Axel Hecker, geboren 1952, ist Literaturwissenschaftler und arbeitet als Systemanalytiker in einem deutschen Großunternehmen.
Axel Hecker, geboren 1952, ist Literaturwissenschaftler und arbeitet als Systemanalytiker in einem deutschen Großunternehmen.
Philosophie der Freiheit: Kompatibilismus
Über das Freiheitsproblem ist philosophisch viel geschrieben worden. In aller Kürze, scheint mir dies der Stand der Dinge zu sein:
1.Die wesentlichen dazu vertretenen Positionen sind: a) ein „harter“ (W. James) Determinismus, wie er beispielsweise seitens der Hirnforschung propagiert wird und der Freiheit zu einer Illusion erklärt; b) die „harte“ Gegenposition dazu, ein Inkompatibilismus, der Freiheit nur unter der Annahme verteidigen zu können glaubt, dass der Determinismus nicht zutrifft, dass es also „Lücken“ im Kausalprinzip geben muss, durch die Platz für Freiheit geschaffen wird; und schließlich c) ein Kompatibilismus, der die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus behauptet, also erklärt, dass es sich bei der harten Entgegensetzung der beiden um einen intuitiven Konflikt handele, der aber durch sorgfältiges Nachdenken aufgelöst werden kann.
2.Die Positionen a) und b) zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihr jeweiliges Prinzip verteidigen, „koste es was da wolle“. Entsprechend angreifbar haben sie sich gemacht. Die Position c) hat dagegen den kommunikativen Vorteil, Verständnis für beide Anliegen zu signalisieren, allerdings auch die Schwierigkeit, die erheblichen intuitiven Hürden, denen die Behauptung einer Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus sich gegenübersieht, zu überwinden.
3.Diese Situation hat dazu geführt, dass man heute die Positionen a) und b) kaum noch vertreten findet – von einigen dogmatischen Hirnforschern auf der einen Seite, einigen Freiheitsenthusiasten (in der Fachliteratur „Libertarier“) auf der anderen abgesehen. Es hat sich, zumindest unter Philosophen, ein weitgehender Konsens dahingehend ausgebildet, dass der Kompatibilismus richtig sein muss, auch wenn die Argumente, die für ihn ins Feld geführt werden, divergieren.1
Die wesentlichen Pro-Argumente, die in diesem Zusammenhang vorgebracht werden können und die jeweils für eine der beiden Seiten sprechen, scheinen mir die folgenden zu sein.
Für den Determinismus: „Determinismus“ bedeutet, dass alles, was geschieht, kausal durch vorhergehende Ereignisse festgelegt ist – von kleinen, die Makrowelt aber nahezu nicht berührenden „Unschärfen“ abgesehen, die in der Quantenphysik der Elementarteilchen auftreten.2
Den Verteidigern des Determinismus ist immer wieder vorgeworfen worden, dass es sich dabei um eine unausgewiesene Glaubensaussage, letztlich um Metaphysik handele. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn man kann den Determinismus nicht beweisen. Niemand kann ausschließen, dass plötzlich etwas geschieht, das allem vorhandenen physikalischen Wissen in einer Weise widerspricht, die schlechterdings unerklärlich ist: eine Gotteserscheinung, eine eklatante Verletzung des Gravitationsgesetzes, eine creatio ex nihilo oder was auch immer. Niemand kann dergleichen ausschließen, da wir kein absolutes Wissen haben, sondern nur Beobachtungen anstellen und über die physikalische Verfassung der Natur Hypothesen aufstellen, die sich jederzeit als falsch erweisen können. Auch wenn wir zweifelsfrei wüssten, dass sich, seit Menschen Naturwissenschaft betreiben, nie Ausnahmen vom Determinismusprinzip gezeigt hätten, könnte eine solche Ausnahme schon im nächsten Moment eintreten. Auch die bloße Tatsache des Nichtauftretens von Ausnahmen (einmal kontrafaktisch unterstellt, dergleichen ließe sich feststellen) hätte keinen bestätigenden Charakter, wie man seit Poppers Überlegungen zum Falsifikationsprinzip weiß.
Nichtsdestoweniger gilt: Der Determinismus stellt nicht eine beliebige Glaubensaussage dar, von der man nach Gutdünken Ausnahmen postulieren kann, sondern bildet eine unausdrücklich geltende Bedingung der Möglichkeit, so etwas wie Naturwissenschaft zu betreiben. Wenn man im Prinzip jederzeit Ausnahmen vom Kausalitätsprinzip für denkbar hält, dann würde kein noch so systematisch durchgeführtes naturwissenschaftliches Experiment je etwas belegen oder widerlegen. Naturwissenschaftliche Experimente sind, sorgfältig durchgeführt, darauf angelegt, nicht nur das zu zeigen, was das Experiment gerade ergibt, sondern eine bestimmte, hypothetisch postulierte Struktur des Realen zu bestätigen (oder zu falsifizieren). Wenn dabei mit zufälligen Abweichungen jederzeit gerechnet werden müsste, würde diese Aussicht zusammenbrechen. Der Determinismus ist ein unverzichtbares Postulat aller naturwissenschaftlichen Aktivität, er gehört zur Semantik dieser Wissenschaften.3
Für die Freiheit: „Freiheit“ bedeutet die Annahme, dass Lebewesen, speziell Menschen dazu in der Lage sind, selbst zu bestimmen, was durch ihre Handlungen geschehen soll, und dass diese Lebewesen infolgedessen auch für die Folgen ihres Tuns verantwortlich gemacht werden können.
Es sind also zwei Aspekte, die man für die Unverzichtbarkeit dieser Annahme anführen kann, zum einen: Sie entspricht einer Intuition, die all unser Tun begleitet. Wir sind es, die morgens aufstehen, den neuen Tag planend vorbereiten, rechtzeitig die erforderlichen Schritte tun und so weiter – welchen Sinn sollte es haben, uns vorzuhalten, es seien in Wahrheit nicht wir, die all das tun, sondern irgendwelche hinter unserem Rücken wirksamen Kräfte, die ohne unser Zutun wirksam sind? Eine solche Haltung wäre Fatalismus; zweifellos kann man eine solche Haltung einnehmen – aber es ist nicht das, was wir normalerweise tun.
Und zum anderen: Wir leben in sozialen Zusammenhängen, die, um zu funktionieren, darauf angewiesen sind, dass wir uns gegenseitig für unsere Handlungen verantwortlich machen können. Es muss im Konfliktfall feststellbar sein, wer aus welchen Gründen was getan hat oder zu tun vorhat, und es muss im Zweifelsfall möglich sein, Meinungsverschiedenheiten darüber auszutragen. Dieses Verantwortlichkeitsprinzip würde nicht funktionieren, wenn wir uns unsere Handlungen nicht gegenseitig zurechnen würden.4
Schon aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, dass die oben erwähnten Haltungen a) und b), die Freiheit beziehungsweise Determinismus bestreiten, keine echten Lösungskandidaten sind. Die Kosten wären in beiden Fällen zu hoch. Es spricht also in der Tat vieles für die erwähnte Tendenz, den Kompatibilismus für richtig zu halten. Die Motivation zu dem vorliegenden Beitrag ergibt sich nun daraus, dass zwar vieles für die Intention des Kompatibilismus spricht, die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus rechtfertigen zu wollen, dass jedoch die Argumente, die in diesem Zusammenhang vorgetragen werden, letzten Endes nicht überzeugend erscheinen, sondern im Gegenteil eine auffällige Tendenz zeigen, sobald es zum Schwur kommt, sich in unklare, ausweichende oder abstrakte, teilweise irreführende Formulierungen zu verlieren.5 „Sobald es zum Schwur kommt“, das soll heißen: sobald in einer unmissverständlichen Weise zum Ausdruck gebracht werden soll, wie die Annahme eines durchgängigen, alles Geschehen festlegenden Kausalflusses mit der Annahme vereinbar sein soll, eine Person sei „selbst“ dazu in der Lage, Entscheidungen zu treffen und in die Tat umzusetzen und dafür auch „verantwortlich“ gemacht werden zu können.
Wenn man auf diese Situation vom Standpunkt eines erklärten Deterministen oder eines erklärten Libertariers schaut, könnte man sagen: „Kein Wunder, dass das so ist, das liegt eben daran, dass Freiheit und Determinismus schlechterdings unvereinbar sind!“ Gut gebrüllt, aber aus den erwähnten Gründen sind diese Auffassungen mit so erheblichen Schwierigkeiten belastet, dass ihnen nicht mehr als eine Anfangsevidenz zugebilligt werden kann. Ich schließe daraus: Die Tatsache, dass sowohl der harte Determinismus wie der harte Libertarismus trotz der teilweise haarsträubenden Konsequenzen, die mit diesen Haltungen verbunden sind, nach wie vor hartnäckig vertreten werden, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auch mit dem Kompatibilismus – obwohl alles für ihn zu sprechen scheint – etwas nicht stimmt. Solange es dem Kompatibilismus nicht gelingt, die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus in einer einsichtigen, potenziell auch seine Gegner überzeugenden Weise darzulegen, muss das Problem als ungelöst angesehen werden.
Der Humesche Ansatz und der neuronale Determinismus
Wenn man von theologischen Überlegungen, wie sich die Möglichkeit der Sünde mit göttlicher Allmacht und Allwissenheit verträgt, absieht, dürften die ersten ausgereiften Fassungen des Kompatibilismus auf Thomas Hobbes und David Hume zurückgehen. Beide waren der Ansicht, dass ein Freiheitsbegriff, der annimmt, dass man bei Abwesenheit von äußerem Zwang „tun kann, was man will“, vollkommen ausreiche, um sich der Möglichkeit derselben zu versichern. Hume bezeichnet Freiheit als „eine Macht, zu...
Erscheint lt. Verlag | 11.12.2020 |
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Reihe/Serie | Passagen Philosophie | Passagen Philosophie |
Verlagsort | Wien |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Ethik | |
Schlagworte | Biologie • Philosophie • Sprache |
ISBN-10 | 3-7092-5042-0 / 3709250420 |
ISBN-13 | 978-3-7092-5042-6 / 9783709250426 |
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