Die seltsamsten Sprachen der Welt (eBook)
206 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76727-2 (ISBN)
Viele Sprachen erscheinen uns fremdartig, weil wir ihre Schnalzlaute nicht hervorbringen oder ihren Satzbau mit den vertrauten grammatischen Rastern nicht erfassen können. Der renommierte Sprachwissenschaftler Harald Haarmann beschreibt 49 Sprachen mit seltsamen Eigenheiten und lässt uns über die Vielfalt der menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten staunen.
- Von afrikanischen Klicklauten und deutschen Schachtelsätzen - die wundersame Welt der Sprachen
- Was spezielle Wortschätze und sonderbare Satzkonstruktionen über ihre Sprecher verraten
- Für alle Sprachinteressierten und Weltreisenden
- Das ideale Buch zum Schmökern, Staunen und Lernen
Harald Haarmann gehört zu den weltweit bekanntesten Sprachwissenschaftlern. Er wurde u.a. mit dem Prix Logos der Association européenne des linguistes, Paris, sowie dem Premio Jean Monnet ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.
1.
Eigenartige Lautsysteme
Urtümliche Klicklaute in den Khoisan-Sprachen
Im weltweiten Vergleich heben sich einige Sprachen durch ganz besondere Laute aus der großen Masse der rund siebentausend Sprachen heraus, die auf der Welt verbreitet sind. Im südlichen Afrika werden Sprachen gesprochen, die ganz eigenartige, urtümliche Laute kennen. Dies ist die Makrogruppierung der Khoisan-Sprachen, die früher auch «Schnalzsprachen» (engl. click languages) genannt wurden. Die wichtigsten Sprachen dieser Gruppe sind das Khoikhoi (die Sprache der Hottentotten), das San (die Sprache der Buschmänner) und das Nama. Der Name für die Buschmänner, San, stammt aus dem Khoikhoi und bedeutet «die Leute, die Dinge vom Boden aufsammeln». Die Europäer haben die San während der Kolonialzeit als Jäger und Sammler kennengelernt. Die Khoikhoi hatten über ihre Kontakte mit der Bantu-Bevölkerung die Viehhaltung übernommen.
Nach Schätzungen leben im südlichen Afrika rund 300.000 Khoikhoi, rund 200.000 Nama und rund 90.000 San. Die regionalen Gruppen sind auf die Territorien von Botswana, Namibia, Lesotho, Südafrika, Angola, Sambia und Simbabwe verteilt. Den Khoikhoi hatten die Holländer der Kapkolonie den Namen Hottentotten gegeben. Sie sollen die Einheimischen oft betrunken gemacht und sie animiert haben, einen rituellen Tanz aufzuführen. Der rhythmische Gesang, der den Tanz begleitete, klang in den Ohren der Kapholländer wie «hot-en-tot».
Die Khoisan-Sprachen sind dialektal stark zersplittert. Ihre genetische Verwandtschaft untereinander schlüssig nachzuweisen, ist schwer. Da diese Sprachen schriftlos und viele Kleinsprachen während der Kolonialzeit (19. und 20. Jahrhundert) ausgestorben sind (wie das Prieska, Maluti, Khakhea, Xiri, Kwadi u.a.), ist das Sprachmaterial für einen historischen Vergleich zum Nachweis einer Sprachfamilie – über viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurück in die Geschichte – sehr begrenzt. Die Khoisan-Sprachen sind aber nicht irgendeine der vielen Sprachfamilien Afrikas, denn sie sind bis heute in einer Region verbreitet, wo die anthropologische Forschung die Ursprünge der Hominiden-Spezies verortet. Hier wird deutlich, dass der sprachhistorischen Forschung Grenzen gesetzt sind, wie überhaupt die Rekonstruktion von Sprachfamilien lediglich wenige Jahrtausende in die Geschichte zurückgreifen kann. Im günstigsten Fall – wie im Fall der indoeuropäischen Sprachfamilie – öffnet sich auf dem zeitlichen Horizont ein Fenster von maximal achttausend Jahren.
Die Entwicklung der Hominiden als eigener Zweig in der Evolution der Primaten hat aber bereits vor mindestens sieben Millionen Jahren begonnen, also in einer Zeit, in die höchstens die humangenetische Forschung vordringen kann. Wie also die Sprache der frühen Hominiden (Homo australopithecus, Homo habilis, Homo erectus, u.a.) beschaffen war, darüber kann man nur vorsichtig spekulieren (Haarmann 2006: 28ff.). Die Forscher sind sich einig, dass die Vorfahren der Sprecher des Khoikhoi und des San nicht von anderswoher in die Region eingewandert sind, in der ihre Nachkommen bis heute leben (Rito et al. 2013).
Die ältesten Felsbilder Südafrikas werden den Vorfahren der Buschmänner zugeschrieben. Dies trifft auch auf symbolische Ritzungen auf Objekten zu, die man in Höhlen gefunden hat, wie in der Blombos Cave an der Kapküste. Die Datierung ergab einen Horizont zwischen 70.000 und 77.000 Jahren vor der Jetztzeit (Haarmann 2007: 45f.). In der Nähe der Höhle wurden auch Fußspuren des anatomisch modernen Menschen («Fußspuren Evas» genannt) gefunden, rund 117.000 Jahre alt. Damals waren die Vorfahren der Khoisan-Populationen im gesamten südlichen und östlichen Afrika verbreitet. Das heutige Siedlungsgebiet ist ein Rückzugsgebiet dieser Gruppen.
Wenn die Khoikhoi und San Nachkommen der einheimischen Bevölkerung der Region sind, müssen ihre Sprachen späte Ausgliederungen der frühesten Sprachform des Homo sapiens sein, die dort vor Urzeiten gesprochen wurde. Neuere humangenetische Untersuchungen zur mitochondrialen DNA (der weiblichen Linie) in Populationen wie den Hadza, den Ju|’hoansi (!Kung) und Sandawe zeigen, dass sich diese Gruppen bereits vor Jahrzehntausenden aus dem lokalen Hominidenzweig ausgegliedert haben (Knight et al. 2003). Es öffnet sich ein Zeitfenster für die Ausgliederung zwischen mindestens 150.000 und maximal 260.000 Jahren vor der Jetztzeit.
Heutzutage sind Schnalz- oder Klicklaute in den Khoisan-Sprachen und in lokalen Kontaktsprachen verbreitet (Tishkoff et al. 2007). Es ist nur eine einzige Sprache außerhalb Afrikas bekannt, die Schnalze verwendet hat. Dies ist das Damin, eine ausgestorbene Aborigine-Sprache in Australien. Die Verwendung von Schnalzlauten war im Damin auf den Sprachgebrauch in einer besonderen Variante beschränkt, der Ritualsprache, die ausschließlich Männern in Initiationsriten beigebracht wurde.
Das Vorkommen von Klicklauten in der Region, von wo sich Hominidenspezies verbreitet haben (südliches Afrika), sowie in einem Rückzugsgebiet von Reliktsprachen (Australien) spricht dafür, dass die Gewohnheit, solche seltenen Laute zu verwenden, eine uralte Tradition fortsetzt. Diese ist wohl über die Migrationen der Hominiden aus Afrika bis nach Südostasien und Australien gelangt und hat sich dort als Relikt bis in die historische Zeit gehalten.
Diese Tradition muss im Ursprungsgebiet fest verankert gewesen sein, denn im Kontakt der Khoisan mit ihren Nachbarn (d.h. Nicht-Khoisan-Ethnien) haben deren Sprachen ebenfalls die Sprachtechnik der Schnalze übernommen und tradiert. Zu diesen Kontaktsprachen gehören einige Bantusprachen, mit denen die Khoisan-Gruppen seit mehr als tausendfünfhundert Jahren interagiert haben, sowie einige Sprachen, die sich nicht mit Sicherheit irgendeiner der bekannten Sprachfamilien zuordnen lassen, wie Sandawe, Hadza oder Dahalo.
Es werden mindestens vier Klick- oder Schnalzlaute unterschieden, sie kommen in allen Khoisansprachen vor. In den südlichen Dialekten gibt es einen fünften Schnalz, und in einigen lokalen Sprachvarianten noch weitere; die Forscher sind sich hier nicht ganz einig. Die linguistische Beschreibung der Schnalzlaute ist denkbar komplex. Ein erstes Schema wurde in den 1930er Jahren für die Schnalze des Nama erstellt, das mit einigen Modifikationen auch heute noch in Gebrauch ist. Es gibt die unterschiedlichsten phonetischen Beschreibungen der Artikulationsstellen im Mund und verschiedene Transkriptionen für die Klicklaute, die folgenden sind klar und sehr gebräuchlich (Vossen 2013):
ǀ | dental (am Zahnfleisch), |
ǃ | alveolar (mit Zungenwölbung), |
ǁ | lateral-alveolar (seitlich mit Zungenwölbung), |
ǂ | palatal (am Gaumen), |
ʘ | bilabial (mit beiden Lippen gebildet) |
Die Markierung der Schnalze durch Sonderzeichen zur Notation von Sprachmaterial orientierte sich an den Verhältnissen im Nama. «Wäre der Gebrauch dieser seltsamen Orthographie nur auf das Nama beschränkt geblieben, hätten sich die mit ihr verbundenen Probleme in Grenzen gehalten. Aber diese Schreibung der Effluxe [Schnalzlaute] in der vom praktischen Gesichtspunkt aus bei weitem bedeutendsten Khoisansprache musste auch manchen gleichzeitigen Versuch, andere Khoisansprachen niederzuschreiben, beeinflussen» (Winter 1981: 350). Daher unterscheidet man heute, je nach Artikulationsstelle, für alle Khoisansprachen mindestens acht Arten von Klicklauten, entsprechend komplex ist ihre Darstellung. Und die Verteilung und Quantität von Klicklauten, d.h. die Zahl der Varianten von Effluxen bzw. Plosivlauten in den einzelnen Sprachen, zeigt ein hohes Maß an Komplexität ...
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2021 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Sprachwissenschaft |
Schlagworte | Afrika • Esperanto • fremdartige Sprachen • Glagolitisch • Klassifikation • Klicklaute • Klicksprachen • Klingonisch • Lautsysteme • Sakralsprachen • Schnalzlaute • Schriften • seltsame Sprachen • Sprachen • Sprachphänomene • Sprachwissenschaft • Wortschatz • Zählweisen |
ISBN-10 | 3-406-76727-3 / 3406767273 |
ISBN-13 | 978-3-406-76727-2 / 9783406767272 |
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