Der Islam und Goethe -  Ahmad von Denffer

Der Islam und Goethe (eBook)

Auf der Suche nach islamischen Spurenelementen in Goethes Werk und Leben
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
124 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-4927-7 (ISBN)
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Diese Studie will den Leser mit den verschiedenen Gelegenheiten bekannt machen, zu denen der bedeutendste Dichter deutscher Sprache mit dem Islam in Berührung kam und die Wirkungen davon darlegen. Wenn auch die Goethe-Forschung diesbezüglich schon viel mehr geleistet hat als allgemein bekannt ist, können hier nicht nur einige Irrtümer und Fehler berichtigt, sondern darüber hinaus neue Einsichten aufgezeigt werden, die der Goethe-Forschung bislang entgangen sind. Erstmals wird auf einen Zusammenhang zwischen dem Koran und Goethes bedeutsamsten Schauspiel, dem "Faust", aufmerksam gemacht. Auch eine systematische Übersicht der Bezüge zwischen Worten des Propheten Muhammad (s) und Goethes Gedichtsammlung "West-östlicher Divan" hat bisher gefehlt. Wenn die positiven Gedanken und Äußerungen Goethes zum Islam dazu anregen, es ihm wenigstens darin gleichzutun, ist viel für ein friedenmachendes Miteinander gewonnen.

Ahmad von Denffer, in der muslimischen Szene Deutschlands wie auch international bekannt geworden als Autor und Übersetzer zahlreicher Schriften zum Thema Islam, war nach dem Studium von Islam- und Völkerkunde Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Islamic Foundation in Leicester und Herausgeber des Nachrichtendienstes "Focus on Christian-Muslim Relations", später Deutschsprachiger Referent des Islamischen Zentrums München und Herausgeber der Zeitschrift "Al-Islam", auch Projektleiter sowie langjähriger Vorsitzender von "Muslime helfen".

DAS MAHOMET-FRAGMENT


Unübersehbare Früchte trug Goethes gewonnene Kenntnis des Korans in seinem zwischen Herbst 1772 und Frühjahr 1773 begonnenen aber nie vollendeten Drama „Mahomet“. 31 In seiner selbstbiographischen Darstellung „Dichtung und Wahrheit“ berichtete Goethe 1813, also vierzig Jahre später, darüber. Er hätte damals die Bekanntschaft des Züricher Geistlichen Lavater und des Pädagogen Basedow gemacht und an beiden Männern beobachtet, wie sie ihren Einfluß auf andere Menschen geltend machten. Goethe schreibt sodann:

„...Indem ich nun beide beobachtete, ja ihnen frei heraus meine Meinung gestand und die ihrige dagegen vernahm, so wurde der Gedanke rege, daß freilich der vorzügliche Mensch das Göttliche, was in ihm ist, auch außer sich verbreiten möchte. Dann aber trifft er auf die rohe Welt, und um auf sie zu wirken, muß er sich ihr gleichstellen; hierdurch aber vergibt er jenen hohen Vorzügen gar sehr, und am Ende begibt er sich ihrer gänzlich. Das Himmlische, Ewige wird in den Körper irdischer Absichten eingesenkt und zu vergänglichen Schicksalen mit fortgerissen. Nun betrachtete ich den Lebensgang beider Männer aus diesem Gesichtspunkt, und sie schienen mir ebenso ehrwürdig als bedauernswert: denn ich glaubte vorauszusehn, daß beide sich genötigt finden könnten, das Obere dem Unteren aufzuopfern. Weil ich nun aber alle Betrachtungen dieser Art bis aufs äußerste verfolgte und über meine enge Erfahrung hinaus nach ähnlichen Fällen in der Geschichte mich umsah, so entwickelte sich bei mir der Vorsatz, an dem Leben Mahomets, den ich nie als einen Betrüger hatte ansehen können, jene von mir in der Wirklichkeit so lebhaft angeschauten Wege, die anstatt zum Heil, vielmehr zum Verderben führen, dramatisch darzustellen. Ich hatte kurz vorher das Leben des orientalischen Propheten mit großem Interesse gelesen und studiert und war daher, als der Gedanke mir aufging, ziemlich vorbereitet...“ 32

Goethe erläutert hier also zunächst, wieso er überhaupt die Person des Propheten Muhammad (s) als Gegenstand eines Dramas wählte. Er hatte kurz vorher Turpin‘s „Histoire de la Vie de Mahomet“ gelesen, dessen erster Band 1773 in Paris erschienen war. Zwar schreibt Goethe, er habe den Propheten „nie als einen Betrüger“ ansehen können, d.h. nach Goethes Meinung hat Muhammad (s) nicht absichtlich falsch gehandelt, aber er kam Goethe trotzdem als eine ideale weltgeschichtliche Figur vor, an der sich Fehlverhalten und Fehlleitung selbst großer Geister beim Zusammentreffen mit der „rohen Welt“ vortrefflich würde demonstrieren lassen. Sodann schildert er, wie er das darzustellen geplant hatte:

„Das Stück fing mit einer Hymne an, welche Mahomet allein unter dem heiteren Nachthimmel anstimmt. Erst verehrt er die unendlichen Gestirne als ebenso viele Götter; dann steigt der freundliche Stern Gad (unser Jupiter) hervor, und nun wird diesem, als dem König der Gestirne, ausschließliche Verehrung gewidmet. Nicht lange, so bewegt sich der Mond herauf und gewinnt Aug‘ und Herz des Anbetenden, der sodann, durch die hervortretende Sonne herrlich erquickt und gestärkt, zu neuem Preise aufgerufen wird. Aber dieser Wechsel, wie erfreulich er auch sein mag, ist dennoch beunruhigend, das Gemüt empfindet, daß es sich nochmals überbieten muß; es erhebt sich zu Gott, dem Einzigen, Ewigen, Unbegrenzten, dem alle diese begrenzten herrlichen Wesen ihr Dasein zu verdanken haben. Diese Hymne hatte ich mit viel Liebe gedichtet; sie ist verloren gegangen, würde sich aber zum Zweck einer Kantate wohl wieder herstellen lassen und sich dem Musiker durch die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks empfehlen. Man müßte sich aber, wie es auch damals schon die Absicht war, den Anführer einer Karawane mit seiner Familie und dem ganzen Stamme denken, und so würde für die Abwechslung der Stimmen und die Macht der Chöre wohl gesorgt sein.

Nachdem sich also Mahomet selbst bekehrt, teilt er diese Gefühle und Gesinnungen den Seinigen mit; seine Frau und Ali fallen ihm unbedingt zu. Im zweiten Akt versucht er selbst, heftiger aber Ali, diesen Glauben in dem Stamme weiter auszubreiten. Hier zeigt sich Beistimmung und Widersetzlichkeit nach Verschiedenheit der Charakter. Der Zwist beginnt, der Streit wird gewaltsam, und Mahomet muß entfliehn. Im dritten Akt bezwingt er seine Gegner, macht seine Religion zur öffentlichen, reinigt die Kaaba von den Götzenbildern; weil aber doch nicht alles durch Kraft zu thun ist, so muß er auch zur List seine Zuflucht nehmen. Das Irdische wächst und breitet sich aus, das Göttliche tritt zurück und wird getrübt. Im vierten Akte verfolgt Mahomet seine Eroberungen, die Lehre wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkbaren Mittel müssen benutzt werden; es fehlt nicht an Grausamkeiten. Eine Frau, deren Mann er hat hinrichten lassen, vergiftet ihn. Im fünften fühlt er sich vergiftet. Seine große Fassung, die Wiederkehr zu sich selbst, zum höheren Sinne, machen ihn der Bewunderung würdig. Er reinigt seine Lehre, befestigt sein Reich und stirbt.

So war der Entwurf einer Arbeit, die mich lange im Geist beschäftigte, denn gewöhnlich mußte ich erst etwas im Sinne beisammen haben, eh‘ ich zur Ausführung schritt. Alles, was das Genie durch Charakter und Geist über die Menschen vermag, sollte dargestellt werden, und wie es dabei gewinnt und verliert. Mehrere einzuschaltende Gesänge wurden vorläufig gedichtet, von denen ist allein noch übrig, was, überschrieben „Mahomets Gesang“, unter meinen Gedichten steht. Im Stücke sollte Ali zu Ehren seines Meisters auf dem höchsten Punkte des Gelingens diesen Gesang vortragen, kurz vor der Umwendung, die durch das Gift geschieht. Ich erinnere mich auch noch der Intentionen einzelner Stellen, doch würde mich die Entwicklung derselben hier zu weit führen.“ 33

Genau betrachtet ging es Goethe hierbei also gar nicht speziell um den Propheten Muhammad (s) selbst, sondern er wollte vielmehr, wie er hier erläutert, eine allgemeine Erscheinung an seinem Beispiel darstellen. Fragmente dieses Mahomet-Dramas tauchten nach Goethes Tod wieder auf. 34 Dem Manuskript waren die schon erwähnten Koranauszüge beigelegt. 35 Ganz eindeutig ist natürlich der Einfluß einer bestimmten Koranpassage auf dieses Goethe-Stück. Es handelt sich dabei um Sure 6:75 f., die in Goethes Koranauszügen enthalten und „übersetzt aus dem Lateinischen des Maraccius“ ist. Diese im Koran auf den Propheten Abraham bezogene Passage hat Goethe mit seinem Mahomet verknüpft. Ein Vergleich der Koranverse mit Goethes Text zeigt deutlich, daß Goethe nicht bloß die Gedanken, sondern sogar Wörter und Wortreihen direkt übernommen hat:

„VI. Sura. das Vieh.

Übersetzt aus dem Lateinischen des Maraccius.

V.75. Abraham sprach zu seinem Vater Azar:

Ehrst du Götzen für Götter? Wahrhaftig, ich erkenne deinen

und deines Volks offenbaren Irrthum.

Da zeigten wir Abraham

des Himmels und der Erde Reich, daß er

im wahren Glauben bestätigt würde.

Feld. Gestirnter Himmel. Mahomet allein.

Teilen kann ich euch nicht dieser Seele Gefühl.

Fühlen kann ich euch nicht allen gantzes Gefühl.

Wer, wer wendet dem Flehen sein Ohr?

Dem bittenden Auge den Blick?

Und als die Nacht über ihm finster ward,

sah er das Gestirn und sprach: Das ist mein Herrscher!

Da es aber niederging, rief er: Untergehende lieb‘ ich nicht.

Sieh, er blincket herauf, Gad, der freundliche Stern,

Sey mein Herr du! Mein Gott. Gnädig winckt er mir zu!

Bleib! Bleib! Wendst Du dein Auge weg?

Wie? Liebt ich ihn, der sich verbirgt?

Dann sah er den Mond aufgehen, sprach: Das ist mein Herrscher!

Da er aber niederging, sagt er: Wenn mich mein Herr nicht leitet,

geh‘ ich in der Irre mit diesem Volck.

Sey geseegnet o Mond! Führer du des Gestirns,

Sey mein Herr du, mein Gott! Du beleuchtest den Weeg.

Lass! Lass nicht in der Finsternis

Mich irren mit irrendem Volck.

Wie aber die Sonne heraufkam, sprach er: Das ist mein Herrscher.

Er ist größer. Aber da sie auch unterging, sprach er:

O mein Volck, nun bin ich frei von deinen Irrthümern!

Sonn, dir glühenden weiht sich das glühende Herz.

Sey mein Herr du, mein Gott! Leit allsehende mich.

Steigst auch du hinab, herrliche?

Tief hüllet mich Finsternis ein.

Ich habe mein Angesicht gewendet zu dem,

der Himmel und Erde erschaffen hat. 36

Hebe, liebendes Herz, dem Erschaffenden dich!

Sey mein Herr du, mein Gott! Du alliebender, du

Der die Sonne, den Mond und die Stern

Schuf, Erde und Himmel und...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7526-4927-5 / 3752649275
ISBN-13 978-3-7526-4927-7 / 9783752649277
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