanden zu sagen, weil der Zauberer (Goethe, Vf.) nur einen kleinen Kreis will» (FA 7/1, 766). In ironischen Worten greift Herder den wunderlichen Ton auf, der von Beginn an den Umgang des Faustautors mit seinem dramatischen Fragment kennzeichnet. Das skurrile Verhalten, das man wohl auch auf den stets peinigend unfertigen Zustand des Textes zurückführen darf und auf die Schwierigkeiten mit der Thematik, sollte Goethe während der folgenden fünfzig Jahre bis zur Vollendung des zweiten Tragödienteils im Sommer 1831 beibehalten.

Die Faustszenen, die Goethe aus Frankfurt mitgebracht und in Weimar vorgelesen hat, sind uns zwar nicht in seinen eigenen Manuskripten überliefert. Eine Fassung dieses bruchstückhaften Dramas ist dennoch erhalten. Angefertigt wurde sie wohl zwischen 1776 und 1777 von der Weimarer Hofdame Louise von Göchhausen. Dieser Text wurde dann Ende des 19. Jahrhunderts im Nachlass der Hofdame entdeckt und unter dem emphatischen Titel «Urfaust» veröffentlicht. Der größte Teil der Szenen jener nur handschriftlich überlieferten «Frühen Fassung» war in die bereits zu Goethes Lebzeiten erscheinenden Faustdrucke übernommen worden. Dies war freilich in einer an vielen Stellen überarbeiteten Version geschehen, die den drastischen Ton der Sturm-und-Drang-Epoche Goethes auf eine gefälligere Stimmlage zurücknahm. Sichtbar wird in solchen Manuskriptbearbeitungen Goethes lebenslanges Unternehmen, den Fausttext nicht nur fort- und zu Ende, sondern stets auch umzuschreiben, die Bedeutung der bereits bestehenden Szenen zu verändern und durch Erweiterungen und...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • Altes Europa • Dampfmaschine • Drama • Faust • Faustforschung • Goethe • Goethes Faust • Industriezeitalter • Klassik • Klassiker • Literatur • Renaissance • Tragödie • Transformation
ISBN-10 3-406-76430-4 / 3406764304
ISBN-13 978-3-406-76430-1 / 9783406764301
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