Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit (eBook)

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2020 | 1. Auflage
245 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-5414-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit -  Márta Fata
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Wie lerne ich historisch zu arbeiten? Fakten, Fakten, Fakten!? Ganz sicher nicht nur. Geschichte zu verstehen bedeutet vor allem, historische Ereignisse analysieren, einordnen und bewerten zu können. Das Buch gibt anhand der Migrationsgeschichte Mitteleuropas zwischen 1500 und 1800 eine Einführung in die Arbeitsweisen, die Methodik und die Denkweisen der Geschichtswissenschaft.

Prof. Dr. Márta Fata ist Leiterin des Forschungsbereichs 'Neuere Geschichte' am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen.

Vorwort zur Reihe9
I. Einführung11
II. Begrifflich-historiografische Grundlegung19
1. Begriffe, Theorien und Typologien19
1.1 Der Migrationsbegriff im Wandel der Zeit19
1.2 Erklärungsmodelle, Forschungsansätze und Theorien20
1.3 Von der Wanderungs- zur Historischen Migrationsforschung in Deutschland29
1.4 Die Typologie der Migration31
III. Themenfelder35
2. Expansion und Erfahrung der Welt35
2.1 Die Begegnung mit der Neuen Welt35
2.2 Neue Dimensionen der Migration 38
2.3 Alte und neue Formen der geografischen Mobilität46
3. Die Bevölkerung als zentrale Kategorie des frühneuzeitlichen Staates52
3.1 Die Bedeutung der Bevölkerung52
3.2 Die Bevölkerungstheorie und -praxis im 16. Jahrhundert53
3.3 Die kameralistische Variante im 17. und 18. Jahrhundert58
4. Die Migrationssteuerung68
4.1 Die „geordnete“ Migration68
4.2 Die Regelung der Abwanderung69
4.3 Die Lenkung der Zuwanderung77
4.4 Die Etablierung des Passwesens82
5. Die religiös motivierte Migration85
5.1 Migrationsoptionen85
5.2 Räumliche Wanderungsmuster 89
5.3 Der Exulant zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung93
5.4 Netzwerke der Glaubensflüchtlinge95
5.5 Migranten im Aushandlungsprozess98
6. Die militärische und kriegsbedingte Migration102
6.1 Krieg als Voraussetzung und Ursache von Migrationen102
6.2 Soldaten als Arbeits- und Karrieremigranten104
6.3 Zivilisten zwischen Kriegs- und Berufserfahrung 113
6.4 „Grenzgänger“ des Krieges116
7. Die Siedlungsmigration118
7.1 „Plantation“, „Peuplierung“, „Impopulation“118
7.2 Einwanderung und Ansiedlung in den britischen Kolonien in Nordamerika120
7.3 Die Ansiedlung in Brandenburg-Preußen und in Ungarn124
7.4 Die Auswanderer und ihre Motive130
7.5 Rückschläge und Rückwanderungen134
8. Die Erwerbsmigration136
8.1 Erwerb und Migration136
8.2 Wanderarbeiter137
8.3 Wanderhändler142
8.4 Transnationale Aspekte der Erwerbsmigration147
8.5 Migranten zwischen Erwerb und Horizonterweiterung151
9. Die Subsistenzmigration 153
9.1 Armut, Arbeit und Nichtsesshaftigkeit153
9.2 Regionale und individuelle Ursachen des Vagierens156
9.3 Die subsistenzorientierte Ökonomie des Überlebens157
9.4 Das Heimatrecht der Vaganten 161
9.5 Zigeuner: ewig heimatlose Wanderer163
10. Spielarten der Peregrination170
10.1 Wissenserwerb und Wissensvermittlung 170
10.2 Sprachkenntnis als Voraussetzung 171
10.3 Die peregrinatio apostolica172
10.4 Die peregrinatio academica174
10.5 Die Kavalierstour180
10.6 Die Gelehrtenmigration182
11. Dimensionen der Integration 187
11.1 Kulturelle, soziale und strukturelle Integrationsprozesse187
11.2 Der Umgang mit dem Fremden196
11.3 Der Gruppenbildungsprozess der Einwanderer202
IV. Fazit und Forschungsperspektiven205
Literaturverzeichnis 217
Verzeichnis der Abbildungen 233
Ortsregister235
Personenregister241

I. Einführung


Zwei Abbildungen – eine Aufnahme des ungarischen Pressefotografen Zsolt Reviczky im Sommer 2015 (vgl. Abb. 1) und ein Kupferstich des Augsburger Künstlers Elias Bäck (vgl. Abb. 2), erschienen 1733 – stellen Migranten in verblüffend ähnlicher Art und Weise dar. Ein langer Zug von Menschen mit wenigen Habseligkeiten auf dem Rücken oder in der Hand bewegt sich auf einer Landstraße irgendwo in Europa.

Das Pressefoto hielt fest, womit ganz Europa seit 2015 elementar konfrontiert ist: die weltweite Fluchtbewegung, verursacht durch Krieg, Verfolgung, Klimakatastrophen und Armut. Umfasste die Gruppe der Asylbewerber in der Europäischen Union 2014 noch rund 627.000 Personen, so verdoppelte sich deren Zahl 2015 auf über 1,3 Millionen. Die hohe Zahl von Migranten löste in der Staatengemeinschaft eine bis heute andauernde und kontrovers geführte Debatte aus. Eine der Ursachen dafür ist das lückenhafte Völkerrecht. So definiert etwa die Genfer Flüchtlingskonvention diejenige Person als Flüchtling, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt […].“[1] Die Erklärung bezieht sich allerdings nicht eindeutig auf Menschen, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen oder Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure wie Rebellen oder Milizen fliehen, und lässt somit Interpretationsspielräume zu. Deren negative Folgen müssen Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak erfahren, die nicht generell unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, und deren Anträge auf Asyl deshalb einzeln geprüft werden müssen.

Abb. 1 Zsolt Reviczky, Flüchtlinge in Ungarn im Sommer 2015.

Abb. 2 Elias Bäck, Einzug der Salzburger Emigranten in Memmingen 1731.

Anders als die vor Krieg Geflüchteten haben die in Massen vor allem vor Not und Chancenlosigkeit aus den afrikanischen Ländern Fliehenden in der Regel keine Aussicht, den Asylantenstatus zu erhalten. Dies hält sie allerdings von der gefahrenreichen Flucht aus ihren Heimatländern nach Europa nicht ab. Bei der Überquerung des Mittelmeeres geraten sie immer wieder in Seenot, und nicht wenige von ihnen finden auf dem Meer den Tod. Ein allgemein gültiges internationales Recht für schiffbrüchige Geflüchtete gibt es jedoch nicht. So gilt in ihrem Fall „lediglich“ die ethisch-moralische Pflicht eines jeden Menschen, seinen Mitmenschen zu helfen und sie vor dem Tod zu retten. Aber gerade dies wird mit der Einstellung der staatlich geförderten Rettungsaktionen in Frage gestellt.

Leidenschaftlich diskutiert wurde in den letzten Jahren nicht nur über die Aufnahme, sondern auch über die Verteilung der Migranten innerhalb der Staatengemeinschaft. Auf dem Höhepunkt der Migration 2015/16 zeigte sich, dass die EU über keine einheitliche und gut funktionierende Migrationspolitik verfügt. Laut dem EU-Vertrag von Dublin ist nämlich immer derjenige Mitgliedsstaat für einen Migranten und seinen Asylantrag zuständig, in den er zuerst eingereist ist. So sind schon seit Langem die Staaten an den Außengrenzen der Union, vor allem Italien und Griechenland, durch die Aufnahme der Migranten belastet. Als 2015 Ungarn die durch Griechenland auf der Balkan-Route in das Land illegal eingereisten Migranten nicht weiterfahren lassen wollte und sich gegen ihre Aufnahme entschied, handelte es nach international geltendem Recht. Die EU-Kommission, die zwischen den Mitgliedsstaaten zu vermitteln versuchte, konnte allerdings auch schon deshalb keinen Erfolg erzielen, weil Ungarn wie auch die dem ungarischen Beispiel folgenden anderen ostmitteleuropäischen Staaten ihre einzelstaatlichen Interessen höher einstuften als die gesamteuropäischen. Ihre Haltung ist deshalb von den meisten Regierungen und der öffentlichen Meinung in den westlichen Mitgliedsstaaten unter europapolitischen und moralischen Gesichtspunkten negativ bewertet worden.

Besonders eklatant traten die Gegensätze zwischen Ungarn und Deutschland zu Tage, in denen zwei der am weitesten auseinanderliegenden Positionen der gesamten Debatte zum Tragen kommen. Ungarn argumentiert auf der Grundlage der nationalstaatlichen Souveränität und setzt dazu Mittel wie die Grenzsicherung durch den Bau von Zäunen ein. Es folgt darüber hinaus einer Zukunftsvorstellung, die den demografischen Rückgang nicht mit Einwanderung, sondern mit einer großzügigen Familienpolitik zu lösen versucht. Die Arbeitswanderung der Ungarn in die westlichen EU-Staaten bei gleichzeitiger Einwanderung von Gastarbeitern nach Ungarn zeigt allerdings, dass diese Politik nicht ausreicht und die Verschleierung von ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen durch Nationalismus kein geeigneter Weg sein kann.

Die Position in Deutschland dagegen basierte noch bis vor kurzem ausschließlich auf der Idee, dass Wohlstand und freie Grenzen für alle einander nicht ausschließende Kriterien seien. Doch allmählich wurde dieser Standpunkt durch die Diskussionen über die Grenzen des Wohlfahrtsstaates und das Erstarken skeptischer und antidemokratischer Haltungen innerhalb der Bevölkerung abgelöst. Während viele in Deutschland und in Europa der Meinung sind, dass mithilfe der weltweiten Migranten dem Fachkräftemangel und der demografischen Alterung der Bevölkerung vorzubeugen ist, betrachten nicht wenige die Zuwanderung als Bedrohung. Sie befürchten durch die Aufnahme von mehrheitlich armen und weniger gut ausgebildeten Migranten mit muslimischer Religionszugehörigkeit ökonomische Belastungen und politische Instabilität sowie eine kulturelle Überfremdung. Sie sehen auch die Gefahren eines staatlichen Kontrollverlustes und einer um wirtschaftliche und soziale Ressourcen geführten Konkurrenz zwischen Einheimischen und Zuwanderern.

Der Kupferstich von Bäck stellt den Einzug der Salzburger Exulanten in der evangelisch-lutherischen Reichsstadt Memmingen im Jahre 1732 dar. Zwischen November 1731 und August 1732 waren etwa 20.000 Migranten aus dem Fürsterzbistum Salzburg in den verschiedenen Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und einige bald auch in die britische Überseekolonie Georgia unterwegs. Den Anlass zu ihrer Migration bot der Ausweisungserlass des Landesherrn Leopold Anton von Firmian vom 31. Oktober 1731.

Der seit 1727 regierende Fürsterzbischof war ein entschiedener Gegner des Protestantismus, der mit seiner Aktion zur Aufspürung und Missionierung der Geheimprotestanten in den Jahren von 1728 bis 1730 seine nicht katholischen Untertanen herausforderte. Als wegen dieser konfessionellen Bedrückung evangelisch-lutherische Familien auswandern wollten, aber dazu die Genehmigung nicht erhielten, wurde im Juni 1731 eine „Supplikation der Lutherischen Saltzburger Paurn“ im Namen von etwa 18.500 Personen an das Corpus Evangelicorum, die gemeinsame Körperschaft der lutherischen und reformierten Reichsstände im Heiligen Römischen Reich, geschickt. Darin baten die Bauern die Reichsstände um Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Forderung, entweder ihre Religion frei ausüben oder frei auswandern zu dürfen. Das Corpus Evangelicorum nahm Verhandlungen mit den katholischen Reichsständen auf und verlangte, das Patent im Sinne der Beschlüsse der Westfälischen Friedensverträge von 1648 abzuändern; es war jedoch an Kompromissen und nicht an der Entfachung von konfessionellen Gegensätzen im Reich interessiert.

Der Erzbischof, der die Ausweisung beschloss, hatte mit dem Emigrationspatent die formale reichsrechtliche Regelung des Friedens auf seiner Seite. Er konnte sich darauf beziehen, dass in seinem Land die katholische Konfession stets die einzig approbierte Religion war und auch im Sinne der sogenannten Normaljahrregelung des Friedens im Fall von Salzburg den Protestanten weder das Recht der öffentlichen noch der privaten Religionsausübung zustand. Und weil der Erzbischof die Geheimprotestanten deshalb...

Erscheint lt. Verlag 10.8.2020
Reihe/Serie Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Frühe Neuzeit
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Neuzeit (bis 1918)
Schlagworte Auswanderung • Buchdruck • Donauschwaben • Entdeckung Amerikas • Erwerbsmigration • Frühe Neuzeit • Geschichte • Geschichte Studieren • Glaubensflüchtlingen • Gutenberg • Hugenotten • Lehrbuch • Migration • Migrationsgeschichte • Neuzeit • Puritaner • Reformation • Roma • Siedlungsmigration • Sinti • Sudetendeutsche • Transnationale Geschichte • Wanderarbeiter • Zigeuner
ISBN-10 3-8463-5414-7 / 3846354147
ISBN-13 978-3-8463-5414-8 / 9783846354148
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