Die Romanfabrik von Paris (eBook)

Historischer Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
480 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-9434-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Romanfabrik von Paris -  Dirk Husemann
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Paris 1850. In der Romanfabrik von Alexandre Dumas schreiben siebzig Angestellte die beliebten Folgen von 'Die drei Musketiere' und 'Der Graf von Monte Christo', die als Fortsetzungsgeschichten die Zeitungsleser begeistern. Doch im jüngsten Werk ist etwas faul zwischen den Zeilen, denn es ist gespickt mit Staatsgeheimnissen. Um seinen Ruf zu retten, muss sich Dumas ausgerechnet mit seiner größten Kritikerin verbünden: der deutschen Lehrerin Anna Moll, die ihn wegen freizügiger Texte angezeigt hat.

Gewinner der Abstimmung zum 'Buch des Jahres 2020' bei WDR 2



Dirk Husemann gräbt als Wissenschaftsjournalist, Archäologe und Schriftsteller Geschichten aus. Er studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie in Münster. Neben historischen Romanen schreibt er Sachbücher und Reportagen, zum Beispiel über die rosaroten Steine von Stonehenge, Fische in der Sahara oder den Sternenhimmel unter den Pyramiden Mexikos.

Dirk Husemann gräbt als Wissenschaftsjournalist, Archäologe und Schriftsteller Geschichten aus. Er studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie in Münster. Neben historischen Romanen schreibt er Sachbücher und Reportagen, zum Beispiel über die rosaroten Steine von Stonehenge, Fische in der Sahara oder den Sternenhimmel unter den Pyramiden Mexikos.

Kapitel 1


Paris, Ende November 1851

Anna fühlte sich wie eine Romanfigur. Noch vor einer Woche war sie Deutschlehrerin in Karlsruhe gewesen. Und jetzt fuhr sie in ihrem Rollstuhl durch Paris und jagte einem Mann namens Alexandre Dumas hinterher.

Sie musste ihm das Handwerk legen.

Zunächst brauchte sie Beweise für seine Machenschaften. Anna bat ihren Diener Immanuel, einen Zeitungsverkäufer zu finden. Immanuel schob sie den Boulevard entlang. Nie zuvor hatte Anna ein solches Gedränge erlebt. Vorübereilende stießen gegen den Rollstuhl. Der Herbstwind massierte die Gesichter. Die Passanten hielten ihre Hüte fest. Anna zog den Knoten des Tuchs, das um ihre Haube geschlungen war, fester unter dem Kinn zusammen.

Nach einer Weile deutete Immanuel auf eine Marktbude aus Brettern, Kisten und einem Bettlaken, die vor einem hell erleuchteten Café aufgebaut war. Eine junge Verkäuferin sortierte die Auslagen: Bücher und Zeitungen.

»Ein November, der alles verschmiert«, sagte die Händlerin, als Anna ihr einen guten Abend wünschte. »Mit meinen Zeitungen können Sie sich erst den Abend vertreiben und danach die feuchte Wohnung auslegen«, pries die Frau die Ware an. Dabei gestikulierte sie mit müder Hand.

»Alexandre Dumas«, sagte Anna. »Kennen Sie den?«

Die Augen der Verkäuferin leuchteten mit einem Mal heller als die Lampen des Cafés. »Ob ich Monsieur Dumas kenne? Halten Sie mich für eine Dame der feinen Gesellschaft?« Sie deutete auf ihren schäbigen Kittel.

»Ich meine natürlich seine Geschichten. Haben Sie etwas von ihm?« Anna deutete auf die Zeitungen.

Die Verkäuferin zupfte ein Exemplar hervor und hielt es Anna hin. »Früher hat er für Le Siècle geschrieben. Jetzt gibt er seine eigene Zeitung heraus.«

»Le Mousquetaire«, las Anna laut vom Kopf des Blattes ab. Darunter stand: Journal de M. Alexandre Dumas. Sie rückte ihre Brille zurecht. Die Titelseite schmückte die Zeichnung einer Figur in historischem Kostüm, vermutlich der namensgebende Musketier. Daneben war ein Tisch abgebildet, an dem eine Flinte lehnte.

Anna streckte eine Hand aus. Doch die Verkäuferin zog die Zeitung zurück und hielt ihre von Druckerschwärze verschmierten Finger hin. »Fünfzehn Centimes«, forderte sie. »Erst bezahlen, dann lesen. Alte Lebensweisheit der Zeitungshändler.«

Anna holte drei Münzen aus ihrer Geldkatze hervor. Mit der Zeitung in der Hand ließ sie sich von Immanuel in das Café bringen. Es summte von Gesprächen und klirrte von Silberlöffeln, die gegen Porzellan tickten. Sie fanden einen winzigen runden Tisch. Anna bestellte Kaffee für sich und ein Bier für Immanuel. Dann faltete sie die Zeitung auseinander und bedeckte damit die grüne zerkratzte Tischplatte. Le Mousquetaire war auf dünnem, billigen Papier gedruckt. Die Lettern schienen durch. An einigen Stellen hätte die Druckerpresse sie fast durch den Bogen geschlagen. Die Schlagzeile auf dem Titelblatt lautete: Franzosen raus aus Paris und war der Titel einer Anklageschrift über den Umbau der Stadt durch Baron Haussmann. Die meisten Pariser Bürger konnten die Mieten für die neuen Luxuswohnungen nicht bezahlen und mussten in den heruntergekommenen Osten der Seine-Metropole abwandern. Anna überflog den Artikel. Das war es nicht, wonach sie suchte. Doch da! Am unteren Rand der Titelseite kündigte ein zweispaltiger Artikel einen neuen Fortsetzungsroman aus Dumas’ Feder an. Der Text sei im Innenteil zu finden, stand dort: die erste Folge von Die Mohikaner von Paris.

Anna suchte nach der angekündigten Episode, reichte Immanuel den ersten Bogen der Zeitung und las weiter.

Auf dem zweiten Bogen hatte sie die Fortsetzungsgeschichte gefunden. Darin tauchten zwei Liebende auf, Colomban und Carmélite genannt. Listenreich entkamen sie Gefahren, in die sie durch ihre eigenen Unverschämtheiten hineingeraten waren. Es fiel schwer, dennoch las Anna die gesamte Folge. Dann winkte sie dem Kellner, bezahlte aus ihrem schwindenden Münzvorrat und fragte nach der nächsten Gendarmerie.

Die Polizeiwache war in einem dämmrigen Haus an der Rue de Cléry untergebracht. Immanuel schob Anna durch die Eingangstür. Der Geruch von Männerschweiß und Pfeifentabak hing in der Luft. Hinter einem unaufgeräumten Schreibtisch hockte ein Uniformierter mit einem von Verschlafenheit verdrossenen Gesicht. Er strich sich den schmalen Oberlippenbart glatt und fragte Immanuel, was er wolle.

»Ich bin diejenige, die etwas vorzubringen hat«, sagte Anna.

»Madame?«, kam es mit müder Stimme zurück.

»Ich erstatte Anzeige gegen einen Mann namens Alexandre Dumas«, sagte Anna.

Die Müdigkeit verschwand aus dem Gesicht des Gendarmen. »Den Schriftsteller?«

»Wie viele Männer dieses Namens gibt es denn in Paris?«, gab Anna zurück. »Natürlich gegen den Schriftsteller.«

An zwei Tischen im Hintergrund reckten die Kollegen des Polizisten die Köpfe.

»Was hat er diesmal angestellt?«, fragte der Mann am Empfang.

»Bedeutet das, er ist ein bekannter Verbrecher?«, fragte Anna zurück.

»Darüber darf ich keine Auskunft geben. Sie wollten eine Anzeige erstatten. Wie lautet der Grund?« Er holte einen Bogen Papier hervor und zog den Korken aus einem bronzenen Tintenfass.

»Wegen …« Anna warf Immanuel einen Blick über die Schulter zu. Ihr Begleiter zuckte die Achseln. »… Verrohung der Sitten«, fuhr sie fort.

Der Gendarm runzelte die Stirn. »Hat Dumas Sie belästigt?«

»Und wie er mich belästigt hat«, fuhr Anna fort. »Mit jedem Wort, das er schreibt, treibt er mir die Schamesröte ins Gesicht.«

Die Polizisten an den hinteren Tischen erhoben sich und kamen näher.

»Madame«, begann der Gendarm. »Wir sind ein freies Land. Monsieur Dumas ist einer unserer erfolgreichsten und beliebtesten Schriftsteller. Eine Anzeige …«

»Er ist nur beliebt, weil es ihm gelingt, seine Leser zu verdummen und sie mit billigen Tricks für sich einzunehmen. Er ist … er ist …« Das Wort kam Anna nur schwer über die Lippen. »… ein Hypnotiseur. Einer, der sich die Menschen gefügig macht. Er ist gefährlich!«

Jetzt blickten sich die drei Polizisten an. Einer wedelte mit der Hand, als habe er sich verbrannt.

»Ich verlange, dass die Polizei etwas gegen ihn unternimmt.«

»Wir können niemanden einsperren, nur weil er Romane schreibt«, sagte der Empfangsbeamte.

»Von Gefängnis habe ich auch nicht gesprochen.« Anna schlug mit behandschuhter Hand auf den Schreibtisch. »Lassen Sie die Plakate abreißen, die für seinen Schmutz werben. Lassen Sie die Zeitung verbieten, die er herausgibt. Und sorgen Sie dafür, dass Ihre Landsleute gute Bücher lesen. Schaffen Sie öffentliche Bibliotheken und Schulen.«

»Anschrift?«, fragte der Gendarm.

»Ich weiß nicht, wo der Schmierfink seinen Unterschlupf hat«, sagte Anna.

»Ich meine natürlich Ihre Anschrift, Madame. Wohnen Sie in Paris?«

Anna zögerte. Gerade in diesem Augenblick mochte die in Zorn entflammte Madame Schmaleur die Reisetaschen aus Annas Zimmer tragen und das Bett abziehen lassen. Aber solange sie das nicht sicher wusste, wohnte sie noch dort. Anna nannte die Adresse: Rue Réaumur 38.

Der Gendarm füllte mit rascher Hand ein Formular aus und ließ Anna unterschreiben. Dann legte er das Blatt auf einen Stapel, verschränkte die Finger und sagte: »Guten Abend, Madame.« Gekünstelte Freundlichkeit war in sein Gesicht gemeißelt.

Anna beugte sich über den Schreibtisch und griff nach dem Formular. Sie hielt es sich vor die Brille. »Wo steht, welche Maßnahmen die Polizei ergreifen wird?«

Der Gendarm seufzte und versuchte, das Papier zurückzubekommen. »Das steht nirgendwo. Es liegt im Ermessen unserer Gendarmerie.«

»Und was ermessen die Gendarmen?«, flirrte Anna. Ihre Nase fühlte sich verstopft an. Diese Männer nahmen sie nicht ernst. Weil sie eine Frau war und im Rollstuhl saß! Heiße Beschämung stieg in ihr auf.

»Das ist einzig und allein Angelegenheit dieser Amtsstube.« Mit einer geschickten Bewegung gelang es dem Gendarmen, das Formular wieder an sich zu reißen. Dabei ging der Bogen entzwei.

Anna warf dem Uniformierten den Fetzen Papier entgegen. Der Schnipsel traf seine Brust und segelte lautlos zu Boden. »Sie sind nur ein Domestik der Verwaltung«, fuhr Anna ihn an. »Ich verlange, den Polizeipräsidenten zu sprechen.«

»Wie wäre es stattdessen mit dem Präsidenten der Republik?«

Anna wollte Immanuel auffordern, den frechen Franzosen Mores zu lehren. In diesem Moment schaltete sich einer der anderen Polizisten ein. Er kam um den Schreibtisch seines Kollegen herum und baute sich vor Annas Rollstuhl auf. Wenn er sich jetzt jovial neben mich hockt, werde ich anfangen zu schreien, versprach Anna sich selbst. Doch der Gendarm blieb stehen und sah auf sie herab. Er trug dieselbe blaue Uniform wie seine Kollegen. Aber auf seinen Schultern waren mehr Abzeichen befestigt.

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Madame, scheinen Sie keine Französin zu sein«, sagte er mit tiefer Stimme.

»Ich komme aus dem Großherzogtum Baden. Was hat das mit meinem Anliegen zu tun?«, schnaubte Anna.

»Nichts, natürlich«, gab der Offizier zurück. »Außer vielleicht, dass Sie nicht wissen, welche Institution in Frankreich über die guten Sitten wacht.«

»Die Polizei natürlich«, sagte Anna. »Oder nicht?«

»Ihr Fall wäre bei der Zensurbehörde besser...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 18. - 19. Jahrhundert • 1850 • Abenteuer • Abenteuerroman • Alexandre Dumas • Charles Lafontaine • Der Graf von Monte Christo • Die drei Muketiere • Dumas • Feuilleton • Fortsetzungsroman • Historische Romane • Historisches Abenteuer • Komplott • Magnetismus • Paris • Romanfabrik • Staatsgeheimnis • Verschwörung
ISBN-10 3-7325-9434-3 / 3732594343
ISBN-13 978-3-7325-9434-4 / 9783732594344
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Geschichte, Positionen, Perspektiven

von Muriel Asseburg; Jan Busse

eBook Download (2023)
C.H.Beck (Verlag)
8,99
Geschichte, Positionen, Perspektiven

von Muriel Asseburg; Jan Busse

eBook Download (2023)
C.H.Beck (Verlag)
8,99