The Group (eBook)

Wie ein Therapeut und ein Kreis von Fremden mein Leben retteten
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
368 Seiten
mvg Verlag
978-3-96121-636-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

The Group -  CHRISTIE TATE
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»Was wird mit mir geschehen, wenn ich der Gruppe beitrete?« »All deine Geheimnisse werden ans Licht kommen.« Christie Tate ist jung, erfolgreich und ... will nicht mehr leben. Zunächst widerwillig schließt sich die zurückhaltende, ehrgeizige Anwältin einer Psychotherapiegruppe an, um sich in einem Raum mit sechs Fremden emotional zu entblößen. Christie lässt die Gruppe an ihrer Kindheit und den psychischen Folgen im Erwachsenenleben teilhaben: ihr Kampf gegen Bulimie, ihr gescheitertes Sexualleben, das überwältigende Gefühl der Einsamkeit und die akute Sehnsucht nach einer Beziehung. Im Gegenzug für ihre schonungslose Ehrlichkeit erfährt sie endlich Nähe und findet zu sich selbst. Ein hoffnungsvolles Memoir, das seelische Tiefpunkte nicht verschweigt und zeigt, wie menschlicher Kontakt Leben retten kann. »Auf jeder Seite dieses unglaublichen Memoirs von Christie Tate dachte ich: Ich wünschte, ich hätte dieses Buch gelesen, als ich 25 war. Es hätte mir so sehr geholfen!« Reese Witherspoon »Oft wahnsinnig komisch und am Ende doch unglaublich berührend.« People »Dieses unbändige Memoir ist ein mitreißendes Erlebnis und eines der erstaunlich hoffnungsvollsten Bücher, die ich je gelesen habe.« Lisa Taddeo (Autorin des Spiegel-Bestsellers »Three Women«)

Christie Tate ist amerikanische Schriftstellerin und lebt in Chicago. Ihre Essays und Artikel erscheinen in der beliebten Modern-Love-Kolumne der »New York Times«, »The Washington Post« und »Chicago Tribune«.

Christie Tate ist amerikanische Schriftstellerin und lebt in Chicago. Ihre Essays und Artikel erscheinen in der beliebten Modern-Love-Kolumne der »New York Times«, »The Washington Post« und »Chicago Tribune«.

TEIL 2


16


An diesem ersten Dienstag mit zwei Gruppensitzungen war ich hochnäsig. Ich wusste schon, wie die Sache lief. Ich hatte die Minuten zusammengerechnet, die ich in den vergangenen 13 Monaten mit Gruppentherapie verbracht hatte: Es waren 5265 Minuten. Mein Herz hatte von all der Arbeit, die ich hineingesteckt hatte, ein paar Kratzspuren abbekommen – oberflächliche zwar, aber es waren Kerben.

Ich hatte nicht vorgehabt, meiner Mitbewohnerin Clare, die keine psychologische Betreuung in Anspruch nahm, davon zu erzählen, dass ich mich für zwei Gruppen an einem Tag angemeldet hatte, aber eines Tages platzte ich auf dem Heimweg vom Familienrechtsseminar damit heraus. Sie hielt kurz inne und lächelte dann, als sei sie stolz auf mich. »Du solltest dir dienstags einen Snack einpacken, denn das ist wirklich ein langer Tag, Tate.« An meinem ersten Doppeldeckerdienstag lieh sie mir ihren Lieblingspulli.

Eine halbe Stunde vor meiner zweiten Gruppensitzung an diesem Tag stolzierte ich siegessicher aus der Strafverfahrensvorlesung. Ich war sieben Minuten zu früh, aber drückte trotzdem die Klingel des Gruppenraums. Eigentlich drückte man sie nur, wenn man zu spät kam und von Dr. Rosen eingelassen werden wollte. Na, Rosen? Wie finden Sie mich jetzt? Zweimal an einem Tag. Ich nahm Platz und bekam kurz darauf Gesellschaft von Emily, die in der Rosen-Welt dafür berühmt war, dass ihr Vater – ein Tablettensüchtiger aus Kansas – so erbost war, als Emily mit der Therapie begann, dass er Dr. Rosen per Brief und Telefon belästigte und bedrohte.

Sie und Marnie waren eng befreundet, und während wir vor der Sitzung plauderten, fiel mir auf, wie merkwürdig es sich anfühlte, in »ihre« Gruppe einzudringen. Ich schob die Angst beiseite und grüßte eine großgewachsene Frau, die einen Strohhut trug. »Ich bin Mary«, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Marnie hatte mir schon von Mary erzählt, aber ich konnte nicht mehr sagen, ob sie diejenige war, die Marnie liebte, oder diejenige, die sie auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Um Punkt 12 Uhr öffnete Dr. Rosen die Tür zum Wartezimmer mit einem Lächeln für uns alle. Bevor wir uns auf unseren Stühlen im Gruppenraum niederließen, stieß noch eine kräftige Frau namens Zenia zu uns. Sie hatte brombeerfarbenes Haar und riesige braune Augen, die pausenlos überrascht schienen. Sie eröffnete die Sitzung mit einer Geschichte über ihr Wochenende, das dank einer Erotik-Online-Community für Dungeons-&-Dragons-Fans multiple Orgasmen enthielt. Sie erwähnte eine Freundin, die in Kroatien lebte und die sie noch nie persönlich getroffen hatte.

Ich hatte schon über 5000 Minuten in diesem Raum verbracht. 90 davon lagen erst drei Stunden zurück. Alles sah gleich aus: die Drehstühle, das Bücherregal, die billigen Jalousien mit den schmalen Lamellen, die welke Lilie, die sich durch eine letzte Saison schleppte. Und doch fühlte es sich vollkommen fremd an. Wie ein Traum, in dem du in deinem Haus bist, aber es ist nicht wirklich dein Haus, weil die Tür die falsche Farbe hat oder es zwei Stockwerke gibt anstatt einem. Auf der Ebene der Energie und Teilchen war irgendetwas völlig falsch.

Dr. Rosen sah aus wie ein unfreundlicher Fremder: Seine Lippen waren zu einer strengen Linie erstarrt, seine Arme wirkten steif und unnatürlich. Da war nichts Warmes oder Vertrautes zwischen uns, und mein Herz zog sich zusammen vor Heimweh nach dem Dienstagmorgen.

Zenia glühte, als sie über ihre Beziehung mit Greta aus Kroatien sprach – über den stundenlangen Sex, den sie online genossen, und darüber, wie sie versuchten Geld zu sparen, um sich auf einer Convention in Brüssel zu treffen. Alle paar Minuten lächelte Zenia mir zu, was ich als großzügigen Willkommensgruß interpretierte, und dann bat sie Dr. Rosen übergangslos zu seiner Meinung, wie sie einen ihrer Patienten behandeln sollte.

»Patienten?«, fragte ich laut.

»Ich bin Ärztin«, klärte sie mich auf.

Dr. Rosen grinste zu mir herüber. Dieser Scheißkerl lachte über mich! Oh, schaut euch die einsame Zimperliese an, die da neben der erfolgreichen Ärztin sitzt, die großartigen virtuellen Sex mit ihrer Freundin hat! Ich kniff die Augen zusammen und blickte ihn finster an. Sein Lächeln wurde breiter. Ich verlangte nicht von ihm, mich zu verhätscheln, aber ich wollte auch nicht, dass er von seinem Thron aus auf mich herunterlachte.

Mary erzählte, dass ihr gewalttätiger Bruder – der ihre gesamte Kindheit über gedroht hatte, sie umzubringen – angerufen und sie um Geld gebeten hatte. Regina, eine Masseurin, die in etwas eingewickelt war, was aussah wie zwei schwarze Schals und ein fließender Nylonrock, war während Zenias Sexmonolog hereingekommen. In mitfühlendem, gedämpftem Ton berichtete sie Mary, dass sie eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte, nachdem ihr psychotischer Cousin sie mit einem Messer bedroht hatte.

Dr. Rosen hatte meine Geschichte missverstanden. Ein Angstklumpen wuchs in meinem Bauch, und mir wurde klar, dass das die falsche Gruppe für mich war. Ich wollte ihn an seinem spitzen braunen Kragen packen und ihn daran erinnern, dass ich zwar infolge der Sache auf Hawaii gelitten und gegen eine Essstörung gekämpft hatte, dass es in meiner Vergangenheit jedoch keine Mordversuche gegeben hatte. Ich wurde zu einer perfektionistischen, frigiden Asexuellen mit Borderline-Syndrom, aber wie konnte er glauben, dass ich hierhergehörte? Ich war ein leichtgewichtiges, unbedeutendes Ding, das die ganze Zeit »Buuhuu, ich wünschte, ich hätte einen Freund« plärrte. Ich war ein lächerliches Wald-und-Wiesen-Pflänzchen im Vergleich zu diesen Frauen, die mutiger und interessanter und erfolgreicher waren, als ich es je sein würde.

20 Minuten vergingen. Wo war Marnie? Sie sollte hier meine Verbündete sein.

Marnie kam 30 Minuten nach Beginn der Sitzung, ließ ihre orangefarbene Ledertasche kurzerhand auf den Boden und sich selbst schwer in ihren Stuhl fallen. Ich suchte ihren Blick, aber sie sah mich nicht an. Ihr Kiefer war verkrampft und ihre braunen Augen huschten durch den Raum, auf der Suche nach einem Opfer.

»Ich bin so verdammt müde, dass ich sterben will«, sagte sie. Sechs Wochen zuvor hatte sie ein wunderschönes Mädchen zur Welt gebracht. »Pat ist jede Woche auf Dienstreise, und das Baby schläft nicht. Ich kann nicht …« Mit zitternden Händen zog sie eine Flasche teures norwegisches Mineralwasser heraus. Ich hatte heute Morgen mit ihr telefoniert, aber da hatte sie nichts von ihrem Kummer erwähnt. Und nun schien sie so zu tun, als sei ich nicht in diesem Raum. Dieses vorsätzliche Ignorieren konnte nur eines bedeuten: Sie war sauer auf mich. Ich versank so sehr in meinen panischen Gedanken, wie ich Marnies Ärger stoppen könnte, dass ich nichts mehr wahrnahm. Ich hatte Marnie schon früher wütend erlebt. Es war nicht schön.

Der Türöffner summte. Herein kam eine Frau, die eine gigantische Handtasche mit Lederquasten und einen Essensbehälter aus Styropor trug, und alle Moleküle im Raum veränderten sich. Das musste Nan sein – Marnie hatte sie erwähnt, aber sie hatte mir nicht gesagt, dass Nan Energie ausstrahlte wie helle Lichtkegel. Ich wusste, dass sie kurz vor der Rente stand, dennoch schimmerte ihre Haut wie die einer jungen Frau. Wenn sie lachte, erschienen auf jeder ihrer Wangen zwei Grübchen. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden von ihren silbernen Sandalen, dem Schlüsselbund, der klimperte, als sie ihre Tasche hinter ihren Stuhl stellte, von ihrem verschmitzten Lächeln für Dr. Rosen, als sie sich setzte, ihrem Mund, als sie leise vor sich hin murmelte, während Marnie sprach. Sie begrüßte mich mit einem kurzen Kopfnicken, und ich lächelte zurück.

»IN geht heute mit mir durch«, sagte Nan. »IN will mich tot sehen.«

Ich sah zu Dr. Rosen. IN? Er sah mich an, gab mir aber nichts preis. Wenn ich wissen wollte, wovon Nan sprach, würde ich sie fragen müssen.

Nan nahm ihren Styroporbehälter und machte den Deckel auf. Ein Teil war mit Käsemakkaroni gefüllt, gekrümmte Nudeln in beinahe orangefarbener Soße. Sie nahm einen Bissen und sprach weiter. »Ich bin nicht mal hungrig.« Ihre Stimme brach. Sie sah mich an und erklärte, dass das I für »inneren« stand und das N für das rassistische Schimpfwort, mit dem sie ihr Leben lang unterdrückt worden war. Sie machte klar, dass sie – nur sie – den vollen Namen von IN aussprechen durfte, und bei Gott, ich würde mich Nan sicherlich nicht widersetzen. Ich nickte, dankbar dafür, dass sie mich aufgeklärt hatte.

»Nan, ich habe gerade gesprochen«, sagte Marnie. Ich kannte diesen Ton. Marnie hatte ihn gegenüber Pat angeschlagen, direkt vor dem Ehezwist, dessen Zeugin ich geworden war. Ich drückte mich tiefer in meinen Stuhl und bemerkte, dass ich den Atem angehalten hatte. Die Luft schien mir stechend, flackernd von der drohenden Gewalt. Ich wollte sie nicht einatmen.

Nan zeigte mit ihrer Gabel auf Marnie. »Halte. Dich. Verdammt. Noch mal. Zurück.«

Ich sog einen Schwall Luft ein und behielt ihn in meiner Lunge.

Marnie schraubte ihre Wasserflasche auf. »Warte, bis du verdammt noch mal dran bist.« Es klang wie eine Warnung, ein Zischen.

Hier war es nicht wie in meiner anderen Gruppe, wo Patrice manchmal Colonel Sanders anschnauzte oder Carlos und Rory sich anzickten, wenn es um pünktliches Erscheinen ging. Zwischen Marnie und Nan spürte ich etwas Schwereres, etwas Greifbareres und Instabileres. Ihre Worte kamen tief aus ihrem Inneren. Sie benutzten ihre Hände und Arme. Sie spuckten. Die Luft knisterte vor Hitze und etwas Bedrohlichem.

Nan stellte ihr Essen ab. Ich erwartete, dass sie aufstand und ihre Ärmel hochkrempelte,...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2021
Übersetzer Monika Kempf
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Beziehung • beziehungsfähig • Gesundheit • Gruppentherapie • Hilfe • Kindheit aufarbeiten • Kontakt • Lebensgeschichte • Lebenshilfe • Liebe • Lori Gottlieb • Patient • Psychotherapie • Therapeut • Therapie • Veränderung • Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden
ISBN-10 3-96121-636-3 / 3961216363
ISBN-13 978-3-96121-636-9 / 9783961216369
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