Gehorsam macht frei (eBook)

Eine kurze Geschichte des Managements - von Hitler bis heute
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
176 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2510-1 (ISBN)

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Gehorsam macht frei -  Johann Chapoutot
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Über 600 000 Führungskader - von BMW über Aldi bis Thyssen-Krupp - durchliefen die Akademie für Führungskräfte, die der fanatische NS-Jurist Reinhard Höhn 1956 in Bad Harzburg begründete und über Jahrzehnte hinweg leitete. Höhns beispielhafter Aufstieg zum Marketing-Guru wirft die beunruhigende Frage auf: Wie stark ist unsere Arbeitswelt noch heute vom Geist der NS-Zeit geprägt? Die NS-Kriegswirtschaft zielte konsequent auf Leistungsfähigkeit: Der Mensch wurde zum Produktionsfaktor, die 'Volksgemeinschaft' gehorchte dem 'Führer'. Dieses Menschenbild setzte sich in der Bundesrepublik fort: Aus 'Menschenführung' wurde 'Management', auf die NS-Kriegsmaschinerie folgte die Massenproduktion der Konsumgesellschaft. Am Beispiel des Unternehmensberaters Reinhard Höhn legt Johann Chapoutot eine erschreckende Kontinuität im ökonomischen Denken vor und nach 1945 offen: Das Ziel unbedingter Leistungsbereitschaft zieht sich von den Vordenkern der NS-Kriegswirtschaft bis in die Handbücher der Unternehmensführung von heute.

Prof. Dr. Johann Chapoutot, geboren 1978, studierte Geschichte, Germanistik und Jura in Paris und promovierte an der Sorbonne und der TU Berlin. Er ist Professor an der Sorbonne und forscht auf dem Gebiet der politischen und kulturellen Geschichte, mit Schwerpunkt Deutschland und europäischer Moderne. 2015 erhielt er für sein Buch 'Das Gesetz des Blutes' den Yad Vashem International Book Prize for Holocaust Studies. Auf Deutsch sind von ihm erschienen: 'Das Gesetz des Blutes', 'Der Nationalsozialismus und die Antike' und 'Unsere Geschichte: Deutschland 1806 bis heute'.

Prof. Dr. Johann Chapoutot, geboren 1978, studierte Geschichte, Germanistik und Jura in Paris und promovierte an der Sorbonne und der TU Berlin. Er ist Professor an der Sorbonne und forscht auf dem Gebiet der politischen und kulturellen Geschichte, mit Schwerpunkt Deutschland und europäischer Moderne. 2015 erhielt er für sein Buch "Das Gesetz des Blutes" den Yad Vaschem International Book Prize for Holocaust Studies. Auf Deutsch sind von ihm erschienen: "Das Gesetz des Blutes", "Der Nationalsozialismus und die Antike" und "Unsere Geschichte: Deutschland 1806 bis heute".

Kapitel I
Die Verwaltung des Großdeutschen Reichs denken


Eine »historische« Zeit – die Sprache der Nationalsozialisten war versessen auf solche Übertreibungen und Prahlereien. Alles, ihre Texte und Parolen, ihre Bilder und Filme, war »historisch«, »einmalig«, »gigantisch«, »entscheidend« und dergleichen mehr. Für eine bestimmte Sorte von Parteimitgliedern, Beamten oder (hohen) Funktionären traf das zu. Alle diese militärischen, administrativen und poli­tischen Kader der »nationalen Erhebung« waren sogar Enthusiasten, winkten doch glänzende Karrieren, persön­licher Gewinn und spannende Aufgaben. Man denke etwa an einen Erwin Rommel, der kein glühender National­sozialist war wie so viele andere. 1933 war er mit 42 Jahren lediglich Kommandeur, doch dank der von Hitler geführten Kriege stieg er bis 1942 in den Rang eines Generalfeldmarschalls auf. Gewiss war das seinem Einsatz und seinem Geschick als Panzergeneral geschuldet, aber auch der Tatsache, dass eine Armee, die ihre Stärke in wenigen Jahren um mehr als das Fünfzigfache erhöhte, einen enormen Bedarf an Führungskräften hatte. Das NS-Lied »Es zittern die morschen Knochen« mit der Zeile »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt« war gleichsam ihr »Lied des Aufbruchs«,13 gerade für diese gut ausgebildeten und nach Anerkennung gierenden militärischen und zivilen Führungskader.

1943 verglich der Jurist Waldemar Ernst in der Zeitschrift Reich, Volksordnung, Lebensraum, die eigentlich nicht der passende Ort dafür war, den englischen mit dem deutschen Beamten und stellte ironisch fest, dass Ersterer im Dienste des britischen Empire auf der ganzen Welt unterwegs sei, während für Letzteren bereits die Versetzung vom Oberrhein in den Schwarzwald ein außergewöhnliches Abenteuer darstelle. Nun aber konnte der deutsche Beamte vom norwegischen Kirkenes bis nach Bordeaux, von Riga bis Kreta Posten besetzen;14 das war doch »mitunter fast unglaubhaft«.15 Was für ein Glück, solch aufregende Zeiten zu erleben!

Die zivilen Eliten waren hervorragend ausgebildet, denn während der Weimarer Republik waren die Bedingungen für Universitäten und Studenten überaus günstig. Wie unter keiner deutschen Regierung zuvor hatte man dafür gesorgt, dass die akademische Bildung möglichst vielen zugänglich wurde. Doch die Wirtschaftskrise und die sozialen Verwerfungen nach 1929 führten dazu, dass einem Großteil der examinierten oder gar promovierten Akademiker als einzige Perspektive die Arbeitslosigkeit blieb. Die Einzigen, die ihnen einen Ausweg boten, waren die Nationalsozialisten, die sie umwarben und mit Posten lockten, vor allem in der SS. Diese jungen Männer machten in der Tat rasch Karriere in der Partei, wobei sie sich zunächst gegen die SA und deren »plebejische« Kämpfer durchsetzen mussten, ab 1933 dann innerhalb der staatlichen Institutionen, bevor sie nach dem Angriff auf Polen Anfang September 1939 von der Unterwerfung Europas träumen konnten.

Unter diesen Führungskräften tat sich eine besonders brillante Gruppe von Akademikern und hohen Funktionären mit ambitionierten theoretischen Arbeiten hervor, namentlich in der erwähnten Zeitschrift Reich, Volksordnung, Lebensraum, die sie von 1941 bis 1943 gemeinsam im Rahmen des Instituts für Staatsforschung an der Berliner Universität herausgab. Das Institut stand unter dem Einfluss der SS und wurde von dem jungen Professor Reinhard Höhn geleitet, SS-Standartenführer und Angehöriger des elitären »Sicherheitsdienstes (SD) des Reichsführers SS«. Die Zeitschrift, deren Beiträge sich vorwiegend mit den künftigen Staatsaufgaben beschäftigten, entstand also parallel zur Geburt des Großdeutschen Reichs und verschwand wieder in dem Moment, als sich dessen Untergang abzeichnete. Die Beiträge befassten sich mit der Frage, wie eine wünschenswerte Verwaltung des eroberten »Großraums« auszusehen hatte, wobei allgemeinste wie spezifischste Themen behandelt wurden bis hin zu technischen Problemen wie der kaum erbaulichen »Erfassung der Unterlagen für eine planmäßige Verwaltungsführung«.16

Der Älteste unter den Herausgebern der Zeitschrift war ein noch junger Mann; 1933, als seine Partei an die Macht kam, war der 1902 geborene Wilhelm Stuckart gerade einmal 31 Jahre alt. Seine juristische Doktorarbeit trug den Titel Erklärung an die Öffentlichkeit, insbesondere die Anmeldung zum Handelsregister; er war Rechtsberater der NSDAP, der er 1922 beigetreten war. Als Anwalt der SA übernahm er gemeinsam mit Hans Frank, Walter Luetgebrune und Roland Freisler die Rechtsberatung und Verteidigung von Parteimitgliedern, die wegen politisch motivierter Gewaltakte vor Gericht standen. Hitlers Einzug in die Reichskanzlei katapultierte ihn in höchste Ämter: 1933 wurde er zunächst Ministerialdirektor im Preußischen Kultusministerium und dann Staatssekretär im Reichserziehungsministerium, um 1935 als Staatssekretär ins Innenministerium zu wechseln.

Als hervorragender Verwaltungsfachmann und treu ergebenes Parteimitglied wurde Stuckart mit der Vorbereitung von zwei wichtigen Gesetzesvorhaben beauftragt: zum einen das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933, auf dessen Grundlage politische Gegner und Juden aus dem Dienst entlassen wurden; zum anderen die »Nürnberger Gesetze« vom September 1935, durch die jüdische Mitbürger ausgegrenzt und entrechtet sowie mit dem Verbot jeglichen Geschlechtsverkehrs mit Nicht-Juden belegt wurden. Inzwischen zum Spezialisten für »Arierfragen« und die »Arisierung« jüdischen Eigentums geworden, verfasste Stuckart 1936 gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Globke, der später als Chef des Bundeskanzleramts ein enger Mitarbeiter Konrad Adenauers werden sollte, einen »Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung«, der keinen Zweifel an der Absicht eines radikalen Ausschlusses der Juden aufkommen ließ. Stuckarts Interesse richtete sich auch auf die Erweiterung des Reichsgebiets, und so verfasste er im Frühjahr 1938 das »Gesetz zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich«, im Frühjahr 1939 den »Reichsprotektoratserlass«, der den Status der besetzten Gebiete Böhmen und Mähren regelte, und im Oktober 1939 den »Erlass über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete«. Als glühender Nationalsozialist und Antisemit sowie überzeugter Verfechter von Annexionen war er der Idealtypus des nationalsozialistischen Funktionsträgers und tatkräftigen Intellektuellen. Als Spezialist für Verwaltungsfragen und Spiritus Rector des von den deutschen Armeen zu erobernden »Großraums« trieb Stuckart das Nachdenken über die Verwaltung des neu entstehenden »Großdeutschen Reichs« mit Nachdruck voran. In der Tat: Die Stunde war »historisch«, und die Aussichten waren »gigantisch« – aber welche Probleme standen bevor!

Das größte Problem war das des »Menschenmaterials«. Die Vervielfachung der Gebiete unter deutscher Oberhoheit führte zu einem »Riesenreich«, das nicht etwa mit einem wachsenden, sondern mit einem schwindenden Personalstand zu verwalten war, weil immer mehr ­Beamte zum Wehrdienst eingezogen wurden. Stuckart wies auf diese alarmierende Entwicklung in einem Beitrag hin, den er 1941 für die Festgabe für Heinrich Himmler zu dessen im Jahr zuvor begangenem 40. Geburtstag verfasste. Zu diesem Zeitpunkt schaute man voller Euphorie nach Osten,17 weshalb ein Umbau der öffentlichen Verwaltung dringend in Angriff zu nehmen war – nicht nur für die Zeit des Krieges, sondern auch mit Blick auf die kommenden Jahrhunderte des Friedens in einem deutschen Kolonialreich,18 gegründet auf den Ruinen einer Sowjetunion, deren baldige Niederlage und Auflösung außer Frage standen. Wie also sollte man mehr mit immer weniger Personal bewältigen? Die Antwort war schlicht und einfach, es besser zu machen. Diese Verbesserung aber war in Stuckarts Augen nicht Aufgabe der Zentralgewalt und hing auch nicht von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab. Es mit weniger Mitteln besser zu machen oblag den deutschen Verwaltungsbeamten, die ihr Handeln zu reformieren, ja ganz neu auszurichten hatten, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen gerecht zu werden.

Stuckarts umfangreicher Text ist zwar detailreich, bleibt aber zugleich vage. Ohne Fußnoten, ist er weder wissenschaftlich noch anschaulich, sondern ganz und gar normativ – eine Ansammlung von Behauptungen und Anordnungen, so und so zu sein oder es so und so zu machen. Nachdrücklich betont er die Bedeutung von »Elastizität, Arbeitsfreudigkeit, Lebensnähe und Lebendigkeit« für die Verwaltung eines »Großstaat[es]«19 und fordert von den Beamten, die sich ganz ihrer Arbeit und ihrer Aufgabe zu verschreiben hätten, die »Initiative schöpferischer Menschen«.20 Jeder Beamte solle in den Genuss »größtmöglicher Bewegungsfreiheit« kommen und müsse sich in dem neuen deutschen Lebensraum und in seiner entsprechend definierten Arbeit entfalten können. Damit dies geschieht...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Übersetzer Clemens Klünemann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Bewerbung / Karriere
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bad Harzburg • Elitenkontinuität • Führer • Führungsakademie • Kapitalismus • Nationalsozialismus • Volksgemeinschaft • Wirtschaft • Wirtschaftswunder
ISBN-10 3-8437-2510-1 / 3843725101
ISBN-13 978-3-8437-2510-1 / 9783843725101
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