Ein westfälischer Jude in der preußischen Armee

Isaac Löwenstein aus Rietberg-Neuenkirchen und sein Tagebuch 1821-1823
Buch | Hardcover
440 Seiten
2021
Verlag für Regionalgeschichte ein Imprint von Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG
978-3-7395-1246-4 (ISBN)
29,00 inkl. MwSt
Isaac Löwenstein (1791-1871) wurde im Oktober 1820 zum Militärdienst in der preußischen Armee einberufen. Im März 1821 wanderte er zur Bundesfestung Luxemburg. In seinem Tagebuch beschreibt er diesen Fußmarsch, seine Dienstzeit im preussischen Heer und die Rückreise nach Neuenkirchen im Oktober 1823. Das Dokument ist das faszinierende Zeugnis eines jungen jüdischen Mannes, der eine für ihn neue Welt entdeckt. Voller Neugier beschreibt er Land und Leute und den Alltag in der preußischen Armee. Das Tagebuch führt aber auch immer wieder zurück in seine Heimat: zu seiner Familie und zur jüdischen Gemeinde in Neuenkirchen.
Isaac Löwenstein (geboren 18.10.1791, gestorben 14.12.1871 in Neuenkirchen, heute Rietberg) wurde im Oktober 1820 zum Militärdienst in der preußischen Armee einberufen. Im März 1821 wanderte er mit anderen Rekruten 23 Tage von Bielefeld zur Bundesfestung Luxemburg. In seinem Tagebuch beschreibt er diesen Fußmarsch, seine Dienstzeit im preussischen Heer und die Rückreise nach Hause im Oktober 1823.Das von Nachfahren an das Leo Baeck Institut (New York) übergebene Dokument ist das faszinierende Zeugnis eines jungen jüdischen Mannes, der eine für ihn neue Welt entdeckt. Voller Neugier beschreibt er Land und Leute und den Alltag in der preußischen Armee. Das Tagebuch führt aber auch immer wieder zurück in seine Heimat: zu seiner Familie und zur jüdischen Gemeinde in Neuenkirchen.Die Herausgeber binden Löwensteins Tagebuch und seine späteren Notizbücher in die zeitgenössischen Entwicklungen und Diskussionen ein. Es geht um die Entfaltung der Persönlichkeit eines jungen Mannes und es geht um deutsch-jüdische Identitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Manfred Beine, geboren 1955 in Marienfeld, studierte Germanistik und Sozialwissenschaften in Münster. Von 1987 bis 2020 leitete er das Stadtarchiv Rietberg, seit 2003 auch die dortige Stadtbibliothek. Veröffentlichungen zur Orts- und Regionalgeschichte, u.a.: 400 Jahre Schloss Holte (2017), Josef Küper. Vormarsch 1914. Ein Antikriegsroman (2018), Sakrale Kunst in Rietberg (2018).

Dr. Marion Kant, geboren 1951 in Berlin, studierte Musikwissenschaft und Ästhetik in Berlin. Unterrichtete an der University of Cambridge und der University of Pennsylvania. Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte, u.a.: Jean Weidts Erinnerungen (1984), Tanz unterm Hakenkreuz (1996, Englisch 2004), The Cambridge Companion to Ballet (2007).

Ralf Othengrafen, M.A., geboren 1977 in Minden, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik in Bonn, Diplomarchivar am Landesarchiv Baden-Württemberg. Seit 2011 leitet er das Kreisarchiv Gütersloh. Veröffentlichungen zur Orts- und Regionalgeschichte, u.a.: Die Spanische Grippe im Jahr 1918/1919 im Kreis Gütersloh (2021)

Prof. Dr. Jonathan Steinberg, geboren 1934 in New York, gestorben 2021 in Cambridge. Studierte an der Harvard University. Professor an der University of Pennsylvania. Veröffentlichungen zur europäischen Geschichte, u.a.: Tirpitz and the Birth of the German Battle Fleet (1965); Why Switzerland? (1976), Die Deutsche Bank und ihre Goldtransaktionen im Zweiten Weltkrieg (1999), The Axis and the Holocaust (2002), Bismarck. A Life (2011).

Ralf Othengrafen: Vorwort • 9
Marion Kant / Jonathan Steinberg: Einleitung • 11
Marion Kant: Das Tagebuch • 17
Juden in der preußischen Armee / Die Reise beginnt / Westfalen-Rheinland-Luxemburg / Die Familie / Die jüdischen Gemeinden / Bundesfestung Luxemburg / Jüdisch, Preußisch, Deutsch
Isaac Löwenstein: Tagebuch • 109
Von Bielefeld nach Soest / Von Soest bis Dortmund / Von Dortmund nach Köln / Von Mülheim nach Andernach / Von Andernach nach Hontheim / Von Hontheim nach Luxemburg / In der Bundesfestung / Rückmarsch
Marion Kant: Die Notizbücher • 195
Die Notizbücher / Die Sprache / Der Inhalt / Texte zu Isaac Löwenstein / Liturgisch-religiöse Texte / Freundschaft, Ehre und Liebe / Poetische Vorbilder / Frauen und Sexualität
Isaac Löwenstein: Die Notizbücher I und II • 273
Manfred Beine: Die Rietberger Familie Löwenstein im 19. und 20. Jahrhundert • 333
Ruben Löwenstein und Selig Levi Porta / Simon Porta auf der Walz / Isaac Löwenstein / Michael Löwenstein / Das Ende der Synagogengemeinde Neuenkirchen / Stolpersteine
Quellen- und Literaturverzeichnis • 405
Ortsregister • 423 / Personenregister • 428

Dieses Buch ediert eine bemerkenswerte Quelle: das einzige bislang bekannte Tagebuch eines jüdischen preußischen Soldaten – Isaac Löwenstein – aus der Zeit nach den Befreiungskriegen. Das Manuskript wurde von der Familie aufbewahrt und bei der Flucht aus Deutschland gerettet; es wird aktuell im Leo Baeck Institute in New York verwahrt. 2013 machte der damalige Eigentümer den Historiker Jonathan Steinberg auf den Text aufmerksam. Das Projekt der Edition des Tagebuchs unternahmen zunächst Marion Kant und Jonathan Steinberg gemeinsam; wegen Steinbergs Erkrankung führte Kant die Edition alleine fort.
Der reich illustrierte Band umfasst drei längere Aufsätze und zwei Quellen. Zunächst stellt Kant Entstehungskontext, Inhalt und Bedeutung des Tagebuchs vor (S. 17–107), das im Folgenden (S. 109–194) ediert wird. Löwenstein lassen sich ferner zwei im gleichen Archiv verwahrte Notizbücher mit Gedichten und Prosatexten zuordnen, die teilweise mit „Poetische und prosaische Aufsätze aus den hinterlassenen Papieren A. Hutters“ überschrieben sind und ganz überwiegend aus derselben Zeit stammen. Kant diskutiert daher vor der Edition der Notizbücher (S. 273–332), ob diese sich als eine verschlüsselte, deutlich kritischere Sicht auf die gleiche Erfahrung lesen lassen, ohne zu einem ganz eindeutigen Urteil zu gelangen (S. 195–272). Den Band beschließt ein Beitrag von Manfred Beine zum weiteren Schicksal der Familie Löwenstein in Rietberg (S. 333–404), einer Geschichte erfolgreichen Wirtschaftens und sozialer Integration, die mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Flucht oder Ermordung enden sollte; die letzten Texte des Bandes sind die von Stolpersteinen.
Die im Garn-, Tuch- und Papiergeschäft tätige Familie Isaac Löwensteins stammte aus einem kleinen Territorium, das von dem österreichischen Staatskanzler Kaunitz und dessen Erben regiert wurde. Grundsätze der Aufklärung prägten dort die Politik und die Zukunftsvorstellungen der jüdischen Gemeinden, was dazu führte, dass die deutsche Sprache in Schule und Synagoge Eingang fand. Als mit der rechtlichen Emanzipation im Königreich Westfalen 1808 die Pflicht, Nachnamen anzunehmen, eingeführt wurde, entschied sich Isaacs Vater nach dem Wappen einer Figur aus der entfernteren Familiengeschichte, die mit dem Feldherrn Wallenstein verbunden gewesen war, für Löwenstein.
Isaacs Einberufung zum preußischen Militärdienst, den er in der Bundesfestung Luxemburg ableistete, wurde wegen körperlicher Schwäche mehrfach verschoben. Als sie 1821 erfolgte, war sein sechs Jahre jüngerer Bruder Marcus Schreiber bei Adolf von Lützow, dem ehemaligen Kommandanten der Lützow’schen Jäger; von diesem erhielt Isaac einen Empfehlungsbrief.
Das in deutscher Sprache verfasste, streng chronologisch angelegte Tagebuch behandelt den Weg zur Festung, den Dienst und den Rückweg. Es vermittelt den Eindruck eines bildungsbürgerlichen Beobachters, der erheblich von romantischen Naturvorstellungen inspiriert ist und sich intensiv für die Prosperität der durchreisten Regionen interessiert. In der Garnison will er sich hervortun und dafür körperliche Grenzen überwinden. Löwenstein schrieb viel: an die Familie, für Vorgesetzte und für Kameraden. Als sich der Bataillonsschreiber Hutter im Dezember 1821 selbst tötete, folgte Löwenstein ihm auf diesen Posten nach. Zum Abschied erhielt er lobende Worte und das Angebot, beim Militär zu bleiben. Sein Ziel war aber vor allem die Rückkehr in den Kreis der Familie. Lebenspraktisch spielen die Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Speisevorschriften und der Feier religiöser Feste eine große Rolle, vor allem auf Reisen, da Löwenstein in Luxemburg in dieser Hinsicht befriedigende Umstände vorfand.
Kant macht deutlich, dass Löwensteins Entscheidung für eine weitgehende kulturelle und politische Akkulturation bei religiöser Differenz ein Modell der Synthese der „progressiven und modernen Tendenzen deutscher und jüdischer Kultur“ (S. 261) darstellte, das von der preußischen Politik gerade zu dieser Zeit unmöglich gemacht wurde. Heine erfuhr das zeitgenössisch in Berlin, und auch Löwensteins Offiziere deuteten es an (S. 160). Insofern ist nicht nur die Quelle, sondern auch die Erfahrung, von der sie berichtet, für diese Zeit fast einzigartig.
Andreas Fahrmeir, in: Historische Zeitschrift 318, 2024, H. 1
// doi 10.1515/hzhz-2024-1038

Isaac Löwensteins, ein jüdischer Bürger aus Rietberg-Neuenkirchen, wurde als einer der ersten Juden 1820 zum preußischen Militärdienst einberufen, den er auf der Bundesfestung Luxemburg absolvierte. Sein Tagebuch und seine im im Leo Baeck-Institut in New York aufbewahrten Notizbücher werden von der Musikwissenschaftlerin Marion Kant ausgewertet. Manfred Beines exzellente Kenntnisse der Neuenkirchener Juden führen hin zur Geschichte der Familie Löwenstein im 19. und 20. Jahrhundert. Isaac Löwenstein berichtet uns aus einer ruhigen Friedenssituation heraus, in die er jedoch nur durch eine erst kurz zuvor eingeführte Emanzipationspolitik kommen konnte: als Jude der preußischen Staatsbürgerpflicht des Militärdienstes nachzukommen. Dies geschah in Luxemburg, worüber er einschließlich des An- und Abmarsches zwischen 1821 und 1823 auf mehr als hundert Seiten berichtet. Das hohe Maß an Bildung, das ihm in seinem Heimatort Neuenkirchen zuteil geworden war, machten es möglich, so akribisch und detailreich zu berichten. Der Quelle als ein örtlicher Glücksfall kommt damit eine größere Bedeutung zu: als Reisebericht mit vielen zeitgenössischen Ansichten der durchwanderten Orte, als Einblick in den aktiven preußischen Militärdienst und als Milieustudie am Beginn eines Emanzipationsprozesses, der mit dem sogenannten modernen Antisemitismus im deutschen Kaiserreich 50 Jahre später bereits wieder endete.
Rolf Westheider, in: Heimatjahrbuch Kreis Gütersloh 39, 2022 (11.2021)

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Veröffentlichungen aus dem Kreisarchiv Gütersloh ; 16
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen ; 77
Vorwort Jonathan Steinberg
Zusatzinfo Stammtafeln
Verlagsort Bielefeld
Sprache deutsch
Maße 170 x 240 mm
Gewicht 1095 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Neuzeit (bis 1918)
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Schlagworte Juden • Luxemburg • Militär • Neuenkirchen • Preußen • Rietberg
ISBN-10 3-7395-1246-6 / 3739512466
ISBN-13 978-3-7395-1246-4 / 9783739512464
Zustand Neuware
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