Zwangsarbeitende im Kreis Steinburg 1939-1945 - eine Spurensuche -  Walter Vietzen

Zwangsarbeitende im Kreis Steinburg 1939-1945 - eine Spurensuche (eBook)

Band 1 von Aasbüttel bis Kellinghusen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
258 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-5238-3 (ISBN)
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Bei meinen Recherchearbeiten und Zeitzeugengesprächen in den Gemeinden der Störmarsch äußerte ein promovierter Marschbe-wohner am Telefon: "Es gab hier Russen und Franzosen, und die durften alle mit bei uns am Tisch sitzen. Die Nazis waren nicht alle Verbrecher und Mörder, so wie das linke Pack, was sich hier über-all rumtreibt, immer behauptet." Danach legte er auf und war auch nicht mehr zu erreichen. 75 Jahre nach Kriegsende wurde es höchste Zeit, sich den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein zuzuwenden, zumal der Mehrheit der Nachkriegsgeneration, speziell der jüngeren Generation des Kreises, das Elend der flächendeckenden Versklavung von Menschen kaum bekannt ist, und das, obwohl etliche Untersuchungen zur Zwangsarbeit in Deutschland erschie-nen sind. Das Lagersystem im Kreis Steinburg ist das Spiegelbild der verbrecherischen Unmenschlichkeit der NS-Führung und ihrer Chargen. Im Kreis Steinburg können aber auch Beispiele "wider-setzlicher" Menschlichkeit genannt werden. Es gab sie auf man-chen Bauernhöfen und an einzelnen Arbeitsplätzen. Das komplexe Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem, die zur Norm erklärte rassistisch begründete Verachtung anderer Völker, die unbarmherzige Behandlung der Zwangsarbeiter*innen, der Familien, Jugendlichen, Schwangeren und Frauen mit Kindern, der Alten und Kranken und insbesondere der sowjetischen Kriegsgefangenen erweist sich als Verlust jeglicher Zivilisation und Kultur im nationalsozialistischen Deutschland. Das Leugnen und Verschweigen der Zwangsarbeit, insbesondere das Leiden der Frauen und der Kinder, durch Teile der heutigen deutschen Gesellschaft, ist ebenso unerträglich wie die Gleichgültigkeit und die Erbarmungslosigkeit in etlichen anderen Bereichen unserer Wohlstandsgesellschaft.

Walter Vietzen, geboren am 22.3.1954, war Lehrer an der Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe in Kellinghusen. Seit über drei Jahrzehnten engagiert er sich für Frieden, Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde durch zahlreiche Aktivitäten und Projekte innerhalb und außerhalb des schulischen Bereichs.

Verbotener Umgang


In der von Rassismus geprägten Diktion der nationalsozialistischen Rassenwächter meint der Begriff „Verbotener Umgang“ massive Reglementierungen des sozialen wie auch des intimen Umgangs der deutschen Bevölkerung mit zivilen oder kriegsgefangenen Zwangsarbeitern. Insbesondere sexuelle Kontakte wurden bestraft. Die Kriminalisierung des sozialen Umgangs von Deutschen und „Fremdvölkischen“, der „verbotene Umgang“, war Ausdruck einer rassistischen, biologistischen sowie geschlechterspezifischen Ungleichheitsideologie.

In den „Polenerlassen“ vom März 1940 war festgelegt worden: „Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft.“ 12 13 Gleiches wurde in den sog. Ostarbeitererlassen vom 20. Februar 1942 natürlich auch für „Ostarbeiter“ verfügt: Bei der „Bekämpfung der Disziplinwidrigkeit“, „reichsfeindlichen Bestrebungen“, „kriminellen Verfehlungen“ und Geschlechtsverkehr mit Deutschen sei in der Regel „nur mit harten Maßnahmen, d.h. Einweisung in ein Konzentrationslager oder Sonderbehandlung“ vorzugehen. „Sonderbehandlung“ wurde dabei folgendermaßen erklärt: „Die Sonderbehandlung erfolgt durch den Strang.“ 14

Natürlich aber kam es dennoch auch zu sexuellen Kontakten zwischen Deutschen und Polen, vor allem auf dem Land, wo der persönliche Kontakt auf den oft männerlosen Höfen besonders eng war. Polnische und sowjetische Arbeiter wurden in der Regel nicht der Justiz, sondern direkt der Gestapo unterstellt. Das hatte zur Folge, dass die sogenannten GV-Verbrechen (Geschlechtsverkehrverbrechen) in vielen Fällen mit einer „Sonderbehandlung“, d.h. der Hinrichtung bestraft wurden. Westliche Kriegsgefangene wurden im Falle des „verbotenen Umgangs“ mit deutschen Frauen von den Militärgerichten meist zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt. Kontakte zu zivilen Zwangsarbeitern, die als „germanisch“ oder den Deutschen „kulturell verbunden“ galten, waren zwar nicht verboten, wurden aber als „unerwünscht“ angesehen. Die „fremdvölkischen“ Arbeiter*innen aber unterlagen der Kennzeichnungspflicht, ihre sexuellen Kontakte zur deutschen Bevölkerung wurden benannt und mit dem Tode bestraft.

In den Jahren 1942 bis 1944 stieg die Zahl diesbezüglicher Verurteilungen stark an. In der Regel wurden deutsche Frauen angeklagt, vereinzelt auch Männer. Denunziationen spielten hierbei eine zentrale Rolle, auch, um „missliebige Nachbarn oder Kollegen bei den Behörden anzuschwärzen.“ 15 Das Strafmaß der Urteile für diese Frauen lag zwischen Geldbußen und mehrjährigen Zuchthausstrafen. Besonders strafverschärfend war es, wenn es sich bei einer Frau um die Ehefrau oder Witwe eines Soldaten an der Front handelte, da ihr „abweichendes“ Verhalten als „würdelos“ angesehen wurde. Bis zum Herbst 1941 und vereinzelt auch über diesen Zeitpunkt hinaus „fanden so genannte „Schändungen“ statt: Frauen, denen eine sexuelle Beziehung zu Kriegsgefangen oder auch zu „fremdrassigen“ Zivilarbeitern vorgeworfen wurde, wurden kahlgeschoren, mit einem Schild um den Hals durch den Ort geführt und an zentraler Stelle den Beschimpfungen ihrer „Volksgenossen“ ausgesetzt. Zum verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen gehörten aber auch so genannte Gefälligkeitsdelikte: Wenn zum Beispiel deutsche Arbeiter an ichrem Arbeitsplatz Pakete oder Briefe von polnischen Kriegsgefangenen annahmen und für sie abschickten. Da diese Arbeiter mit ihrem Verhalten ihr „Volk gefährdet“ hätten, verdienten sie eine schwere Strafe und zwar in Form einer Gefängnishaft von sechs Wochen bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall von bis zu drei Jahren.16 „Das Ausmaß des Umgangs“, die Schwere der verschiedenen Taten, die gemeldet wurden, waren vielfältig: „Die Gerichte hatten vielfach unbedeutende Fälle abzuurteilen, wie das Essen am gemeinsamen Tisch, das Anbieten von Zigaretten oder die Erste Hilfe bei Verletzungen.“ Es gab auch deutsche Frauen, die „ihren Kriegsgefangenen“ mit Zivilkleidern, Geld und Kartenmaterial zur Flucht verhalfen. 17

Begegnungen zwischen Deutschen und Zwangsarbeitern fanden in den großen Lagern der Industrie vermutlich nur während der Arbeit und dort im Bereich der Reglementierung statt. Ganz anders war es in den landwirtschaftlichen Betrieben. Hier ergaben sich häufig persönliche Kontakte, in vielen Fällen wurden die Zwangsarbeiter höflich und respektvoll behandelt und bekamen besseres Essen, bei guter Arbeit auch Extraportionen und Geldzuwendungen. Allerdings gab es auch hier Ausnahmen – Misshandlungen, Beschimpfungen, Schläge, unzureichendes Essen und schlechte Unterkünfte - so zeigte mancher Betriebsführer seinem Zwangsarbeiter, was er von ihm hielt. Vernachlässigungen und Schikanierungen resultierten oft aus einer durch den Nationalsozialismus geprägten rassistischen Grundhaltung, die den Zwangsarbeitern das Leben sehr erschwerte.

Im Frühjahr 1940 begann eine breit angelegte Propagandakampagne der NSDAP. Die Prinzipien und Vorschriften der Märzerlasse sollten Verbreitung finden. Jeder deutsche Bauer, der Ausländer beschäftigte, erhielt ein Merkblatt, dessen Kenntnisnahme er unterschreiben musste:

Merkblatt 18

Wie verhalten wir uns gegenüber den Polen?

Um die Ernährung des deutschen Volkes zu sichern und der Landwirtschaft die hierfür notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen werden in diesem Jahr eine große Anzahl Polen in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie sollen es den deutschen Bauern erleichtern, den Aushungerungsversuch unserer Feinde zunichte zu machen. Dafür erwarten wir von allen Volksgenossen auf dem Lande:

Haltet Abstand von den Polen!

Sie gehören einem Volke an, das noch vor wenigen Monaten 58000 Deutsche ermordet hat.

Werdet nicht zu Verrätern an der deutschen Volksgemeinschaft!

Die Polen gehören nicht zur deutschen Volksgemeinschaft. Wer sie wie Deutsche behandelt oder gar noch besser, der stellt seine eigenen Volksgenossen auf eine Stufe mit Fremdrassigen. Das gleiche gilt auch für den deutschen Gruß. Wenn es nicht zu vermeiden ist, dass sie mit euch unter einem Dach wohnen, dann bringt sie so unter, dass jede engere Berührung mit eurer Familie ausgeschlossen ist.

Lasst Polen nicht mit an eurem Tisch essen!

Sie gehören nicht zur Hofgemeinschaft, noch viel weniger zur Familie. Ihr sollt ihnen zwar genügend zu essen geben, sie sollen aber getrennt von euch essen.

Bei euren Feiern und Festen haben die Polen nichts zu suchen!

Wir wollen in unseren Feiern und Familienfesten unter uns sein. Die Polen sind ein fremdes Volk. Sie werden unter sich ihre eigenen Feiern veranstalten.

Nehmt die Polen nicht in eure Gasthäuser mit!

Sie werden es euch nicht danken. Es wird dafür gesorgt werden, dass bestimmte Gasthäuser an einem Tag der Woche ausschließlich den Polen zur Verfügung stehen.

Gebt den Polen auch sonst keine Vergünstigungen!

Wenn ihr glaubt, durch Geschenke ihre Arbeitsfreudigkeit zu steigern, so irrt ihr euch. Jede weichliche Behandlung schwächt erfahrungsgemäß ihren Willlen zur Arbeit.

Seid gegenüber den Polen selbstbewusst!

Die Deutschen Soldaten haben im Polenfeldzug die „polnische Wirtschaft“ kennengelernt. Seid stolz auf eure Überlegenheit in jeder Beziehung. Die Polen sind nicht nach Deutschland geholt worden, damit sie ein besseres Leben als in den primitiven Verhältnissen ihrer Heimat haben, sondern damit sie durch ihre Arbeit den unermesslichen Schaden wiedergutmachen, den der polnische Staat dem deutschen Volke zugefügt hat. Ihr habt den Polen nicht ehrlos zu behandeln, aber lasst keinen Zweifel daran, dass ihr die Herren im eigenen Lande seid.

Haltet das deutsche Blut rein!

Das gilt für Männer wie für Frauen!

So wie es als Schande gilt, sich mit dem Juden einzulassen, so versündigt sich jeder Deutsche, der mit einem Polen oder mit einer Polin intime Beziehungen unterhält. Verachtet die tierische Triebhaftigkeit dieser Rasse. Seid rassenbewusst und schützt eure Kinder. Ihr verliert sonst euer höchstes Gut: eure Ehre.

Größte Vorsicht im Umgang mit Kriegsgefangenen!

Der Kriegsgefangene ist unser Feind geblieben. Er handelt als Soldat nach den ihm vor seiner Gefangennahme gegebenen Befehle, die ihm vorschreiben, auch in der Gefangenschaft, dem Feind zu schaden, wo er kann. Für den Umgang mit Kriegsgefangenen gilt deshalb, was schon gesagt ist, in verschärftem Maße.

Denkt vor allem an die Spionagegefahr!

Jede Anbiederung und Vertrauensseligkeit bietet der Spionage Vorschub. Nehmt keine Briefe der Kriegsgefangenen mit. Erfüllt auch sonst keine kleinen Gefälligkeiten....

Erscheint lt. Verlag 21.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
ISBN-10 3-7526-5238-1 / 3752652381
ISBN-13 978-3-7526-5238-3 / 9783752652383
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