Aristoteles. Eine Einführung (eBook)

Detel, Wolfgang - Logik und Ethik - Durchges. und erw. Ausgabe 2021
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
234 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961829-6 (ISBN)

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Aristoteles. Eine Einführung -  Wolfgang Detel
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Aristoteles war der wohl einflussreichste Philosoph für das Mittelalter, prägt aber auch heute noch unser Denken. Seine Überlegungen zu Literatur (Poetik), Naturwissenschaft, Politik und Philosophie (Nikomachische Ethik, Metaphysik) setzen weiterhin Maßstäbe. Um sein gewaltiges und voraussetzungsreiches Werk zu verstehen, ist eine profunde Einführung von großer Hilfe.Wolfgang Detel, anerkannter Spezialist und Aristoteles-Übersetzer, hat sein Standardwerk grundlegend überarbeitet und um die drei neukonzipierten Kapitel 'Physik und Theologie', 'Biologie und Psychologie' und 'Rhetorik und Poetik' ergänzt. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Wolfgang Detel, geb. 1942, ist emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Antike Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Wolfgang Detel, geb. 1942, ist emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Antike Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Dialektik und Analytik
Physik und Theologie
Metaphysik
Biologie und Psychologie
Ethik
Politische Theorie
Rhetorik und Poetik
Neoaristotelismus

Anmerkungen
Kommentierte Bibliografie
Schlüsselbegriffe
Zeittafel
Register

[44]Physik und Theologie


In seiner wissenschaftlichen Analytik übernimmt Aristoteles Platons Ansicht, dass die Wissenschaften sich primär mit allgemeinen und unveränderlichen Strukturen beschäftigen, dass der Kosmos dagegen bewegt und veränderlich, aber auch regelhaft und schön ist, weil er durch eine Weltseele regiert wird, die das Ordnungsprinzip der Natur ist. Aristoteles knüpft in seiner Naturphilosophie8 an diese Überlegungen an, allerdings aus einer anderen theoretischen Perspektive. Zu dieser neuen Perspektive gehört die Einzelding-Ontologie seiner frühen Metaphysik,9 aber vor allem die grundlegende Rolle der Kinematik (Bewegungslehre) in der Physik, die das Phänomen der Bewegung zum zentralen Gegenstandsbereich der Physik als Lehre von Natur und Kosmos erklärt. Entsprechend bestimmt Aristoteles die Natur (physis) als Bereich der Dinge und Ereignisse, die sich bewegen oder ändern, und zwar auf der grundlegendsten Ebene durch einen inneren Bewegungsantrieb. Naturdinge sind – im Gegensatz zu mathematischen Entitäten und Artefakten – jene Dinge, die das Prinzip der Bewegung und Ruhe in sich haben; das gilt sowohl von lebenden Wesen aller Art als auch von nicht lebenden Elementen wie Feuer oder Erde (Phys. II 1). Damit stellt sich die Frage nach dem Ursprung der Bewegung, und darum zielt die aristotelische Physik unter anderem darauf, die Selbstbewegung der Naturdinge zu erklären.

Das Problem, das mit diesem Bild von Physik entsteht, wird von Aristoteles klarsichtig diagnostiziert: Wie kann es eine Physik, also eine Wissenschaft von den Naturdingen geben, wenn einerseits Wissenschaften [45]unveränderliche Strukturen betrachten und andererseits die Natur im Wesentlichen der Bereich veränderlicher und bewegter Dinge ist? Der ontologische Aspekt des Problems ist, dass Wissenschaften sich mit dem Seienden beschäftigen, dass aber bewegte Dinge sich stets im Werden zu befinden scheinen, das zwischen Sein und Nichtsein angesiedelt ist (Phys. I 2–3, 8; Metaph. XI 4, 1061b; XII 1, 1069a). Damit ist zum ersten Mal ernsthaft die Frage nach der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Physik gestellt.

Diese Frage kann nach Auffassung von Aristoteles nur dann angemessen beantwortet werden, wenn Veränderung und Werden in geeigneter Form analysiert werden. Die Physik muss daher mit einer Analyse des Werdens beginnen, die uns mit den Prinzipien des Werdens zugleich die Prinzipien der Naturdinge liefern sollte. Davon handelt in der Tat das erste Buch der Physik (vor allem Phys. I 7).

Sätze und Behauptungen der Form »x wird y« oder »y entsteht aus x« oder »y ist etwas Entstandenes« setzen, wie Aristoteles zeigen möchte, die Unterscheidung zwischen (a) dem Element, aus oder an dem ein Ding X wird (entsteht), also das Zugrundeliegende oder die Materie, und (b) dem Ding X selbst, zu dem das Element wird, also der neue konkrete (aus Materie und Form zusammengesetzte) Gegenstand.

Diese Analyse gilt sowohl für das substanzielle Werden als auch für das prädikative Werden, also für Fälle wie das Werden (Entstehen) einer Statue aus Erz (der Materie) und Statuenform, aber auch für Fälle wie das Gesundwerden eines Menschen (des zugrunde liegenden Gegenstandes) als Übergang aus dem Zustand der Krankheit in den Zustand der Gesundheit. Die Punkte (a) bis (b) verweisen [46]gerade auf die Prinzipien des Werdens: Stets nimmt etwas Zugrundeliegendes (Materie) eine Form an. Diese Analyse enthält einen Schritt, der sich unter anderem für die weiteren naturwissenschaftlichen Studien und die Fortentwicklung der Metaphysik als hilfreich erweisen sollte: die Form-Materie-Analyse der Naturdinge.

Auf dieser Grundlage macht Aristoteles eine ontologische Deutung des Werdens geltend: Wenn x zu einem y wird oder werden kann, dann ist x zunächst nicht y, also Nichtseiendes bezüglich y; aber x besitzt die Disposition, zu einem y zu werden, also die Form y anzunehmen: x ist vor Abschluss des Werdens zu einem y der Möglichkeit (Potenzialität) nach ein y-Seiendes, aber der Verwirklichung (Aktualität) nach ein Nichtseiendes bezüglich y. Erst nach Abschluss des Werdens ist x auch ein der Verwirklichung nach y-Seiendes. »Bewegung« lässt sich dann im allgemeinsten Sinne bestimmen als Verwirklichung eines der Möglichkeit nach Seienden, oder alternativ: als Verwirklichung des Bewegten, insofern es bewegt ist (Metaph. XI 9, 1065b). Bewegung wird daher primär am Bewegten, nicht am Bewegenden orientiert: Bewegung ist eine Aktivität des Bewegten – eine Selbstbewegung aufgrund innerer Bewegungsprinzipien. Insbesondere ist die Bewegung natürlicher Dinge eine Aktualisierung ihrer Möglichkeiten oder inneren Dispositionen, also eine Realisierung ihrer wesentlichen internen Natur. Damit wird allerdings der Fall externer Bewegungsursachen nicht ausgeschlossen.

Die Analyse des Werdens zeigt: Physik als Wissenschaft von den werdenden und bewegten Dingen richtet sich primär auf die Regularitäten, die die Entstehung neuer universeller Formen an bewegten Gegenständen beherrschen. [47]Insofern bleibt auch die Physik wesentlich auf Formen als ihren primären Erkenntnisgegenständen bezogen. Die Frage nach der Möglichkeit und dem Status einer wissenschaftlichen Physik ist damit im Wesentlichen beantwortet.

Eine der grundlegenden Fragen der Physik lautet dann: Was sind die internen und externen Bewegungsursachen? Im Gegensatz zur modernen Physik fragt die antike Physik nicht nach den Ursachen der Bewegungsänderung, sondern nach den Ursachen der Bewegung – genauer nicht nach den Ursachen der Beschleunigung, sondern der Geschwindigkeit. Diese Fragestellung basiert auf dem Eindruck, dass Bewegungen (genauer: Geschwindigkeiten) sich proportional zu den Bewegungsursachen (den Kräften) verhalten. Je größer die wirkende Kraft ist, desto heftiger ist die Bewegung und desto größer ist die resultierende Geschwindigkeit. Allgemein hat dann jede Bewegung mindestens eine Ursache (Phys. VIII 4, 255b); Bewegungen ohne Ursache sind in diesem Rahmen nicht vorstellbar.

Aristoteles schlägt drei grundlegende Unterscheidungen zwischen verschiedenen Arten von Bewegungen vor (Phys. III 1). Da gibt es erstens natürliche und gewaltsame Bewegungen: Wenn x die Form y annimmt und y zur Natur von x gehört, so erfolgt dieses Werden und diese Bewegung aus einem inneren, für x spezifischen Bewegungsprinzip; wenn dagegen y nicht zur Natur von x gehört, so ist dieses Werden und diese Bewegung gewaltsam und erfolgt aus einem externen, für x nicht spezifischen Bewegungsprinzip heraus.

Zweitens unterscheidet Aristoteles vier Bewegungsarten: quantitative Bewegung (Wachstum, Schrumpfung), [48]qualitative Bewegung (Formwechsel), räumliche Bewegung (Ortswechsel) und ontologische Bewegung (Entstehen, Vergehen). Nicht nur qualitative und ontologische Bewegung genügen, wie eben gezeigt, der allgemeinen Bewegungsdefinition, sondern auch quantitative und räumliche Bewegung, insofern Quantität und räumliche Position ebenfalls Arten von Formen sind.

Und es gibt drittens einfache und zusammengesetzte Bewegungen, da es einfache und zusammengesetzte Linien gibt: Kreisförmige und gerade Linien bzw. Bewegungen sind einfach, alle anderen Linien bzw. Bewegungen sind aus den einfachen zusammengesetzt. Die kreisförmige Linie bzw. Bewegung ist zugleich perfekt (vollkommen), da sie immer wieder in sich zurückkehrt.

Bewegung scheint sich in Raum und Zeit zu vollziehen, und daher sind Theorien von Raum und Zeit wichtige Bestandteile der Physik. Raum, Bewegung und Zeit sind aus aristotelischer Sicht Kontinua, die potenziell unendlich teilbar und fortsetzbar sind. An dieser Stelle lässt...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2021
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Analyse • Aristoteles Biographie • Aristoteles erklärt • Aristoteles Erläuterung • Aristoteles Gesamtwerk • Aristoteles Husserl • Aristoteles Interpretation • Aristoteles interpretiert • Aristoteles Leben • Aristoteles Leben und Werk • Aristoteles Lehre • Aristoteles Philosophie • Aristoteles verstehen • Auszüge • Bücher Philosophie • Einführung Philosophie Aristoteles • Erläuterung • Ethik • Ethik-Unterricht • Geisteswissenschaft • gelb • Grundlagen • Grundlagen Philosophie Aristoteles • Grundzüge Philosophie Aristoteles • Ideengeschichte • Lektüre • Nikomachische Ethik • peripatos • Philosophie • philosophie texte • Philosophie-Unterricht • philosophische Bücher • Reclam Hefte • Textanalyse • Textsammlung • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftstheorie
ISBN-10 3-15-961829-3 / 3159618293
ISBN-13 978-3-15-961829-6 / 9783159618296
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